Hadder (eBook)
120 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-15829-1 (ISBN)
Tod auf dem Neanderland-Steig
Diesen Gedanken kann ich nicht loswerden. Schon vor vierzig Jahren hat mir dieser abscheuliche Gestank, die von Verwesung durchsättigte Luft, bei meiner ersten Mordermittlung sehr zugesetzt. Ich bin vom Tatort kotzend auf die Straße geflüchtet.
„Da musst du durch“, meinte mein Kollege Wolfgang. „Leichen sind keine Kindergeburtstage“, versuchte er mich zu beruhigen.
Den größten Teil meines Berufslebens, ich bin mittlerweile Pensionär, 68 Jahre alt, war ich bei der Kriminalpolizei in Köln und in Mettmann tätig. Ein großartiges Team! Wir ermittelten gegen Mörder, Serienkiller. Viele, viele Taten, über die man nicht gerne spricht. Und heute bin ich Wanderführer von der SGV-Abteilung Erkrath-Haan. Ich habe noch guten Kontakt zu meiner alten Dienststelle und unterstütze bei Bedarf die jüngeren Kollegen.
„Eigentlich bin ich Pensionär und im Ruhestand. Aber warum tue ich mir das alles noch an?“, frage ich mich. „Weil es mir immer noch Spaß macht und weil ich es noch kann!“
Wir sind auf dem Neanderlandsteig, Etappe 10 von 17, von Ratingen-Homberg nach Haan-Gruiten, eine schöne, abwechslungsreiche Etappe, durch romantische Bachtäler und Wälder. Ein nahendes Gewitter zwingt uns, einen Unterstand zu finden. In der Ferne ein verlassenes Gehöft. Ich treibe meine Wandergruppe an. Wir nähern uns dem Anwesen. Mein Hund Tasso, ein Cocker Spaniel, treuer Begleiter unserer Wandergruppe, wirkt unruhig, zieht an der Leine. Blitz und Donner lassen uns schneller gehen. Wir erreichen das baufällige Gehöft. Glück gehabt, gerade noch geschafft. Schon prasseln die ersten dicken Regentropfen auf das Dach und wenig später peitschen Böen den Regen gegen die Holzhütte. Wir öffnen das alte knarrende Scheunentor und treten in die große Tenne ein. Links und rechts verlassene Kuhställe und Pferdeboxen. Alte Fuhrwerke und ausgediente Maschinen behindern die Sicht. In der Ecke die Sattelkammer mit Geräteraum, Werkstatt und kleiner Pausenraum für Knechte und Mägde. Und da sind sie wieder, diese bedrückenden Gedanken und scheußlichen Verwesungsgerüche, die bei feuchtwarmer Luft intensiver sind als bei Kälte. Ich stoppe sofort die Wandergruppe.
„Keiner geht mir nach!“
Tasso, mein Hund, wird immer unruhiger, nimmt Witterung auf und zieht mich durch die ganze Tenne bis zu einer kleinen, klobigen verschlossenen Tür. Mein Unterbewusstsein sagt mir:
„Stopp, nicht weiter.“
Ich wähle die 110 und lasse mich mit der Kripo Mettmann verbinden.
„Wir sind im Stinderbachtal, nahe dem Koxberg.“
Polizeioberrat Rosenbaum ist geschockt über die Nachricht und stellt sofort ein Team zusammen aus KTU, Hundeführer und einem medizinischen Forensiker. Nach circa 30 Minuten trifft das Team ein. Die klobige Tür wird aufgebrochen. Gänsehaut und ein Frösteln durchströmen meinen Körper. Es ist mir anzusehen, denn Rosenbaum beobachtet mich.
„Stinkt fürchterlich!“, sagt er. „Lass uns das mal machen!“
Verkrampft antworte ich: „Halb so schlimm!“ „Wenn wir deinen Rat brauchen, rufe ich dich.“ Ich verharre und schaue in die Mitte der Bauernstube. Und aus dem Augenwinkel heraus sehe ich die Leichen. Bewege mich nicht vom Fleck. Mein Puls und Herz rasen wie auf einer Achterbahn. Mein Adrenalinspiegel steigt. Überall Blut. Mein Verstand sagt mir: „Schau weg!“ Doch die Gesichter der Toten starren mich an. In ihren Gesichtern liegen Panik, Angst und endloses Entsetzen.
„Solche Anblicke kann man nicht vergessen.“
Eine Wandergruppe ist brutal getötet worden. Nachdem ich mich gesammelt habe, betrachte ich die Szenerie, die ein Mörder, nein, ein Killer hergerichtet hat. Die KTU arbeitet akribisch und untersucht jedes Detail im Raum. Der Forensiker beugt sich über die Leichen und versucht den Tatverlauf zu rekonstruieren. Doch den genauen Zeitpunkt der Tat kann er erst im Labor feststellen.
Auf dem riesigen Esstisch liegen neben alten Essensresten und leeren Flaschen eine Liste mit Datum, Wanderetappe und fünf Namen. Es ist die gleiche Etappe, die wir heute gehen. Allerdings, das Datum ist vom Vortag. Aus weiteren Etappenaufzeichnungen geht hervor, dass die Gruppe auf dem gesamten Neanderlandsteig, mit seinen siebzehn Etappen, seit zehn Etappen unterwegs ist.
