Hammaburg (eBook)
544 Seiten
Grafit Verlag
978-3-98708-005-0 (ISBN)
Wilfried Eggers studierte Rechtswissenschaften und skandinavische Sprachen in Kiel. Verheiratet, drei Kinder, überzeugter Moorbewohner. Er ist als selbstständiger Notar und Rechtsanwalt tätig und hat so Einblick in das gesamte Spektrum des prallen Lebens - vom platt gefahrenen Huhn bis zur Aktiengesellschaft. www.wilfried-eggers.de
Wilfried Eggers studierte Rechtswissenschaften und skandinavische Sprachen in Kiel. Verheiratet, drei Kinder, überzeugter Moorbewohner. Er ist als selbstständiger Notar und Rechtsanwalt tätig und hat so Einblick in das gesamte Spektrum des prallen Lebens – vom platt gefahrenen Huhn bis zur Aktiengesellschaft. www.wilfried-eggers.de
4
Der Mann bäumte sich auf, mit einem Schrei stieß er ein letztes Mal zu. Jetzt stieß auch Mathes zu, rammte ihm den nadelspitzen Stahl in den Rücken. Und der Lustschrei wurde zum Todesschrei, der kleine Tod zum großen.
Ein Zucken noch und ein Schnarren, als der letzte Atem den Räuber verließ.
Mathes packte die Leiche am Wams, zerrte sie von der Mutter und ließ sie neben dem Ehelager auf den Lehmboden plumpsen. Der Räuber rollte auf den Rücken, in den Augen Erstaunen und im Gesicht Entzücken.
»Lena? Lena! Wo ist Lena?«, schrie die Mutter. Sie sprang auf und brachte ihre Kleider in Ordnung.
Lena! Der Schlafraum der Eltern füllte sich mit Rauch, es knackte, knisterte und fauchte über ihnen.
»Ich hol sie!«, brüllte Mathes. »Du musst raus!«
Er stürzte zurück in die Diele. Brennendes Reet, tödlicher Qualm, höllisches Prasseln. Er bekam keine Luft. Hustend sprang Mathes über seinen toten Vater und vor die Tür, pumpte Luft in seine Lungen und stürzte zurück. Die Leiter nach oben, sie war noch intakt, hinauf in den Rauch, hinein in den fauchenden Rachen des Feuers, den freien Arm vor dem Gesicht, bis in die Kammer unter dem Spitzboden. Er packte das leblose Bündel, zerrte es zur Stiege, rückwärts hinunter, das Bündel hinterher. Eine brennende Dachlatte warf ihn von der Leiter, er landete auf dem Rücken, die Schwester fiel auf ihn, er drehte sich um, auf alle viere, zerrte sie hinter sich her, über den Vater hinweg, wälzte sich über die Schwelle, schnappte nach Luft, keuchte, hustete, versuchte aufzustehen, schwankte.
»Vater, wir müssen ihn …«
»Er ist tot! Fort, fort! Jetzt!«
Mathes packte Lena und sie stürmten um das Haus herum hinunter in das dichte Schilf an der Brack.
Dort warfen sie sich nieder. Alle Häuser brannten. Die Feuersbrunst trieb schwarzen Rauch, brennende Strohwische und Funken hinauf in den grauen Morgenhimmel. Sie hörten das Stöhnen Sterbender und das Geschrei der Angreifer und die mächtige Stimme Ansgars.
»Nach drüben, zum Nordtor, alle zum Nordtor, und fort!«
»Lena, Magdalena, mein Herz, wach auf«, flüsterte die Mutter und schüttelte ihr Kind, zog es aus der schafwollenen Decke, in die es gehüllt war.
Als es endlich die Augen öffnete, warf sich die Mutter über das Mädchen und weinte und lachte und bedeckte es mit Küssen.
Als Mathes seine Hände sah, überfiel ihn der Schmerz. Er teilte das Schilf, kroch durch den Modder hinunter zur Brack und tauchte sie in das dunkle Wasser. Er stöhnte auf.
Plötzlich Stimmen in fremder Sprache.
»Pst«, flüsterte Mathes und duckte sich nieder.
