Tanatolien (eBook)
202 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-5402-8 (ISBN)
Stefan Gril, bürgerlich Dr. Ernst Flaig, ist Naturwissenschaftler im Ruhestand, sowie freiberuflicher Maler und Autor surrealistischer und gesellschaftskritischer Erzählungen. Weitere Veröffentlichungen, die im BoD - Verlag erschienen sind: Die Erlebnisse eines wahnsinnigen Pilgers bei seinen Wanderungen durch die reale Welt. Traumsignale
90,202 Thermodynamische Grundsatzrede
1. Historische Entwicklung
Die Nachricht, dass ein ganz junger Nachwuchswissenschaftler aus dem Nachwuchskader der Neunergruppe eine Grundsatzrede halten würde, die womöglich weitreichende staatspolitische Bedeutung haben könnte, hatte den kompletten Aktikader herbeigelockt. Ich war mir bewusst, dass die Situation durchaus explosiv werden könnte. Die Rivalitäten zwischen den Etablierten, die ihre Pfründe zu verteidigen gedachten und dem an die Macht drängende Nachwuchs führten besonders bei der Neubesetzung lukrativer Ämter immer wieder zu revolutionären Aktionen und der Letalisierung der Aufrührer.
«Was wird uns dieser Calus denn schon zu sagen haben ...»
«Zeig ihnen, wo sie stehen Calus!»
Totenstille.
„Ihr Verehrungswürdigen der Staatsmacht, ihr Träger der großen Verantwortung, ihr lieben Freunde aus den Nachwuchsgruppen!
Ich will nun darstellen, wie unser Staatswesen entstand, wie es wurde was es ist und wie es dazu kommen konnte, dass wir, die einst in Freiheit auf dem Planeten lebten, uns jetzt in einem Ameisenbau verkriechen müssen, um die Gefahren die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben, überleben zu können. Und ihr werdet Fakten zu hören bekommen, die zeigen, dass alle Hoffnung vergebens ist. Tanatolien ist dem Untergang geweiht, wenn wir so weiter machen wie eben jetzt. Ein Überleben kann es nur geben, wenn wir uns zu einer radikalen Abkehr von der gültigen Staatsdoktrin entschließen, was aber niemand will.
Ausrichtung aller Aktivitäten des Staates und all seiner Organe, strikte Beachtung der Naturgesetze, allen voran der Thermodynamik, kann eine Chance sein. Aber die Zeit ist gegen uns. Die Tür zum Ausgang aus der Hölle ist nur noch kurze Zeit offen. Sehr bald wird sie sich für immer schließen. Einer von uns wird der Letzte sein, er kann das Staatsarchiv abschließen und den Schlüssel in den Matmos werfen.“
Ein heftiger Tumult erhebt sich in den vorderen Reihen wo die Granden Platz genommen haben. Basilius, der große Produktionsleiter - als Mitglied der Großen Dreiheit, der höchsten Führungsebene Tanatoliens, hat er fast gottähnlichen Status – erhebt sich und brüllt ins Auditorium:
«Unerhört, wer hat diesem Greenhorn erlaubt,unsere staatstragende Arbeit zu verunglimpfen? Die Veranstaltung ist beendet!»
«Basilius, du bist so uneinsichtig wie eh und je» ereifert sich Kuratorius, der als großer Staffler so etwas wie unser Staatspräsident ist.«Lass den jungen Bioten seine Argumente darlegen und seine Zukunftsideen, dann urteile. Die Veranstaltung geht weiter!» Heftiges Getrampel in den hinteren Reihen. Der Nachwuchs applaudiert mit den Füßen.
„Verehrtes Publikum, ich beginne mit einer knappen historischen Zusammenfassung, weil vielleicht nicht alle wichtigen Einzelheiten jedem bekannt sind. In der alten Welt hatte man infolge der Klimaerwärmung zunehmend Probleme mit der unkontrollierbaren Ausbreitung von Insekten und der von diesen übertragenen Krankheiten. Am schlimmsten war eine gegen alle verfügbaren Medikamente resistente Mutante der Malariamücke, die die ausgedehnten Sümpfe des Küstenlandes Diluvion unbewohnbar machte. Der diluvionische General Magierus Hohenstaffler, unser hochverehrter Staatsgründer, setzte auf das von der aleuronische Universität entwickelte Insektizid «Anophelexit». Mit dieser Entwicklung trat zugleich eine charismatische Figur erstmals ans Licht: Thea Mantis, Professorin für Molekularbiologie und Genetik an der Universität von Myrtilla in Aleuron. Sie wurde bald als «der Welt beste Dipterologin» bezeichnet und gehörte schließlich zu den Staatsgründern Tanatoliens.
Das im Labor von Thea Mantis entwickelte Produkt erwies sich als hoch wirksam, war aber noch unerprobt. Magierus erwarb von der Universität eine Lizenz für die Produktion unbegrenzter Mengen. Thea Mantis warnte ihn davor, es großflächig anzuwenden, weil das toxikologische Profil noch nicht ausreichend geprüft sei. Aber Magierus hatte keine Wahl. In Diluvion kam es bereits zu Aufständen, der Regierung wurden Versäumnisse und Fehlentscheidungen vorgeworfen. Eine Gruppe «Aktivisten gegen die Pandemie» sollte angeblich einen Staatsstreich planen. Magierus ging auf’s Ganze, die Methoden, mit denen er sich bei der schönen Thea in Szene setzte und schließlich durchsetzte, stellen ein eigenes bemerkenswertes Kapitel unserer Staatsgeschichte dar. Magierus bekam was er wollte.
Diluvion stellte nun große Mengen Anophelexit her, die direkt und ohne weitere Kontrollen zu den Brutgebieten der Anopheles in den Sumpfgebieten gerollt wurden.Die Mücken wurden so stark dezimiert, dass man schon glaubte, sie ausgerottet zu haben.
Hatte Magierus es geschafft, war die Welt nun malariafrei? Die Antwort kam im folgenden Sommer. Urplötzlich traten riesige Schwärme einer gegen Anophelexit resistenten Malariamücke auf, dazu auch noch unvorstellbare Massen einer neuen Kriebelmückenart «Simulia excessiva». Die Malaria war mit Wucht zurück, die von Simulia übertragene Blindheit wurde zur schlimmsten Pandemie, die Diluvion je erlebt hatte. Die Entstehung neuer Stechmückenstämme war von Thea Mantis vorausgesagt worden, falls nur ein Zehntel Prozent der Population überleben sollte.
Nun stand die Glaubwürdigkeit von Magierus Hohenstaffler auf dem Spiel. In Protestmärschen und Demonstrationen skandierte man bereits das Wort «Volksverräter!» und es gab eine Verschwörungstheorie, nach der die Mikrobiologin Thea Mantis aus Aleuron Magierus hintergangen haben sollte, mit dem Ziel, Diluvion zu schwächen und eine Einverleibung durch Aleuron vorzubereiten. Das konnte Magierus unmöglich hinnehmen, zumal er selbst Pläne hatte, Aleuron zu assimilieren. Er setzte seine Wissenschaftler unter Druck, so schnell wie möglich ein Insektizid gegen die neue Simulia zu entwickeln. Parallel dazu ging er an die Realisierung einer abenteuerlichen Idee: Informationen waren durchgesickert, das der aleuronische Entomologe Kongregastus, ein Mitarbeiter von Thea Mantis und maßgeblicher Mitautor der Anophelexitstudie an einem neuen Breitbandinsektizid arbeitete, das alles Bisherige in den Schatten stellen sollte. Kongregastus bekam vom diluvionischen General und Staatspräsidenten persönlich ein Angebot, das er kaum ablehnen konnte. Sollte er sich entschließen, diluvionischer Staatsbürger zu werden, würde man ihn sofort zur Rektor der Universität in Seedon machen und seine Forschungen mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausstatten. Kongregastus ergriff die Chance und vollendete die Entwicklung der neuen Wundersubstanz «Simuliatoxit» nach kurzer Zeit in Seedon.
Als kaum die Synthese im Labor gelungen war, ordnete Magierus sofort die Massenproduktion an. Die Warnungen, erneut ein unerprobtes Gift mit völlig unbekanntem Wirkprofil in großen Mengen in die Umwelt zu bringen, überhörte er. So wurde «Simuliatoxit» zum Menetekel für Magierus. Und es wurde schlimmer, als beim Unfall mit der Anophelesmücke. Zunächst traten gewaltige Schwärme Simulia auf, diese waren so dicht, dass man teilweise mit einer Milliarde Mücken pro Kubikmeter Luft rechnen musste. Der größte Teil der Nutztiere und tausende Menschen wurden dahin gerafft. Dann kam der Höhepunkt: Es trat eine neue hoch aggressive Culexart auf, die als «Culex aggressor» katalogisiert wurde. Woher kamen diese? Eine These besagte, dass das Simuliatoxit zahlreiche Wespenarten ausgerottet haben sollte, welche sich hauptsächlich von Insekten und hier wiederum von Culex ernährten. Nachdem ihre Fressfeinde nicht mehr da waren, geriet die Culex aggressor außer Kontrolle. Auch hier gab es wieder eine Verschwörungstheorie mit der Person Thea Mantis. Es hieß, Culex aggressor sei keine natürliche Art und der erste vollständig im Labor hergestellte Organismus - von wem? - natürlich von Thea Mantis, der einzig die Fähigkeit hierzu zugetraut wurde. Culex aggressor war resistent gegen fast alles und die Bekämpfung mit neuen unerprobten Toxinen verbot sich, weil die Mücken eine so hohe Stechfrequenz hatten, dass sie lebensgefährliche Konzentrationen im Blutplasma erzeugen konnten.
Vor diesem Gegner blieb nur noch die Flucht.
Flucht? Wohin denn?
Als ob das Desaster noch nicht groß genug wäre, stellte man schließlich fest, dass die Zerfallsprodukte von Simuliatoxit, Nekrol und Pulmogen, besonders in Aleuron als unsichtbare Giftschwaden durch die weite Ebene der Felder und Wiesen waberten und hundertfachen Tod brachten.
Demonstrationen und Proteste nahmen schließlich ein Ausmaß an, durch das sich die Politik zum Handeln gezwungen sah. Nur - welche Handlungen waren jetzt noch denkbar? Einmal mehr verkündete das Institut von Thea Mantis eine «Sensation»: In der kürzesten jemals benötigten Zeit konnte das Institut ein Ultrabreitbandinsektizid namens „Nematocerin“ entwickeln, das in der Lage sein sollte, in kurzer Zeit dem kompletten Insektenkosmos den Garaus zu machen....
| Erscheint lt. Verlag | 26.9.2023 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Apokalypse • Homo sapiens • Umweltbewusste Gesellschaft • Warnung • wissenschaftliche Science Fiction |
| ISBN-10 | 3-7568-5402-7 / 3756854027 |
| ISBN-13 | 978-3-7568-5402-8 / 9783756854028 |
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