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Auf der Flucht vor dem Augenblick (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
108 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
9783754981795 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf der Flucht vor dem Augenblick -  Hans Durrer
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An einer Fotoausstellung in Zürich treffen Sara, 43, Bankdirektorin in Südbünden, und Tim, 59, der sich seinen Lebensunterhalt als Englischlehrer an einer Privatschule in Südbrasilien. verdient, aufeinander. Beide sind neugierig, rastlos, viel herumgekommen, und setzen sich leidenschaftlich mit der Welt der Ideen auseinander. Tim war trockener Alkoholiker und hatte sich eingehend mit Sucht und Verhaltensänderungen auseinandergesetzt; Sara hatte zwei Borderline-Beziehungen hinter sich, die sie an Abgründe führten, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie existierten. Beide wollten nicht fühlen, was sie fühlten; ihre Angst, von der sie auch wussten, dass sie oft hilfreich war, lähmte sie - und liess sie die Flucht antreten: In den Alkohol, die Karriere, das Lösen von Problemen, das Lesen von Büchern, das Surfen im Internet, das Sich-Beweisen-Müssen im Wettbewerb um persönliche Eitelkeiten. Allmählich realisieren sie, dass sich das zwar nicht ändern lässt, doch das Leben leichter wird, wenn man alles, absolut alles, akzeptiert, genau so wie es ist. Erst auf dieser Grundlage lässt sich ändern, was geändert gehört - nicht weil wir es wollen, sondern weil es uns entspricht, uns auf die Realität, diesen Augenblick also, einzulassen. 'Auf der Flucht vor dem Augenblick' liegt die Überzeugung zugrunde, dass ausgesprochene Gedanken (und nicht etwa Meinungen, die keinen Denkprozess voraussetzen), die auf ein interessiertes und teilnehmendes Gegenüber stossen, nicht nur klärend und befreiend sein können, sondern jeder üblichen Therapie weit überlegen sind, da ein solcher Austausch auf gleichwertigen Partnern beruht.

Geboren 1953 in Grabs, Schweiz. Ausgebildet in der Schweiz (Basel, Jurisprudenz), Wales (Cardiff, Journalism Studies), Australien (Darwin, Applied Linguistics) und in Schottland (Stirling, Drug and Alcohol Studies). Hauptsächlich geprägt vom neugierigen Unterwegssein in verschiedenen Kulturen, ganz vielen Büchern sowie dem Austausch mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten.

Geboren 1953 in Grabs, Schweiz. Ausgebildet in der Schweiz (Basel, Jurisprudenz), Wales (Cardiff, Journalism Studies), Australien (Darwin, Applied Linguistics) und in Schottland (Stirling, Drug and Alcohol Studies). Hauptsächlich geprägt vom neugierigen Unterwegssein in verschiedenen Kulturen, ganz vielen Büchern sowie dem Austausch mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten.

DON'T ASS U ME




„Es ist immer der gleiche Scheiss. Leute, die sich sogenannt bewährt haben, werden bewundert von Leuten, die selber gerne bewundert würden.“

„Was soll denn daran falsch sein? Lob, wem Lob gebührt.“

„Ich finde die Vorstellung, dass man sich bewähren muss, absurd.“

„Das sehe ich ganz anders. Wer sich bewährt, verdient unsere Achtung.“

„Das ist mir zu allgemein. Lass mich konkret werden: Da boxt sich eine nach oben – es kann natürlich auch ein Mann sein – und verdient jetzt deswegen unsere Achtung?“

„Das muss ja kein Kampf sein, man kann schliesslich auch durch Kompetenz nach oben kommen?“

„Glaubst Du das wirklich?“

„Aber sicher.“


Tim lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete die attraktive, ehrgeizige Sara, die offenbar ernsthaft der Meinung war, sie habe es allein ihrer Kompetenz wegen zur Vizedirektorin der Regionalbank Graubünden-Süd gebracht. Es hatte ihn immer schon leicht irritiert, dass sie sich auf ihren HSG Abschluss so viel einbildete – das sei eine Elite-Hochschule, hatte sie einmal gemeint – , doch so lebensfremd, wie sie sich gerade gegeben hatte, konnte sie doch wirklich nicht sein.


