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Lichtjahre im Dunkel -  Friedrich Ani

Lichtjahre im Dunkel (eBook)

Roman | Ein Wiedersehen mit Tabor Süden und Fariza Nasri
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
445 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77998-9 (ISBN)
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Ein verschwundener Ladenbesitzer, der noch große Pläne hatte. Seine Frau, die sich am Ende ihrer Träume wähnt. Ein ehemaliger Umzugsunternehmer mit Schuldkomplex. Ein geheimnisvoller Besucher aus der Berliner Halbwelt. Ihre Schicksalslinien treffen in München aufeinander, wodurch das Leben aller Beteiligten aus den Fugen gerät.

Leo Ahorn ist verschwunden. Dabei hatte er die letzten Wochen hauptsächlich damit zugebracht, Geld für den Umbau seines Schreibwarenladens aufzutreiben. Da seine Frau die Polizei scheut, heuert sie Privatdetektiv Tabor Süden an, um Leo zu finden. Allerdings weiß sie gar nicht so genau, ob sie ihn wirklich wiederhaben will. Im Blauen Eck, Leos Stammkneipe, stößt Süden auf eine illustre Schar von Leos Bekannten und bekommt beklemmende Einblicke in dessen Leben. Dann wird in der Nähe ein Toter aufgefunden, und die Ereignisse erscheinen plötzlich in einem völlig neuen Licht. Oberkommissarin Fariza Nasri nimmt mit ihrem Team die Ermittlungen auf, während Tabor Süden auf magische Weise im Hintergrund die Fäden zieht ...



Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u. a. mit dem Deutschen Krimipreis, dem Crime Cologne Award, dem Stuttgarter Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Friedrich Ani ist Mitglied des PEN-Berlin.

2


Ihr kam es vor, als würde der Mann, der angeblich Süden hieß, die Stille verbreitern. Auf die Frage, ob er sich in der Küche auf den Stuhl nah beim Fenster setzen dürfe (den Stuhl hatte sie ihm zuvor als Leos Lieblingsplatz beschrieben), zuckte sie mit der Schulter – irritiert, dass er die Küche dem gut gelüfteten Wohnzimmer vorzog, auf dessen Tisch sie extra zwei Gläser, eine Wasserflasche und einen Teller mit Schokokeksen gestellt hatte.

Allerdings fehlte ihr jede Idee, wie ein Detektiv tickte.

Dennoch weckte der Mann ein gewisses Misstrauen in ihr. An der Tür hatte er ihr eine Karte vor die Nase gehalten, Name samt Foto – ihrer Meinung nach hätte er ein besseres verdient gehabt, derart ausgelaugt sah er in Wirklichkeit nicht aus – mit dem Zusatz »Ermittler«. Nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wartete er wortlos im Flur; sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und deutete auf die offene Wohnzimmertür. Er nickte, warf einen Blick hinein, wandte sich zu ihr um, wieder wortlos. Stehen da wie bestellt und nicht abgeholt, hatte sie gedacht und sich eigenartig bedrängt gefühlt.

Wohin jetzt?, hatte sie ihn gefragt, möglicherweise etwas zu schroff, schließlich war er ein Gast, der sich nicht auskannte. Andererseits tickte die Uhr, die ersten Euros waren vertändelt, wenn der Mann weiterhin nur rumstand und keine einzige Frage stellte. Aus purer Höflichkeit hatte sie ihn in die Küche dirigiert, was sie, als er endlich den Mund aufmachte, bereute: In der Spüle zwei ungewaschene Teller und Tassen, auf der Ablage ein angeschnittenes Brot und massenhaft Krümel, dazu die angebrochene Flasche Bier, aus der sie vorher zur Beruhigung getrunken hatte …

Eine gärende Unruhe hatte nämlich wieder von ihr Besitz ergriffen, fast Angst, die sie nicht haben wollte … Wovor denn? Um wen denn? Wieso denn?

Beim Anblick der Flasche, des Geschirrs und der Zigarettenschachtel neben dem Aschenbecher auf dem Tisch (das auch noch, was sollte der Mann von ihr denken, wie sie hier hauste?) empfand sie eine Scham wie ewig nicht mehr. Sie setzte zu einer Entschuldigung an. Er kam ihr zuvor.

»Hier verbringen Sie also Zeit miteinander, Ihr Mann und Sie.«

Und sie, wie aus einem Reflex heraus: »Er am liebsten dort.«

Und da hockte der Mann seitdem, vor sich einen kleinen karierten Block und einen blauen Kugelschreiber; leicht gekrümmt, die Hände im Schoß, mit einem Ausdruck von Gleichmut in den grünen Augen, irgendwie provozierend, fand sie, unerhört, wenn sie an sein Honorar dachte.

Die Art, wie er sich auf den Stuhl gefläzt hatte, grenzte an eine Mischung aus Phlegma und Erschöpfung: Als müsste er erst einmal Luft holen, bevor er eine Art von Arbeit in Erwägung zog. Fast sah es aus, als wäre er hier zu Hause und nicht einer, der dafür bezahlt wurde, denjenigen aufzuspüren, der in Wahrheit hierhergehörte.

Stimmte doch: Leo gehörte hierher, zu ihr, in diese Wohnung.

Der Gedanke entfachte eine vorübergehend erloschene Traurigkeit in ihr, begleitet von einer Wehmut, die aus ihrer Ehe längst verschwunden schien.

Und der, der sie lindern sollte, saß in ihrer Küche und beulte mit seinem Schweigen die blecherne Stille auch noch aus.

»Eine Vermissung.«

Die beiden Worte kamen so plötzlich, dass sie vor Schreck einen Schrei ausstieß. »Ent-ent-entschuldigung. O Gott. Was haben Sie gesagt?«

Er sah sie an, anders als vorher; in seinem grünen Blick, bildete sie sich ein, ein Anflug von Verständnis und Mitgefühl.

Wer war der Kerl?

Sie schätzte ihn auf um die sechzig, vielleicht ein verschlissener Fünfziger. Nicht der sportliche Typ, übergewichtig, ohne dick zu wirken. Schwarze Lederjacke (viel zu warm für den Juli), weißes Leinenhemd, schwarze Jeans, Haare, die ihm fast bis auf die Schultern fielen. Und diese Augen. Je länger sie ihn ansah, desto mulmiger wurde ihr.

So einer, dachte sie, schaut nicht bloß, der sieht was, im schlimmsten Fall das, was man auf jeden Fall verbergen möchte, aus guten oder sonstigen Gründen.

Im selben Moment fiel ihr das Mineralwasser im Wohnzimmer ein, die Gläser und Kekse, die sie bereitgestellt hatte, für ihn, den ersten Gast in diesen Räumen seit …

Seit sehr langer Zeit. Leo ging ins Gasthaus, sie blieb lieber allein daheim, nach zwölf Stunden im Laden. Früher ein lohnendes Geschäft, keine Abholstation, kein Durchgangslager für Pakete. Die Leute, fauler als Faultiere, bestellten ihren Alltagsschrott bei Robotern, weil sie glaubten, das wäre billiger, anstatt sich fachmännisch beraten zu lassen. Bequemlichkeit und sonst nichts; dann stürzten sie in den Laden, ungeduldig und frech; war ausnahmsweise geschlossen, drehten sie durch.

»Nehmen Sie Platz«, sagte er.

»Was?«

Sekundenlange Erstarrung, bevor sie ein Lächeln zustande brachte. »Möchten Sie was trinken? Entschuldigen Sie, dass ich so … Ich weiß auch nicht …«

Er schwieg, statt zu antworten.

Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch mit dem Aschenbecher, in dem drei Kippen lagen. »Entschuldigung.« Sie stand wieder auf, leerte den Aschenbecher in den Mülleimer unter der Spüle und stellte ihn zum Geschirr im Ausguss. Kurz vorm erneuten Hinsetzen zögerte sie. »Wirklich nichts trinken, Herr … O Gott, Entschul ‌…«

»Süden.«

»Richtig. Süden, wie Süden.«

»Unbedingt.«

»Bitte? Was?«

Er wartete, bis sie mit dem Zurechtrücken des Stuhls fertig war; das Geräusch wurde ihr erst durch sein Schweigen bewusst.

»Frau Ahorn«, begann er. Seine Stimme klang ein wenig heiser, brüchig, wie von jemandem, der zu lange und zu oft im Blauen Eck abhing und alle halbe Stunde zum Rauchen vor die Tür ging. Allerdings dünstete seine Kleidung nichts aus, im Gegenteil: Schon bei der Begrüßung hatte sie einen dezenten Geruch nach Rasierwasser wahrgenommen, der ihr gefiel.

»Erzählen Sie mir von Ihrem Mann, Frau Ahorn.«

»Was gibt's da groß zu erzählen?«

Peinlicher Einstieg, sie wusste es. Dennoch meinte sie es ernst.

»Ein gewöhnlicher Mann, führte einen Schreibwarenladen, unten im Haus. Fachmann für Schreibutensilien aller Art, kennt sich aus wie kein Zweiter. Die Schüler liebten ihn, die Eltern auch, er konnte gut mit Kunden, wir machten Profit. Kann man so sagen. Unsere Miete ist nicht sehr hoch, das ist natürlich von Vorteil in dieser Stadt, in diesen Zeiten.

Dann die erste Wirtschaftskrise, dann eine Pandemie, der Einzelhandel praktisch am Boden, die Familien mussten das Geld zusammenhalten, wir alle. Folge: Die Leute besorgten ihre Sachen im Kaufhaus. Oder bestellten im Internet, spaßig für die Kinder, vom Computer aus alles organisieren. Was soll man sagen? Ja, Herr Süden, von einem Tag auf den anderen stellte sich die Existenzfrage, bei vielen von uns Einzelhändlern. Darauf muss man angemessen reagieren. Na ja, angemessen …

Ersparen wir uns solche Gedanken.

Wir modelten den Laden um; jetzt Abholstation für Pakete aller Art, daneben noch Zeitungen und Zeitschriften und Tabak. Schreibwaren haben wir fast vollständig abgeschafft, rentiert sich hinten und vorn nicht mehr. So geht die Zeit. Jammern bringt uns nicht weiter. Na ja …

Meinen Mann hat die Krise fast noch mehr gebeutelt als mich. Ich war in psychologischer Behandlung, hab Tabletten genommen gegen die Panikattacken, Tranquilizer, Antidepressiva, so Zeug. Bin los davon. Aber die Angst kommt trotzdem immer wieder, besonders nachts, wenn's noch stiller ist als am Tag. Mein Mann, der geht in die Kneipe, zu den anderen Männern, die auch so tun, als wär das eine Lösung; was trinken, quatschen, noch mehr trinken, noch mehr quatschen.

Ich darf nicht ungerecht sein, er steht eisern im Laden, muss er auch, allein ist das für mich nicht zu schaffen; er ist...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Fariza Nasri • Halbwelt • Kriminalroman • München Noir • Spannung • Suche • Tabor Süden • Vermisst • verschwunden
ISBN-10 3-518-77998-2 / 3518779982
ISBN-13 978-3-518-77998-9 / 9783518779989
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