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Panoptes 1 (eBook)

Auge

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
356 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-5263-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Panoptes 1 -  Duanna Mund
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Die medial veranlagte Künstlerin Dorothea unterhält eine offene Dreiecksbeziehung mit dem Schriftsteller Natan und ihrer Freundin Karin. Als sie die Kontrolle über ihren kreativen Genius verliert und dieser sich auf bedrohliche Weise verselbständigt, gerät ihre Welt ins Wanken. Die Leidenschaft führt an den Rand des Abgrunds. Ein Kriminalfall schließt sich an

Duanna Mund: geboren in Graz Studium an der Kunstuniversität und Karl-Franzens-Universität in Graz (Musik, Geografie / Wirtschaftskunde / Klimatologie) aktuell 12 im Handel verfügbare Bücher (Romane, poetische Reiseberichte, Lyrik, Essays) steuerndes Mitglied des AutorInnenkollektivs "Grazer Literaturclub" Leitung des "Literarischen Diwans" (eines interdisziplinären Dialogs zwischen Kunstschaffenden und LiterarInnen) der von Mund ins Leben gerufene Writers´ Corner bespielt den öffentlichen Raum mit Literatur; Organisatorin zahlreicher Vernetzungsprojekte im Rahmen eines "Writers on visit-Programms"; Weitere Mitgliedschaften: Turmbund - Innsbruck, IG Autorinnen-Autoren / BUCH13 Duanna Mund empfindet Schreiben als Spiel und Freude am Experimentieren. Bewusstseinsstrom, Intuition und autobiografische Bezüge stehen am Anfang ihres kreativen Prozesses, bilden jedoch lediglich das Sprungbrett für Themen, die in der Gesellschaft mit all ihren Problemen und Chancen angesiedelt sind. Website: www.birgitwinkler.at

1.1


Überrascht erwiderte das Schlüsselloch unter der schmiedeeisernen Klinke ihren Blick. „Du hier?“, fragte es dunkel. Dorothea nickte und steckte den Schlüssel in den schwarzen Spalt. Als wäre sie Ewigkeiten weg gewesen und nicht bloß drei Monate, knirschte das Schloss und leistete denselben Widerstand, mit dem es versucht hatte, ihren Abschied hinauszuzögern. Dorothea konzentrierte sich und erwiderte die Kampfansage der Tür. Sie probierte es mit Kraft, mit Fingerspitzengefühl, links herum, rechts herum – vergeblich. Das Schloss klemmte. War sie hier vielleicht gar falsch? Sie blickte sich um. Das stumpfe, blätternde Weiß des Holzes, die hellblauen Bretter der Kassettentür, zwei senkrecht, zwei waagrecht zur Versteifung des Rahmens eingearbeitet, darüber das kleine Blechdach, dessen geschwungene Linie sie immer an den Faltenwurf eines Kleides erinnerte … Und da, gleich daneben, die kleine Zwillingstür zur Rumpelkammer. Kein Zweifel, sie war am richtigen Ort.

Dorothea zog den Schlüssel aus dem Loch, ging in die Hocke und nahm die kleine Öffnung ins Visier. Ob jemand während ihrer Abwesenheit das Schloss ausgetauscht hatte? Wohl eher nicht. Sie senkte die Augenlider und stellte sich vor, wie sie gleich die dahinterliegende Wendeltreppe hochsteigen würde. Dann führte sie erneut den Schlüssel ein. Diesmal sprang die Tür auf, noch ehe Dorothea die Schnalle berührt hatte. Ein kalter Luftzug stürzte auf sie herab und ließ sie erschaudern. Sofort erkannte sie den charakteristischen Geruch ihres Dachbodens wieder. ‚Der Turm ist verschlüsselt, noch immer‛, ging es ihr durch den Kopf.

Sie zögerte, tastete nach dem Lichtschalter und machte tapfer den ersten Schritt ins Halbdunkel des Stiegenhauses. Da erinnerte sie sich an ihren Koffer, der noch im Hof stand. Den linken Fuß in der Tür, langte sie nach draußen und zog das schwere Gepäckstück herein. Langsam stieg sie die Stufen der Wendeltreppe zu ihrer Dachbodenwohnung hinauf. Noch ehe sie oben angelangt war, erlosch das Licht der nackten Glühbirne, die das schmale Podest am Ende der Wendeltreppe beleuchten sollte.

Dorothea öffnete die Tür zu ihrem Heim. Vorsichtig schob sie mit dem Fuß den unförmigen Koffer in den Raum, dann trat sie ein. Vorerst würde sie ihre Sachen eingepackt lassen. Die Schuhe fielen wie von selbst von ihren Füßen. Die Kälte des Bodens kroch an ihr hoch. Eine frigide Kühle stand im Raum, die nach abgestandener Hoffnung und Einsamkeit schmeckte. Dorothea fasste sich ein Herz und schloss hinter sich die Tür. Licht fiel durch das kleine Dachfenster, in dem ein mächtiges Spinnennetz hing, das kaum merkbar zitterte. Der hereinfallende Tag zersprang in die warmen Farben der Butzenscheiben, die Dorothea so liebte. Vom freundlichen Schein ermutigt, querte sie den Raum und trat an das Fensterglas, das hinüber zur Stiegenkirche blickte. Als Dorothea ihre Nase an die Scheibe drückte, erkannte sie im linken, unteren Eck ein kleines Stück der Sporgasse. Normalerweise interessierte sich das aufwendig gestaltete Fensterchen bloß für den barocken Kirchturm am Schlossberghang, als wolle es seine sakrale Zugehörigkeit unterstreichen. Oder aber es schaute gleich in den Himmel. Was immer in seinem Rahmen stand, spaltete das farbige Glas in bunte Felder. Dorothea lehnte die Stirn an die kühle Scheibe, die sich unter ihrem Atem beschlug.

Als sie das Fenster öffnete, um frische Luft hereinzulassen, löste sich das mächtige Spinnennetz und schwebte hinauf in das Dachgestühl des Raumes. Sie beugte sich hinaus und lächelte, denn wie früher saßen die beiden Tauben auf ihrem Lieblingsplatz, gleich hinter dem Dachfirst, der sich zur Kirche hinüberkrümmte. Sie schienen auf etwas zu warten. Wie kleine Statuen aus abgenutztem Elfenbein fügten sie sich ins schmutzig-weiße Mauerwerk und gurrten ihre Mantras. Obgleich die Tauben nicht zu ihr herüberblickten, wusste Dorothea, dass das Lied der aufgeplusterten Vögel nur ihr galt. Wenn sie erneut Zutrauen fassten, würden sich die Tauben in sie einnisten, wie früher. Ja – Dorothea war heimgekehrt.

Erleichtert trat sie an ihren Koffer heran, in dem sich die Bilder befanden, die sie bei ihrem fluchtartigen Umzug mitgenommen hatte. „Wir sind zurück“, sagte sie zu ihnen und ihre Stimme klang zärtlich. „Jetzt dürft ihr wieder heraus.“

Sie schlug den Kofferdeckel auf und schob die Kleidungsstücke zur Seite, sodass eines ihrer Bilder zum Vorschein kam. Es zeigte die surreale Darstellung eines magischen Auges. Dorothea beugte sich zu dem Bild hinunter, weil … Da zuckte sie zurück. Etwas aus dem Raum zischte in das Auge und zurück in das Dunkel des Dachgestühls. Panoptes! Dorothea wagte nicht, ihm nachzublicken. Stattdessen fragte sie ungläubig: „Panoptes?“ Deutlich spürte sie den Blick im Nacken. Die Antwort des Auges erfolgte jenseits des Klangs.

Dorothea erstarrte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wozu hatte sie sich monatelang die sterile Wohnung ihrer Eltern angetan? Wie naiv war sie gewesen zu glauben, Panoptes ließe sich auf diese Weise abschütteln! Sie hätte damit rechnen müssen, dass es ihr im Dachboden auflauern würde. Oder war es ihr etwa die Zeit über gefolgt, unbemerkt wie ein Schatten, der das Licht scheute? Wie auch immer – Panoptes war wieder da! Offensichtlich gehörte es zu ihr und schaute selbst dann durch ihr Bewusstsein in die Welt, wenn sie es nicht bemerkte. Wenigstens ahnte niemand etwas von ihm.

Wie früher, wenn das Auge sich manifestiert hatte, zitterte der Dachboden vor Angst. Panoptes würde erneut von ihr Besitz ergreifen, daran zweifelte Dorothea keine Sekunde. Es war nur ein Frage der Zeit. Den Nachmittag über hockte sie neben ihrem Koffer und starrte auf das gemalte Auge im Bild, um das echte nicht sehen zu müssen. Auf unerklärliche Weise hatte es sich verdoppelt, grinste sie voll Schadenfreude aus dem kleinen Ölgemälde an, während sie es zugleich deutlich im Rücken spürte. Dorotheas Fingerkuppen tasteten über die dick aufgetragenen Farben. Während der lächelnde Mund, nach links gedreht, die Seitwärtsbewegung des Hauptes nachvollzog, hockte das Auge frontal in der Stirn und zog sie in seine lila schillernde Iris hinein. In dieser schossen Blitze in die scharf abgegrenzte Tiefe der Pupille. Dorothea hatte sie als Trichter gezeichnet, der, wie sie jetzt bemerkte, in ein schwarzes Loch mündete. Zwei Katzen und ein Vogel mit einem eulenartigen Gesicht saßen am unteren Rand des Bildes und schauten Dorothea an, als beklagten sie ihre Machtlosigkeit gegenüber dem Auge.

Panoptes

Als Dämmerlicht den Raum endlich abdunkelte, sagte Dorothea mit entschlossener Stimme: „Ich werde jetzt mein Herztuch holen.“

Sie stand auf und durchwühlte mit fliegenden Fingern ihren Koffer. Rasch wurde sie fündig. Mit einem Schwung warf sie sich das Tuch um die Schultern und fühlte sich sofort beschützt. Während sie sanft mit der Hand über den graumelierten Stoff strich, dessen gedeckte Schattierungen sie letztes Jahr auf dem großen Fetzenmarkt sofort angesprochen hatte, reckte sie ihre steifen Glieder.

„Sieht mein Tuch nicht aus wie ein Graureiher, der seine Flügel in der Sonne trocknet, Panoptes?“, fragte sie das Auge. Vielleicht ließe es sich besänftigen, wenn sie ganz natürlich mit seiner Anwesenheit umging. Panoptes schwieg. Dorothea wartete. Sie wartete bis zum Einbrechen der Finsternis und wartete in der Nacht, wie immer, wenn sie befürchtete, dass Panoptes wach blieb. Als das blecherne Geläut der Stiegenkirche mit fünf Schlägen den Morgen ankündigte, nickte Dorothea ein.

_ _ _

Obwohl sie keine drei Stunden geschlafen hatte, war sie sofort hellwach, als sie die Augen aufschlug. Sie erkannte das Mosaik auf dem Parkett des Fußbodens als das von den Butzenscheiben in Farbfelder aufgespaltene Licht der Morgensonne. Stille umfing sie. Panoptes schien wie sie eingeschlafen zu sein. Ermutigt erhob sie sich und griff nach dem Tuch an ihrem Hals. Sie murmelte: „Du wirst auf mich aufpassen.“

Nachdem sie sich gestreckt und die steifen Beine ausgeschüttelt hatte, kniete sie neben dem schrillen Gemälde, das Panoptes zeigte, nieder und strich mit der linken Hand darüber – eine sanfte Bewegung von oben über das Lid, als wolle sie ein gebrochenes Auge für immer schließen. Die stacheligen Wimpern kitzelten die Haut ihrer Fingerkuppen. Dorothea spürte einen leichten Widerstand. Die kleinen Münder, die lockend auf den Wimpernhärchen hockten und einen sinnlichen Kranz um das Auge bildeten, saugten sich halbherzig fest. Beherzt hob Dorothea das Blatt auf und legte es in die Truhe mit ihren Zeichnungen und Malereien. Verstohlen wendete sie das Bild im letzten Moment, damit es mit der Vorderseite nach unten zu liegen kam. Eine leichte elektrische Entladung fuhr knisternd in ihren Arm … Rasch schlug Dorothea den schweren Deckel der Truhe zu und hüllte das Bild in Dunkelheit.

Im gleichen Moment stand Panoptes vor ihr. Gerade noch rechtzeitig schlug sie die Hände vors...

Erscheint lt. Verlag 9.1.2023
Reihe/Serie Panoptes
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Dreiecksbeziehung • ein Kriminalfall im magischen Realismus • Gleichgeschlechtliche Liebe in einem Dreiecksverhältnis • Graz • Kunst, Spiritualität und schizoide Wahrnehmung • Kunst und Wahn • Mystery • Schuld, Sühne, Erlösung • xxx
ISBN-10 3-7568-5263-6 / 3756852636
ISBN-13 978-3-7568-5263-5 / 9783756852635
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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