Tim hatte selber einen Abschluss von einer sogenannten Elite-Anstalt; er war erstaunt und ernüchtert gewesen, dass es dazu so wenig brauchte. Unter Elite hatte er sich etwas anderes vorgestellt als seine Klassenkameraden, die er zwar nett, aber eben auch ziemlich durchschnittlich gefunden hatte. Sicher, die Inderin aus Fiji war eine Ausnahme – gescheit, zweifelnd und bescheiden – , auch der Engländer aus Liverpool war überdurchschnittlich clever, und das Schlitzohr aus New Delhi war eine Nummer für sich, doch die meisten ... Er erinnerte sich gar nicht mehr so recht, nur dass die Griechin aus Thessaloniki sehr schön gewesen war, doch während der Pressekonferenz im Rahmen des PR-Moduls ausgesprochen hölzern rüberkam, ganz im Gegensatz zu der sonst immer so unscheinbaren Japanerin aus Tokio, die auf dem Bildschirm eine Präsenz ausstrahlte (die Pressekonferenz wurde aufgezeichnet), die ihn regelrecht umgehauen hatte.


Das Bistro in der Churer Altstadt war an diesem frühen Nachmittag fast leer, die Bedienung mit ihrem Handy beschäftigt, so dass Tim und Sara das Lokal praktisch für sich hatten. Kennengelernt hatten sie sich anlässlich einer Fotoausstellung in Zürich, als beide ein grossformatiges Luftbild betrachteten, das einen Hochspannungsmast und einen Ipé-Baum auf einem Acker bei Piracicaba im brasilianischen Bundestaat São Paulo zeigte. Eindrückliche Farben, eine eigenwillige und ansprechende Komposition, dachte Tim, der es gleichzeitig begrüsste, dass dem Bild ein erläuternder Text beigegeben war. Der gelbe Ipé habe viele Namen, hiess es da, doch keiner sei angemessener als Goldener Trompetenbaum (automatisch gingen seine Augen zu dem leuchtend hellgelben, und in der Tat goldenen, Baum auf dem Foto), denn, 'er schmettert die Lebenslust der brasileiros heraus.'

Das ist nicht nur trefflich gesagt, das ist wahr“, wandte er sich an die Frau neben ihm, die gebannt auf die Aufnahme starrte.

Ob er Brasilien kenne?, fragte Sara.

Er habe im Süden, nicht weit von Porto Alegre, im Landesinneren, Englisch unterrichtet, antwortete er. Und sie, ob sie Brasilien kenne?

Sie sei einmal drei Monate mit dem Bus durch den Nordosten gereist, erwiderte sie, von Recife bis São Luis. Das sei genial gewesen, vor allem die Dünen bei Camocim. Und das Delta do Parnaíba. Einen guten Monat habe sie sich zudem in Teresina aufgehalten.

Teresina? Das liegt doch in Piaui, oder?“

Stimmt, woher weisst du das?“

Lonely Planet. Piaui sei der trockenste und ärmste Staat des Landes und Teresina ein regionales Gesundheitszentrum, an mehr erinnere ich mich nicht.“

Das hatte ich auch gelesen. Und mir darunter einen Riesenslum und mittendrin ein grosses, doch ziemlich primitives Gesundheitszentrum vorgestellt. Es war dann aber ganz anders – eine moderne Stadt mit mindestens sechs Universitäten. Die suchte ich dann auf und fragte, ob sie Interesse an einem Workshop über Interkulturelle Kommunikation hätten. Drei von ihnen, zwei private und eine nationale, hatten.“

Unterrichtest du Interkulturelle Kommunikation?“

Nein, doch Interkulturelles interessiert mich schon lange. Und da ich viel gereist bin, viel über meine eigene und mir fremde Kulturen nachgedacht und Stapel einschlägiger Bücher gelesen habe, traute ich mir so einen Workshop ohne weiteres zu. Geholfen hat natürlich auch, dass mich in Brasilien niemand kannte.“

