Die Nachbarin (eBook)
486 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
9783756560356 (ISBN)
Der Autor war jahrzehnte lang Logistik-Stratege für globale Grosskonzerne. Als Ausgleich hat er Romane geschrieben. Er hat Deutschland als junger Mann im Krieg verlassen und lebte an vielen Stellen der Welt wie Australien, Amerika, Mexiko, der Schweiz usw
Der Autor war jahrzehnte lang Logistik-Stratege für globale Grosskonzerne. Als Ausgleich hat er Romane geschrieben. Er hat Deutschland als junger Mann im Krieg verlassen und lebte an vielen Stellen der Welt wie Australien, Amerika, Mexiko, der Schweiz usw
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Peter A. Knipp
Die Nachbarin
Roman
ERSTER TEIL
Eine wahre Liebesgeschichte, die endet niemals.
Philippe Dijan
Ein Jahr nach dem Doppelmord, der als die Hinrichtung auf der Piazza die Medien wochenlang beschäftigt hatte und im Gedächtnis derer, die seine Zeugen gewesen waren, unauslöschlich bleiben würde, kehrte ich ein letztes Mal in die kleine Wohnung in die Residenza La Terrazza zurück.
Silvia, meine Ex-Frau, die noch immer mit dem Juwelier in Zürich zusammenlebte , hatte endlich einen Käufer für die Wohnung gefunden. Sie hatte mich in einem ihrer hastig hingeworfenen Briefe, in denen sich die ganze Unrast ihres Lebens spiegelte, gebeten, ein paar Sachen in der Residenza abzuholen, die offensichtlich mir gehörten. Einen Schlüssel für das Apartment fände ich an ‚unserem’ alten Platz. Sie hatte ‚unserem’ geschrieben, als sei alles noch so wie früher, oder als wolle sie sagen : Das ist der Platz, den nur wir kennen. Vielleicht hätte sie nicht ‚unserem’ geschrieben, wenn sie gewusst hätte, dass auch Francesca diesen Platz gekannt hatte. Aber nun, da die Schlüssel in andere Hände übergingen, spielte das keine Rolle mehr.
Aus dem Süden kommend verliess ich die Autobahn an der letzten Ausfahrt vor der Stadt. Bissone, Melide, Campione, Morcote – das waren einmal sehr vertraute Namen gewesen, mit denen sich ein Gewebe von Erinnerungen verband, das zu berühren ich lange vermieden hatte.
Es war einer jener unvergleichlich schönen Spätsommerabende, an denen der See, noch im Licht der versinkenden Sonne, schon auf den Mond wartete, nach dessen Berührung er sich, wie Francesca einmal gesagt hatte, mehr sehnt als nach allem anderen. Langsam über den Seedamm fahrend konnte ich in der Ferne gerade noch Porto Ceresio erkennen und den wie von Menschenhand geschaffenen Einschnitt zwischen den Bergen durch den ich in Gedanken so oft in die Ebenen Oberitaliens geflohen war. Berge bedrückten mich, und ich hatte sie hier nur ertragen können, weil sich die Weite des Sees vor ihnen ausbreitete, und weil ihren weiblichen Rundungen nichts Bedrohliches anhaftete. Selbst der Monte Generoso mit ein paar seewärts gerichteten Felswänden und angedeuteten Zacken war nicht allzu ernst zu nehmen.
In Melide, wo ich abbog, hatte sich nichts verändert. Nur die Strasse hatte einen neuen Belag, der die Ortsdurchfahrt ein wenig eng erscheinen liess. Vor dem Caffè della Posta sassen die Männer, die schon immer dort gesessen hatten. Die junge Frau an der Tankstelle, mit der ich auf dem verregneten Dorffest getanzt hatte, war etwas voller geworden und hatte ihr Haar dunkel getönt. Dafür sah der Palazzo Branco unbewohnt und abweisend wie immer aus. Da ich nicht die Absicht hatte, ein weiteres Mal hierher zu kommen, würde ich nie erfahren, was mit ihm geschah.
Hinter Melide wurde die Strasse kurvig. Da hatte Lilly ihrem alten Porsche immer die Sporen gegeben. Mehr als einmal hatte ich uns an einer der blumenberankten Mauern kleben oder in einen der herrschaftlichen Gärten unterhalb der Strasse segeln sehen. Gott sei Dank war das zwei Anderen vorbehalten geblieben, die den Porsche eines Nachts gestohlen hatten und in den See damit gefahren waren, wo man sie lange nicht wiederfand.
Lilly! Sie hatte von einem Tag auf den anderen geheiratet. Keinen von denen, die sie seit Jahren umschwärmten und ihr zahllose Anträge gemacht hatten, sondern einen vorher nie gesehenen Geschäftsmann aus Bologna, der mit seinem Ferrari Testarossa quasi auf der Durchreise gewesen war. Sie hatten uns alle zur Hochzeit eingeladen, und als sie vor dem Altar standen hatte Francesca mir zugeflüstert : „Eigentlich müsste der Ferrari neben Lilly stehen, denn sie heiratet das Auto. Der Mann ist ihr völlig egal.“ Aber eine gewisse Rolle musste der Mann doch gespielt haben, denn Lilly hatte inzwischen ein Baby, ein Töchterchen, das sie Francesca getauft hatte, das nicht die geringste Aehnlichkeit mit einem Ferrari hatte.
