Peter Huber fährt nach Wien (eBook)
360 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7549-8907-4 (ISBN)
Jahrgang 1947 Sprachtrainer, Gestalt-Pädagoge, NLP-Practitioner, Hypnosetherapeut
Jahrgang 1947 Sprachtrainer, Gestalt-Pädagoge, NLP-Practitioner, Hypnosetherapeut
Sein Kopf tat ihm weh. Immer, wenn er so vieles bedenken musste, tat ihm sein Kopf weh. Er erinnerte sich nicht, wann er diese Kopfschmerzen zum ersten Mal gehabt hatte. Einmal hatte er seiner Mutter davon erzählt. Sie hatte ihm eine kleine weiße Tablette gegeben, aber die Schmerzen waren nicht vergangen. Er hatte die Tablette nicht gut schlucken können, obwohl er viel Wasser getrunken hatte, bis sie die Speiseröhre hinunter fand. Hinterher hatte er sich einige Stunden sehr schlecht gefühlt. Er hatte es seiner Mutter nie wieder gesagt, wenn er Kopfschmerzen hatte, weil er fürchtete, wieder so eine Tablette schlucken zu müssen.
Es gelang Curd trotz der Kopfschmerzen auf den Stuhl zu klettern, der ein wenig mitsamt den Pantoffeln hin- und herrutschte, aber ohne in die Gefahr des Kippens zu geraten. Er richtete sich auf. Es war ganz leicht, wenn er sich an der Stuhllehne festhielt, die sich im rechten Winkel zum Regal befand. Als er sich den Büchern zuwandte, hatte er das Buch genau vor seiner Nase.
Dr. Med. Jenny Springer las er. Die Ärztin im Hause – Ein Buch der Aufklärung und Belehrung für gesunde und Kranke über die wichtigsten Fragen der Gesundheitslehre und Heilkunde. Er packte das Buch mit beiden Händen und zog es zwischen den anderen Büchern hervor. Es lag schwer in seinen Händen. Mit Mühe klemmte er es unter seinen linken Arm und hielt sich mit der rechten Hand an der Stuhllehne fest, als er auf den Tisch herunterstieg. Dann setzte er sich an den Rand des Tisches, ließ die Beine baumeln und legte das Buch auf seinen Schoß. Auf dem beige-braunen Einband sah er eine Szene am Bett eines kranken Kindes, wohl eines Mädchens mit langem rot-blondem Haar, von ihm ausgesehen links davon eine Frau mit einer Art Dutt hinten am Kopf, die sehr besorgt schaute, und rechts ein kleineres Kind, dessen Geschlecht er nicht erkennen konnte, mit merkwürdiger Frisur in einem eigenartigen Kleidungsstück, wie er es noch nie gesehen hatte.
Er betrachtete das Bild lange. Er wünschte sich, dass er in einem solchen Krankenbett läge, und dass um ihn herum auch Menschen standen, die sich um ihn sorgten. Er vertrieb diesen Gedanken, öffnete den Buchdeckel und blätterte. Er sah Zeichnungen und farbige Tafeln, teilweise auf glänzendem Papier und ausklappbar, die menschliche Körper und Teile davon zeigten, einige in bunten Farben, andere in Schwarz und Weiß. Die meisten Abbildungen zeigten das Innere von Menschen, Muskeln, Organe und andere Elemente, von denen Curd noch nie gehört hatte. Zuerst fesselten ihn diese Abbildungen, aber er wollte ja wissen, was seine Mutter und sein Vater miteinander machten, wenn sie nachts so stöhnten.
Auf einer Seite sah er die Abbildung einer nackten Frau, deren Brüste kleiner waren als die seiner Mutter. Er hatte zwar außer seiner Mutter noch nie eine Frau ohne Kleider gesehen, aber einiges schien bei allen Frauen gleich zu sein, wie Brüste und die Behaarung zwischen den Schenkeln. Seine Mutter hatte einmal vergessen, das Badezimmer abzuschließen. Er war hineingestürmt, weil er auf die Toilette musste. Sie war gerade aus der Badewanne gestiegen und stand nackt vor ihm. Einen Augenblick war er wie erstarrt, als er ihre großen Brüste und die dunklen Warzen sah. Aber noch mehr erschreckte ihn die Menge der Haare, die dicht und schwarz ihren Unterbauch und die Innenseite ihrer Oberschenkel bedeckten. Aus der Mitte des dunklen Bewuchses schlängelte sich eine dünne Haarlinie bis zu ihrem Bauchnabel. Wenn sie ihn nicht angesprochen hätte, wäre er wohl noch länger sprachlos mit großen Augen vor ihr gestanden. Sie belegte ihm mit einem bösen Wort, das er vergessen hatte, worauf er mit hochrotem Kopf aus dem Badezimmer gerannt war und sich in seinem Zimmer im Bett verkrochen hatte. Er hatte das schreckliche Gefühl, ein böses Kind zu sein, weil er seine Mutter so gesehen hatte. In seiner Erinnerung erschien ihm der Haarwuchs seiner Mutter als etwas Abartiges, Tierisches. Wozu mochte dieser fellartige Bewuchs gut sein? Onkel Reinhard hatte er nie nackt gesehen, und er fragte sich, ob er da unten genau so aussah. Der Gedanke daran machte ihm nicht so viel Angst. Bei seiner Mutter empfand er es als bedrohlich.
Curd wollte nun aber doch mit System vorgehen. Auf der ersten Seite hatte er gelesen: Dr. Jenny Springer - Die Ärztin im Hause. Er hatte bis dahin noch keine weiblichen Ärzte kennen gelernt. Der Hausarzt war ein uralter Mann mit einem kegelförmigen Schädel, um den sich ein komisch aussehender spärlicher Haarkranz wand. Dr. Wallman kam ins Haus, wenn jemand krank war, saß dann meist, nachdem er eine oberflächliche Untersuchung des Betroffenen vorgenommen hatte, am Tisch im Wohnzimmer und erzählte Geschichten aus seiner Jugend und vom Segelfliegen. Curd hörte immer wie gebannt zu, weil der Doktor so spannend erzählen konnte. Der eigentliche Grund, warum er ins Haus gekommen war, die Krankheit nämlich, wurde am Rande mit ein paar, allerdings meist heilsamen, Ratschlägen und mit dem Ausstellen eines Rezeptes, abgehandelt.
Curd fühlte sich, als würde er etwas Verbotenes tun. Aber ein Buch, das so offen im Regal stand, konnte nichts Gefährliches sein sprach er er sich Mut zu. Auffallend war vor allem die Schrift, die so anders war, als er sie von Büchern kannte. Die Form mancher Buchstaben kannte er nicht, er konnte allerdings den Sinn der Wörter erschließen, weil genug andere lesbare Buchstaben vorhanden waren. Die Zeichnungen und Bilder waren beängstigend fremd für ihn, zum Beispiel wenn ein inneres Organ dargestellt wurde. Es war viel über Krankheiten geschrieben, aber das interessierte ihn nicht. Was er wissen wollte, musste er sich mühsam zusammensuchen. Manchmal überraschte ihn, was er las und sah. Anderes kannte er schon. Von seinem eigenen Körper wusste er, wie ein Mann am Unterleib ausgestattet war, dass er mit dem Teil regelmäßig sein Wasser ließ. Dass er aber das, was im Buch Sperma genannt wurde, mit Hilfe seines steifen Teiles durch etwas, was im Buch Scheide genannt wurde, in die Frau einführen sollte, um ein Kind zu bekommen, erregte Ekel in ihm.
Und auch der Unterleib der Frau, so wie er im Buch beschrieben und im Bild dargestellt wurde, war fremd und beängstigend. Und dass er, Curd, als ganz kleines Kind an dieser behaarten Stelle aus dem Bauch der Mutter hervorgekommen sein sollte, erschien ihm widerlich.
Curd war jetzt verwirrter als zuvor. Es war ihm ein Gräuel daran zu denken, dass er seinen Penis in eine solche behaarte Höhle stecken sollte. Ganz abgesehen von den Fleischbergen, auf denen er zu liegen kommen würde. Die meisten Frauen, die er kannte, waren von großer massiger Gestalt. Einzig seine Mathematiklehrerin war eine spindeldürre Person mit langen blonden Haaren. Ihre Gesichtszüge strahlten Strenge und Verbissenheit auf ihn aus, so dass er auch bei ihr nicht einmal daran denken konnte, dass es ein Vergnügen sein könnte, ihr näher zu kommen.
Nichts war nach seiner Aktion geklärt. Hinter Antworten hatten sich neue Fragen aufgetan. Curd kletterte mit dem Buch unter dem Arm wieder auf den Stuhl. Eines der Bücher im Regal war durch die entstandene Lücke zur Seite gekippt. Curd stellte sein Buch zurück, achtete darauf, dass die Buchrücken etwa auf gleicher Höhe waren. Dabei fielen ihm einige Bücher rechts und links auf, die ihn vorher nicht interessiert hatten. Er las Wörter, die er nicht kannte, die er noch nie gesehen oder gehört hatte: Perversionen, Pathologie, Psychologie und anderes. Er wusste nicht einmal, wie er diese Wörter aussprechen sollte. Bei nächster Gelegenheit wollte er einmal in diese Bücher schauen um herauszufinden, was für geheimnisvolle Inhalte sie bargen.
Es war noch Arbeit zu tun. Der Stuhl musste vom Tisch gehoben, der Tisch an seinen Platz zurückgeschoben, und die Pantoffeln mussten in das Regal im Flur geräumt werden.
Dann war da wieder die Türklingel. Sie riss ihn aus seiner Geschäftigkeit. Er erschrak, spürte wieder sein Herz heftig schlagen und entschied, den Ton der Klingel nicht zu hören. Er schaltete ihn aus seiner Wahrnehmung aus. Es war ganz leicht. Er musste es nur wollen. Außerdem strengte ihn die Arbeit mit Stuhl und Tisch an und lenkte ihn gleichzeitig ab.
Als er alles auf seinen richtigen Platz zurückgestellt hatte, setzte er sich wieder auf das Sofa. Das Klingeln und Klopfen hatte aufgehört. Kein Laut war zu hören. Curd mochte es, wenn es so still war. Es bedeutete Ruhe. Es gab keine Anforderungen, die an ihn gestellt wurden. In solchen Augenblicken hatte er niemals Kopfschmerzen. Am liebsten hätte er immer so gesessen. Seine Mutter, sein Vater, die Außenwelt waren nicht existent. Er schwebte in einer anderen Welt, in der alles leicht war. Er erlebte diese Augenblicke nicht oft. Sie waren ihm dafür umso kostbarer. Er wünschte sich mehr davon, und er fragte sich immer wieder, warum er von diesen Erwachsenen umgeben sein musste.
Curd schlief in der folgenden Nacht schlecht. Er träumte von einer dunklen Gestalt, die sein Zimmer betrat. Das Gesicht konnte er nicht erkennen. Ein Schatten fiel auf ihn, und das Atmen wurde ihm schwer. Die gesichtslose Gestalt beugte sich über ihn, eine eiskalte Hand berührte ihn am rechten Fuß, wanderte langsam über seine Unter- und Oberschenkel nach oben und machte sich an seinem Penis zu schaffen. Curd versuchte sich voller Ekel auf den Bauch zu drehen, aber die Hand hinderte ihn mit eiskaltem Griff daran. Curd erwachte in Schweiß gebadet. Er knipste die...
| Erscheint lt. Verlag | 28.1.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Beziehungsgeschichte |
| ISBN-10 | 3-7549-8907-3 / 3754989073 |
| ISBN-13 | 978-3-7549-8907-4 / 9783754989074 |
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