Nolife (eBook)
301 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7541-9503-1 (ISBN)
Dorran Vernholt ist seit jeher auf der Suche nach Erklärungen für widersprüchliche menschliche Verhaltensweisen. Die genaue Beobachtung seiner Umwelt machte es ihm unmöglich, sich in einen konventionellen Lebensweg einzufinden. Unterschiedliche Jobs hielten ihn über Wasser und erlaubten ihm, Reisen durch Europa zu machen. Auf diese Weise schuf er Freiraum und Inspiration, um sich seiner Leidenschaft, dem Schreiben, zu widmen. Er findet, nichts berührt einen Menschen so, wie eine gute Geschichte.
Dorran Vernholt ist seit jeher auf der Suche nach Erklärungen für widersprüchliche menschliche Verhaltensweisen. Die genaue Beobachtung seiner Umwelt machte es ihm unmöglich, sich in einen konventionellen Lebensweg einzufinden. Unterschiedliche Jobs hielten ihn über Wasser und erlaubten ihm, Reisen durch Europa zu machen. Auf diese Weise schuf er Freiraum und Inspiration, um sich seiner Leidenschaft, dem Schreiben, zu widmen. Er findet, nichts berührt einen Menschen so, wie eine gute Geschichte.
1
Was für ein total unrealistischer Bullshit, dachte Edmund Arnstrat. Für einen Moment starrte er perplex am Monitor vorbei und fragte sich, ob sein Bauherr der Typ war, der sich an einem Donnerstagabend volllaufen ließ. Er warf einen erneuten Blick auf die E-Mail. Der Mann hatte letzte Nacht um 2:38 Uhr die Idee gehabt, man könne in der schon lange fertig geplanten Halle zur Straße hin Gastronomie und kleine Ladenlokale hinzufügen. Er bat darum, die Möglichkeiten zu evaluieren, ob und wie man mehr Platz für die vielseitigere Nutzung machen könne.
Ganz einfach, wusste Edmund, gar nicht. Sie waren in Leistungsphase 6. Der Bauantrag war längst genehmigt. Die meisten Leistungsverzeichnisse waren auf dem Markt. In zwei Wochen würden die Rohbauer die Fundamente gießen. Ausgehoben worden war vor zwei Monaten. Da war kein Platz, um nach außen zu erweitern. Der Bauherr besaß nicht einmal mehr Grund, als bereits genutzt wurde. Und würde man versuchen, nach oben zu erweitern, war die gesamte Statik hinfällig. Die Halle war so schon überdimensioniert für dieses Kaff bei Neuss, wo sie stehen würde. Kein Mensch würde sich vor dem Stand-up-Comedian am Abend noch in ein Café am Arsch der Welt setzen.
Vor sechs Stunden hatte Edmund die E-Mail zum ersten Mal gelesen und war immer noch nicht über die Dummheit der Anfrage hinweg gekommen. Edmund wollte doch bloß etwas aufbauen, worauf er stolz sein konnte. Er wollte Bauwerke realisieren, vor denen man in vielen Jahren stehen blieb. Die zu einem der wenigen Beispiele guter Architektur der heutigen Zeit werden würden. Leider gab es diese eine Sache, die ihm seine Arbeit verdarb: dumme Bauherren.
»Edmund?«
Er sah von seinem Monitor auf und zur Tür. Umberto Cortez, sein Abteilungs- und Projektleiter, lehnte gegen den Türrahmen. Nun gut: zwei Sachen. Umberto hatte wirklich wieder zweieinhalb Stunden Mittagspause gemacht? Sie teilten sich das Büro, sonst aber kaum etwas und am wenigsten die Arbeit. Denn Umberto war ständig »unterwegs«, so nannte er es, während Edmund in Telefonaten, E-Mails und CAD-Zeichnungen versank.
»Es gibt eine Besprechung. Drechsler möchte dich auch dabei haben. Wir sind oben.« Umberto grinste, als verstünde er nicht, warum Edmund überhaupt dabei sein sollte, machte eine winkende Geste mit zwei Fingern und seinem Daumen und verschwand. Umberto konnte es nicht lassen, seine Kollegen so zu behandeln.
