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Weil da war etwas im Wasser - Luca Kieser

Weil da war etwas im Wasser (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
320 Seiten
Picus Verlag
978-3-7117-5492-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
(CHF 12,65)
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Alles dreht sich um einen monströsen Tintenfisch. Einen Riesenkalmar. Als dieser ein Tiefseekabel berührt, beginnen seine Arme und Tentakel zu erzählen. Davon, wie es ist, in ständiger Dunkelheit zu leben, wie es ist, für den Menschen ein Ungeheuer zu sein. Sie erzählen von Sanja, die ein Praktikum auf einem Frosttrawler absolviert und sich um einen gefangenen Kalmar kümmert. Sie erzählen von Dagmar, die für einen Geheimdienst in der Antarktis stationiert ist und diesen Kalmar unbemerkt nach Deutschland schaffen soll. Sie erzählen von einer Kindheit als Schäferstochter. Sie erzählen von einer Familie, deren Urahn schon mit einem Kalmar gekämpft hat. Sie erzählen von dem jungen Jules Verne, der von diesem Kampf hört und darüber zu schreiben beginnt. Am Ende erzählen sie davon, wie schwierig es für Menschen ist, von Tieren zu erzählen, und warum sie es dennoch tun.

Luca Kieser wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst und ist inzwischen auf Naturethik spezialisiert. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und für einen Auszug aus »Weil da war etwas im Wasser« mit dem FM4-Wortlaut. Er lebt in Wien.

Luca Kieser wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst und ist inzwischen auf Naturethik spezialisiert. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und für einen Auszug aus »Weil da war etwas im Wasser« mit dem FM4-Wortlaut. Er lebt in Wien.

chemie


Die Geschichte unseres Blendenden Arms

Während du dann wieder zu dir kommst, wirst du in die Höhe geschleift. Bald seid ihr so hoch, dass dünnes Licht ins Wasser dringt, doch alles, was du sehen kannst, ist der endlose Körper. Du erkennst etwas an seinem Rücken und versuchst es zu erreichen, doch deine Arme rutschen ab. Der Druck des Kiefers, das immer wärmer werdende Wasser, es schnürt dir die Kiemen zu. Dein linker Tentakel findet eine Stelle, an der er sich festkrallen kann, und reißt mit letzter Kraft. Schwarze Hautfetzen und weißes, fasriges Gewebe wirbeln um dich. Dann klappt die Welt zusammen, die kühle Walzunge, ein unendlicher Gaumen, ein Muskel, ein Sog.

Nicht alles von dir zersetzt sich. Dein Schnabel ist unverdaubar; und so stichst du in den Pylorus, kämpfst dich in den Darm, bohrst dich dort in die Flora und gerade, als du an Rache zu glauben beginnst, bildet sich um dich eine Substanz, die dich einbalsamiert. Alles klebt an dir. Du verklumpst.

Tage, Wochen, Monate verstreichen, während denen du zu einem immer größeren Brocken anwächst, dann würgt der Wal dich hervor; und es folgt eine zweite Ewigkeit, die du in einem Film aus Erbrochenem an der Wasseroberfläche durch die Weltmeere treibst – und es lässt sich gut vorstellen, what an unsavory odor such a mass must exhale; worse than an Assyrian city in the plague, when the living are incompetent to bury the departed.

Apropos Moby-Dick: An dem Wal hast du Spuren hinterlassen. Rings ums Maul. Abdrücke deiner Saugnäpfe. Sie werden vernarben und nur die werden sie zu Gesicht bekommen, die Wale trotz der Verbote jagen und harpunieren, mit dem Kopf achtern und auf den Rücken drehen, aufschlitzen und abflensen, köpfen und abschöpfen. Geschichten werden sie sich ausdenken von einem Seeungeheuer. Die werden sich eine Weile halten und du wirst dabei immer böser werden – Seeungeheuer wachsen beim Erzählen –, doch schließlich werden sie nichts mehr mit dir zu tun haben. Und dann, spätestens dann, wirst du nur noch in jenem Erbrochenen sein, das mit der Zeit auslüften, im Salzwasser hart, im Sonnenlicht hell und schließlich an Land gespült werden wird.

