Die Ufer des Fiebers (eBook)
434 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-9308-8 (ISBN)
Dr. Markus Bruckner wurde 1952 in Frankfurt/Main geboren. Nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums der Humanmedizin in Mainz bildete er sich weiter zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Er war in dieser Funktion zehn Jahre lang an einer großen Frankfurter Klinik tätig. Danach eröffnete er eine eigene Frauenarztpraxis in Friedrichsdorf, die er dreißig Jahre lang führte. Im Ruhestand widmet er sich vermehrt dem Schreiben. "Die Ufer des Fiebers" ist sein drittes Buch (nach dem Roman: "Im Nadelöhr ein Kamel" und der Sammlung von Erzählungen: "Wenn es eng wird".), und als erster Teil einer Trilogie geplant. Dr. Markus Bruckner ist verwitwet und hat drei erwachsene Töchter. Er lebt seit mehr als vierzig Jahren in Bad Homburg/Taunus.
[1] Freitag, 17. Februar 1696
bei Familie MacIntyre in der Mitchell Street, Leith
„Wenn ihr die Kerzen auf dem Tisch anzündet, wird es auch gleich wärmer.“ Farlan MacIntyre glaubte stets an das, was er seiner Familie mitteilte. Er kniete nieder, schob einen Holzscheit in den Ofen, schloss die kleine eiserne Tür und erhob sich wieder.
„So jedenfalls kann es nicht weitergehen. Wenn es anhaltend so kalt bleibt, dass unsere Bucht auch nur teilweise zufriert, werden wir in kürzester Zeit nichts mehr zu essen haben. Ich bin jetzt schon so lange Fischer hier auf dem Firth of Forth, aber das habe ich noch nie erlebt. Unser Boot ist zu klein, als dass es Eis verdrängt.“ Der muskulöse und trotzdem schlanke Mann im Alter von Mitte vierzig fing wieder an, in der kleinen Stube auf und ab zu gehen. „Leider muss auch ich inzwischen einsehen, dass unser Boot zu klein ist, um uns alle durch den Winter zu bringen.“
Farlan kraulte sich mit der Rechten den nur an den Schläfen angegrauten, sonst noch dunklen Vollbart, hielt den Blick aber weiter vor sich auf den Fußboden gerichtet, als er zögerlich fortfuhr. „Ich habe mit eurer Mutter zusammen Folgendes beschlossen.“
Jetzt unterbrach er seine Rastlosigkeit. Er blieb vor einem der beiden jungen Männer stehen, die nebeneinander auf Hockern saßen. Beide lehnten mit dem Rücken an der Kante des Esstisches, die erwartungsvollen Gesichter dem Redner zugewandt. Der räusperte sich mehrmals, bevor er dem Sohn seiner verstorbenen Schwester endlich ins Gesicht blickte.
„Aiden, also, wie soll ich es dir sagen? Zuerst einmal sollst du wissen: Seit wir dich vor fünf Jahren nach Leith geholt haben, bist du uns wie ein eigener Sohn ans Herz gewachsen. Aber Riley“, jetzt deutete er auf Aidens rotblonden Sitznachbarn, „also, Riley ist nun mal zwei Jahre älter und daher auch schon länger Fischer als du.“ Er machte eine kurze Pause und wandte den Blick ab. „Ja, und so habe ich mich entschlossen, nur noch mit Riley fischen zu gehen.“
Sekundenschnell überkam Aiden wieder dieses Angst machende, ungute Gefühl. Das Gefühl, schon wieder von einer schlimmen, schicksalhaften Nachricht getroffen zu werden. Sein Oberkörper straffte sich. Er richtete sich im Sitzen auf.
„Ihr – schmeißt mich raus?“, fragte er mit trockener Kehle.
„Nein, nein, das nicht. Aber Ailis und ich haben beschlossen, dass du jetzt eigenes Geld verdienen musst.“ Wie um sich seiner Worte noch einmal zu vergewissern, schaute Farlan über die Köpfe der Jungs hinweg zu seiner Frau Ailis, die auf der anderen Seite des Tisches saß und ihm bestätigend zunickte.
