Mama Fish (eBook)
144 Seiten
Buchheim Verlag
978-3-946330-27-1 (ISBN)
RIO YOUERS ist der für den British Fantasy and Sunburst Award nominierte Autor von Westlake Soul und Lola on Fire. Sein Thriller The Forgotten Girl war Finalist für den Arthur Ellis Award als bester Kriminalroman. Zuletzt erhielt er Reputation für Refrigerator Full of Heads, einer neuen sechsteiligen Serie von DC Comics, sowie für seine Comic-Adaption von Stephen und Owen Kings Sleeping Beauties. Im Buchheim Verlag von ihm erschienen sind Westlake Soul, Everdead und Mama Fish. Rio lebt im Südwesten von Ontario mit seiner Frau Emily und den Kindern Lily und Charlie. Fotographie: Sophie Hogan Joe Hill, Bestsellerautor von HORNS: »Rio Youers schreibt mit Leidenschaft und Sprachgewalt.« Josh Malerman, Bestsellerautor von BIRD BOX: »Ich würde absolut alles verschlingen, was Youers sich ausdenkt.« Peter Straub: »Rio Youers ist eines der aufregendsten jungen Talente dieser Dekade. Er schreibt wundervoll poetisch und hat ein instinktives Gespür für die Momente, in denen der Autor zeigen muss, dass er seinen Verstand beisammen hat, während seine Leser ihren verlieren.«
RIO YOUERS ist der für den British Fantasy and Sunburst Award nominierte Autor von Westlake Soul und Lola on Fire. Sein Thriller The Forgotten Girl war Finalist für den Arthur Ellis Award als bester Kriminalroman. Zuletzt erhielt er Reputation für Refrigerator Full of Heads, einer neuen sechsteiligen Serie von DC Comics, sowie für seine Comic-Adaption von Stephen und Owen Kings Sleeping Beauties. Im Buchheim Verlag von ihm erschienen sind Westlake Soul, Everdead und Mama Fish. Rio lebt im Südwesten von Ontario mit seiner Frau Emily und den Kindern Lily und Charlie. Fotographie: Sophie Hogan Joe Hill, Bestsellerautor von HORNS: »Rio Youers schreibt mit Leidenschaft und Sprachgewalt.« Josh Malerman, Bestsellerautor von BIRD BOX: »Ich würde absolut alles verschlingen, was Youers sich ausdenkt.« Peter Straub: »Rio Youers ist eines der aufregendsten jungen Talente dieser Dekade. Er schreibt wundervoll poetisch und hat ein instinktives Gespür für die Momente, in denen der Autor zeigen muss, dass er seinen Verstand beisammen hat, während seine Leser ihren verlieren.«
KAPITEL 3
Ich hatte versucht, mit Kelvin Fish zu reden – mehrmals sogar –, aber ich wurde jedes Mal unterbrochen: Mal blaffte mich ein Lehrer an, ich würde die Stunde stören, mal schnippte mir eine der Sportskanonen ins Ohr und nannte mich Schwuchtel. Ich musste mit ihm unter vier Augen reden, weit weg von jeder Ablenkung. Ich hielt es für die beste Idee, mich vor der Sportstunde zu drücken, schrieb einen Brief von zu Hause, in dem ich behauptete, ich wäre zu krank für körperliche Betätigung, und setzte die schrecklich schlecht gefälschte Unterschrift meiner Mutter drunter. Den reichte ich Coach DeLisi, der ihn einfach nur überflog, ohne auf die Unstimmigkeiten zu achten. Davon war ich ausgegangen.
»Im Zwickel des Lebens bist du die lange braune Bremsspur, Beauchamp. Habe ich dir das je gesagt?«
Ich nickte. »Erst letzte Woche, Coach.«
»Stimmt.« Wenn er die Stirn runzelte, dann wirkten die Falten auf ihrem Weg zur Glatze wie die Treppenstufen einer Pyramide. Er knüllte den Brief zusammen und wies mich an, die Arme hochzunehmen, damit er ihn für drei Punkte zwischen ihnen hindurchschnippen konnte.
»Tja, dann räumst du wohl mit Kelvin Fish den Abstellraum auf. Biste bestimmt heiß drauf, hm?«
Ich spitzte die Lippen und kratzte mich unter den Achseln.
