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Vor der Revolution (eBook)

Ein phantastischer Almanach

Hannes Riffel (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023
278 Seiten
Memoranda Verlag
978-3-910914-09-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vor der Revolution -
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Dieser Almanach stellt das vielfältige Programm des Carcosa Verlages vor und präsentiert unsere Autor:innen in ihrer ganzen Einzigartigkeit. Unter anderen schreiben begeistert: Helmut W. Pesch über Leigh Brackett, Julie Phillips über Ursula K. Le Guin, Christopher Ecker über Gene Wolfe, Clemens J. Setz über Samuel R. Delany und Dietmar Dath über Alan Moore. Drei neu übersetzte Erzählungen von Ursula K. Le Guin bieten einen fulminanten Einstieg in das Werk einer der bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit. Der Kurzroman 'Imperiumsstern' von Samuel R. Delany erzählt von einer abenteuerlichen Reise durch die Tiefen des Weltraums - und knüpft gleichzeitig eine metafiktionale Verbindung zu seinem preisgekrönten Roman 'Babel-17'. Und natürlich erfahren wir, in einer neu übersetzten Kurzgeschichte von Ambrose Bierce, was es mit dem rätselhaften Namen 'Carcosa' auf sich hat ...

Hannes Riffel (*1966) war u.a. für Argument, Klett-Cotta und S. Fischer als Lektor und Programmleiter tätig und verdeutscht seit dreißig Jahren angloamerikanische Literatur mit dem Schwerpunkt Phantastik. Als Herausgeber und Übersetzer wurde er viermal mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in der goldenen Mitte zwischen Hamburg und Berlin.

Hannes Riffel (*1966) war u.a. für Argument, Klett-Cotta und S. Fischer als Lektor und Programmleiter tätig und verdeutscht seit dreißig Jahren angloamerikanische Literatur mit dem Schwerpunkt Phantastik. Als Herausgeber und Übersetzer wurde er viermal mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in der goldenen Mitte zwischen Hamburg und Berlin.

Ambrose Bierce

Ein Einwohner von Carcosa

Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Riffel

Jedes neue Projekt, das mit dem Wagemut unseres kleinen Verlages – dem Wagemut jedes unabhängigen Verlages – in die Welt tritt, bedarf einer schirmenden Gestalt, die ihre schützende Hand über das Werken und Wirken hält. Wir haben uns dazu jene geheimnisvolle Erscheinung auserkoren, die in Ambrose Bierce’ verblüffender kleiner Geschichte aus den Schatten tritt, um dem Ich-Erzähler die Sinne zu verwirren …

Denn es gibt unterschiedliche Spielarten des Todes – bei manchen bleibt der Leib erhalten, bei anderen entschwindet er zusammen mit dem Geist. Dies geschieht für gewöhnlich nur in Abgeschiedenheit (so ist der Wille Gottes), und da niemand das Ende miterlebt, sprechen wir davon, jener habe sich verirrt oder sei auf eine lange Reise gegangen – was durchaus zutrifft; aber manchmal geschieht es vor aller Augen, wie mehr als genug Zeugnisse belegen. Bei einer Todesart stirbt auch der Geist, und das geschieht, wie wir wissen, bisweilen sogar dann, wenn der Leib noch viele Jahre bei Kräften ist. Mitunter stirbt er, wie fürwahr bezeugt ist, mit dem Leib, wird dann aber, nach Ablauf einer Jahreszeit, an dem Ort wiedererweckt, wo der Leib verweste.

Während ich über diese Worte Halis nachgrübelte (möge Gott ihm Frieden schenken) und mich mühte, ihre Bedeutung zu ergründen, wie jemand, der eine Vermutung hegt, sich jedoch fragt, ob nicht doch etwas anderes dahintersteckt als das, was er herauslas, bemerkte ich nicht, wohin es mich verschlagen hatte, bis mich eine plötzliche kalte Bö im Gesicht traf und in mir wieder den Sinn für meine Umgebung weckte. Voller Erstaunen stellte ich fest, dass diese mir vollkommen fremd war. Überall um mich her erstreckte sich eine ebenso einsame wie trostlose Ebene, die mit hohem, vertrocknetem Gras bedeckt war, das im Herbstwind raschelte und pfiff und dabei weiß der Himmel was für geheimnisvolle und beunruhigende Andeutungen machte. In größeren Abständen ragten seltsam geformte und düster gefärbte Felsen auf, zwischen denen ein Einverständnis zu bestehen schien, denn sie wechselten bedeutungsvolle Blicke, als hätten sie die Köpfe gehoben, um einem Ereignis beizuwohnen, das sie vorhergesehen hatten. Einige verdorrte Bäume führten hier und da, erwartungsvoll schweigend, diese arglistige Verschwörung an.