„Die gute Nachricht dabei“, Farlan nahm jetzt sein Schreiten im Raum wieder auf, „also, die gute Nachricht ist die: Wir haben für dich in der Giant’s Trading Company schon einen Arbeitsplatz gefunden. Ailis hat vor zwei Wochen nach dem Sonntagsgottesdienst den edlen James Andrew Fleece angesprochen. Und, dem Himmel sei Dank – welch ein Zufall! – suchte der gerade nach einem Mann, den er zum Einschmelzen des Walfetts gebrauchen kann. Schon eine Woche später hat er uns verbindlich zugesagt.“ Farlan fuhr sich jetzt in einer Art Verlegenheitsgeste mit der rechten Hand durch sein volles Haar, als wolle er es nach hinten kämmen. „Äh, außerdem glauben wir, dass du mit fast neunzehn Jahren auch schon lange genug zur Schule gegangen bist.“
„Oh Scheiße, Bruder!“ Farlans Sohn Riley klopfte dem neben ihm sitzenden Aiden grob auf die Schulter. „Da ist für unseren Kleinen mit dem Faulenzen auf der Schulbank endlich Schluss, was?“ Er lachte provozierend. „Ein bisschen mehr Arbeit schadet dir aber sicher nicht, Mann!“
Die Worte seines Cousins überhörte Aiden absichtlich. Doch über Farlans Entscheidung musste er erst einmal nachdenken. Schon einige Male in seinem noch jungen Leben hatte er wirklich schlechte Nachrichten verdauen müssen und dabei die Erfahrung gemacht, dass selbst durch lautestes Schreien eine böse Wahrheit sich nicht zum Guten wandte.
„Ach, Aiden, bevor ich es vergesse: Mr. Fleece erwartet dich schon am kommenden Montag. Und da wir keine Fische gefangen haben, musst du auch keine austragen.“
Damit schien für Farlan die Ansage an Aiden erledigt, denn er wandte sich ab und bemerkte zu seiner Frau: „Ich wusste es. Aiden ist vernünftig. Der sieht die Notwendigkeit unserer Entscheidung ein.“ Er schien zufrieden, dass sich aus seiner kurzen Rede keine unangenehme Diskussion entwickelt hatte. Mit Riley an Aidens Stelle wäre das Gespräch anders verlaufen.
Sein Gesicht hinter dem dichten Vollbart entspannte sich. Er fuhr sich erneut mit der Hand durch das dunkle Haar, ließ sie aber für mehrere Sekunden auf der Mitte des Kopfes ruhen, und fragte dann in veränderter Tonlage nach: „Eigentlich hätte ich schon wieder Hunger. Wie lange braucht die Suppe noch, Ailis?“
„Die müsste schon fertig sein. Ich habe die Fischgräten der letzten zwei Tage nochmals aufgekocht. Und heute bekommt ihr die letzten Brotstücke dazu. Also, Männer: Esst sie mit Bedacht!“
Wenige Minuten später saßen alle am Tisch und löffelten die säuerlich riechende Fischsuppe, wobei Aiden in der Magengrube spürte, dass ihn, der er aus den Highlands kam, schon allein der säuerlich-gärende Geruch sättigte. Der Unterschied der Suppe zu reinem Wasser bestand eigentlich nur darin, dass Wasser deutlich besser schmeckte. So etwas wäre ihm in Glenkindie nicht vorgesetzt worden. Ein Anflug von Heimweh überkam ihn. Aber er ließ sich nichts anmerken. Er dachte immer noch nach.
„Die Engländer suchen noch Söldner für ihre Armee und sollen auch sehr gut bezahlen.“
Ailis hatte nicht damit gerechnet, mit ihrer Aussage Aiden dermaßen zu provozieren, auch wenn sie es sich hätte denken können. Beim Thema Engländer verstand Aiden keinen Spaß.
„Vorher hacke ich mir den Arm ab! Diese verdammten Engländer!“, knurrte Ailis’ Neffe, obwohl er noch den Mund voll hatte. „Wenn ich bei denen anheuern würde, wäre das wie eine zweite Ermordung meines Vaters!“ Es gab wenige Themen, bei denen Aiden so emotional reagierte wie beim Thema England. Den Hass auf die Engländer war er schließlich seinem Vater schuldig, der vor sieben Jahren bei der Schlacht in Killiecrankie gefallen war. „Wir als Schotten und das Heer der Jakobiten haben trotz unseres Sieges in Killiecrankie bis heute den Thron nicht zurückgewinnen können. Ich werde nicht eher Ruhe geben, bis …“ Er unterbrach sich bei diesem Satz, den er schon so oft nicht hatte zu Ende denken können. Er vermochte einfach nicht präzise zu sagen, was seinen Hass auf die Engländer besänftigen könnte.