Magdalena schrie. Die rechte Seite ihres Gesichts bedeckte eine rote Wunde, über der sich schon Blasen bildeten. Die Mutter hielt ihr den Mund zu. Zu spät. Die Stimmen näherten sich und bald umrundete ein Pulk fremder Männer in gehörigem Abstand das brennende Haus, den roten Feuerschein im Gesicht, Äxte und Kurzschwerter in den Fäusten. Der Anführer rief einen Befehl, sie schwärmten aus, schon stand einer der Männer vor dem niedergetretenen Schilf und rief die anderen zu sich.
Mathes erhob sich langsam.
Der Mann sagte etwas, was Mathes nicht verstand. Deshalb schüttelte er den Kopf.
Der Mann rief seine Kumpane herbei, und der Anführer, der einen Bart hatte und zottelige Haare, in denen das Grau des Alters zu sehen war, schob den ersten beiseite und sagte in der Sprache der Sachsen: »Wer ist da noch?« Er deutete in das Dickicht. »Wir haben ein Kind gehört.«
Sie waren entdeckt, alle drei.
»Komm, Mutter, komm her.« Und als sie aufgestanden war, mit der wimmernden Schwester im Arm, fügte Mathes hinzu, sich dem Räuber zuwendend: »Lasst meine Mutter und meine Schwester! Sie sind verletzt, seht Ihr das nicht?« Seine Stimme schlug in ein hohes Fisteln um, wie immer, wenn er aufgeregt war.
»Und du, bist du etwa nicht verletzt, Knirps?«, fragte der Mann mit einem Blick auf Mathes’ verbrannte Hände und stieß ihm fast das Schwert ins Gesicht. »Komm raus!«
»Was wollt Ihr von uns, wir haben nichts getan!« Wieder spielte Mathes’ Stimme verrückt.
»Mitkommen!«, befahl der Mann und drückte Mathes die Schwertspitze an die Hüfte. »Ich werde dich lehren, was es bedeutet, Regnar zu widersprechen! Du bist ein Kind, was hast du mir zu sagen!«
»Lasst meinen Sohn!«, schrie die Mutter.
»Mutter, wir müssen ihnen gehorchen, sonst töten sie uns!«
»Was sagst du da?«, schrie der Däne und hielt Mathes erneut die Klinge seines Schwerts an den Hals. Sein Bart war unter dem Kinn geflochten und mit einem Lederband verziert. Er war mehr als einen Kopf größer.
Mathes hatte Chaukisch gesprochen, eine Sprache, die er von seiner Mutter gelernt hatte. Sie war eine Chaukin und stammte von einer der Wurten an der Weser.
»Ich habe ihr gesagt, dass wir mitkommen müssen«, antwortete Mathes. Immerhin konnte er vermuten, dass auch die anderen Räuber kein Chaukisch verstehen würden. Die Hände brannten wie Feuer, und sein Kopf, den die brennende Dachlatte getroffen hatte, klopfte wie der Hammer des Schmieds.
Die Räuber nahmen sie in ihre Mitte und trieben sie zur Landestelle, an der die Schiffe lagen. Gebunden wurden sie nicht. An Flucht war nicht zu denken, denn weit würden sie nicht kommen. Magdalena weinte unablässig, die rechte Hälfte ihres Gesichts war rohes, blasiges Fleisch. Mathes krümmte der Schmerz, er ließ den blutenden Kopf hängen und wusste nicht, wohin mit seinen wunden Händen.
Einige der Krieger kehrten von der Burg zurück, sie stießen eine Herde Menschen vor sich her. Den Mönchen hatten sie die Hände auf die Rücken gefesselt. Andere trugen klimpernde Säcke und Fässer, in denen eine Flüssigkeit schwappte, Wein aus dem Kloster. Die Räuber brachten die Beute zum Landungssteg hinunter und verteilten sie auf den Schiffen. Sie schienen gute Laune zu haben. Wie war das möglich? Die Kirche brannte, einer riesigen Fackel gleich, das Feuer fraß sich durch die Hütten der Handwerker, die Flammen warfen Glut und Asche in den Himmel.
Der Anführer der Bande, der sich Regnar nannte, gab am Ufer Anweisung.
Als er die gefangenen Männer sah, rief er einen Befehl und wies auf Mathes und die Seinen, wobei Mathes die silberne Spirale am rechten Arm des Mannes auffiel. Er trug eine goldene Spange an seinem Gürtel und eine zweite an seiner linken Brust, die den ledernen Umhang hielt. Er musste reich sein.
