Perry Rhodan Neo 299: Planet ohne Zeit (eBook)
160 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5499-6 (ISBN)
»Kein Mensch ist perfekt. Falsch! Alle sind es!
Dies sagt Weidenburn.«
Prolog
Alaska Saedelaere
Das ist ein Traum! Das kann unmöglich echt sein! Ich muss nur aufwachen, und alles ist vorbei!
Ich renne durch einen Wald. Die Bäume erinnern mich an irdische Tannen oder Fichten. Allerdings sind ihre Nadeln steinhart und verdammt scharf. Sie dringen sogar durch das Spezialgewebe meines leichten, aber eigentlich sehr robusten Raumanzugs.
Hinter mir höre ich das Knurren und Schnaufen meiner Verfolger. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei den Kreaturen mit dem schwarzem Fell und den riesigen Hauern um Tiere oder intelligente Wesen handelt. Jedenfalls scheinen sie kein Interesse an einer Verständigung zu haben. Sie sehen aus wie aufrecht gehende Wildschweine und sind mit weit aufgerissenen Mäulern und aggressivem Grunzen auf mich zugestürmt, kaum dass sie mich gesehen hatten.
Der Wald wird dichter. Ich finde immer weniger Lücken, die mir erlauben, meine Flucht fortzusetzen. Nach ein paar Minuten hängt mir meine Schutzmontur nur noch in Fetzen vom Körper, und die Baumnadeln reißen mir die Haut auf. Auf meiner Stirn bilden sich Schweißtropfen, die mir in die brennenden Augen rinnen. Unter der starren Maske ist das besonders unangenehm; trotzdem scheue ich mich, sie abzunehmen.
Wach auf!, befehle ich mir wieder und wieder. Du hast einen Albtraum! Beende ihn! Aber es funktioniert nicht.
Obwohl sich die Schnitte, die mir die winzigen Nadeln beibringen, sehr real anfühlen und höllisch wehtun. Heißt es nicht, dass man im Traum keinen Schmerz empfinden kann?
Eine Wurzel – vielleicht auch ein im weichen Waldboden verborgener Stein – bringt mich zu Fall. Ich stürze und beiße mir auf die Zunge, habe plötzlich den Geschmack von warmem Metall im Mund.
Hämoglobin, zuckt es durch meinen dröhnenden Schädel. Das Blutprotein enthält Eisenionen, an die sich der Sauerstoff bindet, der durch die Arterien transportiert wird. Deshalb schmeckt Blut für gewöhnlich wie ein Stück unlackiertes Eisen.
Seltsam, was einem in Extremsituationen alles durch den Kopf schwirrt ...
Hastig komme ich wieder auf die Beine und hetze weiter. Ich spüre ein heftiges Stechen in der Brust und den Seiten. Ich bin nie besonders sportlich gewesen; meine Kondition ist nicht die beste. Während meiner Zeit bei der Terranischen Flotte habe ich die vorgeschriebenen Trainingseinheiten eher widerwillig absolviert. Dazu kommt eine Ernährung, die aus zu viel Zucker und ungesunden Fetten besteht. Das hat mir bei den medizinischen Routineuntersuchungen immer wieder vorwurfsvolle Blicke der diensthabenden Ärzte eingebracht – und gute Ratschläge, die ich längst auswendig kannte. Mit der Theorie habe ich keine Probleme; es ist die Umsetzung in die Praxis, an der es hapert.
Endlich lichtet sich der Wald und geht in eine mit Büschen und Gras bewachsene Felslandschaft über. Das hilft mir zwar nicht sonderlich, aber wenigstens werde ich nicht mehr von Baumnadeln lebendig gehäutet.
Ich versuche, mich zu erinnern, wie das alles begonnen hat. Wie komme ich hierher? Wo bin ich überhaupt? Aber mein Kopf ist leer. Ich kenne nur meinen Namen: Alaska Saedelaere.
