Nach einem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete Sophie Dornbach in einem großen Kölner Publikumsverlag, ehe sie sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Sie hat viele erfolgreiche Romane geschrieben, begeistert ein breites Publikum und wurde mit dem Delia-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie liebt laue Sommerabende und Städtereisen, wo sie für ihre Romane intensive Recherchen betreibt. Während ausgedehnter Wien-Reisen reifte die Idee für ihre derzeitige Romanreihe.
1
Charlotte
»Papa! Mama!« Charlottes Rufe hallten durch die Eingangshalle der kleinen Villa, die sie seit über einem Jahr bewohnten. Auf dem polierten Parkettboden hinterließen ihre Stiefel matschige Spuren. Sie erklomm die geschwungene Holztreppe ins Obergeschoss, in dem neben den Schlaf- und Ankleidezimmern der Töchter auch das private Esszimmer und ein Gästezimmer untergebracht waren. Wie die Eingangshalle mit ihren cremefarbenen Wänden und der holzgetäfelten Decke wirkte die ganze Villa etwas rustikal und war weitaus kleiner als das Palais, das sie damals in München ihr Eigen genannt hatten.
Die Bibliothek war gleichzeitig auch das Herrenzimmer – sehr zu Desirées Leidwesen, die nur allzu gerne Tag und Nacht darin verbracht hätte, was ihr Vater jedoch strengstens untersagte, wenn er beispielsweise Besuch erwartete. Auf ein eigenes Ankleidezimmer hatte Rudolf von Althenau komplett verzichten und sich mit einem Schlafzimmer zufriedengeben müssen.
Antonia und Bernadette hatten als älteste Schwestern die schönsten und größten Zimmer erhalten, zwischen denen ihr gemeinsames Ankleidezimmer lag, Desirée konnte sich über ein eigenes Bad freuen, das man nur von ihrem Raum aus erreichte. Um in ihr Ankleidezimmer zu gelangen, das sie sich als jüngste Schwestern teilten, mussten sie jedes Mal über den Flur huschen. Allerdings beneidete Charlotte ihre jüngere Schwester Desirée nicht um das eigene Bad, sondern vielmehr um die angrenzende Treppe, die man von der zweiten Badezimmertür aus ungesehen erreichte. Und der Reiz von Antonias Zimmer lag in dem Erker, der den Raum nicht nur wundervoll erhellte, sondern über dessen Fenster man hervorragend auf den Balkon des benachbarten Esszimmers und von dort die Säulen hinunterklettern konnte, um ungesehen zum Stall zu gelangen und unerlaubte Ausritte zu unternehmen. Allerdings hatten weder ihr Vater noch ihre Mutter ein Einsehen gehabt, als Charlotte sie nach dem Auszug ihrer ältesten Schwester um das Zimmer gebeten hatte.
»Antonia ist kaum aus dem Haus, und du verschacherst schon ihren Raum«, hatte Rudolf von Althenau sie gerügt. »Abgesehen davon hältst du dich die meiste Zeit ohnehin im Pferdestall auf. Was brauchst du da ein größeres Zimmer?«
»Als ob du nicht selbst darüber nachgedacht hättest, den Raum zu deinem privaten Herrensalon umzugestalten«, hatte Ursula von Althenau ihm entgegengesetzt. Doch sosehr Rudolf auch damit geliebäugelt hatte, seine Frau hatte sich strikt dagegen ausgesprochen, einen Herrensalon auch nur in die Nähe der Mädchenzimmer kommen zu lassen und die Bibliothek nach oben zu verlegen. Dabei hatte sich Desirée bereits auf nächtliche Ausflüge dahin gefreut, wenn sie wieder einmal nicht schlafen konnte, weil sie eben noch eine Seite zu Ende lesen musste. Und es war endgültig hinfällig geworden, als man die Kosten für den Einbau der einzupassenden Bücherregale kalkuliert hatte. Es war zum Verrücktwerden!
