Carmilla (eBook)
136 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-9682-9 (ISBN)
Joseph Thomas Sheridan Le Fanu, geb. 28. August 1814 und gest. 10. Februar 1873 war ein irischer Schriftsteller und Herausgeber und gilt als einer der bekanntesten frühen Vertreter der klassischen Grusel- und Schauerliteratur.
I
Ein früher Schrecken
In der Steiermark bewohnten wir, auch wenn wir nicht zur Aristokratie gehören, eine Burg oder Schloss. In dieser Ecke der Welt kommt man auch mit einem kleinen Auskommen recht weit. Acht- oder neunhundert im Jahr bewirken hier wahre Wunder. Daheim wäre das wohl kaum genug, um als wohlhabend zu gelten. Mein Vater war Engländer und obwohl ich selbst England nie gesehen habe, trage ich doch einen englischen Namen. Hier also in dieser abgelegenen und primitiven Gegend, wo alles so wunderbar erschwinglich ist, konnte ich es mir einfach nicht vorstellen, wie mehr Geld unseren Komfort, unseren Luxus gar, noch irgendwie hätte erhöhen können.
Mein Vater hatte im österreichischen Dienst gestanden und konnte, als er aus dem Dienst schied, von der Prämie und seinem Erbe diese feudale Residenz und das Anwesen, auf dem sie liegt, für ein Schnäppchen erstehen.
Kein malerischerer noch einsamerer Ort, liegt er doch auf einer abgelegenen Anhöhe mitten im Wald. Ein alter, schmaler Weg führt von einer zu meiner Zeit nie geschlossenen Zugbrücke, vorbei an einem von Barschen bewohnten Burggraben. Auf dem ruhigen Gewässer zieht eine Schwanenfamilie zwischen den weißen Flottenverbänden aus Seerosen ihre stillen Bahnen.
Über all dem thront das Schloss und präsentiert seine mit vielen Fenstern verzierte Fassade, seine Türme und eine gotische Kapelle.
Vor dem Tor erstreckt sich zum Wald hin eine unregelmäßige aber sehr malerische Lichtung. Rechter Hand führt eine steile gotische Brücke über einen Bach, der sich im Schatten der Bäume durch den Wald schlängelt. Wie ich bereits erwähnte, ist dies ein sehr einsamer Ort, doch bitte urteilen Sie selbst. Vom Tor aus gesehen erstreckt sich der Wald, der das Schloss umschließt, fünfzehn Meilen nach rechts und zwölf Meilen nach links. Das nächste bewohnte Dorf befindet sich rund sieben ihrer englischen Meilen entfernt zur linken Seite. Das nächste bewohnte Schloss ist das geschichtsträchtige Schloss des alten Generals Spielsdorf, welches nahezu zwanzig Meilen zur Rechten liegt.
Ich sagte das nächste bewohnte Dorf, denn es gibt da noch nur drei Meilen westlich, also in Richtung des Schlosses von General Spielsdorf, ein verfallenes Dorf mit einer kleinen altertümlichen Kirche, deren Dach vor langer Zeit einstürzte. In ihrem Seitenschiff verwittern die Gräber der einst stolzen Familie von Karnstein. Die von Karnsteins, die heute ausgestorben sind, waren die Herren des nun ebenso in Ruinen liegenden Schlosses Karnstein, welches inmitten des Waldes über die schweigenden Überreste des Dorfes wacht.
Um die Ereignisse, die zu der Aufgabe dieses bemerkenswerten und melancholischen Ortes geführt haben, rankt sich eine Legende, welche ich Ihnen ein anderes Mal erzählen werde.
Nun ist es aber angebracht, dass ich Ihnen die Bewohner dieses Schlosses, meine kleine Familie vorstelle. Außen vor lasse ich die Bediensteten und deren Angehörigen, die in den zum Schloss gehörigen Quartieren leben.
Hören und staunen Sie! Da sind mein Vater, der wohl liebenswürdigste Mann der Welt, aber in fortgeschrittenem Alter; und ich. Zum Zeitpunkt der Ereignisse war ich erst neunzehn Jahre alt. Acht Jahre ist das nun her.
Unsere Familie bestand damals nur noch aus uns beiden. Meine Mutter, eine Dame aus der Steiermark, verstarb in meiner frühesten Kindheit und seitdem – ich kann sagen seit meiner Geburt – hatte ich eine warmherzige Gouvernante. Tatsächlich kann ich an keine Zeit zurückdenken, in der ihr rundliches, gütiges Gesicht nicht Teil meiner Erinnerung ist.
Ihr Name war Madame Perrodon, sie war eine gebürtige Bernerin, die mit ihrer Fürsorge und Güte mir zum Teil meine Mutter ersetzte, welche ich so früh verloren hatte, dass ich mich nicht einmal mehr an sie erinnern kann. Sie war also die Dritte an unserem Tisch. Es gab noch eine weitere Person, und das war Mademoiselle De Lafontaine, eine Dame, die man vielleicht als eine „Hauslehrerin für den letzten Schliff“ bezeichnen würden. Sie sprach Französisch und Deutsch, Madame Perrodon sprach Französisch und nur gebrochenes Englisch, mein Vater und ich sprachen im Alltag Englisch miteinander, teils damit wir die Sprache nicht verlernen, teils aus patriotischen Beweggründen. Die Konsequenz war ein Sprachwirrwarr Babels gleich, über das sich Besucher gewöhnlich amüsierten und auf welches ich in dieser Geschichte verzichten werde. Ab und an waren noch zwei oder drei Freundinnen ungefähr in meinem Alter zugegen, die gelegentlich für kürzer oder länger zu Besuch waren, und die ich im Gegenzug zu besuchen pflegte.
