Kindheitsepisoden aus Absurdistan (eBook)
37 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7549-9400-9 (ISBN)
Susanne Beltz, Jahrgang 1937, gehörte zur Generation der Kriegskinder. Ihr Vater fiel, als sie fünf war, ihre Mutter verlor sie im Alter von zwölf. In ihren Kindheitsepisoden aus Absurdistan erzählt sie von ihrem Aufwachsen in der Nachkriegszeit. Ihre Biografie ist ein Zeugnis für diese Generation. Susanne Beltz verstarb im Herbst 2022.
Susanne Beltz, Jahrgang 1937, gehörte zur Generation der Kriegskinder. Ihr Vater fiel, als sie fünf war, ihre Mutter verlor sie im Alter von zwölf. In ihren Kindheitsepisoden aus Absurdistan erzählt sie von ihrem Aufwachsen in der Nachkriegszeit. Ihre Biografie ist ein Zeugnis für diese Generation. Susanne Beltz verstarb im Herbst 2022.
Gute Zusammenarbeit zwischen Mutti und Großvati
Man traut sich das beinahe gar nicht zu sagen, aber im Krieg ließ es sich für uns, meine Verwandten und mich, sehr gut leben. Dass in vielen Städten Menschen von Bomben gefährdet und Häuser zerstört worden waren, dass sahen wir fast nur in den Augen verängstigter Kinder, erfuhren es aus ihren gestammelten Worten. Es waren Kinder, die in die idyllische Gegend, wo wir schon eine ganze Weile sorglos lebten, in Sicherheit gebracht worden waren, viel später als wir, gerade noch rechtzeitig, um ihr Leben zu retten, aber zu spät, um sie vor furchtbaren Erfahrungen zu bewahren.
Für uns, die wir von dem Schrecken des Krieges weitgehend verschont geblieben waren, bedeutete Krieg eher Kriegsspiel.
Wir Kinder schwärmten oft aus in die Wiesen und riesigen Wälder unserer Umgebung, Klatschmohn und Stiefmütterchen auf Äckern und Wiesen leuchteten in den prächtigsten Farben und nickten uns freundlich zu. Im Wald dann lockten uns verführerisch schimmernde Früchte – und manchmal entdeckten wir daneben oder mittendrin ein Paket!
Bewaffnet mit selbstgebastelten Degen näherten wir uns einem solchen verdächtigen Gegenstand, stachen mit den Spitzen in das Paket, explodiert war nichts, trotzdem gehörte Mut dazu es zu öffnen. Wer traut sich? Eigentlich alle – gemeinsam – mit vorgeschobenen Armen – machten wir uns ans Werk. Wir hatten immer Glück.
Mal kam eine nützliche Sache zum Vorschein, mal wurden wir überrascht durch eine Puppe oder auch schon mal durch eine kleine Lokomotive. Komische Feinde, sie werfen aus Flugzeugen Bomben ab, um uns zu töten, dann wieder Spielzeug, um uns zu zeigen: „So übel sind wir gar nicht!"
Die Erwachsenen sagten, das wäre Taktik; sie wollten, dass wir aufgeben. Aber, so die Erwachsenen, die Feinde würden Augen machen, wenn wir erst unsere geheime Wunderwaffe einsetzten – dann wären wir die Sieger!
Etwas ganz besonderes entdecken wir einmal tief im Wald: Aus einer Höhle drang uns ein schwacher goldgrüner Schimmer entgegen. Als wir näher kamen, trafen wir auf einen Haufen Goldklumpen! Mutti und die Tante behaupteten zwar, dass wären Granatsplitter, die nur so glänzten wie Gold und eingesammelt worden wären, aber es gab auch Kenner von Edelmetall, die uns glaubten und das ein oder andere schön geformte Stück von uns erwarben gegen Sachen, die sie selbst gebastelt hatten.
Das Leben damals war abenteuerlich und spannend – bis auf das stundenlange Schlangestehen vor den Geschäften, in denen schon manchmal alle Regale leergefegt waren, wenn man endlich an der Reihe war. Da guckte man mit seinen Lebensmittelmarken ganz schön in die Röhre.
