Dark City (eBook)
348 Seiten
Books on Demand (Verlag)
9783754366226 (ISBN)
Damaris Kofmehl ist gebürtige Schweizerin und schreibt Romane, Fantasy und Thriller, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Ihre Buchrecherchen führten sie unter anderem nach Südamerika, Pakistan, Australien und in die USA. Heute lebt sie in der Schweiz.
. 3 .
Sieben Jahre nach Kataras Geburt ...
Niemals hätte Sheldon gedacht, dass dieser Tag sein Leben für immer verändern würde. Niemals hätte er auch nur erahnt, welch geheimnisvolle Ereignisse im Begriff waren, ihren Lauf zu nehmen, als er an diesem Abend von einem anstrengenden Tag in der Veolicht-Fabrik im Kutschentaxi nach Hause fuhr.
Sheldon war mittelgroß, von Natur aus kräftig gebaut, hatte braune Augen und eine Glatze. Er war ein tüchtiger Mann und hatte sich schon in jungen Jahren zum Filialleiter hochgearbeitet. Er war verlässlich, zuvorkommend und gerecht. Er duldete in seiner Filiale keine Schlamperei und stellte an seine Mitarbeiter und an sich selbst sehr hohe Ansprüche. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog er es durch bis zum Ende. Seine Sturheit und seine zähe Ausdauer machten ihn zu einem hervorragenden Geschäftsmann. Er feuerte Leute, stellte neue ein, fast jedes Jahr zog er in ein größeres Büro um, und sein Schlüsselbund wurde von Jahr zu Jahr dicker.
Sheldon hatte das erreicht im Leben, wovon andere nur träumen konnten. Er war erfolgreich im Beruf und hatte eine wundervolle Familie. Es gab nichts, was ihm noch zum Glück fehlte.
Und dennoch, wenn er manchmal am Abend die Tür seines Büros hinter sich zuschloss, beschlich ihn der befremdliche Gedanke, dass es da noch mehr für ihn gab. Etwas in seinem Innern sagte ihm, dass sein Leben für mehr bestimmt war, als jeden Morgen um sechs Uhr aufzustehen und abends um acht nach Hause zu kommen. Woher diese Sehnsucht kam, wusste er nicht. Aber sie war da, tief verankert in seinem Herzen. Und wann immer Sheldon sich von seinen Verpflichtungen freischaufeln konnte, klopfte diese Sehnsucht ganz sanft an seinen Verstand und flüsterte ihm zu: «Ist das alles, Sheldon? Ist das wirklich alles?»
Vor drei Monaten war der Fünfunddreißigjährige als Generalleiter in die Veolicht-Fabrik nach Pinzkrit versetzt worden. Pinzkrit war ein kleines Städtchen im Westen des Stadtstaates Dark City. Es wurde von einem Vogt namens Kotham regiert, der seinerseits Montreal, dem Stadtbaron des Westbezirks, unterstellt war.
Ein Jahr nach der großen Nebelkatastrophe, als Drakar der Erste Dark City zu einem Stadtstaat erklärt hatte, hatte das Volk begonnen, sich über das ganze Gebiet innerhalb der Mauer auszubreiten und sich in Dörfern anzusiedeln. Rund um den großen Tufffelsen, auf dem Drakar seine Burg hatte errichten lassen, wurde die Stadt Dark City erweitert und ein imposantes Stadion zur Verbrennung der Hexen gebaut. Hier lebten die meisten Menschen, unter anderem auch die vier Stadtbarone, denen Drakar der Erste die Regierung der verschiedenen Bezirke und Außenbezirke von Dark City zugeteilt hatte.
Pinzkrit befand sich knapp vierzig Meilen südwestlich von der Stadt Dark City. Das Gebiet war bekannt für den Shuha. Der Shuha war ein mittelgroßer Vogel, der einen eigenartigen Ruf von sich gab; es klang wie berstendes Metall. Er konnte nicht fliegen, besaß dafür aber die unglaubliche Fähigkeit, sich zu tarnen. Er konnte sein Federkleid so perfekt seiner Umgebung anpassen, dass man ihn selbst auf zwei Ellen Entfernung nicht sehen konnte. Nur geübte Jäger waren in der Lage, ihn einzufangen. Das Fleisch des Shuha war eine Delikatesse, die sich nur wenige leisten konnten. Sheldon liebte gebratenen Shuha, und seit er mit seiner Familie in Pinzkrit lebte, kaufte seine Frau fast alle vierzehn Tage einen auf dem Wochenmarkt und bereitete ihn mit auserlesenen Kräutern und einer herrlich pikanten Pfeffersauce zu.
Nachdem Sheldon den Kutscher bezahlt und das Haus betreten hatte, wurde er sogleich von einem köstlichen Duft nach gebratenem Shuha eingehüllt. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
«Hallo Schatz!», rief er, während er seinen dunkelblauen Regenmantel an den Haken in der Garderobe hängte. Er fuhr sich über seine Spiegelglatze, legte den Schlüsselbund auf den kleinen Glastisch beim Eingang und trat ins Wohnzimmer.
«Hallo, mein Liebster!», kam es aus der Küche. «Essen ist in zehn Minuten fertig. Es gibt heute dein Lieblingsgericht.»
«Shuha», nickte Sheldon und sog den würzigen Duft mit einem zufriedenen Lächeln in sich auf. In diesem Moment kam seine Tochter Sihana die Wendeltreppe heruntergestürmt.