***

Endlich durchbrach unser Kalmar den Rand des Schwarms. Im offenen Wasser hatte er eine Chance. Er beschleunigte und wandte sich gleichzeitig in Richtung Tiefe. Er wollte in Gegenden, in denen einem Wal der Druck zu groß werden würde. Da lenkte etwas seinen Blick ab. Ungefähr dort, wo er sich eben selbst noch befunden hatte, war in der flimmernden Krill-Wolke der Schatten einer Gestalt zu sehen. Im selben Augenblick lief eine Welle durch die Krill-Wolke. Der Schatten erzitterte und zeichnete sich dann noch deutlicher ab. Es war die gleiche Gestalt, die auch unser Kalmar abgab. Es war, als hätten wir einen Abdruck im Krill hinterlassen.

Unser Armer Arm scherte erneut aus, schwamm zurück und war noch nicht weit, da lief eine zweite Welle durch die Wolke. Diesmal erlosch das Blau und damit war auch der Schatten fort. Kurz herrschte Stille. Dann wurde ein Teil des Krills zur Seite gedrückt und der Rest von einer Wucht weggefegt, die kein Walbulle, auch kein Rudel, aufbringen konnte. Sie kam schnell, kannte aber kein Ende.

Auch jener Kalmar, den wir geschmeckt hatten, wurde fortgerissen. Ein Strudel aus Wasser und Krill erfasste seinen Leib. Seine Arme und Tentakel schossen in alle Richtungen und krachten in ein Innennetz. Um ihn flutschten die kleineren der Krebse einfach durch die Maschen, er aber wurde von den Krillmassen immer fester hineingedrückt. Er fühlte das Garn sich in seine Haut einschneiden. Dann schafften zwei seiner Arme, sich in dieselbe Masche zu zwängen, und während der Krill immer heftiger prasselte, spannten sie an.

Als das Garn riss, gab es Platz. Dann schlugen Tonnen aus Krill zu und fegten den Kalmar in Richtung des Steerts. Hier, am Ende des Schleppnetzes, wurde der Krill abgepumpt. Obwohl sich der Druck erhöhte, je näher er der Pumpe kam, gelang es einem Tentakel des Kalmars, sich bis zum Netzrand durchzugraben. Er fand eine Masche – da wurde einer seiner Arme in den Schlauch gesaugt und mit einem Ruck, der durchs ganze Netz zu laufen schien, wurde alles noch einmal dichter. Auf einmal ging nichts mehr, nicht mehr vor, nicht zurück, und dann begann es überall zu schmatzen und zu knirschen.

Unser Kalmar erreichte im gleichen Augenblick das Netzende. Ausgerechnet unser Bisschen-Schüchterner Arm wagte als Erster, den aus dem Netz ragenden Tentakel zu berühren. Der Blendende und der Halbe folgten. Und schmeckten eine Flut an Geschichten.

Wir anderen suchten das Netz ab, tasteten in alle Richtungen. Doch nirgends fanden wir eine Stelle, wo man unter das Garn gekommen wäre. Der Krill, der noch immer mehr wurde, drückte zu sehr von innen gegen das Netz und machte es zu einem riesigen, fugenlosen Sack. Als der sich dann zu heben begann, gaben wir auf und schlangen uns stattdessen um die Tentakelspitze. Saugnäpfe sogen sich aneinander fest, Krallen verhakten sich. Und dann stieß unser Kalmar mit seinem freien Tentakel in die Tiefe, so weit er kam, schwamm – und wurde doch nur in die Höhe gezogen.

Kalmare begegnen einander nur selten. Manchmal verbringen sie ihr ganzes Leben allein. Die Meere sind weit und die meisten werden von Walen gefressen, lange bevor sie groß genug wären, um sich auf die Suche nach einander zu machen. Für den gefangenen Kalmar war es das zweite Mal, dass er berührte und berührt wurde. Auf die gleiche Art unvertraut mit dem Geschmack von Lust, wie es unser Kalmar noch immer war, hatte er den alten Kalmar zunächst abzuwehren versucht. Mit beiden Tentakeln hielt er ihn auf Abstand. Und schmeckte dabei den Druck in dessen Lust und die Gier in seinem Alter und auch, dass er das nicht zum ersten Mal tat.