„Sonst wäre Vater völlig umsonst gestorben.“
„Entschuldige bitte, Aiden. Ich wollte nicht alte Wunden aufreißen, aber es gibt tatsächlich viele Männer, die dieses Angebot der Engländer im Moment annehmen. Die sagen sich, dass der Dienst in deren Armee immer noch besser ist, als zu Hause zu verhungern.“
„Ich würde eher verhungern!“ Aiden zeigte sich unversöhnlich. Instinktiv griff er nach seinem Talisman, den er seit dem Tod des Vaters an einem Lederband um den Hals trug. Seine Mutter hatte diesen blauen Stofffetzen mit dem messingfarbenen Uniformknopf von der Jacke, in der sein Vater auf dem Feld bei Killiecrankie verblutet war, an ein Lederband genäht.
Ja, der Tod war Aiden schon zwei Mal hart und gnadenlos begegnet. Er erinnerte sich unwillkürlich an seine Mutter Kendra, die er im Alter von vierzehn Jahren ein letztes Mal und viel zu kurz an ihrem Sterbebett hatte besuchen dürfen. An dem Bett, das eigentlich als fröhliches Wochenbett gedacht gewesen war. Aiden sah das Zimmer wieder vor sich. Sah seine Mutter, die so stark schwitzte, wie er es danach nie mehr bei einem anderen Menschen erleben sollte. Ihr langes dunkelbraunes Haar sah schwarz, schwer und nass aus. Es klebte ihr auf Kopf und Hals. Seine Mutter schien zu glühen, von innen heraus zu verbrennen. Obwohl ihre weit aufgerissenen Augen in den dunklen Höhlen nicht mehr braun, sondern inzwischen zu Schwarz verdunkelt waren, hatten sie noch einmal geleuchtet und das Lächeln, zu dem sie bei seinem Anblick noch fähig war, unvergesslich gemacht.
Und dann war da noch dieser Geruch. Das ganze Zimmer war voll davon gewesen, aber je näher er seiner Mutter gekommen war, desto stärker war diese Ausdünstung geworden. Die wabernde Schicht lag wie ein Raubtier über dem Bett der Mutter, ihr sterbendes Opfer schon am Nacken gepackt. Es roch süß – und doch gleichzeitig metallisch herb. Seit diesem Moment war für Aiden dieser süßsaure Geruch, die tödliche Mixtur aus Eiter und Blut, die er sogar schmecken konnte, gleichbedeutend mit der Pestilenz des Todes.
Vom Kindsbettfieber bis zur offenen Tuberkulose – es war immer wieder diese tödliche Mischung aus Wundsäften und Blut. Auch wenn Aiden das als Kind nicht wissen konnte, war ihm schon...
| Erscheint lt. Verlag | 20.1.2023 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Historischer Roman (geplante Trilogie) 1. Band |
| Historischer Roman (geplante Trilogie) 1. Band | Schottland-Trilogie |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | 17. Jahrhundert Schottland Roman • Abenteuerliche Koloniegründung in Panama • Heimatflucht und Neuanfang • Historische Fiktion mit Liebesbezug • Historischer Roman • Historischer Roman Darién‑Projekt • Junge Liebe im Kolonialabenteuer • Koloniales Abenteuer • Koloniales Abenteuer Roman • Kolonialgründung Panama 1698 • Kolonialkrise historischer Roman • Krieg und Kolonisierung • Liebe in Notzeiten • mutige Frauen • Mutige Frauen Roman Schottland • Panama‑Kolonie Abenteuerroman • Schicksalsgemeinschaft im Kolonialalltag • Schottische Siedler Darién‑Projekt • Schottland England Krieg Roman • Schottland im Mittelalter • Schottland Saga • Siedlergemeinschaft historisch • Starke Frauen im 17. Jahrhundert |
| ISBN-10 | 3-7578-9308-5 / 3757893085 |
| ISBN-13 | 978-3-7578-9308-8 / 9783757893088 |
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