Am Rande des Städtchens befand sich ein großes Anwesen, das früher ein Pädagogium gewesen war. Meine Mutter und meine Tante hatten es geerbt. Im Krieg wurde es als Lazarett hergerichtet, um verwundete Soldaten dort zu behandeln. Es war allerdings so geräumig, dass wir – unsere zusammengewürfelte Großfamilie – auch noch genug Platz darin hatten.
Einige Soldaten redeten von ihren Erlebnissen an der Ostfront. Ich, eine vorlaute Göre, wollte auch etwas zu der Unterhaltung beitragen und sagte:
„Ich war auch an der Ostfront!"
"Du? Vielleicht als Kindersoldat?"
„Nein", rief ich „als Beitrag zur Ansiedelung eroberten Gebiets!"
„Ach nee, woher hast du denn einen so geschwollenen Satz?", sagte einer, und ein anderer warnte: „Sag sowas nicht, deine Ironie könnte dir als Feindpropaganda ausgelegt werden."
„Sei ehrlich! Du warst gar nicht in Feindesland?"
„Doch wirklich, ich habe aber nicht gegen Menschen gekämpft, sondern gegen Ratten, die nachts über mein Zelt liefen. Dann hat eine Partisanin, die als Hausmädchen verkleidet war, dem Bauleiter eine Bombe unters Zelt gelegt, der Mann war sofort tot. Plötzlich kriegten wir Angst vor falschem Haus- und Kindermädchen und sind sofort heim ins Reich."
„Das könnte dir übel ausgelegt werden. Feind hört mit!", warnte einer und ein anderer fragte:
„Ganz ohne Verletzung im Kampf für Führer und Vaterland?"
„Meine Mutter wurde in ihrer Redaktion durch das Fenster von einem riesigen Splitter aus Feindeshand getroffen, der Splitter hat ihr sehr weh getan und mich hat eine russische Ratte gebissen!“
„Da müsstet ihr beide ja eigentlich von Kopf bis Fuß stark bandagiert im Lazarettbett liegen!"
Alles lachte.
„Wo du als kleines Kind schon überall gewesen bist!"
„Ja“, antwortete ich, „ich war sogar schon sehr oft in einem anderen Land, das wir heim ins Reich geholt haben!"
„Ach sag bloß!"
„Ja, in Österreich, bei meiner Oma.“
„Warst du auch schon mal in Norddeutschland?“
„Doch, sehr oft bei meinen anderen Großeltern.“
Die wohnten damals in Norddeutschland.
Eigentlich waren die meisten Soldaten ganz nett. Für Liebesbriefe, die wir Kinder zwischen ihnen und den jungen Damen im Ort hin- und hertrugen, wurden wir mit Süßigkeiten belohnt. Die Soldaten waren es auch, die sich mit Edelmetall besonders gut auskannten und Höchstpreise in Schokoladenwährung für die schönsten Goldstücke zahlten, die wir unter Gefahr unseres Lebens aus der Höhle heraus geschmuggelt hatten.
Großvati war nicht sehr erfreut darüber, dass die Schulräume des Pädagogiums zweckentfremdet worden waren. Aber ein echter Lehrmeister, der er war, versprach zu helfen.
„In der Schule lernen die Kinder ja rein gar nichts, dauernd fällt Unterricht aus, was soll nur aus ihnen werden?", hatte Großvati geklagt.
Also funktionierte er unser Wohnzimmer zum Klassenraum um. Da keine Lehrkräfte aufzutreiben waren, unternahm er es als pensionierter Schuldirektor selbst die Unterrichtsgestaltung für diese privat Lehrvermittlung. Die Klasse bestand meistens aus gerade mal vier Schülern: Großvatis Enkel, also die drei Kinder der Tante und mir. Einige Kinder ehrgeiziger Eltern, sogenannte Gstschüler, verhalfen allerdings der Klasse manchmal zu etwas mehr Größe und Lebendigkeit.
Ihm bliebe ja gar nichts anderes übrig als einzuspringen, hatte Großvati sein Engagement begründet, aber man hatte ihm angesehen, dass er mit dieser Tätigkeit ganz in seinem Element war.