Dies also war mein reguläres soziales Umfeld; es gab natürlich noch gelegentliche Besuche von „Nachbarn“, die allerdings rund fünf oder sechs Stunden Fußmarschi entfernt lebten. Mein Leben war, ungeachtet dessen, ein recht einsames, das kann ich Ihnen versichern.
Ich war, so muss ich zugeben, ein recht verzogenes Mädchen. Meine Gouvernanten hatten nur gerade soviel Kontrolle über mich, wie es Damen ihres Standes eben möglich war, ein Kind, dessen einzig verbliebenes Elternteil ihr nahezu alles durchgehen ließ, zu kontrollieren.
Ein frühes Ereignis in meinem jungen Leben, welches mir einen solch furchtbaren Eindruck in meinem Gedächtnis brannte, dass die Erinnerung daran tatsächlich nie ganz ausgelöscht werden konnte, ist einer der frühesten Vorfälle in meiner Kindheit, dessen ich mir überhaupt bewusst bin. Einige mögen es als zu unbedeutend abtun, als dass es an dieser Stelle Erwähnung finden sollte. Doch Sie werden im weiteren Verlauf erkennen, warum ich davon berichte.
Mein Kinderzimmer, das ich für mich alleine hatte, war ein großer Raum im Obergeschoss des Schlosses direkt unter dem spitzen Eichendachstuhl. Ich war nicht mehr als sechs Jahre alt, als ich eines Nachts aufwachte und mich von meinem Bett aus im Zimmer umsah, aber weder Kammermädchen noch mein Kindermädchen ausmachen konnte. Ich glaubte allein zu sein. Nicht dass ich Angst gehabt hätte, gehörte ich doch zu den glücklichen Kindern, die bewusst in Unkenntnis von Geistergeschichten, Märchen und anderen Sagen dieser Art belassen wurden, da solche Geschichten uns Kinder dazu veranlassen, uns unter der Decke zu verstecken, wenn plötzlich eine Tür knirscht oder wenn auf der Wand nahe des Gesichts der Schatten eines Bettpfostens im Licht einer niederbrennenden Kerze tanzt. Vielmehr war ich verärgert und vielleicht beleidigt darüber, dass ich, so wie ich dachte, allein und verlassen war, und so begann ich zu wimmern, war sogar kurz davor in ein herzhaftes Geheul auszubrechen; als ich ganz zu meiner Überraschung ein ernstes, aber sehr hübsches Gesicht neben meinem Bett erblickte. Es sah mich an, das Gesicht einer jungen Dame, die neben dem Bett auf dem Boden kniend mit ihren Händen unter meine Bettdecke fuhr. Ich schaute sie mit einer Art erfreuten Staunen an und hörte auf zu weinen. Zärtlich streichelte sie mich mit ihren schlanken Händen, legte sich zu mir ins Bett und zog mich lächelnd an sich. Sogleich fühlte ich mich wohltuend besänftigt und schlief wieder ein. Doch das Gefühl, als stachen zwei Nadeln tief in meine Brust, ließ mich augenblicklich hochschrecken und laut aufschreien. Die Dame wich zurück und starrte mich mit ihren schönen, kühlen Augen an, glitt dann zu Boden und versteckte sich, wie es mir schien, unter meinem Bett.
Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirkliche Angst verspürte, und ich schrie mit aller Macht so laut ich nur konnte. Kindermädchen, Kammermädchen, Haushälterin, alle eilten herbei und machten Licht als sie meine Schilderung hörten, und versuchten so gut, wie sie es vermochten, mich zu beruhigen. Und obwohl ich noch ein Kind war, erkannte ich, wie ihre Gesichter erbleichten und einen seltsamen Ausdruck der Furcht annahmen, ich sah wie sie unter das Bett schauten und sich im Zimmer umblickten, dann unter die Tische spähten und die Schränke aufrissen; und ich hörte, wie die Haushälterin dem Kindermädchen ins Ohr flüsterte: „Legen Sie Ihre Hand hier in die Mulde im Bett; dort hat jemand gelegen, da bin ich mir sicher; der Platz ist noch warm.“
Ich erinnere mich, wie das Kammermädchen mich streichelte, während die drei meine Brust dort, wo ich gestochen worden war, untersuchten, und wie sie mir dann erklärten, dass es dort keine sichtbaren Anzeichen gäbe, dass mir etwas widerfahren sei. Die Haushälterin und die beiden anderen Bediensteten, die für die Stube zuständig waren, blieben die ganze Nacht bei mir; und von dieser Tag an bis ich ungefähr vierzehn Jahre alt war, wachte jede Nacht ein Dienstmädchen in meinem Kinderzimmer.
Für eine lange Zeit litt ich danach an Nervosität, so sehr dass ein Arzt hinzugezogen wurde. Er war ein blasser, älterer Herr. Gut kann ich mich noch an seine längliche, finstere Miene erinnern, an sein mit leichten Pockennarben übersätes Gesicht und an seine kastanienbraune Perücke. Für eine Weile kam er jeden zweiten Tag und verabreichte...
| Erscheint lt. Verlag | 6.4.2023 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | kaiserliches Österreich Steiermark • Klassischer Vampir Roman • Leidenschaft • Lesbisch • lesbisch bi sexuelle Beziehung • Mädchen • Steiermark • Vampir • Young Adult |
| ISBN-10 | 3-7578-9682-3 / 3757896823 |
| ISBN-13 | 978-3-7578-9682-9 / 9783757896829 |
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