Schatten der Macht (eBook)
409 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7549-8417-8 (ISBN)
Petra Vetter wurde in Hannover geboren, studierte an der dortigen Musikhochschule und tanzte in freien Kompanien an renommierten Bühnen. Später nahm sie ihre Tätigkeit als freiberufliche Choreographin und Regisseurin auf. Die Erarbeitung ihrer Dramaturgien brachte sie zum Schreiben, indem sie 'die Schritte durch Worte ersetzte'. Seitdem verknüpft sie in der Bühnenarbeit ihre Choreographien mit eigener Prosa. Als Autorin verfasste Petra Vetter bisher Short Stories und den Roman Meermädchen.
Petra Vetter wurde in Hannover geboren, studierte an der dortigen Musikhochschule und tanzte in freien Kompanien an renommierten Bühnen. Später nahm sie ihre Tätigkeit als freiberufliche Choreographin und Regisseurin auf. Die Erarbeitung ihrer Dramaturgien brachte sie zum Schreiben, indem sie 'die Schritte durch Worte ersetzte'. Seitdem verknüpft sie in der Bühnenarbeit ihre Choreographien mit eigener Prosa. Als Autorin verfasste Petra Vetter bisher Short Stories und den Roman Meermädchen.
Teil 2
23
An einem Sonntag im April 1988 saß Jens in seinem stilvollen Büro der ELEG. Sein Türschild trug die Aufschrift:
Jens Borgland, Geschäftsführer
Bereich Bauwesen und Vermietungen
1987, vier Jahre nach seinen unseligen Handgreiflichkeiten im Rotlichtviertel, hatte er endlich Prokura erhalten und war seitdem Chef dieser, dank seiner Tatkraft neuen Abteilung der ELEG. Nach dem Bau des ersten Münsteraner Einkaufszentrums, fertiggestellt im Spätsommer 1986, hätte Jens gerne sofort weitere Projekte dieser Art geplant, doch Wilhelm und Renzo wollten erst einmal deren Akzeptanz durch die Bevölkerung abwarten, bevor sie abermals ein hohes Investitions-Risiko eingingen. In der Zwischenzeit beschränkte er, Jens, sich auf Landerschließungen. Mittlerweile war seine Shopping Mall, wie sie heute genannt wurde, allerdings ein durchschlagender Erfolg, so dass seine kreative Durststrecke vielleicht bald ein Ende hatte.
Seine Mall zeichnete sich durch die Schönheit und Ästhetik ihrer Konzeption aus, und er schien über hellseherische Fähigkeiten bei den Verpachtungen zu verfügen. Die Läden lockten die Kunden mit ihrem ausgesuchten Sortiment in Scharen an, obwohl Deutschland gerade erst die zweite schwere Rezession, ausgelöst durch eine erneute Ölpreiskrise, überwunden hatte. Steckte das Land während der Projekt-Planung noch in ökonomischen Schwierigkeiten mit einer erhöhten Arbeitslosenquote, einer verschärften Zins-Inflation und einer Wachstumsrate, die sich dem Nullpunkt näherte, erholte sich die Wirtschaft rechtzeitig zur Eröffnung von Jens´ erstem Einkaufszentrum. Die Kauflust der Menschen kehrte ungebremst zurück und die Läden brummten.
Seine Arbeit war zurzeit das Einzige, was Jens Freude bereitete. Ansonsten verlief sein Leben langweilig, ödete ihn geradezu an. Tina hatte Elmenwerde gleich nach ihrer Hochzeit mit Martin verlassen. Gerüchte besagten, Frau Kampert, wie sie jetzt hieß, weilte mit ihrem Mann im fernen Amerika. Dafür sprach, dass sie bei ihren Eltern bislang nicht zu Besuch erschienen war. Manchmal saß Jens noch in seinem Baumhaus, doch es hatte ohne Tina seinen Reiz verloren. Sollte sie doch mit ihrem Muskelprotz, der seine Energie sicherlich mehr in seinen Sport als in die Erotik seiner Ehe steckte, zur Hölle fahren.
Nachdem Renzo ihn, Jens, 1983 nach Tinas Hochzeit vor dem Gefängnis bewahrt hatte, musste er Sozialstunden im Krankenhaus leisten. Sein Großvater hielt es nicht für nötig, ihm diese Schmach zu ersparen. Die Krankenhausleitung setzte ihn zu seiner Verwunderung nicht auf einer Krankenstation, sondern in der Pathologie ein. Sein Interesse war geweckt, erinnerte ihn diese Abteilung doch an seine Versuche mit Spinnen und Käfern im Gartenhaus. Zu seinem Bedauern durfte er nie bei Obduktionen zugegen sein. Seine Tätigkeiten beschränkten sich auf Botengänge für das Labor und die Sterilisation der Laborgeräte. Das war ein wenig enttäuschend, doch zog er seine Arbeit in der Pathologie der Stationsarbeit sehr schnell vor. Besser, Laborproben zu transportieren, als schwachsinnigen oder jammernden Patienten den Hintern abzuwischen. Trotzdem blieb die soziale Arbeit eine Erniedrigung. Immerhin war er der Enkel eines Münsteraner Adelsgeschlechts.
Und um das Maß vollzumachen, hatte Renzo ihn gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben, der ihn nötigte, seinem Großvater die Summe des Freikaufs zurückzuerstatten. Zwar in Raten, doch war es reine Schikane. Renzo besaß Geld wie Heu! Es gab keinen Grund, ihn, seinen Enkel, derart in die Pflicht zu nehmen. War sein Großvater niemals jung gewesen? Hatte er niemals über die Stränge geschlagen? Niemals die Qual verschmähter Liebe erfahren? Jens versuchte, sich einen jungen, lebenshungrigen Renzo vorzustellen, was ihm jedoch nicht gelang. Wahrscheinlich war er schon alt und tugendreich zur Welt gekommen. Wenigstens besaß er den Anstand, ein Jahr nach der Rotlicht-Affaire, also 1984, in Rente zu gehen. War mit achtundsiebzig Jahren auch höchste Zeit. Damit machte er den Weg für Wilhelm frei, der seitdem die Elmen Privatbank leitete. Trotzdem mischte Renzo geschäftlich weiterhin mit.
An ein soziales Leben in Elmenwerde war nach dem Bordell-Skandal nicht mehr zu denken. Jens´ ‚Heldentat‘ sickerte durch, und er wurde gemieden wie der Leibhaftige. Vorbei die Abende im Einhorn. Vorbei allerdings auch die Abende bei Madame Vega und ihren Schönen. Auch wenn sie und Jenny ihre Anklagen zurückgezogen hatten, hielt Madame Vega ihr Hausverbot strikt aufrecht. Bei Renzos nobler Abfindung hätte sie sich ruhig großherziger zeigen können, fand Jens, der sich in den Zeiten von Aids in einem renommierten Freudenhaus am sichersten fühlte. Aber die Stadt Münster entwickelte und vergrößerte sich beständig, was auch ein reichhaltigeres Angebot an Etablissements nach sich zog.
Jens zwang seine Gedanken in die Gegenwart. Er war zwar einer von drei Geschäftsführern der ELEG, doch deren Leitung oblag immer noch seinem Vater. Mit seinen mittlerweile achtundsechzig Jahren war dieser ein ähnliches Energiebündel wie Renzo, schien weder Müdigkeit noch Krankheit zu kennen und managte sowohl die Elmen Privatbank, als auch die ELEG.
Jens fühlte sich manchmal wie Prinz Charles, dessen Aussichten, jemals den Thron zu besteigen, gegen Null tendierten. Die Queen beabsichtigte kaum, in absehbarer Zeit abzudanken, ähnlich wie Renzo und Wilhelm. ‚A Prince without a crown‘, sang er schief, dann lachte er gedämpft. Wilhelm glaubte, die sonntäglichen Firmenaufenthalte seines Sohnes entsprängen dessen Arbeitseifer. Wenn er wüsste! Jens nutzte die Leere der Büros, um Rechnungen an die ELEG zu schreiben. Rechnungen über Leistungen, die nie erbracht worden waren. Jens beglückwünschte sich zu seinem klugen Schachzug, Wilhelm zur Anschaffung von drei Personal- Computern überredet zu haben. Natürlich war sein Vater anfangs strikt dagegen, sah die Vorteile nicht, die der IBM 5150 mit sich brachte, doch erstaunlicherweise befürwortete Renzo eine fortschrittliche Büroausstattung. Ausgerechnet sein Großvater, der keinen blassen Schimmer hatte, zu welchem Zweck sein Enkel die Vorzüge des PCs missbrauchte. Jens betrachtete es als ausgleichende Gerechtigkeit, das Geld, das er Renzo zurückzahlen musste, von Firmenkonten abzuzweigen.
