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Wir fangen das Glück (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025
536 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27858-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir fangen das Glück - Juliane Michel
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Frankfurt 1946. Beim Fotografieren der Frankfurter Trümmer wird Helga von einem Kommissar gefragt, ob sie Polizeifotografin werden will. Unversehens gerät die junge Frau in eine abenteuerliche Mordermittlung, in der sie den verschwundenen Peter aus dem Odeon-Club wiedersieht - und seine jüdische Mutter, die den Holocaust überlebt hat. Aus dem Frauenheld ist ein ernster junger Mann geworden. Sie hilft Peter, seine Unschuld zu beweisen, und kommt ihm dabei immer näher. Als Helgas Freund Walther endlich aus der russischen Gefangenschaft zurückkehrt und einen neuen Jazzclub gründet, ist Helga hin- und her gerissen. Doch dann deckt sie ein Geheimnis auf, das alles verändert.

Bücher begleiten Juliane Michel schon ihr Leben lang. Sie wurde in Darmstadt geboren und studierte in Frankfurt am Main Bibliothekswissenschaften. Seit Jahren schreibt sie bereits erfolgreich Romane. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von Würzburg, ist aber in ihrem Herzen immer noch eine Hessin. Für die Geschichte von Fräulein Wünsche recherchierte sie akribisch über das Frankfurt der Nachkriegsjahre und sprach mit Menschen, deren Schicksal eng mit den amerikanischen Besatzern verbunden ist.

2 – Helga


Sobald Helga den Briefträger auf seinem quietschenden Rad in der Lindenstraße hörte, ließ sie alles stehen und liegen, ganz egal, ob sie Näharbeiten verrichtete, Minna beim Waschen half oder ihrem Vater bei der Organisation seiner Nachhilfe. So schnell es ging, flitzte sie nach draußen, um die Post in Empfang zu nehmen.

Seit Wochen wartete sie nicht nur sehnsüchtig auf ihre Studienplatzzusage, sondern vor allem auf einen Brief ihres Freundes Walter, der in russischer Kriegsgefangenschaft war. Hoffentlich ging es ihm gut. Wie sehr sie ihn vermisste!

Unkraut vergeht nicht, versuchte Elfie sie stets zu beruhigen, wenn Helga sich wieder zu viele Sorgen machte. Dabei war Walter ihr Bruder. Zu gerne hätte Helga genauso viel Zuversicht wie sie besessen. Sie wussten noch nicht einmal, wo er in Gefangenschaft war. Die Sowjetunion war riesig, und bislang hatte er nur eine kurze Karte an seine Familie schreiben können, auf der anstelle eines Absenders eine Nummer gestanden hatte.

Helga hatte gleich darauf einen sehnsuchtsvollen Brief verfasst und jede Nacht träumte sie von Walter, seinen humorvollen Augen und dem sanften Gefühl seiner Lippen auf ihrem Mund.

Nach einigen Wochen reichte ihr der Postbote zumindest einen Umschlag mit dem Stempel der Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Sofort klopfte ihr Herz wie wild. Schnell eilte sie in ihr Zimmer, schlitzte den Umschlag fein säuberlich mit dem Brieföffner auf und entfaltete das Schreiben:

… mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass …

Schon die ersten Worte reichten und Helga fühlte sich so elend wie schon lange nicht mehr. Laut schluchzend warf sie sich auf ihr Bett. Aus der Traum, geplatzt wie eine Seifenblase. Und sie hatte sich selbst schon in einer Richterrobe gesehen! So gute Noten, alles umsonst. Am liebsten hätte sie laut losgeschrien.

Auf einmal ging leise die Tür auf. Helga fuhr erschrocken herum, aber es war nur Elfie, die zum Mittagessen nach Hause gekommen war. Seit einem großen Streit mit ihrer Mutter lebte sie bei Helgas Familie.

»Du siehst so verheult aus, was ist denn, Helga?«, fragte sie, strich sich die braunen Haare hinters Ohr und setzte sich in ihrer grauen Arbeitshose und dem tannengrünen Pullover aufs Bett.

Anstelle einer Antwort reichte Helga Elfie den Brief.

Ein Blick genügte und Elfie nahm sie tröstend in den Arm. Helga musste schon wieder weinen. Es dauerte, bis sie sich beruhigt hatte.