»Verpiss dich und nimm deinen Reizdarm mit.«
Der Abstellraum war schon bestens in Schuss, was zu erwarten war. Kelvin Fish hatte ihn in den letzten beiden Jahren dreimal die Woche aufgeräumt, mehr oder weniger. Einige der Sachen waren falsch eingeräumt, aber ein gesundes Paar Hände hätte das im Nu in Ordnung gebracht. Kelvin Fish brauchte die gesamten fünfzig Minuten. Ich setzte mich hin und schaute zu, wie er die Baseballschläger nach Gewicht und Bälle nach Sportart sortierte, Matten stapelte, Trikots faltete, Erdklumpen aus Visieren puhlte und den Boden fegte. Er hätte sich die ganze Zeit zu mir setzen und nichts tun können, Coach DeLisi hätte den Unterschied nicht bemerkt.
»Du machst einen großartigen Job, mein Freund«, sagte ich. Ich hatte einen Fanghandschuh angezogen, ließ einen Baseball vom Boden an die Wand klatschen und fing ihn immer wieder auf, wie Steve McQueen in Gesprengte Ketten.
Kelvin Fishs Antwort war ein Grunzen. Sein funktionierendes Auge drehte sich in meine Richtung, kehrte aber blitzschnell zum Besen zurück, bevor es Blickkontakt herstellte. Elf Jahre später würde ich an einem Halbmarathon teilnehmen und das Geld, das ich dadurch verdiente, dem ortsansässigen Heim für autistische Kinder spenden. Ich wurde zum Dank ins Heim zum Essen eingeladen und zu einem Fototermin mit der dortigen Zeitung. Ich überreichte den Scheck, schüttelte eine Menge Hände und redete mit den Kindern. Sie waren bezaubernd und oft aufgeweckt, aber keins von ihnen stellte Blickkontakt her. An diesem Tag dachte ich nicht nur ein mal an Kelvin Fish. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu weinen.
Es ist nicht leicht, mit jemandem das Gespräch zu suchen, der kein Interesse daran hat, sich mit dir zu unterhalten.
Es mag sogar unmöglich sein, wenn man vor dieser Person ein wenig Angst hat. Ich ging in meinem Kopf eine Reihe an Themen durch, die Kelvin Fish vielleicht gefallen könnten. Allerdings wusste ich nichts über ihn. Ich tappte absolut im Dunkeln.
»Hast du gesehen, wie die Patriots die Dolphins gestern abgeraucht haben? Die haben es dieses Jahr wieder richtig drauf.«
Kelvin Fish drehte mir den Rücken zu und konzentrierte sich auf seinen Besen.
»Hast du Slippery When Wet von Bon Jovi gehört? Ist ziemlich gut. Wenn du mir eine leere Kassette gibst, dann nehme ich’s dir auf.«
Nichts. Nicht mal ein Achselzucken.
»Was machst du denn so in deiner Freizeit?«
Sein gesundes Auge zuckte erneut in meine Richtung, aber er blieb weiter stumm, als ob es sein Geheimnis wäre.
Ich fing den Ball auf und hielt ihn fest, in der Hoffnung, der unterbrochene Rhythmus würde eine Reaktion hervorrufen. Der Besen verharrte tatsächlich einen Augenblick lang, wurde dann aber weiter vor und zurück bewegt und wirbelte kleine Staubwolken auf. Plötzlich hatte ich das Verlangen, den Ball nach ihm zu werfen – einen richtigen Fastball, mitten auf den Hinterkopf. Zum Reden würde ich ihn damit vielleicht nicht bringen, aber es würde definitiv seine Aufmerksamkeit erregen. Ich überlegte auch, so zu tun, als ob ich werfen wollte, nur um zu sehen, ob ich seinen begrenzten Verstand durchdringen und ihn zusammenzucken lassen konnte. Am Ende ließ ich den Baseball einfach über den Boden rollen. Er prallte gegen die Borsten, wechselte die Richtung und rollte langsam in die Ecke.
Kelvin Fish hörte auf zu fegen. Sein unbeholfener Körper blieb reglos stehen, abgesehen von dem einen gesunden Auge, das der Bewegung des Balls folgte. Er erinnerte mich an ein Baby, das sich von etwas Kleinem ablenken ließ – einem leuchtenden Gegenstand vielleicht. Ich beobachtete ihn aufmerksam, wie er den Ball anstarrte, und fragte mich, ob es eine Reaktion geben würde. Einen Augenblick lang dachte ich, er würde die Kontrolle verlieren, sich das Hemd zerreißen wie Dr. Bruce Banner und mich gegen Boden und Wand klatschen, wie ich es eben mit dem Baseball gemacht hatte. Eine Sekunde später war ich mir sicher, er würde in Tränen ausbrechen. Wenn er angefangen hätte zu weinen, dann hätte ich das auch, das wusste ich. Dieser Moment war so bedrückend, ich hätte mich nicht daran hindern können. Wir hätten ohne guten Grund gemeinsam geweint, uns vielleicht sogar ein wenig umarmt, um Trost zu finden … und was für ein Leckerbissen wäre das für die Sportskanonen gewesen, wären sie in diesem Augenblick vom Spielfeld zurückgekehrt. Ehrlich, ich hätte es bevorzugt, wenn er mir den Hulk gemacht hätte.
