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Gestern und morgen (eBook)

Unheimlich-fantastische Novellen
eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
504 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9416-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gestern und morgen -  Michael Maniura
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Michael Maniuras Novellen sind dem magischen Realismus zuzuordnen, einer postmodernen Form der Fantasy. Sie spielen nicht auf fiktiven Planeten in einer unbestimmbaren Ära, sondern ganz bieder auf der Erde, die hin und wieder ihre Faust ballt, um den Mikroben auf ihrer Oberfläche, die sich in maßloser Selbstüberschätzung als Herren der Schöpfung wähnen, unmissverständlich zu zeigen, wer die wahre Herrin im Haus ist.

Michael Maniura, Jahrgang 1953, ist ein Informatiker im Ruhestand, dessen berufliche Wurzeln in seinen Geschichten trotz ihrer fantastischen Themen unverkennbar sind.

3

Ich blickte immer noch wie einst Narziss in den wirbelnden Spiegel. Endlich hob ich meinen Schädel, schüttelte ihn und sah mich um. Uhren gab es nicht und Smartphones erst recht nicht, auf deren Display die Uhrzeit aufdringlich in großen Lettern prangt. Am unveränderten Sonnenstand sah ich indes, dass nur wenige Sekunden vergangen sein konnten, seit ich mich selbst vergessen hatte.

Ich wusste, dass mich eine beachtliche Distanz von meinem Dorf trennte, und begab mich sogleich auf den Weg. Unterwegs stürmten allerlei Gedanken auf mich ein, die in eine brauchbare Struktur zu überführen mir jedoch nicht gelang.

Ich war nicht mehr weit von meinem Zuhause entfernt, als ich rechts von mir ein Geräusch vernahm. Ein Naturbursche ist ohne weiteres imstande, animalische von menschlichen Ursachen zu unterscheiden. Eine bestimmte Art, wie ein Zweig knackt, entspringt ausschließlich menschlicher Ungeschicktheit.

Aus einem Reflex heraus erstarrte ich beinahe und hielt die Luft an. Ich sah durch das lichte Gehölz den Schatten einer aufrecht gehenden Gestalt. Das konnte doch nur …? Ich duckte mich, tauchte förmlich ab und versuchte mich anzuschleichen. Die Gestalt schien keine Sorge zu hegen, ertappt zu werden, denn ihr Oberkörper ging mit einem Schnaufen, dem keine Versuche, es zu unterdrücken, anzumerken war, immer wieder auf und nieder. Ich stellte fest, dass sie dabei war, eine Grube auszuheben, um … Ja, zu welchem Zweck eigentlich? Wollte sie etwa eine Leiche darin versenken?

Neben der atemberaubenden Erkenntnis, um wen es sich bei der Gestalt handelte, war es der Haufen Lebensmittel, der, neben der Grube aufgehäuft, seinem Verschwinden harrte. Gepökeltes Fleisch überdauert Jahre und bleibt dabei genießbar – zumindest für eisenzeitliche Ansprüche – und getrockneter Fisch und Dörrgemüse ebenso. Es handelte sich um jene Streitobjekte, für deren Entwenden vor einem halben Jahr mein Freund Ewald von Waldemar zum Tode durch Mückenfraß verurteilt worden war. Und jetzt war es Waldemar, unser Häuptling, der nunmehr genau diese Streitobjekte an einem geheimen, bisher nur ihm bekannten Ort vergrub.

Einen ersten Impuls, aufzuspringen und dem Kerl mein Messer in den Rücken zu rammen, widerstand ich, denn mir war klar, dass es sinnvoller wäre, meine Entdeckung im Thingkreis vorzubringen und eine offizielle Verurteilung Waldemars zu erwirken. Keine Sekunde plagten mich Zweifel, dass das, was ich gerade entstehen sah, aus keinem legalen und vom Stamm abgesegneten Grund geschah.