»Ich verstehe das nicht.« Elfie sah sie nachdenklich mit ihren dunklen Augen an. »Liegt es daran, dass du nur ein Notabitur gemacht hast?«

»Deswegen wollte ich doch das vorgeschriebene Vorsemester besuchen. Hatte der Beamte auch so notiert.«

Der Gong erklang. So, wie Helga aussah, konnte sie unmöglich zum Essen erscheinen. Trotzig wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und kämmte sich die völlig außer Form geratenen blonden Haare.

»Aber dass deine Noten für den Studienplatz nicht gereicht haben sollen, ist schon merkwürdig, oder?«, meinte Elfie.

»Ich glaube nicht, dass es an den Noten lag. Sie bevorzugen Männer, garantiert.«

»Ehrlich?« Elfie sprang vom Bett auf. »Die spinnen ja wohl! Ändert sich denn gar nichts? Wir Mädchen haben auch unsere Chance verdient.«

Helga warf ungehalten die Bürste auf den Frisiertisch. »Bestimmt entscheiden noch die gleichen Männer. Es sind ja nicht alle entlassen worden.«

Gleich zu Beginn der amerikanischen Besatzung hatten sie alle Beamten, die in der Partei gewesen waren, entlassen. Manchmal wurden sie jedoch vereinzelt wieder eingestellt.

»Vielleicht sollten die mal in diese Vorträge zur Re-Education gehen«, versuchte ihre Freundin sie wie so oft mit einem Scherz aufzuheitern, aber Helga war nicht nach Witzen zumute.

Da erklang der Gong ein zweites Mal und sie gingen hinüber ins Wohnzimmer. Der Rest der Familie hatte sich bereits um den polierten Eichentisch versammelt. Neben Helga und ihren Eltern lebte seit ihrer Ausbombung auch Tante Alice, die Schwester ihrer Mutter, mit ihren beiden kleinen Töchtern sowie Helgas Großeltern bei ihnen.

Und natürlich Elfie. Aber ihren Eltern war jeder Gast willkommen, solange es kein Fremder war, den ihnen das Wohnungsamt zuwies.

Minna trug gerade die Suppe auf. Wie immer stand das herrliche Meissener-Porzellan auf dem Tisch, die Brokatvorhänge vor den Fenstern schimmerten, die alten Ölgemälde erzählten von der Familiengeschichte.

Auf den Tellern jedoch befand sich nur eine Sauerkrautsuppe. Trotzdem entstand sofort eine ungewohnte Stille. Normalerweise war es nie leise im Hause Sartorius, aber wenn es ums spärliche Essen ging, genoss jeder still die sämige Suppe und das harte Brot dazu.

Als alle aufgegessen hatten, fasste Helga sich ein Herz und erzählte den Eltern von der Absage der Universität.

»Das ist so ungerecht«, rief sie.

»Nimm es nicht so schwer, mein Kind.« Clara Sartorius, Helgas Mutter, legte ihre Serviette auf den Tisch.

Das war alles, was ihr dazu einfiel? Niemand bedauerte Helga oder teilte ihren Ärger.

Elfie brachte bereits die Suppenteller in die Küche und Helgas schlechtes Gewissen meldete sich. Schnell trug sie die leere Suppenschüssel hinaus. Es war ihr ein Rätsel, wie Minna es trotz der Lebensmittelknappheit schaffte, dass jeden Tag etwas Schmackhaftes auf dem Tisch stand, und sie unterstützte sie gerne.

In der Küche berührte Elfie Helga leicht am Arm. »Wie wäre es, wenn ich mal rumfrage, ob bei den Amerikanern Stellen frei sind?«

»Danke«, sagte Helga leise und ging mit ihr zur Garderobe, wo Elfie ihre Arbeitsjacke wieder überstreifte. Die Vorstellung, genauso wie ihre Freundin einen der raren Arbeitsplätze bei den Amerikanern zu ergattern, tröstete sie ein bisschen.

Elfie war Hilfsgärtnerin im benachbarten Palmengarten. Der große Park mit seinen Gewächshäusern voller seltener Pflanzen war von der Army besetzt worden und im dazugehörigen Gesellschaftshaus feierten die Soldaten im Palmgarden Red Cross Club. Das Beste war, dass es dort unglaublich viel und sehr gutes Essen gab, wenn auch nur für die Soldaten. Aber es wurde vieles weggeworfen und Elfie schmuggelte immer wieder halbe Brotlaibe raus. Oder sie stibitzte von dem Gemüse, das im Park für die Amerikaner angebaut wurde.

Helga war sich nicht sicher, ob sie das auch schaffen würde.