Wenigstens konnte Charlotte der Enge – und der geblümten Tapete – ihres Zimmers entfliehen, wenn sie mit Ophélie zum Prater ausritt. Mittlerweile hatte sie es sich schon fast zu einem täglichen Ritual gemacht, eine Runde vor dem Frühstück zu drehen. So entkam sie nicht nur der Beengtheit des Hauses, sondern auch den Heiratsplänen ihrer Eltern. Seit sich nun auch Bernadette mit Karl Ludwig verlobt hatte und ihre Hochzeit in den letzten Vorbereitungen lag, schienen Rudolf und Ursula von Althenau ganz versessen darauf, jetzt auch Charlotte unter die Haube zu bringen. Denn das war noch etwas, was ihre Familie nach dem überstürzten Aufbruch vor einem Jahr glücklicherweise in München hatte zurücklassen können: Charlottes verpatztes Debüt.
Dabei hatte Charlotte sich wirklich auf diesen Tag gefreut. Sie liebte das Tanzen, die Bälle, die rauschenden Ballnächte, doch sie hasste das gesellschaftliche Parkett ebenso wie die starre Reglementierung, die sie einzuengen versuchte wie ihr Korsett. Was träumte sie von Freiheit, von Weite, von Unabhängigkeit! »Mit einem Ehemann«, hatte Ursula von Althenau ihr kurz vor ihrem Debüt immer wieder gesagt, »wirst du all das haben«, doch Charlotte hatte daraufhin die Arme verschränkt und eine widerspenstige Locke aus ihrem Gesicht gepustet. Wie sollte sie mit einem Ehemann jemals frei sein können?
Und tatsächlich hatten die meisten ihr beim Tanz vorgeschwärmt, was für ein edles Heim sie bei ihnen beziehen könne, und sie nach ihren Mutterqualitäten ausgefragt. Als schließlich der fünfte Herr an diesem Abend sich erkundigt hatte, ob sie denn früher gerne mit ihren Puppen gespielt habe, hatte sie ihm beherzt auf den Fuß getreten und war wutschnaubend und mit gerafften Röcken von der Tanzfläche gestapft. Seit diesem Zeitpunkt hatte sie in München als unvermittelbarer Wildfang gegolten, dem sich niemand mehr auf einen Meter Distanz nähern wollte.
»Wenigstens haben wir so die Möglichkeit, Charlotte auf ein Neues an den Mann zu bringen«, hatte Ursula von Althenau kurz vor ihrem Umzug gezwungen fröhlich von sich gegeben.
»Solange du Charlotte nicht änderst, ändert sich auch an ihrem Status ›unvermittelbar‹ nichts«, hatte Rudolf von Al-thenau gebrummt und den Kopf wieder hinter der Tageszeitung vergraben.
Leider sollte ihr Vater recht behalten. Auch in Wien war es nicht besser gewesen. Im letzten Jahr hatte sie ihren Tanzpartner geohrfeigt, nachdem er die Impertinenz besessen hatte, sie auf ihre unsaubere Schrittfolge aufmerksam zu machen, und er ihr gesagt hatte, dass man so jemanden gewiss nicht als zukünftige Ehefrau an seiner Seite haben wollte. Als wäre Tanzen nichts anderes als eine Werbeschau wie beim Dressurreiten. Einmal hätte man frei sein, schweben, ja beinahe fliegen können – und dieser Holzkopf interessierte sich allen Ernstes für Etikette.
Dabei hatte Charlotte gar nicht vorgehabt, ihren Eltern das Leben so schwer zu machen. Sie wollte ja heiraten – oder nein, eigentlich wollte sie sich nur so leidenschaftlich verlieben, wie es Antonia und Bernadette getan hatten –, die Aufregung, dieses Knistern, das Feuer, das einen nachts nicht schlafen ließ, weil man unentwegt an einen anderen Menschen denken musste … Charlotte stellte es sich traumhaft vor, und wenn daraus bestenfalls noch eine Heirat entsprang, sollte es ihr nur recht sein. Dann hatten ihre Eltern, was sie sich für ihre Töchter immer erträumt hatten, und Charlotte einen neuen Reiz, der das Leben aufregender machte. Doch bis dahin blieb ihr wohl nur die Jagd, die das Adrenalin durch ihre Venen pumpte und ihr das Gefühl von Lebendigkeit gab.