Zuerst waren da die überteuerten Mieten für die Verkaufsräume der Shopping-Mall, nicht zu vergessen der Gewinn aus dem höheren Kostenplan beim Bau für die Stadt. Durch das Vorbild der Neuen Heimat inspiriert, führte er das Holtmann-Modell in erheblich größerem Umfang aus. Er hatte gefälschte Verträge für die Akten angefertigt, die eine geringere Miete angaben als die originalen Dokumente. Die höheren Miet-Einnahmen der Läden gingen zuerst auf eigens eingerichtete Unterkonten der ELEG, die nur Jens kannte. Danach überwies er den geringeren Mietbetrag an eine offizielle Bankverbindung der Firma und die Differenz auf eines seiner beiden Schweizer Nummernkonten. Dazu addierten sich die Einnahmen aus den von ihm gegründeten Briefkastenfirmen, über die er jene Rechnungen nicht erbrachter Leistungen ausstellte. Für diese Arbeit opferte er seine Sonntage.
Das Geld aus der Holtmann-Erpressung betrachtete er als ‚Spielgeld‘. Der einzige Nachteil des Systems bestand darin, dass er nicht wagte, das Geld aus der Schweiz auf sein deutsches Privatkonto zu überweisen. Das Risiko, entdeckt zu werden, war ihm zu groß; er bevorzugte Bargeldabhebungen. Um nicht jedes Mal den weiten Weg in die Schweiz zurückzulegen, floss ein Teil seiner Finanzen auf ein Konto in den Niederlanden, dessen Inhaber eine Privatperson namens Ingo Holtmann war. Natürlich wusste der nichts von ‚seinem Konto‘ bei der Credit International. Vorausschauend hatte Jens diese Bankverbindung bereits ein paar Monate vor der Einführung des neuen Personalausweises eingerichtet, denn seit April 1987 gab es in Deutschland den ersten maschinenlesbaren Pass. Er wurde, im Gegensatz zum alten ‚Papierlappen‘ als Laminatkärtchen produziert und galt als fälschungssicher. Bei Kontrollen konnte ihn die Polizei per Datenübertragung mit ihren Fahndungssystemen abgleichen, mit denen sie nach Mitgliedern der RAF suchte. Die Kontoeröffnung nahm Jens mit einer Fälschung des alten Dokuments vor, danach wies er sich mit einem Laminat-Ausweis auf Holtmanns Namen aus. Diese Imitation hätte einer eingehenden Prüfung nicht standgehalten, doch war Jens den Mitarbeitern der Credit International mittlerweile so gut bekannt, dass er keine Gefahr befürchtete. Trotzdem fluchte er innerlich, welche Scherereien er den europaweiten Anschlägen seitens der RAF und der Neonazis verdankte. Immer noch verspürte er Respekt vor ihrer Kompromisslosigkeit, aber dass sie nun ein erhöhtes Risiko bei seinen finanziellen Transaktionen darstellten, ging ihm entschieden zu weit. Die Gewinne aus den Shopping-Malls und aus den Briefkastenfirmen konnten sich sehen lassen. Sie beliefen sich in den letzten zwei Jahren auf satte 2,8 Millionen D-Mark. Und er stand erst am Anfang. Jens dachte ernsthaft darüber nach, das Geschäftsmodell der Scheinfirmen auszuweiten. Allerdings fehlte ihm im Moment die Kapazität für eine Expansion, denn er hatte jetzt schon alle Hände voll zu tun, seine Forderungen über die vielen fingierten Arbeitsleistungen zu koordinieren. Er sollte zu seiner Entlastung unbedingt die Idee von Strohmännern verfolgen, doch bargen sie ein Risiko, das...
| Erscheint lt. Verlag | 15.11.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| ISBN-10 | 3-7549-8417-9 / 3754984179 |
| ISBN-13 | 978-3-7549-8417-8 / 9783754984178 |
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