»Ich habe aber gar keine Ahnung von Gartenarbeit«, sagte sie.

»Keine Angst, das bringe ich dir bei.« Mit einer tröstenden Umarmung verabschiedete sich Elfie.

Wieder zurück im Wohnzimmer, in dem ein Paravent nur notdürftig die Habseligkeiten ihrer Tante und ihrer Cousinen verbarg, wischte Helga den Tisch ab. Im ehemaligen Esszimmer hatten ihre Großeltern sich gerade zu einem Mittagschläfchen unter ihre dicken Federbetten verkrochen. Im Haus war es kalt, sie heizten nur sehr sparsam, damit der Holzvorrat bis zum Frühling reichte.

Helgas Vater präsidierte bereits im gemütlichen Lehnstuhl und betrachtete kritisch seine Nichten Eva und Regine, die auf dem Perserteppich ein Puzzle legten. Helgas Mutter blätterte gemeinsam mit Tante Alice auf dem Sofa durch irgendeine alte Illustrierte.

Schnell brachte Helga den Lappen in die Küche und setzte sich zwischen Mutter und Tante Alice aufs Sofa.

»Bist du enttäuscht von mir?«, wandte sie sich an ihren Vater.

»Nein, und das solltest du auch nicht sein. Du hattest dir eben ein zu hohes Ziel gesetzt.«

»Vati, ich glaube, sie verweigern mir den Platz nur, weil ich eine Frau bin. Ich habe alle Papiere, ausgezeichnete Noten und die Gebühren hätten wir auch bezahlen können.«

Er nahm die randlose Brille ab und begann, sie gründlich mit seiner Seidenkrawatte zu putzen. Ein untrügliches Zeichen, dass er ausgiebig nachdachte.

»Wenn es zu viele Bewerber gibt, muss eben ausgewählt werden«, sagte er.

»Dann soll es nach Leistung gehen und nicht nach Geschlecht. Sonst ist es ungerecht.«

»Frauen erhalten erst dann einen Platz, wenn nicht genügend männliche Bewerber vorhanden sind.«

Helga richtete sich auf. »Wusstest du das?« Wieso hatte er sie dann bei ihren Studienplänen unterstützt?

»Vielleicht irre ich mich auch«, versuchte er, sich rauszureden. »Und wie das jetzt gehandhabt wird, entzieht sich meiner Kenntnis.« Er setzte seine Brille wieder auf.

»Aber ich dachte, dass sich jetzt alles ändert!«, rief Helga aufgebracht.

»Du musst das verstehen.« Helgas Mutter ließ die Illustrierte sinken. »Die Männer müssen für sich und ihre Familien so schnell wie möglich ein neues Leben aufbauen.«

»Ich will mir auch ein Leben aufbauen!«, erwiderte Helga.

»Du klingst sehr selbstsüchtig, Kind!«, mischte Tante Alice sich ein und zupfte ihre makellos weiße Bluse zurecht.

Selbstsüchtig. Der schlimmste Vorwurf, den Helga kannte. Aber war sie das wirklich?

»Ich will Rechtswissenschaften studieren, um neues Unrecht zu verhindern und die Demokratie mit aufzubauen. Was ist daran selbstsüchtig?«

»Es reicht doch, wenn du deine Kinder zu Demokraten erziehst«, versuchte Mutter, sie zu trösten.

Kinder? Wie kam sie denn darauf? Von Walter wusste Mutter noch gar nichts. Wollte sie sie etwa verheiraten? Bloß das nicht. »Ihr versteht mich nicht.«

»Das stimmt, Liebes.«

Wenn Helgas Mutter Liebes sagte, bedeutete das nichts Gutes. Helga hielt die Luft an in Erwartung dessen, was...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2025
Reihe/Serie Die Palmengarten-Saga
Die Palmengarten-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Amerikanische Besatzung • Deutsche Geschichte • eBooks • Ein Hauch von Amerika • Familienroman • Flucht • Frauenschicksal • Geschenk Freundin • Geschenk Mutter • Historische Romane • Jazz • Julia Kröhn • Kriegsheimkehrer • Nachkriegsdeutschland • Neuerscheinung • Neuerscheinungen 2024 • Petra Grill • Roman • Romane • Serien • Starke Frauen • Stay away from Gretchen • Susanne Abel • Swing • Swing Kids • Trümmerfrauen • Vierzigerjahre
ISBN-10 3-641-27858-9 / 3641278589
ISBN-13 978-3-641-27858-8 / 9783641278588
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