Die Würde der Toten (eBook)
220 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-05390-9 (ISBN)
Brigitte Pons lebt und arbeitet in Hessen, knapp südlich von Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied der "Mörderische Schwestern e.V.", schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist dabei immer auf der Suche nach dem perfekten Text. Ihre Geschichten variieren zwischen mörderisch und heiter, provokant bis tiefsinnig und balancieren auch gerne im Grenzbereich. Unter dem Pseudonym Isabella Esteban schreibt sie Barcelona-Krimis und entführt ihre Leser*innen als Margherita Giovanni nach Italien.
Brigitte Pons lebt und arbeitet in Hessen, knapp südlich von Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied der "Mörderische Schwestern e.V.", schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist dabei immer auf der Suche nach dem perfekten Text. Ihre Geschichten variieren zwischen mörderisch und heiter, provokant bis tiefsinnig und balancieren auch gerne im Grenzbereich. Unter dem Pseudonym Isabella Esteban schreibt sie Barcelona-Krimis und entführt ihre Leser*innen als Margherita Giovanni nach Italien.
Montag
Kapitel 1
Aus der Helligkeit des Vormittages trat Adrian ein ins kühle Halbdunkel des Bestattungsinstituts. Er brauchte einige Sekunden, um sich an die veränderte Beleuchtung zu gewöhnen. Der Raum verströmte einen muffigen Geruch, passend zum Ambiente. Kerzen unter einem Kreuz, dezente Musik. Rechts, durch eine Glaswand abgetrennt, standen drei Särge mit Plastikblumenschmuck, eine Vitrine mit Urnen. Auf der linken Seite, hinter einem Schreibtisch, saß ein alter Mann im schwarzen Anzug und telefonierte. Adrian empfand seine eigene Erscheinung plötzlich als unpassend. Jeans, ein einfaches T-Shirt und eine Lederjacke. Er räusperte sich.
Der Mann hob überrascht den Kopf, warf einen Blick zur Uhr, dann in den Kalender und legte die Hand über die Sprechmuschel. Stumm gestikulierend bedeutete er Adrian, das Gespräch sei wichtig und ergänzte dann flüsternd: „Gehen Sie den Flur entlang und die Treppe runter. Henry muss gleich fertig sein. Klopfen Sie einfach.“
Auf dem Weg nach unten schlug ihm Formalingeruch entgegen, der immer intensiver wurde. Durch die letzte Tür auf dem Flur drang Licht, aber niemand reagierte auf auf sein Klopfen. Ohne lange zu überlegen, öffnete er und betrat einen bis zur Decke hinauf gefliesten Raum. Erinnerungen an die Gemeinschaftsdusche in der Schulsporthalle huschten durch seinen Kopf, als er den im Boden eingelassen Abfluss wahrnahm. Dann fiel sein Blick auf den Stahltisch. Und auf die nackten Füße an nackten Beinen. Aber nur kurz. Er wurde abgelenkt, als von rechts, aus dem nicht einsehbaren Bereich hinter der Tür, eine pummelige Gestalt in einer abwaschbaren Schürze aus Gummi erschien. Ihre Schuhe steckten in Plastikgamaschen.
Schlachthofatmosphäre. Auf einem unsichtbaren Schlagzeug schlug sie mit zwei dünnen Stäben einen lautlosen Takt und tanzte dazu über die weißen Fliesen.
Am Tisch angekommen steckte sie auf jeden der Trommelstöcke einen Schlauch. Den linken verband sie mit einem zylindrischen Glasbehälter, in dem eine rosafarbene Flüssigkeit waberte. Dann griff sie zu einem feinen Messer und machte sich damit am Hals des Leichnams zu schaffen.
Adrian schluckte trocken. Er musste dieses widerliche Treiben sofort beenden!
„Ich suche Henry“, platzte er heraus.
Frankenstein ließ die Folterwerkzeuge fallen und drehte sich um. Frankensteins Tochter, korrigierte Adrian sich stumm.
