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Das aschkenasische Judentum (eBook)

Herkunft, Blüte, Weg nach Osten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
593 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81248-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das aschkenasische Judentum -  Peter Schäfer
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Aschkenas: So nannten die seit dem Mittelalter in Europa ansässigen Juden ihr Siedlungsgebiet vor allem in Deutschland. Peter Schäfer bietet mit diesem Buch erstmals einen auf archäologischen und schriftlichen Quellen basierenden Überblick über Herkunft und Blüte des aschkenasischen Judentums und seinen erzwungenen Weg nach Osteuropa. Seine glänzende Darstellung umfasst mehr als 2000 Jahre jüdischer Geschichte, von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, und wird für lange Zeit Maßstäbe setzen. Ein Edikt des Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 betrifft die Juden in Köln, doch erst für die Zeit um das Jahr 1000 sind jüdische Gemeinden in Köln, Mainz, Speyer, Worms, Regensburg, Prag oder Frankfurt sicher belegt. Woher kamen diese Juden? Wie waren ihre Gemeinden organisiert? Wovon lebten sie, und welche Beziehungen pflegten sie zu ihrer christlichen Umgebung? Peter Schäfer kennt wie kaum ein anderer die Schriften des mittelalterlichen Judentums und beschreibt auf ihrer Grundlage - jenseits der bis heute verbreiteten Klischeevorstellungen - den Alltag und die mystisch geprägte Frömmigkeit der aschkenasischen Juden. Er erzählt von den Verfolgungen und Vertreibungen im Spätmittelalter, der erneuten Blüte jüdischen Lebens in Polen, Litauen und Russland und vom Weg der Juden in eine ambivalente Moderne, die Emanzipation versprach und Vernichtung brachte. Seither liegen die Zentren des aschkenasischen Judentums in den USA und Israel, doch seine Wurzeln reichen weit in das europäische Ostjudentum, in das mittelalterliche Deutschland und in die Antike zurück.

Peter Schäfer, Professor em. für Judaistik, hat an der Freien Universität Berlin und der Princeton University gelehrt und war bis 2019 Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Er wurde vielfach ausgezeichnet und 2021 in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt "Kurze Geschichte des Antisemitismus" (²2020) sowie "Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens" (2022).

Einleitung


Fast ebenso alt wie die Geschichte des jüdischen Volkes ist die seiner Zerstreuung. Sie beginnt mit dem in Psalm 137 beklagten Babylonischen Exil («An den Flüssen von Babel, dort saßen wir und weinten») im sechsten Jahrhundert v. Chr. und lebt über wechselnde Stationen bis heute fort. Aschkenas, dem dieses Buch gewidmet ist, ist dabei nur eine, aber die Geschichte Europas bis heute prägende Station. Ausgangspunkt und leitendes Motiv des Buches ist die Einsicht, dass die gesamte jüdische Geschichte von ihren Anfängen bis in die Gegenwart durch die Doppelgesichtigkeit von Mutterland und Diaspora bestimmt ist, dass es nie ein Mutterland ohne Diaspora gegeben hat und dass beide eng aufeinander bezogen sind. Das Narrativ vom judäischen[*1] Mutterland als dem einzigen und ewigen Kern und Zentrum des jüdischen Volkes und der Diaspora als einer Folge von Vertreibungen, angefangen beim Babylonischen Exil, ist eine Fiktion, die der Zionismus versucht hat – und bis heute versucht –, zur maßgebenden Doktrin des Staates Israel zu erheben. Mutterland und Diaspora waren und sind von jeher zwei Seiten derselben Sache, von denen keine Seite sich der anderen entledigen kann, ohne wesentliche Aspekte des Judentums aufzugeben.

Die seit dem Mittelalter in West- und Mitteleuropa, später dann auch in Osteuropa ansässigen Juden bezeichnen ihr Siedlungsgebiet nicht als «Deutschland», sondern mit dem hebräischen Wort aschkenas, das schon in der Bibel belegt ist. Die in diesem Siedlungsgebiet lebenden Juden sind Aschkenasen oder aschkenasische Juden. Der Komplementärbegriff ist sefarad (Sefarden oder sefardische Juden) und bezieht sich auf die Juden in Spanien und Südfrankreich. Aschkenasen und Sefarden lebten in zwei sehr ungleichen Kulturkreisen, nämlich unter christlicher bzw. islamischer Oberhoheit, mit verschiedenen Sprachen (Jiddisch bzw. Judenspanisch/Ladino) und verschiedenen religiösen und kulturellen Eigenheiten. Ihre Geschichte verlief daher in ganz unterschiedlichen Bahnen: Während die aschkenasischen Juden in Mittel- und später Osteuropa einer langen Folge von abwechselnd relativ guten Zeiten, Unterdrückungen und Vertreibungen, Rückkehr und erneuten Verfolgungen/Vertreibungen ausgesetzt waren – bis zur staatlich organisierten Ermordung in den nationalsozialistischen Todeslagern –, erlebten die sefardischen Juden nach einer langen Blüte das Trauma einer einmaligen und flächendeckenden Vertreibung aus Spanien (1492) und Portugal (1496) durch die christlichen Herrscher. Dieses Buch widmet sich ausschließlich der Geschichte der Juden in Aschkenas. Sein Schwerpunkt liegt im Mittelalter, während die antike Vorgeschichte und die Geschichte der Aschkenasen in der Neuzeit mit Ausblicken bis in die Gegenwart deutlich knapper skizziert werden. Besonderheiten des sefardischen Judentums werden nur hin und wieder vergleichend herangezogen.

Im Jahr 2021/22 feierten die Bundesregierung, die Jüdische Gemeinde in Deutschland und zahlreiche lokale Initiativen «1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland» (so der Titel der offiziellen Ankündigung). Anlass für dieses Gedenkjahr war das an den Rat der Stadt Köln gerichtete Edikt des römischen Kaisers Konstantin vom Dezember 321, in dem diesem erlaubt wird, auch Juden in den Stadtrat zu berufen. Abgesehen von der überaus großzügig berechneten Zeitspanne von 1700 Jahren – es sollte noch viele Jahre dauern, bis man von «Deutschland» sprechen kann –, wird man fragen müssen, wie der berechtigten Aufforderung, «sich die lange und reichhaltige Tradition jüdischer Kultur in Deutschland zu vergegenwärtigen»,[*2] nachzukommen ist, ohne in die altbekannten Schablonen zu verfallen. Die gemeinsame Geschichte war alles andere als erfreulich, und die viel beschworene gegenseitige Anerkennung von Juden und Deutschen war, wie Gershom Scholem nach der Schoah nachdrücklich festgestellt hat, eben nicht so gegenseitig, sondern sehr einseitig, bewegte sich der kulturelle Einfluss doch vorwiegend in eine Richtung, nämlich von den Deutschen zu den Juden.

Die wechselvolle Geschichte der aschkenasischen Juden beginnt im Mittelalter, und wir wissen nur sehr wenig darüber, wann und wie diese Juden nach West- und Mitteleuropa gekommen sind. Ich werde daher in einem ersten Teil «Herkunft» in groben Zügen die Vorgeschichte des aschkenasischen Judentums in der Spätantike nachzeichnen, da dieses ja bereits von einer langen Tradition geprägt war, als es das Licht der Geschichte erblickte. In der Antike wurde das Judentum nicht nur in der Diaspora, sondern auch im Mutterland seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen einem tiefgehenden Prozess der Hellenisierung unterworfen, der alle Bereiche des täglichen Lebens – auch des Bereichs, den wir «Religion» nennen – umfasste und fortdauernd prägte. Für die Diaspora war dies meist unbestritten, für das Mutterland hat sich diese Einsicht nur mühsam durchgesetzt. Ich werde zunächst einen knappen Überblick über die politische und kulturelle Entwicklung im Mutterland von den Nachfolgern Alexanders (Ptolemäer und Seleukiden, Römer) bis zur römischen Eroberung Jerusalems und des Tempels geben und dann die Verhältnisse in der antiken jüdischen Diaspora beschreiben. Bei der Diaspora werde ich mich auf die drei großen Zentren Kleinasien, Ägypten mit Alexandria sowie Italien mit Rom beschränken.

In Kleinasien spielen für die Beurteilung des Verhältnisses von Juden und Nichtjuden die Synagogeninschriften eine große Rolle, in denen neben ethnischen Juden auch heidnische «Gottesfürchtige» als Vertreter einer eigenen Gruppe erwähnt werden, die sich zum Judentum hingezogen fühlten, ohne aber den Schritt zum Übertritt (Proselytismus) zu vollziehen. In Alexandria führte der Streit um das römische Bürgerrecht zwischen Juden, einheimischen Ägyptern und Griechen zum ersten Pogrom in der jüdischen Geschichte. Gleichzeitig begegnen wir dort mit der Familie Philos von Alexandria einer extrem akkulturierten Familie, deren Mitglieder die Spannung zwischen Judentum und griechisch-römischer Kultur in unterschiedlicher Weise bewältigten. Und in Rom war die Anziehungskraft des Judentums gerade in gesellschaftlich höchsten Kreisen so ungebrochen, dass die lateinischen Satiriker sich bemüßigt fühlten, die immer zahlreicher werdenden «Gottesfürchtigen» und die Proselyten zum bevorzugten Ziel ihres Spotts zu machen. Die materielle Hinterlassenschaft der Juden in Rom (Grabinschriften in Katakomben, Inschriften auf Sarkophagen und Wanddekorationen in den Katakomben, Goldgläser, unzählige Öllampen) bezeugt in Italien einen Juden und Nichtjuden gemeinsamen kulturellen Raum, der von gemeinsamen Symbolen geprägt war, unabhängig von ihrer jeweiligen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit.

Von besonderer Bedeutung für die Neuausrichtung des Judentums nach der Tempelzerstörung war das sogenannte rabbinische Judentum, das sich nach den beiden Jüdischen Kriegen unter der Führung der Rabbinen formierte. Geographisch befinden wir uns hier sowohl im judäisch-palästinischen Mutterland als auch in der babylonischen Diaspora, denn die Rabbinen lebten sowohl in der römischen Provinz Judaea bzw. Palaestina als auch in Babylonien, dem ehemaligen «Exil», und wanderten ständig zwischen diesen beiden Zentren hin und her. Zunächst in Palaestina und dann auch in Babylonien entwickelten und perfektionierten die Rabbinen ihr System des Torahzentrismus, mit dem sie statt des Opfers im Tempel die Torah samt der von ihnen autorisierten verbindlichen Auslegung in den Mittelpunkt des jüdischen Lebens stellten.

Allerdings war diese «Rabbinisierung» des Judentums, wie die neuere Forschung immer deutlicher herausarbeitet, weniger erfolgreich und dauerte viel länger als früher angenommen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem archäologischen Befund in der jüdischen Nekropolis von Bet Schearim in Galiläa aus dem dritten oder vierten Jahrhundert. Hier finden sich zahlreiche Motive aus der griechischen Mythologie an den Wänden der unterirdischen Grabanlagen und auf den Sarkophagen neben jüdischen Symbolen. Dasselbe gilt für die Mosaiken der galiläischen Synagogen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte, in deren Mittelpunkt oft der griechisch-römische Sonnengott Helios/Sol Invictus steht, umgeben von den zwölf Tierkreiszeichen und von Symbolen, die aus dem jüdischen Tempelkult stammen (siehe Tafel 1, 2). Im vierten und fünften Jahrhundert gelang es den Rabbinen zusehends, mit ihrer Literatur (Mischna, Talmud, Midrasch) das Judentum nach ihren Vorstellungen zu gestalten, und im sechsten Jahrhundert war der Prozess der Rabbinisierung des palästinischen Judentums weitgehend abgeschlossen. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass die figürlichen Darstellungen der...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2024
Reihe/Serie Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Zusatzinfo mit 60 Abbildungen und 3 Karten
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Judentum
Schlagworte Antisemitismus • Archäologie • Aschkenas • Deutschland • Geschichte • Herkunft • Holocaust • Israel • Judaistik • Juden • Judentum • Köln • Mainz • Mittelalter • Mitteleuropa • Osteuropa • Ostjudentum • Speyer • USA • Worms
ISBN-10 3-406-81248-1 / 3406812481
ISBN-13 978-3-406-81248-4 / 9783406812484
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