Es würde eine Weile dauern, bis Waldemar fertig wäre, sodass ich mich gezwungen sah, mich unerkannt zurück zu schleichen und zu tun, als hätte ich nichts bemerkt. Zum Glück ging Waldemar so lautstark mit seiner Schaufel und seinem Schnaufen zu Werke, dass ich mich nicht sonderlich anzustrengen brauchte, um das zu bewerkstelligen.

Beinahe pfeifend bog ich auf den Hauptzugang unseres Dorfs ein und näherte mich ihm. Freudig sah ich, wie Schmied, Schuhmacher, Bäcker, Händler und Wirt fröhlich und entspannt ihren Arbeiten nachgingen, und setzte mich an eine der Holzkoben, die für die rauen Gesellen, wie wir sie repräsentierten, gerade recht waren. „Ein Met?“ fragte Sigurd, der Wirt.

„Gern. Ein großes.“ Seltsam, dachte ich, aus meinem Wissen des 21. Jahrhunderts schöpfend, wie es alle Völker der Erde – von Grönland über den Äquator bis Feuerland – verstanden, aus jedwelchen zur Verfügung stehenden Früchten und zur Not aus Waltran alkoholische Getränke zu gären. Das keltische Met mochte als Bier durchgehen, fiel aber im Vergleich mit modernen, gekühlten Gerstensäften hoffnungslos ab. Ich erinnerte mich, dass ich einmal in Dänemark nach einer längeren Besichtigungstour in einem zu einem Schloss gehörigen Schankgarten auf der Getränkekarte horrend teures ‚Original-Wikinger-Met‘ gefunden und in meiner Euphorie und aus meinem Durst heraus gleich zwei Gläser angefordert hatte. Die Bedienung hatte mich ungläubig angesehen und „wirklich?“ oder „ist das Ihr Ernst?“ oder so etwas gefragt, mir dann aber das Gewünschte gebracht. Nach dem ersten Schluck hatte ich gewusst: Niemand in der Geschichte der Menschheit hatte von diesem Zeug jemals ein zweites Glas bestellt.

Auch in der Eisenzeit nicht? Ich sah prüfend in meinen Steingutkrug. Gut, das ‚Zeug‘ wirkte ein wenig breiig, war von Schwebstoffen durchsetzt und von gekühlt galt es höchstens zu träumen, aber für 1000 vor Christus – ich hatte mich mit dem Gedanken angefreundet, in dieser Ära gestrandet zu sein – war es völlig in Ordnung. So wie ich eine merkwürdig gutturale Sprache verstand und von mir gab, war auch mein Geschmackssinn völlig umgebildet. Weshalb ich mich bei meinem zweiten kräftigen Zug beinahe verschluckte, war nicht dem Met anzulasten. Über den Weg am Gasthaus vorbei stolzierte eine Frau, die mir bekannt vorkam.

Gudrun.

Oberflächlich kannte ich alle Dorfbewohner, aber das beschränkte sich weitgehend auf die Männer. Die Frauen blieben normalerweise in ihren Häusern und verließen sie nur zur Essenszubereitung im Freien davor, sofern das Wetter es zuließ, oder zum Einkaufen. Sicher, auch die Frauen hatte ich alle irgendwann einmal gesehen, aber es war in Anbetracht kampfbereiter Ehemänner ratsam, sie nicht allzu scharf anzuschauen. Und die noch nicht Vergebenen wurden von ihren Eltern, vor allem ihren Müttern eifersüchtig bewacht.

Was war mit Gudrun?

Als hätte auch sie eine Erinnerung an eine Anderswelt, blieb sie stehen und schaute mich an. „Gudrun?“ fragte ich schüchtern.

„Ja?“

Sie hieß tatsächlich Gudrun! Und sie antwortete offenherzig: „Bist du Winberg?“

„Bin ich. Woher kennst du mich?“

Gudrun lachte. „Dich kennt doch jeder im Dorf. Dank deiner Arbeit konnten wir uns hier ansiedeln und ein genussvolles Dasein beginnen. Viel interessanter erscheint mir die Frage, woher du mich kennst?“

Ich wand mich etwas und entschloss mich, zumindest zur Hälfte die Wahrheit einzugestehen. „Du weißt doch von der Anderswelt?“

„Sicher. Es gibt angeblich Leute, die in der Lage sind, sie jederzeit zu betreten und wieder zu verlassen.“

„Du sagst angeblich. Du glaubt also nicht daran?“

„Ich selbst habe zwar einen Kontakt dorthin, zu einer Art Schwester, aber selbst den Übertritt bisher nicht geschafft und bin auch keinem begegnet, der das geschafft hätte.“

„Dann sieh‘ mich an.“

Das tat sie in atemberaubend ähnlicher Weise wie meine Kollegin am Schreibtisch mir gegenüber. Dann fragte sie: „Du warst einmal ‚drüben‘?“

„Es ist eher umgekehrt“, erwiderte ich, „ich komme von ‚drüben‘ und bin hier sozusagen nur Gast.“

„Dafür scheint dir unser Bier hier gut zu schmecken.“ Das Pragmatische der Frau hatte in ihr rasch die Oberhand gewonnen. Längst hatte sie sich zu mir gesetzt und ich forderte Sigurd auf, auch ihr ein Maß zu bringen. Ob der Bezahlung beruhigte ich ihn, dass ich die Zeche übernehmen würde, denn bei den Kelten ist Frauen der Besitz von eigenem Geld untersagt. Sigurd sah mich ein wenig komisch an, äußerte sich jedoch weiter nicht und trug einen zweiten gefüllten Krug auf. „Ich gehe davon aus, dass du es auch magst.“

„Ja.“ Nicht nur das; Gudrun hatte einen Zug, als wolle sie ihren Rückstand auf mich schleunigst aufholen.

Da wurde unsere traute Zweisamkeit grob gestört. Waldemar kam den Dorfpfad entlang, sah uns und steuerte gradlinig auf mich zu. „So ist das“, brüllte er, „sich an die Witwe des Diebes ’ranmachen und sie verführen. Das hast du dir schön ausgedacht, du Geck. Ein bisschen technische Kenntnisse und schon glaubst du, dir alles herausnehmen zu dürfen. Aber ich werde dich vor Gericht stellen und verurteilen. Es sind schon wieder Vorräte gestohlen worden und ich glaube zu wissen, wer der Dieb ist. Das nächste Gericht sieht dich auf der Anklagebank, darauf kannst du dich verlassen!“

Mir schwoll die Stirn und ich erhob mich langsam. Gudruns Versuche, mich zurückzuhalten, beschied ich ablehnend. Waldemar war ein riesiger, vierschrötiger Kerl, aber einige Tricks aus dem 21. Jahrhundert hatte ich zur Not auf Lager. Und das Wissen, wer der wahre Dieb war. Das gedachte ich aber vorerst nicht preiszugeben. „Gut“, sagte ich, „einverstanden. Ich bin mir keiner Schuld bewusst und mit einer erwachsenen Frau in der Öffentlichkeit ein Bier zu trinken ist nichts Verbotenes. Ungewöhnlich, aber nicht verboten. Ich bin gespannt, was du dir aus den Fingern saugen wirst, um mich genauso zu eliminieren wie den Mann der bedauernswerten Witwe hier. Ich versichere dir, dass ich eine Antwort wissen werde.“

Waldemar ballte die Faust, als wolle er mich gleich pulverisieren. Ich aktivierte im Geist einige Griffe asiatischer Kampfsportarten, um sie allenfalls sofort zur Anwendung bringen zu können, als sich Waldemar beruhigte. Der Gedanke, mich an einem Pfahl...

Erscheint lt. Verlag 19.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affenmensch • Brennstoffzelle • Feuerring • Kali • Künstliche Intelligenz • Todesgöttin
ISBN-10 3-7583-9416-3 / 3758394163
ISBN-13 978-3-7583-9416-4 / 9783758394164
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