„Das sind verdammt viele Tote“, meint Rosenbaum und fügt hinzu: „Bestimmt nicht seine ersten Morde.“
„Das ist ein Serienkiller“, ergänze ich. Ich wäge alles ab: „Er muss sehr überzeugend als Gast von der Gruppe aufgenommen worden sein.“
Rosenbaum nickt. „Sehr logisch, macht Sinn. Aber an was denkst du?“ Ich überlege kurz und blicke über die einzelnen Gesichter. Er hat fünf Wanderer in einer Nacht brutal erschossen. Und er hat den Tatort sehr sauber zurückgelassen. Aber mit einer Strategie, die keinen Zweifel zulässt, dass er es todernst meinte. „Und warum lässt er die Teilnehmerliste zurück mit einer Botschaft, die wir zunächst nicht entschlüsseln können?“
*** töte schnell und vor allem brutal (den Wanderführer). Und die anderen fügen sich dem Schicksal. Psychologen haben sich damit beschäftigt, wo Grenzen zwischen persönlichem Widerstand und Gehorsam gegenüber Machtmenschen als Maßstab unseres Tuns verlaufen. ***
Nach drei Stunden sind alle Spuren gesichert und die Leichen werden in die Gerichtsmedizin überführt. Ich verabschiede mich von Rosenbaum und seinem Team und übergebe ihm unsere Teilnehmerliste.
„Wenn wir dich brauchen, rufe ich an.“
Wir wandern weiter durch das Stinderbachtal. Über eine Wiese hinweg sehen wir eine kleine Mariengrotte. „Seid nett zueinander bei Maria im Tal“, steht auf einem schmiedeeisernen Tor, das ein knutschendes Paar zeigt. Eigentlich sollte man das immer sein, aber nach dem, was wir heute erlebt haben, sind unsere Gedanken bei den getöteten Wanderern.
Am nächsten Tag stehe ich vor dem Dienstgebäude der Kriminalpolizei im Kreis Mettmann. Etwas beklommen schaue ich auf die Fassade.
„Ich bin eigentlich raus aus der Schusslinie“, höre ich meine innere Stimme. „Geh rein, das Team um Rosenbaum möchte meine Unterstützung.“ In einem der Büroräume nimmt das Team „Neanderlandsteig“ die Ermittlungsarbeit auf. Ich brauche etwas Zeit, um mich gedanklich zu orientieren. „Kaffee, Tee oder Wasser, alles in Ordnung?“, begrüßt mich Kriminalrat Rosenbaum.
„Ich bin etwas nervös und zweifelnd, ob ich zur Aufklärung beitragen kann.“
„Wie fühlt es sich an, wieder im Team zu sein?“, fragt er.
„Gut, es fühlt sich sehr gut an, wieder hier dabei zu sein!“
„Alle Mann an Bord, wo beginnen wir?“, eröffnet Rosenbaum die Runde. Und stellt uns den Profiler Broeckhofer vor, der uns kurz und knapp begrüßt und nachfragt. „Haben die KTU-Spuren gefunden, zum Beispiel Haare, Hautschuppen, Fingerabdrücke und hat man Vergleiche mit anderen Spuren oder Daten gefunden?“
„Nein“, erwiderte Rosenbaum. Und Broeckhofer schreibt „BROEHF“ auf die Wandtafel.
„Beobachtung, Recherche, Orientierung, Entscheidung, Handeln, Festnahme“ ist eine von vielen Vorgehensmethoden, um taktische Entscheidungen zu treffen.
„Heute müssen wir anders vorgehen“, ergänzt er. „Gab es schon ähnliche Fälle in den letzten Jahren? Welche Erkenntnisse haben die Teilnehmerliste und die Spurenlage gebracht? Und hat man die Botschaft auf der Teilnehmerliste enträtseln können?“
„Ja, es gab vor drei Jahren einen ähnlichen Fall“, weiß ich aus meiner damaligen Tätigkeit im Morddezernat Köln zu berichten. „Die Medien haben ausführlich darüber berichtet.“
Auch hier wurde eine Wandergruppe mit fünf Teilnehmern brutal getötet. Nach Spurenlage könnten es der oder die gleichen Täter sein. Hier wurde auch eine Teilnehmerliste mit einer nicht zu entschlüsselnden Botschaft hinterlassen.
Und auch hier handelte es sich um Teilnehmer mit Migrationshintergrund und die Morde wurden damals als rassistisch motiviert eingestuft. Die behördlichen Ermittlungen fokussierten sich auf die Opfer selbst und auf deren Angehörige, während in Richtung einer rechtsextremen Tat kaum ermittelt wurde. Die Morde konnten bis heute nicht aufgeklärt werden. Bei den jetzigen Opfern handelt es sich um eine befreundete Wandergruppe mit Mehmet, Halit, Mohamed, Theodores und Evangelos, türkische und griechische Nationalitäten.
„Das kann doch kein Zufall...
| Erscheint lt. Verlag | 10.3.2024 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | action • Anspruch • sozialkritisch • Spannung • Wissenswertes |
| ISBN-10 | 3-384-15829-6 / 3384158296 |
| ISBN-13 | 978-3-384-15829-1 / 9783384158291 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich