Vermisst am Greifensee (eBook)
384 Seiten
Atlantis Literatur (Verlag)
9783715275307 (ISBN)
Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Uster, Freitag, 14. September
»Nein, ich komme nicht mit. Ich muss arbeiten«, winkte Zita ab.
»Drei Wochen vor der Geburt? Spinnst du?«
»Geht euch gar nichts an!«
»Typisch Zita, arbeitet noch, wenn ihr die Gebärmutter bereits an der Kniekehle klebt.«
»Hausfrauenplage! Geht und ertränkt das Elend eures Abhängigkeitsdaseins in einer Latte caramelito.«
Zita sah grinsend zu, wie ihre schnatternden Kolleginnen vom Geburtsvorbereitungskurs MamYoga, alle bereits im Mutterschaftsurlaub, ihre Bäuche durch die Eingangstür der neu eröffneten Starbucks-Filiale in Uster quetschten. Eine eiskalte Dusche – das war es, was sie brauchte. Sie schob ihr Velo in Richtung des in die Jahre gekommenen Jugendstilhauses, in dem Meier seine wunderschöne Wohnung hatte. Bis dort waren es höchstens zehn Minuten, das sollte sie schaffen. Auch wenn es der heißeste September war, den sie je erlebt hatte, was ihr Meier in seiner SMS vor ein paar Minuten – einer von vielen, die er jeden Tag sendete – bestätigt hatte.
Meier! Zita entwich ein ungläubiger Laut. Hätte ihr jemand vor zehn Monaten gesagt, dass sie den Spätsommer hochschwanger von einem mittelalterlichen Polizisten in Uster verbrächte, mit einem wöchentlichen Highlight, dem MamYoga bei der Hebamme Paula Späni, hätte sie diesem Idioten den Vogel gezeigt. Nicht einmal lachen hätte sie mögen über diese Vorstellung. Doch nun war es genau so.
Wie jedes Mal, wenn sie solche Gedanken hegte, bekam Zita Panik. Umdrehen, zum Bahnhof rennen, ein Ticket lösen und weit weg. Oder noch besser: Den Bauch abschnallen und im Mülleimer entsorgen. Da spürte Zita ein Rumpeln in ihrer Mitte. So musste sich der Wolf gefühlt haben, nachdem man ihm Steine in den Bauch genäht hatte. Nur dass Zitas Stein angenehm weiche Drehungen machte und ihren Eingeweiden eine Massage zukommen ließ, die sie jedes Mal aufs Neue entzückte. Sie horchte in sich hinein. Die Bewegung war ein Protest, dessen war sie sich sicher. Bist du bescheuert, Mama? Du kannst mich nicht einfach abschnallen. – Tut mir leid, nie würde ich so etwas tun, mein Kind. Ich liebe dich doch schon jetzt über alles.
Die Bewegung hörte auf. Zita staunte über die seltsamen Gespräche, die sie mit ihrem ungeborenen Kind führte. Sie hatte niemandem davon erzählt, nicht mal Meier. Denn diese leuchtenden Momente der Verständigung gehörten ihr allein. Hatte sie zumindest geglaubt. Bis heute im MamYoga, als Baby Meier sie tief aus ihrem Innern heraus bat, die kitzelnde Atemübung zu wiederholen, und Paula Späni ihr zuzwinkerte. Die Kursleiterin wusste also genau, was in ihr vorging. Aber sie sprach nicht darüber. Sie war die Diskretion in Person. Nicht wie Meier, der alles wissen wollte über die motorischen Fähigkeiten seines Sprösslings, über seine intellektuellen Höhenflüge und vor allem über sein außerordentliches Gefühl für Rhythmus.
Zita stöhnte und schob ihr Rad ein bisschen schneller. Der Commissario und sie! Wenn sie nur nicht so verschieden gewesen wären: Meier liebte Kaffee, Zita trank nur Tee. Meier hängte seine Jeans an Bügel, Zita warf ihre Kleider auf den Boden, Meier hörte klassische Musik im Liegen, Zita bevorzugte Hip-Hop in Aktion, Meier verfiel nach dem Sex in Tiefschlaf, Zita wurde hyperaktiv, Meier hatte es gerne geputzt, Zita nahm Staub nicht einmal wahr. Meier wollte heiraten, Zita wurde schon bei der Idee übel. Da fühlte Zita ein erneutes Rumpeln. Hastig strich sie über ihren Bauch. Easy, Baby, es gibt auch Bereiche, in denen wir uns einig sind. Und das sind die Wichtigsten.
Es war ihnen egal, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekamen, Zita würde im Krankenhaus Uster gebären und – am wichtigsten – sie liebten sich. Seit jenem denkwürdigen Vormittag im letzten Dezember, als Zitas Troddelmütze Meier zum Niesen gebracht hatte. Die Liebe war eingefahren mit jener Unberechenbarkeit, die sie so begehrenswert machte. Und so schleppte sich Zita in Meiers Zuhause, das in den vergangenen Monaten völlig gegen ihren Lebensplan und sehr inoffiziell auch ein wenig ihres geworden war. Was sie Meier gegenüber natürlich nie zugegeben hätte.
In der Wohnung stellte sich Zita sofort unter die Dusche, legte sich dann aufs Sofa und griff nach der Fernbedienung. Sie unterdrückte das schlechte Gewissen, das ihr auf der Stelle Hausfrauenschlampe ins Hirn blinkte, indem sie sich kurz, aber intensiv ihre Masterarbeit in Erinnerung rief, die sie im Frühjahr mit Bestnote zurückerhalten hatte, und die im Anschluss daran ebenfalls mit Auszeichnung bestandene Prüfung. Ein Gefühl der Erregung stellte sich ein, wie jedes Mal, wenn sie sich die Schlussfeier vorstellte, die sie in einigen Tagen als hochschwangere Singlefrau hinter sich brächte – sie hatte Meier das Datum verschwiegen –, bevor sie dasselbe mit der Geburt tun würde. Aus diesem Szenario ließ sich Meier allerdings nicht wegdenken.
Zita kuschelte sich in die Kissen und zappte sich von Sender zu Sender. Wer hatte nur die überflüssige Erfindung Wochenbett gemacht? Sie würde sich nicht darum kümmern und nach einem Monat Pause – so viel müsste vermutlich sogar sie sich zugestehen – wieder mit der Arbeit anfangen. Genauer gesagt mit der Jobsuche. Verschiedene Tätigkeiten kamen infrage, die alle sehr viel mit innovativen Forschungen und sehr wenig mit Windeln und Muttermilch zu tun hatten.
Langsam fielen ihr die Augen zu. Einmal noch schreckte sie hoch, als das Gesicht von ScarLett, der ehemaligen Wetterfee, über den Bildschirm flimmerte. Im Rede-Bett mit ScarLett hieß ihre Sendung, in der sie ihre Gäste liegend interviewte. Sie lief auf dem nationalen Sender mit traumhaften Einschaltquoten, was den ehemaligen Chefredaktor des örtlichen Lokalsenders unsäglich ärgern musste. Schließlich hatte er ScarLett wegen ihres Dekolletés eingestellt und wegen ihres Lispelns gefeuert, was fast alle weiblichen und einen Großteil der männlichen Zuschauer verärgert und zu seiner Entlassung geführt hatte.
Bevor Zita in Tiefschlaf sank, sah sie gerade noch, wie ScarLett mit breitem Lächeln das Thema ihrer nächsten Sendung verkündete: Krankenhaus contra Geburtshaus! – Die Frage, ob Geburten und Babys zurzeit besonders angesagt waren oder ob sie selber nur extrem dafür sensibilisiert war, konnte Zita allerdings nicht mehr beantworten.
Meier sah auf die Uhr, in zehn Minuten hatte er Feierabend. Zufrieden schloss er die Akte. Nach dem großen Umbau des Polizeigebäudes war er der Einzige in der Abteilung, der seine Fälle nicht nur elektronisch, sondern auch physisch dokumentierte, er las lieber auf Papier als am Computer. Einmal mehr hatte er einen Fall erfolgreich zu Ende gebracht. Gestern Abend hatte er zwei brutale Tankstellenräuber verhaften können, und sogar der zurückhaltende Staatsanwalt Kretschmer hatte ihm gratuliert. Mit einem Automatenkaffee hatte Meier hinterher mit Ruth Haldimann auf die erfolgreiche Zusammenarbeit angestoßen.
Ruth war Sozialarbeiterin und erst seit wenigen Monaten beim Ustermer Amt für Jugend und Berufsberatung angestellt. Während der Ermittlungen hatten sie sich angefreundet, obwohl Meier private Kontakte am Arbeitsplatz sonst mied. Aber mit Ruth konnte er nicht nur über Täterprofile diskutieren, sondern auch über die ideale Schnullerform und die saugfähigsten Windeln.
Meier verstaute sein Notizbuch in der Tasche der Lederjacke und lachte in sich hinein. Jahrelang hatte er das Vater-werden zum Leidwesen seiner Freundinnen abgelehnt, doch nun erfüllte ihn eine wilde Vorfreude von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln. Er ertappte sich dabei, dass er jedem Kinderwagen nachstarrte und ab und zu sogar durch die Babyabteilung der örtlichen C&A-Filiale streifte.
Er fuhr den Computer herunter und öffnete die Tür seines Kabuffs, das er sich trotz der neuen Großraumbüros hatte bewahren können. Auf dem Flur stieß er fast mit Fausto Signorelli zusammen, der, eine Haarsträhne schwungvoll zur Seite werfend, an ihm vorbeipreschte.
»Meier, Sie sind aber früh heute.«
»Tja, so ist das mit uns Familienvätern. Immer auf dem Sprung, nicht wahr«, gab Meier zurück.
Sein Chef schien zu überlegen, ob er sich auf eine Debatte einlassen sollte über den Unterschied zwischen einem respektabel verheirateten vierfachen Vater in Kaderposition und einem mittelalterlichen erstgebärenden Ermittler mit jugendlicher Geliebter ohne Trauschein. Aber er musste es eilig haben, und er kannte Meier: Unter einer Viertelstunde wäre der verbale Schlagabtausch nicht zu haben, und es war nicht mal sicher, ob er als Sieger vom Platz ginge – Meier hatte in letzter Zeit an Schnelligkeit und Schlagfertigkeit enorm zugelegt. So eilte Signorelli davon, ohne Meier zum erfolgreich abgeschlossenen Tankstellenfall zu gratulieren – womit er doch noch einen Beitrag zum Zwist leistete, der zwischen ihnen beiden herrschte. Denn er, Fausto Signorelli, und nicht Meiers Freund Hannes Sutterlütti war vor einem Jahr Chef der Kapo Uster geworden.
Meier setzte auf Gegensätzlichkeit und ging gemessenen Schrittes an einer Gruppe Kollegen vorbei, Gritli, der guten Seele des Empfangs, zuzwinkernd. Die Hektikflecken am Hals und ihre etwas zerzauste Frisur mit dem Headset wiesen darauf hin, dass die Bevölkerung telefonisch Anteil nahm am Ausgang des letzten Falls. Trotzdem fand sie Zeit, Meier einen Gruß an seine Freundin hinterherzurufen – sie hatte Zita nach einigen Anlaufschwierigkeiten ins Herz geschlossen.
Beim Eingang,...
| Erscheint lt. Verlag | 16.11.2023 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Ein Fall für Schnyder & Meier | Ein Fall für Schnyder & Meier |
| Verlagsort | Zürich |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Adoption • Entbindung • Entführung • Geburt • Geburtstagsvorbereitung • Krankenhaus • Mutter • Mutterschaft • Säugling • Schwangerschaft • Wochenbett |
| ISBN-13 | 9783715275307 / 9783715275307 |
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