Ich kann mich noch erinnern, wie ich damals dachte: Dies ist ein Wendepunkt. Was immer er auch macht, was immer auch passiert, dieser Augenblick wird uns einander näherbringen. Alles wird ab sofort anders, wohl oder übel.
Diese ungewöhnliche Erkenntnis würde sich als zutreffend erweisen. Wir hatten noch einige Wochen bis zu dem Vorfall, der uns in alle Ewigkeit miteinander verbinden sollte, aber der erste Kontakt entstand damals, im Abstellraum der Sporthalle. Wir waren verbunden. Das Band zwischen uns war vielleicht nur hauchdünn, aber es existierte. Wann immer wir auf dem Flur aneinander vorbeigingen, nickten wir uns zu und grüßten uns (allerdings lieferte Kelvin Fish fast immer nur ein unverständliches Grunzen). Manchmal schenkte er mir ein dünnes Lächeln – was sich sowohl als wunderschön wie auch geheimnisvoll erwies, als ob ein Sonnenstrahl über tiefes Wasser tanzte. Es gab sogar eine Gelegenheit während der Mathestunde – er musste bemerkt haben, dass ich Schwierigkeiten hatte –, als er mir seine Klassenarbeit so hinhielt, dass ich sie abschreiben konnte. Mir war nie klar gewesen, wie schlau er war, bis ich meine Arbeit zurückbekam und oben rechts auf der ersten Seite in Rot ein ›A‹ stand.
Bei der Erkenntnis lag ich richtig, nur bei der Reaktion falsch. Kelvin Fish rastete nicht aus und brach auch nicht tränenüberströmt zusammen. Er lehnte einfach den Besenstiel gegen die Wand, schlurfte in die Ecke, hob den Baseball auf und legte ihn dorthin, wo er hingehörte.
Ich stand auf und ging zur Tür. Ich hörte die Jungs draußen im Flur auf dem Weg zur Umkleide, laut und pöbelnd. Bald schon würde der Abstellraum voller Typen sein, die ihr Zeug aus dem Sportunterricht einfach hineinwarfen (Kelvin Fish würde alles geduldig sortieren, während sie unter die Dusche gingen und sich umzogen), mit ihren Sportlermuskeln protzen und ihre dummen Sportlersprüche von sich geben würden.
»Weißt du …«, setzte ich an und begriff, dass ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte.
Kelvin Fish drehte sich halb zu mir um. Er packte den Besenstiel. Ich sah, wie er zitterte.
»Ich versuche bloß nett zu sein«, sagte ich leise. Ohne Überzeugung, wie eine Lüge. Verdammt, vielleicht war es eine Lüge.
Kelvin Fish dachte das offensichtlich. Er schüttelte nur den Kopf und fegte weiter.
Ich wollte etwas hinzufügen, um das Gespräch auf einen Punkt zu bringen, mit einer prägnanteren Aussage. Es musste nichts Schlaues oder Ergreifendes sein. Es durfte nur nicht bedeutungslos klingen. Ich öffnete den Mund, um zu sprechen, ließ ihn wieder zuklappen, öffnete ihn erneut. Kelvin Fish drehte mir den Rücken zu, um deutlich zu machen, dass ohnehin nichts, das ich sagte, für ihn von Interesse war.
Tja, fick dich ins Knie, dachte ich. Mein Kiefergelenk bewegte sich auch weiterhin ohne nennenswerten Nutzen, während Wut, Traurigkeit und Verwirrung durch meine Adern jagten. Ich hatte den Sportunterricht...
| Erscheint lt. Verlag | 19.12.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Cemetery Dance Germany SELECT '22 | Cemetery Dance Germany SELECT '22 |
| Illustrationen | Daniele Serra |
| Übersetzer | Marcel Aubron-Bülles |
| Zusatzinfo | Cover und Innenillustrationen von Daniele Serra, italienischer Künstler, Illustrator und Comiczeichner, sowie zweifacher Gewinner des British Fantasy Award. |
| Verlagsort | Grimma |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Buchheim • buchheim verlag • Cemetery Dance • cemetery dance germany • Coming of Age • Daniele Serra • mama fish • Rio Youers • Select • sunburst award • Westlake Soul |
| ISBN-10 | 3-946330-27-4 / 3946330274 |
| ISBN-13 | 978-3-946330-27-1 / 9783946330271 |
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