Tim strahlte, die Frau war ihm definitiv sympathisch. „Worauf kommt es denn bei der interkulturellen Kommunikation hauptsächlich an?“

Das hängt wie bei allem davon ab, wen du fragst. Doch entscheidende Faktoren, das sagen so ziemlich alle, sind Klima und Topografie. In einem Lehrbuch habe ich einmal gelesen, es gebe nicht nur verbale und nonverbale, sondern auch paraverbale und extraverbale Kommunikation. Was das interkulturell Interessierten bringen soll, ist mir schleierhaft.“

Typisch Pseudo-Wissenschaft würde ich sagen. Da wird unterschieden, was unterschieden werden kann, werden Begriffe erfunden, um dann wieder geklärt zu werden. Kreative Arbeitsplatzbeschaffung. Doch was findest du selber zentral?“

Die Universalien. Also das, was allen Menschen gemeinsam ist. Viele Elemente und Strukturen lassen sich in allen Kulturen finden, womöglich in einigen Kulturen ausgeprägter als in anderen. Und in der einen Kultur früher und in der anderen später, schliesslich ist das Leben in ständiger Veränderung sowie im dauernden Austausch begriffen. Wusstest du, dass das Prinzip der Fairness in allen Kulturen vorkommt?“

Das leuchtet mir ein, scheint mir aber auch ziemlich theoretisch. Doch was zählt praktisch?“

Fairness theoretisch? Das ist doch das Leitprinzip jeder Rechtsordnung! Vor allem wesentlich ist jedoch, sich selber zu kennen. Zu wissen, wer du bist, wo du her kommst. Und Neugier ist natürlich wichtig sowie die It's better to assume nothing-Regel.“

Was für eine Regel?“

Don't assume als Don't ass u me ausgesprochen.“

Alles klar“, schmunzelte Tim. „Doch lass mich anders fragen. Mal angenommen, ich will nach China. Soll ich mich denn da nicht vor allem über China kundig machen, über Sitten und Gebräuche und so?“

Das ist das Übliche und sicher nicht falsch. Auch die Sprache zu lernen wird bestimmt helfen. Ich selber gehe ganz anders vor. Mir reicht eigentlich, mich übers Klima zu informieren, damit ich weiss, was für Kleider ich mitnehmen soll. Alles andere wird sowieso anders sein, als ich es mir vorstelle. Zugegeben, das ist schon ein wenig übertrieben, weil ... Also letzthin in Tirana. Ich hatte geplant während einer Woche Tagesausflüge in die nähere Umgebung zu machen. Mit dem Zug. Nur wusste ich nicht, dass in Albanien keine Züge verkehren. Das nächste Mal werde ich mich doch etwas besser vorbereiten.“

Und was hast du dann gemacht?“

Ich bin mit Bussen gereist.“ In ihrem Kopf tauchten Bilder von der Busstation auf, wo ohne Gebrüll gar nichts ging. Die Zielorte waren zwar an den Bussen angeschrieben, trotzdem wurden sie von einer Art Schlepper lauthals in die Gegend gebrüllt. Mit Erfolg, wie sie zu ihrer Verblüffung feststellte.

Also ich selber finde die Sprache das Wichtigste“, sagte Tim.

Klar, das hilft am ehesten. Obwohl: Der weitaus grösste Teil jeder Kommunikation geschieht nonverbal. In Brasilien habe ich einfach Spanisch gesprochen. Damit kam ich gut durch. Nicht wenige Brasilianer schienen mein Spanisch für Portugiesisch zu halten.“

Echt?“

Es lag wohl daran, dass sie nicht zuhörten, sie redeten lieber.“

Das kann ich bestätigen, ich habe lange genug dort gelebt.“


Sara, von der Toilette zurück, hatte ihre Gedanken gesammelt.

...

Erscheint lt. Verlag 22.10.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkoholismus • Borderline • Covid-19 • Fotografie • IKRK • Interkulturelles • Jurisprudenz • Linguistik • Raubtierkapitalismus • Zen
ISBN-13 9783754981795 / 9783754981795
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