„So eine kleine Klasse ist ja furchtbar", klagte Lilli, meine Cousine, „in der echten Schule kann man sich ja wenigstens hinter seinem Vordermann verstecken. Hier aber schaut der Lehrer einem ja nicht nur mitten ins Gesicht, sondern auch hinter die Stirn. Außerdem kann ein Lehrer ja kein echter Großvater sein!"
So, als hätte Großvater gehört oder geahnt, dass Lilli sich über ihn beschwert hatte, brachte er eine besonders knifflige Frage ausgerechnet an sie.
Aber Lilli hatte etwas, worum ich sie glühend beneidete: Ein feines Gehör wie eine Fledermaus. Irgendwelche besonderen Sensoren oder so, das hatte sie. Sie rief laut „Fliegeralarm! Fliegeralarm!“, obwohl wir andern noch gar nichts hörten.
So unterstellte Großvati ihr, sich geschickt vor der Antwort der schulischen Frage drücken zu wollen – bei er dann selbst nach einer guten Weile die kriegerischen Geräusche hören konnte. Er staunte nur über diese besondere Fähigkeit Lillis, aber ihr Ablenkungsmanöver hatte nicht so richtig funktioniert.
„In unserem Städtchen fallen keine Bomben", sagte er streng, aber doch mit stoischer Ruhe, „hier gibt es nichts, das in irgendeiner Weise kriegswichtig wäre und zerbombt werden müsste. Also stör' bitte nicht den Unterricht.“
„Aber wir haben Angst! Außerdem ist es Pflicht, in den Luftschutzkeller zu gehen", riefen wir.
Widerwillig reagierte Großvati, das Wort „Pflicht“ schien ihn aber doch anzutreiben, und so machte er sich bereit zu dem höchst unwillkommenen Gang. Trotzdem beharrte er unerbittlich auf der Fortsetzung seiner Schulstunde und sagte:
„Na Lilli, dann kannst du mir deine Antwort aber trotzdem auf dem Weg zum Luftschutzkeller geben.“
Durch die zögerliche Haltung Großvatis war die Zeit ein wenig knapp geworden, und da ging's im Laufschritt zum Bunker, so dass Großvati Luftnot bekam und seine erzieherischen Tätigkeit unterbrechen musste. Am Ziel angekommen machte er seinem Ärger Luft:
„Es genügt doch nun wirklich, dass der Unterricht so oft in der Schule ausfällt, muss denn auch noch meine Lehrtätigkeit gestört werden?" Den Blick hatte er vorwurfsvoll an die Decke gerichtet, so als wollte er mit den Bomberpiloten ein ernstes Wörtchen reden, damit sie eine solche Belästigung gefälligst unterlassen sollten!
Schon bald kam ihm der Gedanke, den Piloten ein Schnippchen zu schlagen, indem er zum Trotz aller Widrigkeit einen Weg suchte, den Unterricht im Bunker fortführen zu können. Prüfend richteten sich Großvatis Blicke auf sämtliche Ecken und Nischen des Kellers, ob sich hier nicht eine geeignete Stelle fände, um Strafmaßnahmen für Lernunwillige durchzuführen.
In einer Ecke, der Wand zugekehrt, sollte der jeweilige Delinquent über seine Sünden nachdenken – ein Läuterungsprozess mit durchschlagender pädagogischer Wirkung, wie Großvati betonte.
Weinen und Schreien von kleinen Kindern, ängstliche Stimmen von alten Leuten und ein lautes Krachen von draußen, das sogar Großvati erschreckte, brachte ihn dann aber dazu, seinen Plan zu unterbrechen. So blieb „Eckestehen" dann dem provisorischen Klassenraum vorbehalten. Die Gastschüler waren verschont von solchen Strafmaßnahmen, aber auch ich hatte keine Ecksteherfahrung.
Es traf immer nur meine Cousinen und Cousins. Lilli weinte am meisten, wenn sie in die Ecke gestellt wurde. Es war nun aber auch wirklich...
| Erscheint lt. Verlag | 9.4.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| ISBN-10 | 3-7549-9400-X / 375499400X |
| ISBN-13 | 978-3-7549-9400-9 / 9783754994009 |
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