Der Tag war offenbar schon weit fortgeschritten, wenngleich sich die Sonne nicht zeigte; und obschon ich die raue und kalte Luft durchaus spürte, war mir diese Tatsache eher geistig denn körperlich bewusst – ich empfand kein Missbehagen. Über der ganzen trostlosen Landschaft hing, gleich einem sichtbaren Fluch, eine niedrige bleierne Wolkendecke. Alldem wohnte eine Bedrohung inne, eine dunkle Vorahnung – eine Andeutung des Bösen, ein finsteres Verhängnis. Vögel, Tiere oder Insekten gab es keine. Der Wind seufzte in den nackten Zweigen der toten Bäume, und das graue Gras bog sich, um sein schreckliches Geheimnis der Erde zuzuflüstern. Kein anderes Geräusch, keine andere Regung durchbrach die entsetzliche Ruhe dieses trostlosen Ortes.

Im Gras entdeckte ich eine Reihe verwitterter Steine, die offenbar von Hand bearbeitet worden waren. Sie waren geborsten, mit Moos bedeckt und halb in der Erde versunken. Manche waren umgestürzt, andere standen in unterschiedlich schiefen Winkeln da, keiner ganz aufrecht. Augenscheinlich waren das Grabsteine gewesen, wenngleich die Gräber selbst nicht mehr existierten, weder Hügel noch Mulden; die Jahre hatten alles eingeebnet. Einzelne größere Blöcke zeigten hier und dort, wo einst eine prunkvolle Gruft oder ein ehrgeiziges Denkmal dem Vergessen seinen dürftigen Trotz entgegengeschleudert hatte. So alt schienen diese Relikte zu sein, diese Überbleibsel der Eitelkeit und Mahnmale der Zuneigung und Frömmigkeit, so zerschmettert, abgenutzt und befleckt – so verwahrlost, verödet, vergessen der ganze Ort, dass ich unwillkürlich meinte, die Begräbnisstätte eines prähistorischen Menschenvolkes entdeckt zu haben, dessen Name längst untergegangen war.

Mit derartigen Betrachtungen beschäftigt, achtete ich eine ganze Weile nicht auf die Abfolge dessen, was mir widerfuhr, doch bald fragte ich mich: »Wie bin ich bloß hierhergekommen?« Nach kurzem Nachdenken wurde ich mir darüber klar und fand gleichzeitig eine Erklärung, wenn auch auf beunruhigende Weise, für das eigenartige Gepräge, das meine Einbildungskraft allem, was ich sah oder hörte, verliehen hatte. Ich war krank. Jetzt fiel mir ein, dass ein plötzliches Fieber mich niedergestreckt und meine Familie mir erklärt hatte, ich hätte im Wahn fortwährend nach Freiheit gerufen und nach frischer Luft, sodass ich, damit ich nicht die Flucht ergriff, im Bett festgehalten werden musste. Inzwischen hatte ich mich der Wachsamkeit meiner Aufseher entzogen und war hierher gewandert, nach – wohin? Das konnte ich nicht einmal mutmaßen. Offenbar war ich weit weg von der Stadt, in der ich wohnte – der uralten und berühmten Stadt Carcosa.

Nirgendwo sah oder hörte ich irgendwelche Anzeichen dafür, dass hier Menschen lebten, kein Rauch stieg auf, kein Wachhund bellte, kein Vieh blökte, keine spielenden Kinder schrien – nichts außer dieser trostlosen Begräbnisstätte, wo eine geheimnisvolle Atmosphäre des Schreckens herrschte, die wohl meinem eigenen zerrütteten Geist geschuldet war. Fiel ich wieder dem Fieberwahn anheim, hier, weit entfernt von jedem menschlichen Beistand? War nicht sogar alles eine Illusion, die mein kranker Geist heraufbeschwor? Laut rief ich die Namen meiner Frauen und Söhne, streckte die Hände auf der Suche nach ihnen aus, noch während ich zwischen den bröckelnden Steinen und dem verdorrten Gras einherschritt.

Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Ein wildes Tier – ein Luchs – näherte sich mir. Da kam mir der Gedanke: Wenn ich hier in der Einöde zusammenbreche – wenn das Fieber zurückkehrt und ich ohnmächtig werde –, geht mir diese Bestie an die Gurgel. Schreiend stürzte ich auf den Luchs zu. In aller Gelassenheit trottete er eine Handbreit an mir vorbei und verschwand hinter einem Fels.

