Homo herba (eBook)
260 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-9355-2 (ISBN)
Hermann Lühr, Jahrgang 1953, verheiratet, hat zwei Töchter und zwei Enkelsöhne. Wohnt in Schöningen, Niedersachsen. Er schreibt Romane, die von Ungewöhnlichem handeln, in einer spannenden Mischung aus Realität und Fiktion. Dieses Buch ist sein siebter Roman.
1
Die meisten Lenker der zweisitzigen Wasserscooter waren jüngere Männer in Lukas’ Alter, obwohl der weibliche Anteil schon bei einem Drittel lag. Nur Lukas und ein glatzköpfiger Athlet fuhren alleine, bei den anderen klammerte sich eine gleichaltrige Frau oder ein größeres Kind an den Steuernden.
Für Iris, die Freundin von Lukas, war das eine fürchterliche Vorstellung gewesen. Deshalb wollte sie in der Hotelanlage bleiben, um sich weiterhin am Pool zu sonnen und dabei die alkoholfreien Cocktails zu genießen. Genau das fand Lukas inzwischen zu langweilig, er brauchte unbedingt mal etwas Neues mit Action. Da war so ein schnittiges Wassermotorrad genau das Richtige, auf Spanisch hießen die 'moto de agua'.
Nach einer knappen Einweisung und Überprüfung der angelegten Schwimmwesten durch den bärtigen Verleiher tuckerten die zehn Fahrzeuge brav in einer Reihe aus dem Hafen. Doch sobald sie sich im freien Wasser befanden, gaben alle Gas und jagten johlend auseinander. Die Mehrheit fuhr nach rechts, wollte das Meer zwischen Teneriffa und La Gomera nach Walen und Delfinen absuchen oder einfach nur Spaß haben. Lukas und zwei Wasserscooter mit jeweils zwei Frauen fegten in südlicher Richtung übers Wasser, erfreuten sich am kühlenden Fahrtwind, der aufschäumenden Gischt und der berauschenden Geschwindigkeit. So musste wahre Freiheit sein.
Lukas hatte das Wassermotorrad für den ganzen Tag gemietet und wollte mindestens La Gomera umrunden, eventuell sogar noch etwas weiter fahren, falls der Akku es erlaubte. Er hatte drei große Flaschen Wasser, zwei belegte Baguettes und Sonnenschutz dabei, sein Handy steckte in der Brusttasche seines kurzärmeligen Hemdes, damit er es trotz Rettungsweste griffbereit hatte, um sofort auftauchende Wale oder Delfine zu fotografieren.
Natürlich fuhren die Wasserscooter auch nicht mehr mit Verbrennungsmotoren, sondern mit sehr leistungsstarken Elektromotoren. Mittlerweile konnten sich die heutigen Menschen gar nicht mehr vorstellen, dass man noch bis über die Hälfte des 21. Jahrhunderts das wertvolle Erdöl hauptsächlich zur Fortbewegung und Heizung verschwendet hatte. Als nostalgisches Überbleibsel der damaligen lauten und stinkenden Jet-Ski hatte man die etwa drei Meter hohe Wasserfontäne beibehalten, die sich bei Fahrt am Heck schräg aufrichtete und für eine bessere Sichtbarkeit der schnellen Flitzer sorgte.
Die Frauen drehten nun rasant ab, die auf den Soziussitzen winkten ihm zu. Lukas erwiderte ihren Gruß. Die wollten anscheinend zur Südspitze von Teneriffa. Er hielt weiter Kurs auf La Gomera und fühlte sich fabelhaft.
Schade, dass sich Iris so ein tolles Erlebnis entgehen ließ. Aber sie war leider vom Typ her eher bequem und furchtsam. Alles, was nur geringfügig in Richtung Sport oder gar Abenteuer tendierte, lehnte sie ab. Manchmal sah er sie in Gedanken als artige Ehefrau und treusorgende Mutter zweier niedlicher Kinder. Aber sich selber sah er nicht auf diesem visionären Familienfoto. Jedenfalls noch nicht. Dafür fühlte sich Lukas einfach noch zu jung, zu ungestüm und zu neugierig. Er wollte möglichst alles auf der Welt sehen und ausprobieren.
In einiger Entfernung sah er jetzt deutlich San Sebastian, den Hafen von La Gomera. Im letzten Jahrhundert verkehrten hier regelmäßig mehrere Fähren am Tag mit Los Cristianos auf Teneriffa und beförderten viele Touristen zwischen den beiden Inseln. Doch dann kamen die großen Wirtschaftskrisen nach den Pandemien und Klimaauswirkungen mit Millionen Flüchtlingen, die ihre verdorrte oder überschwemmte Heimat verlassen mussten. Mit La Gomera ging es steil bergab, wie mit unzähligen Urlaubsgebieten. Heute gab es nur noch auf Gran Canaria und Teneriffa nennenswerten Tourismus. La Gomera galt nur noch als Geheimtipp für einsame Wanderer, Zivilisationsflüchtlinge und Öko-Träumer.
Lukas hatte den südlichsten Punkt der Insel passiert, lenkte aber noch weiter geradeaus, weil er in einem großen Bogen um sie fahren wollte. Er angelte sich mit links eine Wasserflasche aus dem Fußraum, klemmte sie mit seinen Oberschenkeln fest, öffnete sie und trank ausgiebig. Die rechte Hand musste nämlich am Gaszug bleiben, da sonst der Motor aus Sicherheitsgründen sofort stoppte.