Die Mönche wurden zu den anderen Gefangenen gebracht. Einem von ihnen rutschte die Kapuze vom kahlen Kopf. Regnar warf einen prüfenden Blick auf ihn. Das Ergebnis war schlecht, er gab einem der Männer einen Wink, einem Blonden, der, seinem bartlosen Gesicht nach zu urteilen, wenig älter war als Mathes, aber größer und breiter. Der Blonde trat halb hinter den zitternden Mönch, legte ihm seine Linke auf die Schulter, als wollte er ihn beruhigen. Doch bevor der Mönch noch einen Atemzug tun konnte, hatte der Blonde den Sax aus dem Gürtel gezogen und stieß ihn dem Mann in die Eingeweide, mit einer geschmeidigen, fast lässigen Bewegung. Langsam ließ er den Sterbenden zu Boden gleiten, beugte sich zu ihm hinab, um die blutige Waffe am Mönchsgewand abzuwischen, schob sie zurück in den Gürtel und nahm seinen Platz wieder ein, als wäre nichts geschehen. Kein Blut haftete an ihm und seinen Händen, sein Gesicht zeigte denselben gleichmütigen Ausdruck wie vor der Mordtat.
»Wo habt ihr das Gold versteckt?«, fragte Regnar die Mönche.
Stumm und gesenkten Hauptes standen sie da.
Hinter Regnars Rücken lärmte es. Er drehte sich um. Ein Däne hatte einen groß gewachsenen Mönch an der braunen Kutte gepackt und stieß ihn vor den Anführer. Mathes erkannte Christopherus, den Vorsteher des Skriptoriums. Er war ein freundlicher Mann, nicht mehr der Jüngste, der den Kindern Lesen und Schreiben beibrachte. Christopherus’ Augen flackerten, als er den toten Mönch zu Füßen der Räuber in seinem Blut liegen sah. Er richtete sich auf zu ganzer Länge und reckte das Kinn.
»Was wollt Ihr wissen?«, rief Christopherus und schüttelte die Hand ab, die seine Schulter hielt. Er überragte Regnar fast um Haupteslänge, er war so lang, dass Mathes seine Tonsur nicht sehen konnte.
»Er will wissen, wo das Gold versteckt ist«, quiekte Mathes mit hoher Stimme dazwischen. »Und wenn Ihr es ihm sagt, will er Euch am Leben lassen.«
»U-und we-we-wer ga-garantiert uns das?« Einer der Mönche war hervorgetreten, ein kleiner Mann mit einem Bauch unter der braunen Kutte.
»Ich«, sagte Regnar. »Wer frech wird, der wird Pech haben und sich nicht mehr am Leben laben.« Er nickte dem Jungen zu, der den anderen Mönch ermordet hatte.
»Halt!«, rief Christopherus und trat dem Anführer kaltsinnig vor die Brust. »Es ist unter dem Altar, im Boden vergraben. Bruder Nikodemus wird es Euch zeigen.«
»Nein, du!«, befahl Regnar und nickte dem Blonden ein zweites Mal zu.
Bevor sich Nikodemus bewegen konnte, hatte der Bursche ihm mit einer blitzschnellen Bewegung die Kehle durchgeschnitten und war zur Seite getreten. Das Blut schoss in rhythmischem Schwall aus dem Hals des kleinen Mannes und tränkte seine Kutte. Das Entsetzen in den Augen des Toten erlosch und er sank mit einem letzten Röcheln um.
Christopherus hatte die Lider geschlossen. Seine Lippen bewegten sich zu einem stillen Gebet. Regnar wandte sich in der Sprache der Dänen an seine Männer, von denen sogleich mehrere in die Richtung verschwanden, in der das Haus von Mathes und seiner Familie brannte. Zwei schickte er mit Christopherus fort.
»Sie sollen Erlendur suchen«, sagte Regnar zu Mathes. »Du weißt nicht etwa, wo er...
| Erscheint lt. Verlag | 18.5.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | 9. Jahrhundert • Dänemark • Epos • gewaltig • Hammaburg • Historischer Roman • Lapland • Lesevergnügen • Mittlealter • Skandinavien • Spannung • Stade • Wikinger • Wikinger Epos |
| ISBN-10 | 3-98708-005-1 / 3987080051 |
| ISBN-13 | 978-3-98708-005-0 / 9783987080050 |
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