«Hallo Papa!», rief die Siebenjährige. Sie trug ein buntes Röckchen, und ihre drei blonden Pferdeschwänze tanzten bei jeder Stufe lustig auf und nieder. «Guck mal, was ich in der Schule gemalt hab!» Das Mädchen streckte seinem Vater stolz eine Zeichnung entgegen. Es zeigte eine Frau, die auf einem Scheiterhaufen stand und lichterloh brannte.
«Das hast du sehr schön gezeichnet, mein Spatz», sagte ihr Vater anerkennend und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Das ist die letzte Hexe», erklärte Sihana. «Sie ist sehr, sehr böse.»
«Oh ja, das sieht man», nickte Sheldon und tippte auf einen gelben Flecken, der schräg über dem Scheiterhaufen in der Luft hing und von dem viele gerade Striche in alle Pachtungen weggingen. «Und das hier? Ist das die Sonnet?»
Das Mädchen nickte eifrig. «Unsere Lehrerin sagte, wenn die letzte Hexe verbrannt ist, wird die Sonne wieder über Dark City scheinen. Ist das wahr?»
«Ja, das ist es allerdings», bestätigte Sheldon, gab seiner Tochter die Zeichnung zurück und murmelte, mehr zu sich selbst als zu dem Kind: «Dreiundzwanzig Jahre Dämmerung sind wahrlich genug. Es wird Zeit, dass dieser Nebel endlich aus unserem Land verschwindet»
«Papa», sagte Sihana und sah plötzlich ganz ernst aus.
«Ja, mein Spatz?»
«Wann wird das sein?»
«Wann wird was sein?»
«Wann kommt das Licht zurück?»
Der Vater ging in die Knie und hielt das Mädchen sanft an den Armen fest. «Bald», sagte er. «Sehr bald.» Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Die Legende sagte, dass die Hexen mit ihrer Zauberei den Zorn Gottes heraufbeschworen hatten. Deswegen hatte Gott einen brennenden Felsen ins Meer stürzen lassen, der die gesamte Insel außerhalb der Mauern in einer Welle aus Feuer und brodelnder Gischt zerstört hatte. Eine ganze Gesellschaft mitsamt ihren fortschrittlichen technischen Errungenschaften war in einem einzigen grauenvollen Moment ausgelöscht worden. Zurück blieben nur die Inselbewohner, die innerhalb der Mauer lebten.
Doch als wenige Stunden später der Nebel kam, wurden auch sie jeglicher Hoffnung beraubt. Viele Hexen waren seither verbrannt worden, um den Fluch der Dunkelheit zu brechen. Niemand wusste, wie viele noch übrig waren und wo sie sich versteckt hielten. Die letzte Hexenverbrennung lag bereits über ein Jahr zurück, und seither hatte man keine mehr gefasst. Einige sagten, die Hexen hätten sich in die Berge zurückgezogen, damit niemand sie mehr finden könne. Andere behaupteten außerdem, sie wären dabei, an einem geheimen Ort neue Hexen und Hexer auszubilden.
Es hieß, sie wollten Drakar den Ersten vom Thron stürzen und die Regierung an sich reißen. Ja, es wurde viel gemunkelt über die Hexen. Alle hofften, dass ihr Geschlecht endlich ein für alle Mal von der Insel ausgerottet würde. Aber bis es so weit war, konnten noch Jahre vergehen, vielleicht sogar Jahrzehnte. Und so lange würde die Finsternis weiter über Shaíria herrschen, und das Gebiet innerhalb der großen Mauer würde weiterhin den Namen tragen, den man ihm seit der großen Nebelkatastrophe gegeben hatte: Dark City.
«Und wenn wir nicht alle Hexen findend», fragte Sihana.
Sheldon strich der Siebenjährigen lächelnd übers Gesicht. «Wir werden sie schon aufstöbern. Da mach dir mal keine Sorgen. Und jetzt sag deinem Bruder, er soll den Tisch decken, ja?
Das Mädchen nickte und rannte die Treppe hoch, während es in voller Lautstärke den Namen seines Bruders rief. «Elkor! Tisch decken!»
Sheldon löste sich die Krawatte vom Hals, legte sie über einen Stuhl und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Dann ging er in die Küche, um seine Frau zu begrüßen. Der gebratene Shuha lag verlockend knusprig auf einer mit Kräutern verzierten Platte und wartete nur darauf, gegessen zu werden. Sheldon ging zum Herd, umarmte Mona liebevoll von hinten und roch an ihrem langen schwarzen Haar. Es war nass und duftete herrlich nach Mandelblüten. Sie hatte geduscht, bevor er nach Hause gekommen war. Seine Frau drehte sich lächelnd um und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
«Wie war dein Tag?»
«Anstrengend», antwortete Sheldon. «Chef zu sein ist nicht immer leicht. Ich musste schon wieder jemanden feuern.»
«Veolicht-Diebstahl?»
Sheldon nickte und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte aus Marmorstein. «Schon verrückt. Dabei weiß jeder Fabrikarbeiter, dass wir die Sicherheitsschleusen erneuert haben. Aber es gibt immer wieder welche, die denken, sie könnten die Lichtdetektoren austricksen und Batterien und Glühbirnen aus der...
| Erscheint lt. Verlag | 27.6.2022 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| ISBN-13 | 9783754366226 / 9783754366226 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich