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Der Bauernspiegel -  Jeremias Gotthelf,  Philipp Theisohn

Der Bauernspiegel (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
544 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61461-9 (ISBN)
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Mit dem ?Bauernspiegel? wurde aus dem Pfarrer Albert Bitzius der Schriftsteller Jeremias Gotthelf. Mit Zorn und Humor erzählt er in seinem ersten Roman das Leben eines »Verdingkindes«, dessen Weg aus der Knechtschaft es bis ins Paris der Julirevolution führt. Die Schonungslosigkeit, mit der Gotthelf der eigenen Welt - den Bauernfamilien, aber auch den Schulmeistern und Politikern - den Spiegel vorhält, sorgte schon zu Zeiten der Erstveröffentlichung für Aufruhr und hat bis heute nichts an Brisanz und Aktualität verloren.

Jeremias Gotthelf, geboren 1797 in Murten als Albert Bitzius, war Theologe und lebte als Pfarrer in Lützelflüh im Emmental. Seinem Engagement als Liberaler wurde mit der neuen Verfassung ein Ende gesetzt: Geistlichen wurde politische Betätigung verboten. Erst mit 40 Jahren begann er zu schreiben. Es entstanden 13 Romane sowie 75 Geschichten, die alle von den Menschen und vom Leben im Emmental erzählen und eine ländliche Comédie humaine bilden. Gotthelf starb 1854 in Lützelflüh.

Jeremias Gotthelf, geboren 1797 in Murten als Albert Bitzius, war Theologe und lebte als Pfarrer in Lützelflüh im Emmental. Seinem Engagement als Liberaler wurde mit der neuen Verfassung ein Ende gesetzt: Geistlichen wurde politische Betätigung verboten. Erst mit 40 Jahren begann er zu schreiben. Es entstanden 13 Romane sowie 75 Geschichten, die alle von den Menschen und vom Leben im Emmental erzählen und eine ländliche Comédie humaine bilden. Gotthelf starb 1854 in Lützelflüh.


Ich bin geboren in der Gemeinde Unverstand, in einem Jahre, welches man nicht zählte nach Christus. Mein Vater war der älteste Sohn eines Bauern, der einen ziemlich großen Hof besaß, und hatte vier Brüder und drei Schwestern. Großvater und Großmutter waren von altem Schrot und Korn; beide viereckicht und rüstig früh und spät. Er war Meister in Feld und Stall. Das Erstere bebaute er mit großem Fleiße, aber nach alter Mode, nahm lieber ein Klafter Naturgras, dessen Same ihn nichts kostete, als drei Klafter Pflanzengras, zu dem er den Samen hätte kaufen müssen. Aus dem Stalle zog er die Zinsen der schuldigen Kapitale; er mästete alle Jahre etwas, aber dazu brauchte er lieber das Korn aus dem Speicher, als dass er mehr Erdäpfel gepflanzt hätte als sein Vater. Im Hause schaltete und rumorte die Großmutter, und alles musste sich da vor ihr ducken, auch der Großvater. Sie kochte alles selbst für die Menschen und die Schweine, besorgte den Garten und die Plätze so viel möglich allein und spann dabei Kuder fast zu Tode. Das Geld hatten sie im Genterli und die Großmutter immer so viel Recht dazu als der Großvater. Ich erinnere mich noch gar wohl, dass, als einmal der Großvater sehr munter von einem Märit heimkam, ich die Großmutter in der Nacht aufstehen, dem Großvater die Hosen erlesen und das Geld zählen sah und sie brummeln hörte: »Dä het afa g’hudlet; es hätt es stifs Säuli gäh, was er versoffe het, dem will ig morn d’s Kapitel lese.« Richtig waren sie am Morgen über eine Stunde lang im Stübli. Niemand wusste, was sie verhandelt hatten, aber der Großvater kam nie mehr so lustig heim. Beide konnten Gedrucktes lesen, und besonders der Großvater las oft laut aus dem Schatzkästlein und dem wahren Christentum; schreiben und Geschriebenes lesen konnten sie nicht, wie auch nicht rechnen; doch machte der Großvater wackere Bauernfünfe, und kein Anken-, kein Garnhändler, obgleich die letztern besonders durchtriebene Schälke sind, konnte die Großmutter um einen Vierer belügen. Daher hielten beide auf dem Lernen eben nicht viel, wenn eins ihrer Kinder nur notdürftig lesen und beten konnte, so glaubten sie es überflüssig geschickt. Nur der jüngste Sohn, der nicht gern arbeitete und doch der Augapfel war, konnte ein wenig schreiben und rechnen. Mein Vater schien von allen das vernachlässigtste Kind zu sein. Er konnte dem Großvater am frühesten in der Arbeit helfen und wurde nun von fast der ersten Jugend weg als Knecht gebraucht, wie ich ihn oft klagen hörte. Füttern, handeln, Pflug halten und säen tat der Großvater selbst, aber bei jeder wüsten und schweren Arbeit musste mein Vater an der Spitze sein, und was die andern Brüder nicht tun mochten, das kam an ihn, und wenn etwas misslang oder krumm gemacht wurde, so ging es über ihn aus. Als Beispiel erzählte er manchmal, wenn Steuerholz zu fällen gewesen sei, bei schlechtem Wetter oder an wüsten Orten, so hätte er der Erste und Letzte dabei sein müssen. An die Fuhrungen seien dann seine Brüder gefahren. Ich erinnere mich noch wohl, dass sie gewöhnlich bei ihrer Heimkunft nicht stehen konnten und lebendige Feuerspritzen vorstellten. Darüber schmälte der Großvater niemals; es ging nicht aus seinem Gelde, und er hielt es für Gewohnheit und Recht, dass bei solchen Gelegenheiten jeder so viel zu sich nehme, als er vermöge; ja, ich glaube, er hätte sie ausgelacht oder gar abgeputzt, wenn sie anders heimgekommen wären. Man kann sich bei solcher Erziehung und solchen Verhältnissen meinen Vater gar gut vorstellen. Er war ein guter Arbeiter, dem aber befohlen werden musste; er war roh, aber nicht ohne Gefühl; er sprach nicht viel, nur im Zorn, der aber selten ausbrach, konnte er nicht schweigen, sondern tobte fürchterlich. Ich glaube, er habe seine Hintansetzung gefühlt, sich aber damit getröstet, dass der Großvater für seine viele Arbeit ihm später ein Einsehen tun werde. Übrigens war er nicht gewohnt, viel zu denken, auch nicht an die Zukunft, er ließ die Dinge gehen, wie sie mochten, und nahm sie, wie sie kamen. So kam er auch zu einer Frau, sicher wie viele andere, ohne recht zu wissen, wie, und ganz bestimmt, ohne eigentlich eine Frau zu wollen. Meinen Großeltern soll die Heirat gar nicht recht gewesen sein; nicht dass sie den Vater nicht gern heiraten gesehen hätten; zu essen hatten sie vollauf, aber nie genug Hände zur Arbeit, nur die Person war ihnen nicht recht. Meine Mutter war eine Krämerstochter, sie soll hübsch, aber auch gefallsüchtig gewesen sein, in der Haushaltung und auf dem Felde nichts getan, sondern dem Laden abgewartet und auf dem grünen Bank vor demselben getan haben, als ob sie nähe oder lisme, was sie beides bös genug konnte. Niemand konnte begreifen, wie mein Vater und sie zusammenkamen; aber Wein und Tanz, Nacht und Lust wirken unbegreif‌liche Dinge. Meinen Großeltern hatte sie viel zu glattgestrählte Haare und tat viel zu zimpfer nach Art der Krämertöchter. Sie wollten sie nicht ins Haus, ein unehlich Großkind wollten sie aber auch nicht. Darum drangen sie auf die Heirat, zu welcher eigentlich weder Vater noch Mutter von Herzensgrund Lust hatten, wie sie sich oft genug vorhielten, wenn die Not sie gegenseitig offenherzig machte. Das Geld zu dieser Hochzeit gab der Krämer, meine Großeltern nahmen Schneider und Schuster auf die Stör, ließen die Hochzeitkleider dem Sohn machen, ob er aber auch Geld habe? Darum bekümmerten sie sich nicht, und Geld zu fordern ließ sich nicht leicht eins ihrer Kinder einfallen. Hie und da gab es ein Trinkgeld von einem Stück Vieh oder einer Fuhr, oder sie konnten sich zuweilen einen kleinen Vorteil machen; allein das ging natürlich schnell darauf. Meine Tanten sollen z.B., wenn sie auf einen Märit gingen, immer ein Stück Brot und einige dürre Birnen im Sack gehabt haben, damit, wenn sie niemand zu Gast hielt, sie nicht Hungers sterben müssten. Die aßen sie dann freilich nicht in der Tanzstube.

Diese Tanten (ich sage dieses hier, weil später nichts mehr von ihnen vorkömmt) wurden alle schlechte Hausmütter so gut als meines Vaters Frau, obgleich meine Großmutter nicht Rühmens genug machen konnte, wie sie dieselben werchen lasse. Ja, dreinschlagen und spinnen mussten sie tüchtig, auch fegen und putzen Haus und Stube; aber von der Haushaltung lernten sie nichts, die machte die Großmutter und begehrte auf, wenn sich eines ihrer Meitschenen in der Küche aufhalten wollte. Ob sie gewaschen seien, gab niemand acht, und wenn eine mehr als einmal in der Woche strählen wollte, so machte Großmutter die Faust und nahm die Züpfen selbst in die Hand. Es ging bei ihnen wie in einem Taubenhaus, denn die Großmutter war berühmt, und ihr Rühmen machte, dass man meinte, welche Wunderwerke sie aus ihren Töchtern erziehe. Alle drei erhielten Bauernsöhne, wurden aber die unverständigsten und unsäuberlichsten und bei allem Geiz die kostbarsten Hausfrauen, weil sie nichts zu Ehren ziehen konnten. Der Mann der Ältesten schlug von Haus, wurde ein Trunkenbold und fiel im Rausche tot. Der Mann der Zweiten starb vor Verdruss, als er einst den ganzen Fleischvorrat wegen Mangel Salzens und Räucherns von den Würmern zerfressen sah. Die Dritte starb glücklicherweise schon in der ersten Kindbette, weil sie in dummem Stolz, um zu zeigen, wie sie eine sei, gleich am zweiten Tage mit ihrem Volk Erdäpfelstock und saures Mus aß. Die meisten Leute konnten dieses nicht begreifen; ich habe es aber seither oft erlebt, dass die berühmtesten Weiber die Töchter am schlechtesten erziehen, eben darum, weil sie allein berühmt sein und nichts an die Töchter lassen wollen, diese bloß für Maschinen gebrauchen und sie nie zu der wichtigen Haushaltungskunst vernünftig anleiten.

Meine Mutter blieb also in ihrem elterlichen Hause, der Vater in dem seinigen; denn der Großvater hätte ihn ungern verloren, und meinem Vater kam es nicht in den Sinn, etwas für sich anzufangen. Freilich erhielt er noch immer keinen Lohn und musste von meiner Mutter später oft Vorwürfe hören, wie wenig er ihr und den Kindern gekramt und dass er in drei Jahren zwei einzige Male mit ihr im Wirtshause gewesen. Alles, was die Großeltern taten, war, dass sie ihrer Sohnsfrau in die Kindbette jedes Mal ein Ankenbälli sandten, worüber aber die Großmutter jedes Mal dem Ankenträger geklagt haben soll, wenn sie ihm nicht die gewohnte Portion abliefern konnte. Meine Mutter hatte bereits drei Kinder, als ihr Vater starb und die Herrlichkeit zu Ende ging. Ihr Vater war früher Schuhmacher oder Schneider gewesen, ich erinnere mich nicht mehr, welches, hatte sich ein hübsches Stück Geld erworben. Nun fuhr der Hof‌‌fartsteufel ihm in den Leib, er schämte sich, zu Fuß zu gehen, stellte ein Bernerwägeli, dann ein Sitzwägeli und endlich einen Charabanc an. Sein Häuschen war ihm zu schlecht, er baute ein großes, schönes Haus; Weib und Kind wurden auch angesteckt, schämten sich der Arbeit, wollten alles am schönsten haben. Die Frau tat es den Bäuerinnen zuvor und wollte die beste Frau in der ganzen Gemeinde sein, und das kostet auf dem Lande viel. Die Kinder suchten in Pracht und Großtun alle andern zu übertreffen. Jedes nahm Geld aus der Losung, so viel ihm beliebte, ordentliche Buchhaltung wurde keine geführt, kein Inventari gemacht. So minderte sich das bare Geld immer mehr, verlegene Waren waren ganze Haufen da, daher auch zunehmende Verlegenheit, wenn etwas bezahlt werden sollte. Nun nahm der Kredit ab, die Waren mussten teuer gekauft werden, und als endlich der Krämer, wahrscheinlich aus innerm Gram, der ihn in der letzten Zeit noch zum Trinken brachte, starb, war viel zu wenig da und nun Not und Elend, wo früher Übermut und Überfluss war.

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Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Reihe/Serie Gotthelf Zürcher Ausgabe
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Armut • Bauern • Bauernhof • Bildungsroman • Dorf • Dorfleben • Emmental • Gesellschaft • Landleben • Lukas Bärfuss • Neuedition • Philipp Theisohn • Schweiz • Schweizer Geschichte • Schweizer Literatur • Zürcher Leseausgabe
ISBN-10 3-257-61461-6 / 3257614616
ISBN-13 978-3-257-61461-9 / 9783257614619
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