Vor dem Hotel Villa al Lago musste ich dann wieder an Silvia denken. Dort, so werde ich später beschliessen, hat die Geschichte mit der Wohnung, ja die Geschichte überhaupt angefangen. Das war vor gut sechs Jahren gewesen. Damals hatte das Hotel noch fünf Sterne gehabt, dann war es, wie so viele Hotels in dieser Gegend, kurz hintereinander durch verschiedene profitgierige Hände gegangen und hatte einen Stern verloren. So wie es jetzt aussah, musste es einen weiteren verloren haben. Die wetterfesten Tischtücher auf der abgasgeschwängerten Frühstücksterrasse waren seinerzeit dunkelrot gewesen, hatten inzwischen aber die Farbe der Strasse angenommen. Wahrscheinlich bezogen sich die vier Sterne nur noch auf das Restaurant unten am See, in dem ich immer gut gegessen hatte. Zum ersten Mal mit Silvia, als wir noch miteinander verheiratet gewesen waren, zum letzten Mal mit Francesca, als sie ihren Entschluss gefasst hatte.
Nach ein paar weiteren Kurven tauchte rechterhand, harmonisch in den Hang gebaut, die Residenza La Terrazza auf. Eigentlich war es keine einzelne Residenz, sondern eine Ansammlung von dreissig Terrassenwohnungen, die wie breite, mehrfach gegeneinander versetzte Stufen bergan führten. Oberhalb der Wohnungen gab es ein Schwimmbad mit Liegewiese und einen Tennisplatz. Unter der Liegewiese war eine Garage für die oberen Wohnungen, zu der eine Privatstrasse hinauf führte. Die Garagen für die unteren Wohnungen waren direkt von der Seestrasse aus zugänglich. Die Wohnungen untereinander waren über Treppen und Wege aus Naturstein erreichbar.
Unser, genauer gesagt Silvias Apartment, das nur aus zwei Zimmern, Bad und Küche bestand, lag ganz unten. Seine Terrasse reichte bis auf wenige Meter an die Seestrasse heran. Deshalb hatte Silvia auch lange keinen Käufer finden können, denn die Seestrasse war während der Saison stark befahren, und es war nicht gerade ein ruhiges Plätzchen.
Ich liess den Wagen auf einem der Besucherparkplätze stehen und ging die Treppe zum ersten Zwischengang hinauf. Um diese Jahreszeit waren viele der Wohnungen noch belegt. Die Eigentümer verbrachten ihren Urlaub hier oder hatten sie als Ferienwohnungen vermietet. Es hatte in der Residenza immer nur wenige Dauerbewohner gegeben. Einen pensionierten Gerichtsbeamten, ‚Sheriff’ Ledermann und seine Frau Annie, die Silvia respektlos Lederannie getauft hatte. Die Ledermanns waren auch jetzt noch da. Sie bewohnten eine der höher gelegenen Wohnungen, residierten gewissermassen über der Residenza, wie heimliche Herrscher, vertraut mit allem, was zwischen Melide und Morcote geschah, mit allen Wohnungseigentümern in irgendeiner Weise verbunden, Sprachrohr der Verwaltung und selbsternannte Ordnungshüter von den Bootsstegen am See bis zum Waldrand über dem Schwimmbad. Damals hatte es noch andere Dauerbewohner gegeben. Ein paar nörglerische Rentnerehepaare, ein paar Deutsche, die sich mit Schwarzgeld abgesetzt hatten, und einen uralten Herrn, den man kaum zu Gesicht bekam. Er wurde allgemein der Leguan genannt, weil es in seiner Wohnung ein paar Terrarien mit Reptilien gab, die er Francesca und mir einmal gezeigt hatte. Francesca hatte ihre Panik beim Anblick der dämonischen Kriechtiere nur schwer verbergen können und nach dem Besuch beim Leguan ernsthaft erwogen aus der Residenz wegzuziehen. Der Leguan war, wie Silvia geschrieben hatte, kürzlich gestorben.
Die meisten Wohnungen standen ausserhalb der Urlaubszeit leer. Gelegentlich kamen ein paar Leute am Wochenende oder an milden Wintertagen, wenn im Norden der Nebel über dem Land hing und die Berge verschneit waren. Hier unten gab es nur selten Schnee und nie sehr lange.
Der Schlüssel lag an ‚unserem’ Platz in der Kerbe der Buschpalme. Im Schlafzimmer standen meine Kartons mit den Sachen, die ich abholen sollte. Kleinkram, wegen dem sich die weite Fahrt kaum gelohnt hatte. Aber deswegen war ich nicht gekommen. Im Wohnzimmer stand überraschend noch meine alte braune Couch, die Silvia nicht erwähnt hatte. Mitnehmen konnte ich die Couch nicht, aber ich konnte mir ein Hotel ersparen und in der Wohnung übernachten. Auf der Terrasse standen noch ein Tisch und Stühle, in der Küche und im Bad gab es Licht. Ich holte eine Wolldecke, ein Kissen und meine Reisetasche aus dem Auto und ‚zog ein’.
Zu tun gab es sonst nichts. Die Pflanzen auf der Terrasse, in langen, eingemauerten Trögen waren gut in Schuss. Eine Freundin von Silvia, die in der Nähe wohnte, kam einmal in der Woche vorbei und sah nach dem Rechten. Anfang Oktober würden die neuen Eigentümer das Apartment übernehmen und wahrscheinlich Lederannie mit der Pflege der Pflanzen betrauen. Das hatten die meisten Eigentümer gemacht, die nur ein oder zwei Mal im Jahr kamen. Was für eine Vergeudung von Wohnraum all diese Ferien- oder Zweitwohnungen waren! Viele waren in den überbordenden...
| Erscheint lt. Verlag | 12.7.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Krimi • Liebesgeschichte • Roman |
| ISBN-13 | 9783756560356 / 9783756560356 |
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