Ich bin nichts Besonderes. Vor ein paar Jahren war ich Techniker auf der SOL, einem der faszinierendsten Raumschiffe, mit dem Menschen jemals durch den Weltraum geflogen sind. Ich war glücklich und zufrieden. Aber das ist ein Zustand, der selten lange anhält. Das Schicksal scheint es nicht zu mögen, wenn ein Leben allzu lange geradlinig und ohne Komplikationen verläuft. Also legt es einem Steine in den Weg – nun, in meinem Fall waren es eher ein paar ziemlich große Felsbrocken.
Es gibt sicher nicht viele, die es schaffen, zehntausend Jahre in die Vergangenheit zu reisen und dort zu stranden. Und noch weniger kriegen es hin, wieder in ihre angestammte Gegenwart zurückzukehren – mit einem ... Ding im Gesicht, dessen Anblick jedes andere Lebewesen vor Angst sterben lässt. Ich werde deshalb für den Rest meines Lebens eine Maske tragen müssen. Eine plumpe Maske aus kristallinem Bor, weil dies das einzige Material zu sein scheint, das von meiner Gesichtshaut nicht abgestoßen wird.
Ja, das Schicksal hat mich zu einem Freak gemacht, zu einem Außenseiter, einem Sonderling, den jeder verstohlen anstarrt und hinter dessen Rücken man sich dumme Gerüchte und krude Behauptungen zuflüstert. Gewollt habe ich das alles natürlich nie, aber danach hat keiner gefragt.
Vor mir taucht ein schmaler Wasserlauf auf. Für einen Moment hege ich die absurde Hoffnung, dass ich ihn nur überqueren muss, damit die Verfolger meine Spur verlieren. Aber das ist Unsinn. Die Wildschweinhorde bricht soeben aus dem Wald hervor und hat mich sofort im Blick. Ich kann den Tieren nicht entkommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mich einholen.
Voriges Jahr habe ich meinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Allein. Damals hat mich das nicht gestört. Ich bin kein besonders geselliger Mensch, und die Zeit, die ich an Leticrons Seite verbracht habe, hat mich den Wert von Stille und Einsamkeit gelehrt. Das Leben hat die furchtbare Eigenschaft, einem mit fortschreitendem Alter die eigenen Unzulänglichkeiten immer deutlicher vor Augen zu führen. So lange, bis man sich nicht mehr ertragen kann und darüber nachzudenken beginnt, ob der Tod nicht die bessere, die gnädigere Alternative ist.
Was ist das? Ein Haus? Es hat den Anschein, als sei es einfach aus dem felsigen Boden emporgewachsen. Zumindest habe ich es bisher nicht bemerkt. Ein weiteres Indiz dafür, dass ich das alles nicht wirklich erlebe, egal wie realistisch es sich anfühlt.
Beim Näherkommen erkenne ich, dass das Haus aus ... Lebkuchen besteht. Ich blinzle ungläubig, aber das Bild bleibt. Nein, ich irre mich nicht! Das Haus sieht tatsächlich genau aus wie die Zeichnung aus dem Märchenbuch, aus dem mir meine Mutter früher vorgelesen hat. Natürlich auf Dänisch, weil mein Vater darauf bestand, dass ich die Sprache unserer Vorväter erlerne. »Hans og Grete« war immer meine Lieblingsgeschichte.
Ich verspüre den irrationalen Drang zu lachen, aber dafür fehlt mir die Luft. Stattdessen renne ich mit schmerzenden Seiten und stechenden Lungen auf das Häuschen zu. Ein Häuschen, dessen Dach aus Teigschindeln besteht, die dick mit weißem Zuckerguss bedeckt sind. Dazu kommt eine Fassade aus Kuchenplatten, gebacken aus Honig, Butter, Eiern, Mehl, Zimt und Muskatnuss – dekoriert mit winzigen Keksen, bunten Schokoladenstreuseln und Puderzucker.
Ich bemerke die Risse in der Glasur des Materials. Um sie herum ist der Teig grau und hart geworden. Da und dort schimmert er schon grünlich. An mehreren Stellen sind die Verzierungen aus Mandeln und Schokolinsen abgesplittert und zerbrochen.
Dann höre ich die Hilferufe – und mein Herz setzt ein paar Schläge aus. Auf einmal sind meine Verfolger vergessen. Ich schaue nicht mal über meine Schulter, um zu überprüfen, wie nah sie mir bereits sind. Stattdessen trete ich mit aller Kraft gegen die Tür des Lebkuchenhauses. Das Backwerk ist morsch und bricht sofort.
Im Innern erwartet mich flackernde Helligkeit. Es ist viel zu warm. In einer Ecke steht ein riesiger Ofen, aus dem Flammen schlagen. Ihm gegenüber sehe ich einen Käfig – und Katrinka! Ihre Stimme habe ich sofort erkannt.
Die Mehandor sieht genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Ihr wunderschönes Gesicht ist blass, die Lippen weisen einen bläulichen Schimmer auf. So habe ich sie damals auf Arkon I in den Armen gehalten, nachdem ein gedungener Mörder sie mit einem Mikropfeil vergiftet hatte und das Leben aus ihr herausfloss. Immerhin weiß ich nun sicher, dass ich träume, denn die Frau im Käfig kann unmöglich die echte Katrinka sein.
Als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme, fahre ich herum. Im ersten Moment erkenne ich die Gestalt nicht, die da mit gebeugtem Rücken und in ein Kleid aus bunten Lumpen gehüllt auf mich zuhumpelt. Es ist zweifellos die böse Hexe, und auch wenn im Märchen eigentlich Hans und nicht Grete im Käfig sitzt, ist mir längst klar, dass sich diese Scheinrealität aus meiner Erinnerung bedient. Dann hebt die Hexe den Kopf und grinst mich spöttisch an. Ihre raubtierhaften Züge mit dem kurzen, glatten Fell sind unverwechselbar.
Dao-Lin-H'ay! Storkat. Die Katzenfrau.
Die Kartanin hebt ihre Arme und fährt die Krallen aus. Das ist der Moment, in dem die erste der Wildschweinkreaturen durch die Tür kommt. Sie braucht nur einen Lidschlag, um sich zu orientieren. Dann stürzt sie sich mit lautem Grunzen auf mich.
Noch im Zurückweichen reiße ich mir die Maske vom Kopf. Ich habe mir zwar geschworen, mein Gesicht niemals als Waffe einzusetzen, doch da das alles nur ein Traum ist ...
Das Grunzen der Kreatur wird augenblicklich zum hohen Quieken. Der Aufprall ihres schweren Körpers schleudert mich quer durch den Raum und gegen die Gitterstäbe des Käfigs. Ich spüre ein scharfes Stechen im Rücken. Als ich mich aufrapple, sehe ich, dass das Schweinewesen zuckend am Boden liegt. Seine Augen sind dennoch wie gebannt auf mich gerichtet. Es scheint sie nicht abwenden zu können. Das Gesicht ist eine verzerrte Fratze. Sie verrät blankes Entsetzen.
Zwei weitere Verfolger stürmen in den einzigen Raum des Hauses. Sie gehen dabei so ungestüm vor, dass Teile des Türrahmens und der angrenzenden Wand zerbrechen. Dann fällt auch ihr Blick auf mein Antlitz. Die blutrünstige Wut, die eben noch ihre...
| Erscheint lt. Verlag | 2.3.2023 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Perry Rhodan Neo |
| Verlagsort | Rastatt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Neo • Perry Rhodan • Perryversum • Science Fiction |
| ISBN-10 | 3-8453-5499-2 / 3845354992 |
| ISBN-13 | 978-3-8453-5499-6 / 9783845354996 |
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