Er stellte die Flasche wieder ab und schaute sich um. Überall glitzerte das unendliche Meer, er konnte kein einziges Boot erkennen. Nur wenn er den Kopf nach rechts drehte, sah er noch die Insel. Das gab ihm das beruhigende Gefühl, doch nicht ganz allein auf hoher See zu sein. Lukas überprüfte den Ladezustand der Batterie und die Uhrzeit. Er würde bald nach rechts steuern und dann in Sichtweite von La Gomera bleiben.
Doch dazu kam es nicht. Nach ungefähr 100 Metern tauchte plötzlich rechts neben ihm eine gewaltige graue Masse auf, wie ein hingezauberter Felsen. Instinktiv riss Lukas den Lenker bis zum Anschlag nach links. Dadurch senkte sich der Bug ins Wasser, das Heck hob sich heraus, der Wasserscooter überschlug sich. Während Lukas durch die Luft flog, hörte er deutlich das zischende Ausatmen eines Wales. Kopfüber verschwand Lukas in den Wellen, es war überraschend kalt, er schwamm hektisch zurück an die Oberfläche.
„Scheiße!“, schrie er und versuchte sich zu orientieren. Das Fahrzeug dümpelter in einiger Entfernung kieloben, wobei sich das Heck tiefer abgesenkt hatte.
Lukas strampelte auf der Stelle und konnte sich so ein bisschen aus dem Wasser heben. Er hielt Ausschau nach dem Wal und geriet etwas in Panik. Aber er konnte keinen sehen oder hören.
Das war garantiert ein ungefährlicher Bartenwal, dachte er und entspannte sich dadurch. War er nicht ganz heiß auf eine Walsichtung gewesen?
Lukas kraulte zum gekenterten Wassermotorrad und hielt sich am Rumpf fest. Er verfluchte sein dämliches Übersteuern. Er musste sich beruhigen und einen kühlen Kopf bewahren. Er war schiffbrüchig, aber immerhin nicht verletzt. Er befand sich in der Nähe von La Gomera. Aber er hatte keine Vorräte mehr. Und...
Er griff sich schnell an die linke Brust. Natürlich. Und er hatte kein Handy mehr. Als nächstes fasste er an die rechte Gesäßtasche seiner Shorts. Das Portmonee war auch weg. Er hatte nichts mehr. Verdammter Mist!
Lukas zog sich etwas höher auf den schaukelnden Rumpf und sah sich um. Die Insel lag doch ganz schön weit weg. Das waren bestimmt drei Kilometer. Konnte er bis dahin schwimmen?
Aber sonst konnte er kein anderes Land ausmachen. Oder war da ganz hinten etwas? Er stemmte seinen Oberkörper hoch und reckte den Kopf. Er meinte, fast am Horizont eine verschwommene Erhebung zu erkennen. In der entgegengesetzten Richtung von La Gomera, aber viel weiter entfernt.
Das kann diese kleinste der Kanarischen Inseln sein, fiel ihm ein. Nur der Name nicht.
Oder war das nur eine optische Täuschung?
Beim längeren Hinschauen wurde ihm bewusst, dass er mit dem Wasserscooter ganz allmählich dorthin trieb. Es musste hier eine starke Strömung geben. Und ein schwaches Blubbern fiel ihm auf. Aber das war wohl ganz normal, dass einfließendes Wasser die Luft verdrängte.
Lukas überlegte, ob er diesen sicheren Halt hier aufgeben und nach Gomera schwimmen sollte. Würde er die Strecke schaffen? Und dann noch gegen diese Strömung? Wie lange würde das dauern? Er hielt sich zwar für sportlich und für einen guten Schwimmer, aber drei Kilometer gegen die Kraft des Meeres?
Sicherer wäre es auf jeden Fall auf diesem Rumpf. Hier konnten ihn auch die Rettungshubschrauber leicht entdecken, die aber womöglich erst morgen nach ihm suchen würden. Aber er hatte kein Trinkwasser. Das war bestimmt sein größtes Problem. Sofort verspürte er ein starkes Durstgefühl. Salzwasser durfte man jedenfalls niemals trinken, das war tödlich, wie er aus diversen Filmen wusste.
Allerdings entfernte er sich so kontinuierlich von La Gomera. Mit jeder Minute vergrößerte sich der Abstand, und das Hinschwimmen würde noch riskanter. Er musste sich jetzt sofort entscheiden.
Lukas stemmte sich erneut hoch und sah sich um. Bis vor kurzem hätte er den Anblick der Wellen im Sonnenlicht als schön empfunden, nun erschien er ihm nur trostlos und lebensfeindlich.
Aber hier war er eindeutig am besten aufgehoben und für eventuelle Retter viel sichtbarer. Er würde sich weiter in Richtung dieser unbekannten Insel treiben lassen, die ihm bei jeder Ansicht etwas deutlicher und näher vorkam.
Oder war das nur Einbildung und Wunschdenken?
Als Tatsache stellte er aber fest, dass sich das Heck erheblich mehr ins Wasser gesenkt hatte und die blubbernden Luftblasen nur noch selten vorkamen. Was immer das auch bedeuten mochte.
Lukas fühlte sich schlagartig erschöpft und hilflos, ihm war heiß, er hatte furchtbaren Durst und seine Augen brannten. Er hätte sich niemals vorstellen können, in so eine katastrophale Lage zu geraten.
Er döste vor sich hin, das leise Plätschern der Wellen schläferte ihn ein wie ein Wiegenlied, langsam senkten sich seine müden Lider. Alles wurde dunkel. Endlich war Nacht und die sengende Sonne weg.
Nach fast einer...
| Erscheint lt. Verlag | 27.1.2023 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| ISBN-10 | 3-7578-9355-7 / 3757893557 |
| ISBN-13 | 978-3-7578-9355-2 / 9783757893552 |
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