»Papa! Mama!«, rief sie nun wieder, als sie den oberen Treppenabsatz erreicht hatte. Mit raschen Schritten, die gewiss unsäglich undamenhaft wirkten, durchquerte sie den Korridor, hinterließ auch auf dessen Teppich unschöne Schlammspuren und stieß die Tür zum ehemaligen Frühstücksraum auf, den ihre Familie nun als privates Esszimmer nutzte, um der Gesellschaft weiszumachen, dass sie sich neben dem Esszimmer im Erdgeschoss, das für Festgesellschaften und Diners vorbehalten war, noch einen weiteren Raum als Speisezimmer leisten konnten.
Wie sie erwartet hatte, saßen ihre Eltern um den rechteckigen Tisch mit seinen orangeroten Ledersesseln. Der blaue Teppichboden passte wie die Faust aufs Auge zu dem Interieur, und er biss sich mit den petrolfarbenen Samtvorhängen. Die dunkle Holzvertäfelung, die die kompletten Wände und die Decke einnahm, schluckte fast das ganze Licht. Was sich der Vorbesitzer an Eleganz im Erdgeschoss geleistet hatte, hatte er hier bedauerlicherweise eingespart, und von allen Räumen des Hauses mochte Charlotte diesen am wenigsten – abgesehen von ihrem Rosenzimmer.
»Seht nur, was ich heute Morgen gejagt habe!« Sie ließ zwei Kaninchen auf den Teller ihrer Mutter fallen, beugte sich zu ihrem Vater hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Fabelhafter Schuss«, lobte Rudolf, der die Kaninchen anerkennend begutachtete. »Genau zwischen die Augen.«
»Fast dort, wo ich dich eben geküsst habe«, sagte Charlotte zwinkernd, und ihre Augen flackerten auf.
»Wundervoll«, murmelte Ursula von Althenau und schob mit spitzen Fingern den Teller von sich. »Wollen wir hoffen, dass du deinen Vater nicht eines Morgens auch so erlegst.«
»Aber, aber, meine Liebe, wer wird denn so verstimmt sein?« Rudolf drückte Charlottes Hand, als sie sich zwischen ihn und Desirée – ihrer Mutter gegenüber – setzte. »Unsere Charlotte hat uns soeben das Abendessen nach Hause gebracht, und du bist schon beinahe eingeschnappt darüber.«
»Solange Papa sich nicht frühmorgens in den Wäldern herumtreibt, sollte für ihn keine Gefahr bestehen.« Desirée schob ihre Serviette neben ihrem Teller zurecht, um unbemerkt das Ende der Seite lesen zu können.
»Fabian, räumen Sie bitte unser Abendessen vom Frühstückstisch, und informieren Sie Agathe über die Änderung des Speiseplans.«
»Sehr wohl, Gräfin«, sagte Fabian mit einem unterdrückten Grinsen, nahm die Kaninchen und verließ den Raum.
Tief in ihrem Inneren war sich Charlotte sicher, dass auch ihre Mutter froh darüber war, nicht schon wieder Porree essen zu müssen.
»Und du, Desirée, legst sofort das Buch beiseite. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass bei Tisch nicht gelesen wird?«
»Ja, Mama.« Mit säuerlicher Miene klappte Desirée das Buch zu und widmete sich wieder ihrem Essen, einem Brötchen mit Himbeermarmelade.
»Ist Johannisbeere schon wieder leer?«, fragte Charlotte enttäuscht, als sie das Silberschälchen hochnahm und die Reste mit dem Löffel auskratzte. Da dies erfolglos...
| Erscheint lt. Verlag | 14.5.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Die Wien-Saga |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Adel • Beisl • Bridgerton • Debütantinnen • eBooks • Familienskandal • Fiaker • Historical Romance • Historische Liebesromane • Hofdame • julia hausburg • Kaiser Franz Joseph I. • Kaiserhof • Kaiserreich • K und K Monarchie • Liebesromane • Lyx • Mona Kasten • New Adult • new adult deutsch • Nikola Hotel • Opernball • Österreich • Regency Romance • Romance • Sachertorte • Salzstangerl • Schloss Schönbrunn • Schwestern • Second Chance • Serien • Serienstart • Sissi • Standesdünkel • Stefansdom • TikTok • tiktok trend • Ungarn • wahre Liebe • Wien • Wiener Prater • Wienerwald • Wiener Walzer • young adult neuerscheinung 2024 |
| ISBN-10 | 3-641-31242-6 / 3641312426 |
| ISBN-13 | 978-3-641-31242-8 / 9783641312428 |
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