Mit einem letzten Blick auf seinen Bildschirm atmete Edmund durch, stand auf und machte sich auf den Weg zur Chefetage. Er spürte wieder diese schweißtreibende Wärme in sich aufsteigen. Er konnte es kaum erwarten, nicht mehr für Umberto arbeiten zu müssen. Jetzt aber fragte er sich, was besprochen werden sollte. Dann fiel es ihm ein: Es konnte nur um eine Ankündigung von personellen Umstrukturierungen gehen. Nicht irgendwann, sondern sehr bald würde er ihn zum Projektleiter und Darius zum Abteilungsleiter machen. Das musste es sein. Von dem Gedanken beschwingt, beschleunigte er seine Schritte zu den Treppen, als Hannah ihn abfing.
»Hi Edmund. Gut, dass ich dich sehe. Du hast recht gehabt. Ich habe wirklich einfach einen anderen Vertrag. Was soll ich denn jetzt machen?« Sie sah ihn verzweifelt an.
»Hi. Ja. Das sind die neuen Verträge. Ich denke, das kam so, weil in den Vorlagen Einträge sind, die sie einfach übernommen haben.« Hannah hatte Anfang des Jahres ihren ersten Festvertrag bekommen. Es sollte alles beim Alten bleiben, doch sah der Vertrag drei Urlaubstage weniger als bei allen anderen Verträgen vor. Aufgefallen war es ihr erst, als sie ihren ersten Urlaub beantragte.
»Aber mach dir keine Sorgen. Ich habe mit Jürgen gesprochen. Ist schon alles geregelt.«
»Wie?«
»Frau Gotthold ist angewiesen, die Änderung aufzusetzen. Sie wird sich bald bei dir melden.«
»Wirklich? Und ich habe schon schlecht geschlafen die letzten Tage. Danke, das ist super nett von dir.«
»Schon gut. War keine große Sache.« Edmund lächelte sie an.
»Hast du schon Pause gemacht? Ich lade dich ein.«
»Nein. Danke, aber ich kann nicht, ich muss hoch.« Hannah machte noch größere Augen.
»Ist es endlich so weit? Das freut mich total. Vielleicht kann ich dann endlich für dich arbeiten.« Edmund freute sich auch, aber er konnte die anderen nicht warten lassen.
Der Besprechungsraum war voll. Melina, die Auszubildende vom Sekretariat, lächelte ihn schüchtern an und schenkte an seinem Platz neben Darius van Hergen Kaffee ein. Edmund setzte sich und grüßte ihn mit gedämpfter Stimme. Jürgen Drechsler suchte in seiner Aktenmappe und erzählte von den Anfängen des Büros. Das tat er bei jeder Gelegenheit, denn er hatte das große Büro praktisch allein aufgebaut. Die Erzählung zog sich ebenso wie die Suche. Minuten vergingen, während Drechsler alle Blätter aus der Mappe mehrfach in der Hand gehabt und umgedreht hatte. Er fand offensichtlich nicht, was er haben wollte.
Edmund hatte eine Vermutung, was ihm fehlte. Es waren die Pläne über die Entwicklung des Büros der nächsten Jahre. Sie hatten sie gemeinsam an vielen späten Abenden in Drechslers Wohnzimmer entwickelt und niedergeschrieben. Es war sonderbar, dass er sie gerade jetzt haben wollte, denn die nun bedeutenden ersten Schritte kannte Jürgen garantiert auswendig. Edmund wurde nervös und verlor seine Gedanken in der grauen Suppe über Aachens Dächern.
Plötzlich war Drechsler beim eigentlichen Thema angekommen: Irgendwer würde bald in seine beachtlichen Fußstapfen treten. Doch anstatt davon zu sprechen, dass die Abteilungs- und Projektleiter alle gute Arbeit machten, es zunächst aber an der Zeit war, den Nachwuchs zu fördern, sagte er: »Deswegen möchte ich Sie bitten, darüber nachzudenken, ob Sie sich vorstellen können, diese letzte Stufe der Leiter zu nehmen und ob Sie die damit verbundenen Verpflichtungen eingehen möchten. Und sicher haben Sie viele Fragen, auf die wir gern vollständig eingehen wollen.«
Moment, dachte Edmund. Hatte Jürgen gerade allen Abteilungsleitern das Angebot gemacht, sie könnten Chef werden?
