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Die hundert grünen Tage des Docktor Unikum (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
245 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
9783754989210 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die hundert grünen Tage des Docktor Unikum -  Harald Hartmann
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Sind Cannabispflanzen intelligente oder dumme Lebewesen? Lassen sie sich täuschen vom Schein einer Lampe in einem Schrank und glauben, es sei die Sonne, die sie wachsen lässt? Um diese Frage geht es in dem hunderttägigen, unwissenschaftlichen und übrigens vollständig privat finanzierten Forschungsprojekt mit der Nummer 1234567890 eines ominösen Docktor Unikum. Es ist eine ernsthafte Frage, die auch ernsthaft behandelt wird in den beiden Tagebüchern, die der Zugreisende zurück gelassen in seinem Abteil findet. Er liest und erfährt, dass die Täuschung tatsächlich gelingt. Doch heißt das nun, dass Cannabispflanzen keine intelligenten Lebewesen sind, weil sie sich täuschen lassen? Oder bedeutet es gerade das Gegenteil, weil sie die Täuschung auf ihre Art freundlich parieren, und sie so in etwas Echtes verwandeln? Indem er die Tagebücher am Ende seiner Fahrt im Abteil zurück lässt, übergibt er diese Fragen an den nächsten Neugierigen, der sich von den Aufzeichnungen anlocken lässt wie ein Insekt von der Farbe und dem Duft einer Blüte. Obwohl die Tagebücher weiter reisen, bleiben sie doch anwesend in ihm als ein Keim, der der Anfang eines eigenen großen Projekts werden könnte. Die Frage lautet: Sind Menschen verglichen mit Pflanzen eigentlich intelligente oder dumme Lebewesen?

Seit mehr als fünfzehn Jahren schreibt Harald Hartmann Kurzgeschichten und Romane. Vorher schrieb er hauptsächlich Theaterstücke, die er auch selbst oder zusammen mit anderen aufführte. In der Wahl seiner Themen und Genres macht er keine Einschränkungen. Was zählt, ist die Begeisterung für eine Idee. Er lebt und arbeitet in Köln.

Seit mehr als fünfzehn Jahren schreibt Harald Hartmann Kurzgeschichten und Romane. Vorher schrieb er hauptsächlich Theaterstücke, die er auch selbst oder zusammen mit anderen aufführte. In der Wahl seiner Themen und Genres macht er keine Einschränkungen. Was zählt, ist die Begeisterung für eine Idee. Er lebt und arbeitet in Köln.

Die Praxis beginnt



Es ist ein grauer Tag. Ich nenne ihn TAG 1, und es ist vormittags.

Mir geht ein alter Fußballerspruch durch den Kopf: Entscheidend is auf´n Platz.

Vor vier Tagen habe ich vier Samen in die Erde der vier Töpfe gesteckt. Ich öffne die Tür und sehe, dass die ersten beiden Pflänzchen durch die Erdoberfläche aus dem Dunklen ins Helle gestoßen sind. Ein spontanes Glücksgefühl durchläuft mich. Ich weiß, dass ab jetzt jeder Tag eine Veränderung bringen wird. Jeden Tag werde ich ein neues Bild sehen, jeden Tag eine andere Perspektive präsentiert bekommen. Mir wird klar, dass alle Vorgänge der Entfaltung, vom kleinen Samenkorn bis zur erntereifen Pflanze, was ein ganzes Leben bedeutet, in einem atemberaubenden Tempo vor meinen Augen ablaufen werden, nur das sie nicht dazu in der Lage sind, es wahrzunehmen. Wenn ich mir vorstelle, dass der ganze Lebenszyklus der Pflanzen etwa hundert Tage dauert, und ich ihn vergleiche mit dem durchschnittlichen Lebenszyklus eines Menschen, der etwa dreißigtausend Tage dauert, dann wäre ein Pflanzentag wie dreihundert Menschentage, also fast ein Jahr. Um das beobachten zu können und zu wissen in welcher Lebensphase meine Pflanzen gerade sind, bräuchte ich Zeitrafferaugen, sogar Superzeitrafferaugen, damit ich die Geschwindigkeit der rasenden Pflanzen überhaupt erfassen könnte in ihrem pfeilschnellen Flug jenseits der Schallmauer meiner Wahrnehmungsfähigkeit. Aber weil ich nur normale Menschenaugen habe, muss ich mich mit dem begnügen, was sie mir mitteilen. Das heißt, dass ich nur in zeitlich weit voneinander liegenden Stufen, sagen wir von einem Tag zum anderen, Veränderungen wahrnehmen kann durch den Vergleich verschiedener Momentaufnahmen. Alles dazwischen sich Abspielende kann ich mir nur durch einen Traumvorgang vorstellen, nur durch einen Akt meiner Phantasie. Welchen Tagesablauf diese Pflanzen haben, und wie sie ihren Tag erleben vom Morgen bis in die Nacht und auch ihren dann folgenden Schlaf mit ihren Träumen. Es sind reale Dimensionen außerhalb meiner Realität. Doch stört es mich nicht im Geringsten, vielmehr spüre ich ein angenehmes Gefühl von Optimismus bei diesen Gedanken. Es scheint mir, dass die Chancen gut stehen, dass ich im Laufe des Projekts Verbesserungen meiner Wahrnehmung auf dem Gebiet extrem hoher Geschwindigkeiten erzielen werde. Ich nehme mir vor, darauf zu achten, und es zu bemerken, falls es dazu kommt.