Eine Weile rangen sie. Dann rutschten ihre Tentakel aneinander ab. Der Alte riss ihn heran und schon schob sich ein Arm in seine Mundöffnung, rieb an seiner zahnbesetzten Zunge, schon tatschte ein anderer an seinen Bauch. Schon suchte ein dritter, aus dem bereits eine Spermakapsel hing, nach dem Sipho – und begann zu zittern, als er ihn gefunden hatte.*

Der Junge schaffte es gerade noch, die Öffnung einzuziehen und mit einem Schwall Wasser die Kapsel zum Platzen zu bringen. Während sie von einer Wolke aus Samen eingehüllt wurden und plötzlich das ganze Meer nach den Fantasien des Alten schmeckte, spürte der Junge, wie ein Arm schon wieder nach seinem Sipho stocherte. Auch wenn es in den Kiemen ätzte, sog er so viel des sämigen Wassers ein, wie nur in ihn passte, und richtete den Strahl diesmal auf das Auge des Alten – und zwar auf das für den Blick in die Tiefe – und spritzte mitten hinein, fein und hart.

Der Alte ließ los. Bevor der Junge aber davonschnellen konnte, musste er sich erst wieder vollsaugen, und dieser Augenblick genügte dem Alten. Alle zehn Glieder schnappten nach dem Jungen, erwischten einen seiner Tentakel – und dann spürte der Junge einen seltsamen Druck, dann einen spitzen, stechenden Schmerz und schließlich wallte eine Hitze von der Tentakelspitze hinauf und durch ihn hindurch.

Während er dann flüchtete, überließ der Alte sich dem Meer, der großen Mutter aller hier, trieb in Richtung der Südlichen Sandwichinseln, verlor dabei die Farbe, wurde weißer und weißer, als hätte er vor zu verblassen. Als er schließlich mit der Flut an Land der Morell-Inseln gespült wurde, war seine Haut wie die von gesprungenem Porzellan von feinen Rissen durchzogen. Über ihm strahlte ziegelsteinrot der Container des argentinischen Außenpostens, der einen Steinwurf weit entfernt im Schnee vor sich hin rostete. Seit Ende des Falklandkriegs bevölkerten nur noch Vögel und Krabben die Insel. Diese stürzten sich auf ihn. Und während sie hackten und pickten, immer mehr zu werden schienen und mit schrillen Lauten höhnten, schnappte der Alte nach dem Wasser, mit dem die Wellen ihn umspülten.

Inzwischen hatte das Netz eine Höhe erreicht, in die Licht drang. Vor Algen schimmerte das Wasser grün. Und mit jeder Armlänge wurde es wärmer und dickflüssiger.

Vielleicht war es eine Einbildung unseres Müden Arms, eine der Lügen, mit denen er die anderen Arme von Zeit zu Zeit in die Irre führte. Vielleicht war es wirklich ein Abschiedsgruß. Jedenfalls spürte der Müde, wie der aus dem Netz ragende Tentakel zudrückte und darum bat, ihn zu lassen. Er flüsterte etwas davon, wie er mit uns schwimmen würde. Wie gern er das mit uns wollte. Wie er mit uns an den tiefsten Punkt der Welt tauchen würde. Und ans Ende der Wasser. Sich allen zeigen. Wieder abtauchen. Er wollte sich mit uns in einem Korallenriff verkriechen und winzige Fische aufscheuchen. Sich mit uns verknoten. Uns umarmen.

Der Müde ließ los. Der Süße und der Halbe folgten. Dann lösten sich auch der Eingebildete, der Hehre und der Bisschen-Schüchterne. Als sich der Arme losmachte, gab auch der Blendende auf. Zuletzt hing nur noch der eine Tentakel unseres Kalmars an der...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2023
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antarktis • Club of Rome • Eis • jaws • Jules Verne • Kalmar • Krake • Krill • Moby-Dick • peter benchley • Schiff • Schriftsteller • Steven Spielberg • Tiefsee • Tintenfisch • Umwelt
ISBN-10 3-7117-5492-9 / 3711754929
ISBN-13 978-3-7117-5492-9 / 9783711754929
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