»Wie sieht es denn mit den Verpflichtungen aus, zum Beispiel auf der finanziellen Seite?«, fragte Umberto. Edmund versuchte nur für eine Sekunde, Jürgens Aufmerksamkeit einzufangen, um sein Gesicht und seine Augen sehen zu können. Er schien ihm auszuweichen, während er erläuterte, dass der Wert des Büros noch nicht ermittelt wurde und sich bis zu dem Moment der Übergabe verändern würde. Edmund drehte den Kopf zu Darius, der einen fragenden Blick erwiderte.
Edmund saß da und verstand nicht, warum Jürgen nicht zuerst Darius und ihn befördert hatte. Wenn er in einigen Jahren selbst in Rente ging, mussten sie bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das ging nicht, ohne jetzt die Vorbereitungen zu treffen. Sie hatten das doch im Detail abgesprochen.
Edmund kannte Jürgen schon ewig. Er war einer der besten Freunde seines Vaters gewesen und sie hatten privat viel Zeit miteinander verbracht, als Edmund noch ein Kind gewesen war. Das wussten die wenigsten hier im Büro. Edmund war nach all den Jahren, die er schon zu Schulzeiten als Zeichner und während des Studiums praktisch als vollwertiger Architekt ausgeholfen hatte, zum wichtigsten Berater seines Chefs geworden. Einzig weil er zu jung war, kam er als unmittelbarer Nachfolger nicht in Frage. Aber in einigen Jahren sollte er der Nächste sein. Nur würde das nicht gehen, wenn bis dahin jemand wie Umberto Chef war.
Einige Bruchstücke der Sätze, die im Raum gefallen waren, kamen zurück. Niemand fragte, was sie tun konnten, um sich zu qualifizieren, ob es Fortbildungen gab, an denen sie teilnehmen konnten. Jeder schien davon auszugehen, durch die jahrelange Erfahrung als Architekt ein guter Chef geworden zu sein. Wie konnte das sein?
Auf einmal war die Besprechung vorbei. Edmund ging zu Jürgen Drechsler und bat ihn, ein paar Minuten mit ihm zu sprechen. Eine Stunde später wurde er in sein Büro gebeten. Er hatte kaum Lust, sich zu setzen, tat es aber doch.
»Ich verstehe das nicht, Jürgen. Wir haben doch darüber gesprochen, wer sich für Führungspositionen gut eignet und wer nicht. Wieso bekommt jetzt doch jeder die Chance?«
»Nun ja, ganz so leicht ist es nicht. Sie müssen ja schon zeigen, dass sie Lust haben. Und etwas dafür tun.«
»Wenn es nur um Lust geht, dann will doch jeder.«
»Das sage ich ja nicht. Aber einige sind seit fünfzehn, zwanzig Jahren dabei. Denen kann ich jetzt nicht sagen, dass sie nie mehr weiterkommen. Krantz ist seit sechsundzwanzig Jahren bei uns.«
»Ist ja schön, aber entscheidend ist doch, dass sie wissen, wie man ein Büro führt und die richtigen Entscheidungen fällt. Nur weil Krantz die Bauleiter unter sich hat, weiß er doch nicht, wie er ein ganzes Büro zu leiten hat, geschweige denn, Aufträge zu akquirieren. Er war noch nicht ein Mal bei einem Wettbewerb dabei.«
Jürgen Drechsler holte für seine Antwort weit aus. Er wiederholte, wie lange die anderen schon mit ihm zusammen und wie eingespielt sie waren. Von Enthusiasmus und Zukunftsfreude gab es keine Spur. Edmund hörte an den tiefen Tönen in Drechslers Stimme, dass er konservativ geworden war. Er wollte das Büro gar nicht aufgeben. Er wollte, dass alles so blieb, wie es war. Und wenn das schon nicht ging – natürlich ging das nicht –, dann wollte er zurück in die alte Zeit, als er noch jung und innovativ gewesen war. Das Innovations-Paradoxon: Wenn jemand von Innovation spricht, dann meint er eigentlich immer, dass jemand innovativ werden müsste, um einen alten Zustand beizubehalten – den des Erfolgs. Die wirklich Innovativen sprechen gar nicht erst davon, sie sind zu...
| Erscheint lt. Verlag | 4.7.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Digitalisierung • dota • Freundschaft • Gaming • Gesellschaftsroman • nolife |
| ISBN-10 | 3-7541-9503-4 / 3754195034 |
| ISBN-13 | 978-3-7541-9503-1 / 9783754195031 |
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