Es ist immer noch TAG 1, und ich hoffe, dass die anderen beiden Samen auch noch heute oder vielleicht morgen keimen und durch die Erde nach oben ins Sonnenlicht treten. Die Erfahrung, Pflanzen ins Leben kommen und wachsen zu sehen, wie ich es nun begonnen habe, ist in dieser Form etwas ganz Neues für mich, weil ich selbst so hautnah an diesem Prozess beteiligt bin, wie niemals vorher. Ich sehe mich dadurch nicht nur in der Situation der Notwendigkeit, sondern auch der Lust, zu diesen Wesen eine Kommunikation aufbauen zu wollen, zum ersten Mal eine ernsthafte und gleichberechtigte, um sie und ihre Wünsche zu verstehen, und sie gut versorgen zu können. Ich ahne, dass es ein täglich stattfindender, manchmal sicher anstrengender und gleichzeitig aufregender Vorgang sein wird. Ein Analphabet lernt lesen und ein Barbar lernt die Sprache eines fremden Lebewesens sprechen. Ich finde, dass das ein würdiges Menschenwerk ist, das zum Frieden in der Welt beiträgt.


Heute ist ein neuer Tag. Es ist TAG 2. Es ist vormittags.

Natürlich bin ich neugierig, in den Schrank zu sehen, weil ich wissen will, was mich erwartet. In der Hand halte ich meine Blumenspritze, die ich fürsorglich, aber auch erschreckend pedantisch mit leicht angewärmten Wasser (20 Grad) gefüllt habe. Ich knie mich vor den Schrank, entriegele die Tür und schwinge sie ganz auf. Was ich sehe, entlockt meiner Kehle ein sehr zufriedenes Grunzen. Die beiden Keimlinge, die gestern zum ersten Mal die Köpfe rausgestreckt haben, sind größer geworden, haben sich aufgerichtet, sehen gesund und kräftig aus, ja sogar stabil würde ich sagen. Bei den anderen beiden Töpfen kann ich noch nichts erkennen, aber bei einem versuche ich mir einzureden, ich sähe doch was. Vielleicht, denke ich, kann ich ja Unsichtbares sehen oder zumindest ahnungsvoll wittern. Vielleicht siegt hier aber auch die Kraft meiner Phantasie über die andere Kraft, die Realität genannt wird. Ich mache mir Sorgen, ob ich die beiden Samen zu tief in die Erde gesteckt habe und zu alledem auch noch falsch herum, oder ob sie vielleicht auch zu alt sind, um gut keimen zu können, oder ob ich sie vielleicht auch zu warm aufbewahrt habe. Welche Gedanken ich mir auch mache, es hilft nichts. Ich muss einfach noch warten, möglicherweise noch Tage, bis ich etwas Genaues weiß und das Spekulieren sein lassen kann. Bis dahin aber will ich gerne spekulieren, was das Zeug hält. Denn Spekulieren ist eine schöne Beschäftigung, eine Dehnübung für mein Universum, damit es sich weiter ausbreiten kann. So gesehen, hat es tatsächlich so etwas wie einen muskulären Charakter.

Was ich daneben aber ebenso brauche, ist Geduld. Das merke ich gerade. Doch bin ich mir unsicher über ihre Rolle. Ist sie ein Freund und Partner der Phantasie, und sie bilden ein Team zur Verschönerung des Lebens, oder ist sie eher ihr Gegenspieler? Ob so oder so oder mal so, mal so, ich schließe die Schranktür, drehe den Schlüssel im Schloss herum, lasse die Antwort auf diese Frage offen. Ich denke, sie hat keine Eile. Sie hat nur Praxis, und ich werde sie im Verlauf meines Projekts mal so, mal so beantworten. „Ach so!“ (Stimme aus meinem Off)

Ein bisschen mühsam stehe ich langsam wie ein altes Kamel wieder auf. Meine Knie schmerzen, sind steif geworden. Ich vertrete mir die Beine, laufe im Zimmer auf und ab, bin voller Gedanken um mein Projekt, die aber alle schemenhaft und unscharf sind, die ich nicht fassen kann, die, wenn ich sie genauer betrachten will, verschwinden, sich auflösen in Konturlosigkeit. Ich akzeptiere, dass ich noch zu unruhig bin, um eine klare Orientierung zu meinem Tun zu haben. Ich bleibe stehen, um bewegungslos zu werden. Schnitt! Neues Bild!

Eine Idee fliegt mir zu Hilfe, damit sich meine Bewegungslosigkeit auflöst in Bewegung. Jetzt ist die richtige Zeit für einen Tee. Ich bewege mich und gieße mir eine große Kanne Darjeeling auf. Damit er nicht so schnell kalt wird, umwickele ich die Kanne kunstvoll mit der Kapuze meiner alten Daunenjacke. Methode Docktor Unikum. Ich setze mich an meinem Schreibtisch, gieße mir eine Tasse ein, vergesse dabei ganz mein Projekt, schaue durch das Fenster in den Garten, erlebe das Hüpfen, Fliegen, Springen der Vögel und ihre Rufe, und irgendwann bemerke ich zurückkehrende Erinnerungen an lange Vergessenes. Und dazu gesellt sich noch etwas anderes, das meine Erinnerungen untermalt. Ich unterscheide von den Gartengeräuschen ein Zivilisationsgeräusch, einen immergleichen, fast unhörbaren Klangteppich. Denn meine Ohren sind gerade wohl sehr scharf eingestellt und informieren mich darüber, dass dieses Geräusch aus meinem Schrank kommt, hier seine Quelle hat und sich von dort sehr zart über seine Umgebung ergießt. Das können nur die Ventilatoren sein. Flüsterleise und diskret tun sie ihr Werk, was ich als sehr angenehm und rücksichtsvoll empfinde, und sorgen so für den ständigen Luftaustausch. Ich trinke einen kleinen Schluck aus der Tasse, halte sie mit beiden Händen dicht an den Mund, nippe mehr, als ich trinke, nippe und nippe, sie vor und zurück wippend, bis sie leer ist.

Mal sehen, wie es heute Abend aussieht, denke ich und verabschiede mich bis dahin von ihnen.


Es ist jetzt heute Abend, 22.00 Uhr, immer noch TAG 2. Ich bin noch ein aufgeregter, besorgter Gärtner, weil ich keine Erfahrung mit dieser modernen Form der Pflanzenaufzucht habe. Ich weiß nicht genau, was ich erwarten kann, und was ich tatsächlich erleben werde. Um Sicherheit für mein Tun zu gewinnen, halte ich mich deshalb an messbare Dinge, die ich erheben, aufschreiben und bewerten kann. Nur sie können meine sonst hauptsächlich gefühlsbasierten Meinungen ausbalancieren. Zahlen bringen die Farbe der Vernunft in mein Meinungsbild.

Ich kontrolliere Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Schrank, schreibe die Werte in mein Dokumentationsheft und vergleiche sie mit denen, die mir meine Pflanzanleitung als optimal angibt. Die Temperatur ist mit 25,9 Grad gut, aber die Luftfeuchtigkeit viel zu niedrig. Sie sollte in dieser Phase deutlich höher liegen. Jetzt muss ich kreativ werden, um den Pflanzen eine feuchtere Umgebung zu verschaffen. Plötzlich stehe ich vor einer Herausforderung, von der ich nichts ahnte vorher, und sie lacht mich an. Ich denke und denke und denke, mal hin und mal her. Der Schrank, so gut und wunderbar er auch ist, bietet den Pflanzen vielleicht nicht in jeder Phase die perfekten Bedingungen. So ist auch meine Eigeninitiative gefordert, was ich mir nach einigem Überlegen sogar ganz leicht schönreden kann. Denn wäre meine Initiative nicht gefragt, würde ich mich als Akteur in diesem Vorgang vielleicht schnell zum Statisten degradiert sehen und zu langweilen beginnen, da mir nichts übrig bliebe als Arbeiten zu erledigen, die im Grunde auch eine phantasielose Maschine erledigen könnte. So aber bin ich nicht ein nur auf höhere Weisung etwas ausführender Hilfsarbeiter. Ich bin vielmehr ein wichtiger Gestalter. Ich bin in diesem Spiel derjenige, der die kleinen Unvollkommenheiten des Schranks während des hunderttägigen Projekts wahrnehmen und die Lücke zwischen Perfektion und Nicht-Perfektion mit Hilfe seiner Ideen und Vorstellungen möglichst gut füllen soll. Das hört sich nicht nur an wie eine schöne Aufgabe, sondern auch wie eine anspruchsvolle. Docktor Unikum, übernehmen Sie!

...

Erscheint lt. Verlag 29.1.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Cannabis • Erfahrungsbericht • Growbox • Indoor-Anbau • Kommunikation • Kunstprojekt • Legalisierung • Mensch • Pflanze • Tagebuch
ISBN-13 9783754989210 / 9783754989210
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