Kurz darauf schien, nicht weit entfernt, der Kopf eines Mannes aus der Erde emporzusteigen. Er kam den Hang auf der anderen Seite eines Hügels herauf, dessen Kamm sich kaum von der umliegenden Ebene abhob. Bald war, vor dem Hintergrund grauer Wolken, seine ganze Gestalt zu sehen. Er war halb nackt, halb in Felle gehüllt. Sein Haar war zerzaust, sein Bart lang und struppig. In einer Hand hielt er Pfeil und Bogen, in der anderen eine lodernde Fackel, von der schwarzer Rauch aufstieg. Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, als befürchtete er, in ein offenes Grab zu stürzen, das sich unter dem hohen Gras verbarg. Diese seltsame Erscheinung versetzte mich in Erstaunen, aber sie machte mir keine Angst, und so folgte ich einem Pfad, auf dem ich ihren Weg kreuzen musste. Alsbald stand ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber und begrüßte sie auf die geläufige Weise: »Gott mit Euch.«

Sie beachtete mich nicht und hielt auch nicht inne.

»Werter Fremdling«, fuhr ich fort, »ich bin krank und habe mich verirrt. Weist mir, ich flehe Euch an, den Weg nach Carcosa.«

Der Mann stimmte in einer unbekannten Sprache einen barbarischen Gesang an, ging weiter und davon.

Eine Eule, die auf einem abgestorbenen Ast saß, schrie kläglich, und aus weiter Ferne erklang eine Antwort. Ich blickte hoch und sah in einer Lücke, die sich plötzlich in der Wolkendecke auftat, Aldebaran und die Hyaden! All das wies darauf hin, dass es Nacht war – der Luchs, der Mann mit der Fackel, die Eule. Und doch … und doch sah ich sogar die Sterne in Abwesenheit jeglicher Finsternis. Ich sah, wurde aber selbst offenbar weder gesehen noch gehört. Was für ein entsetzlicher Zauber lag auf meinem Dasein?

Ich setzte mich bei dem Stamm eines gewaltigen Baumes nieder und überlegte ernstlich, was am besten zu tun sei. Ich zweifelte nicht mehr, dass ich wahnsinnig war, erkannte in dieser Überzeugung jedoch auch einen Grund zu zweifeln. Von Fieber keine Spur. Obendrein war ich von einem geistigen wie körperlichen Hochgefühl durchdrungen, von einer Lebenskraft, die mir völlig fremd war. Meine Sinne schienen aufs Äußerste angespannt; ich konnte die Luft als gewichtige Substanz spüren; ich konnte die Stille hören.

Eine der großen Wurzeln des riesigen Baumes, an dessen Stamm gelehnt ich dasaß, hatte sich um eine Steinplatte geschlungen, die zum Teil in eine Vertiefung hineinragte, welche von einer anderen Wurzel gebildet wurde. Somit war der Stein teilweise vor der Witterung geschützt, wenngleich in hohem Maße brüchig. Seine Kanten waren von der Zeit abgeschliffen, die Ecken weggefressen, die Oberfläche zerfurcht und geriffelt. In der Erde darum herum funkelte Katzensilber – abgebröckelte mineralische Überreste. Offenbar hatte dieser Stein das Grab bezeichnet, aus dem vor langer Zeit der Baum emporgewachsen war. Die gierigen Wurzeln des Baumes hatten das Grab ausgeraubt und den Stein gefangengesetzt.

Ein plötzlich aufkommender Wind wehte einige trockene Blätter und Zweige von der Oberfläche des Steins; ich sah die eingemeißelten Buchstaben einer Inschrift und beugte mich darüber. Gütiger Himmel! Mein vollständiger Name – mein Geburtsdatum – mein Todesdatum!

Ein waagrechter Lichtstrahl fiel auf den Baumstamm, und ich sprang voller Entsetzen auf. Die Sonne zeigte sich im rosigen Osten. Ich stand zwischen dem Baum und der riesigen roten Scheibe – und kein Schatten verdunkelte den...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2023
Reihe/Serie Carcosa
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Alan Moore • Ambrose Bierce • Anarchie • Anthologie • Biografie • Biographie • Christopher Ecker • Clemens J. Setz • Dietmar Dath • Erik Simon • Erzählungen • Essay • Gene Wolfe • Gesellschaftskritik • gesellschaftskritische Literatur • Julie Phillips • Karen Nölle • Karlheinz Steinmüller • Kolonialismus • Leigh Brackett • memoranda • Phantastik • Post Doomsday • Postmoderne • Sachbuch • samuel r. delany • Science-fiction • Science Fiction • SF-Klassiker • Sprache • Ursula K. Le Guin • Weltraum
ISBN-10 3-910914-09-8 / 3910914098
ISBN-13 978-3-910914-09-4 / 9783910914094
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