Mit einer Hand zupfte sie sich die Kopfhörer eines MP3-Players aus den Ohren, den er erst jetzt bemerkte. „Sind Sie noch zu retten? Sie haben mich zu Tode erschreckt.“
Sein Lachen war nicht aufzuhalten. Makaber, unpassend, unbändig. „Na, dann liegen Sie hier ja gleich richtig, wenn Sie tot umfallen.“
Ihr sommersprossiges Gesicht wechselte die Farbe. Von peinlich ertappter Röte zu milchigem Weiß. Jenem Weiß, das einzig den Rothaarigen vorbehalten ist.
„Der Mann dort oben hat mich runtergeschickt, zu einem gewissen Henry. Stimmt das – finde ich den hier?“
„Stimmt fast.“ Sie nickte nachdrücklich. „Sekunde noch.“
Mit dem Skalpell setzte sie zügig zwei kurze Schnitte, nahm die Trommelstöcke wieder auf, bei denen es sich, wie Adrian nun erkannte, um große Kanülen handelte, und schob sie dem Toten scheinbar mühelos unter die Haut. Sie kontrollierte den Behälter und betätigte einige Schalter, woraufhin ein Motor zu laufen begann. Wortlos beförderte sie die Gummihandschuhe in den Müll, wusch sich akribisch die Hände und rieb sie mit einer Desinfektionslösung ein, um ihm dann die rechte hinzustrecken.
„Henriette Körner, aber alle nennen mich Henry. Wir sind hier prinzipiell per Du, intern versteht sich. Wenn Kundschaft da ist, natürlich nicht. Also, bis auf solche“, sie deutete auf den Leichnam, „die lauschen nicht. Das sind mir die liebsten. Dann lass mal hören, was hast du denn für Referenzen? Schon mal so einen Job gemacht?“
Ehe er antworten konnte, sprach sie weiter:
„Neuling, tippe ich, so grün wie du um die Nase bist. Meine Klienten sind friedlich, die tun niemandem was. Du sollst als Aushilfe vor allem den Transport hierher und die Fahrten zum Friedhof übernehmen, dann ist der Deckel drüber. Außerdem sind wir sowieso immer zu zweit. Am Anfang werde ich den ganzen Papierkram übernehmen, wenn wir eine Leiche abholen. Das ist alles halb so wild. Und das hier“, sie deutete wieder auf den Mann, „ist mein Ding, damit hast du nichts zu tun.“
Sie nahm eine Wasserflasche vom Tisch, die beim Öffnen zischte, und schenkte ihm ein Glas ein.
Adrian brachte keinen Ton heraus, nahm einen Schluck, konnte den Blick nicht vom Hals des Toten lösen, in dem jetzt zwei Schläuche steckten. Durch den einen wurde die rosa Flüssigkeit in den Körper gepumpt, durch den anderen bewegte sich eine rötlich-braune Masse in entgegengesetzter Richtung.
Sein Magen reklamierte den Anblick als unzumutbar.
„Eigentlich“, er lehnte sich an den Türrahmen und hielt sich am Glas fest, „suche ich keinen Aushilfsjob.“
„Verstehe ich. Eine Festanstellung wäre mir an deiner Stelle auch lieber. Aber das geben die Finanzen momentan nicht her.“
„Nein. Darum geht es nicht.“ Es fiel ihm schwer, die Worte auszusprechen. Der Gedanke war noch nicht endgültig in seinem Kopf angekommen. Wahrscheinlich verspürte er gerade darum schon wieder den aberwitzigen Drang zu lachen. „Es ist nur wegen Elisabeth. Sie braucht eine Beerdigung, weil – na ja – sie ist tot.“
Die Pumpe tat, was sie zu tun hatte, pumpte ungerührt weiter, und die Schläuche gaben unappetitliche Schmatzgeräusche von sich.
„Ist nicht dein Ernst!“
In Henriette Körners Stimme mischte sich ein schriller Unterton, und Adrian grinste verlegen.
„Wirklich lustig ist es aber auch nicht.“
Hektisch wischte Henry sich die Haare aus der Stirn und startete einen Erklärungsversuch: „Mann, das tut mir so leid! Niemand kommt zu mir hier runter, jedenfalls normalerweise. Nur ausgerechnet heute … Ich wusste nicht …“
„Schon gut.“
„Nein, ist es nicht! Es sollte sich eine Aushilfe vorstellen, und zwar um elf Uhr. Darum dachte ich, dass du das bist, also Sie. Ich hatte echt keine Ahnung, dass gleichzeitig jemand zum Trauergespräch angemeldet ist. Und Sie haben ja auch gesagt, Sie wollen zu mir.“
Adrian war gar nicht auf die Idee gekommen, vorher anzurufen und einen Termin zu machen. Man hatte ihn im Dienst über Elisabeths Tod informiert, und er war direkt vom Polizeipräsidium aus ins Krankenhaus gefahren. Nachdem er dort die notwendigen Formalitäten hinter sich gebracht hatte, wollte er auch die nächsten Schritte umgehend in die Wege leiten und erst dann nach Hause fahren. Unter seinem Arm klemmte immer noch seine Sporttasche, in die eine Schwester Elisabeths Habseligkeiten eingepackt hatte.
„Es tut mir wirklich sehr leid, das war ein blödes Missverständnis, und natürlich tut es mir auch leid, dass Sie einen lieben Menschen verloren haben.“
Einen lieben Menschen. Er unterdrückte den Impuls zu widersprechen. „Sie konnten das nicht wissen.“
Ihre erschreckten Augen ließen sie weniger abgebrüht erscheinen, als der erste Eindruck es ihm vermittelt hatte.
„Trotzdem. Ich bringe Sie nach oben. Herr Moosbacher wird sich gleich um Sie kümmern. Sie werden sehen, mit seiner Hilfe und Erfahrung-“
„Ich will aber lieber mit Ihnen reden“, unterbrach er sie.
„Das ist eigentlich nicht meine Aufgabe. Herr Moosbacher kann das viel besser.“
„Eigentlich? Aber Sie können es auch?“
Erstaunlicherweise wirkte die Frau beruhigend auf ihn. Vielleicht, weil sie für einen Moment so fassungslos ausgesehen hatte, wie er selbst es eigentlich hätte sein sollen.
„Ja, ich kann das auch“, gab sie widerwillig zu.
„Dann bleibe ich hier.“
„Kommt nicht in Frage!“ Henriette schüttelte den Kopf. „Also, dass wir hier unten reden, kommt nicht in Frage, meine ich. Lassen Sie uns nach oben gehen.“
Gegen seinen Willen drängte sie ihn aus dem Raum.
Er trottete vor ihr die Treppe hinauf, registrierte kaum, dass sie weiter mit ihm sprach und antwortete mechanisch.
Während sie schnell und leise auf den Mann hinter dem Schreibtisch einredete, blieb Adrian mitten im Zimmer stehen und starrte auf die Tasche in seiner Hand. Seine Tasche mit Elisabeths Sachen. Ihm wurde übel, obwohl er hier oben den Lösungsmittelgeruch nicht mehr wahrnehmen konnte.
*
Der Schreck machte Eberhard Moosbacher sprachlos. Wie hatte er nur so gedankenlos sein können, einen Hinterbliebenen zu Henry in den Keller zu schicken? Selbst das verstörende Telefonat ließ er vor sich selbst nicht als Entschuldigung gelten. Sie konnten es sich nicht leisten auch nur einen einzigen Auftrag zu verlieren. Gerade darum kam...
| Erscheint lt. Verlag | 12.1.2024 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Schlagworte | Bestattung • Frankfurt • Freundschaft • Krimi • Leichen • Mord • Spannung • Trauer • Verbrechen • Vertrauen |
| ISBN-10 | 3-384-05390-7 / 3384053907 |
| ISBN-13 | 978-3-384-05390-9 / 9783384053909 |
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