Brücken über Zeiten und Kontinente (eBook)
707 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-946130-39-0 (ISBN)
Einleitung
Dies ist die Geschichte dreier Generationen einer deutschen Missionarsfamilie, von denen jede in unterschiedlicher Weise durch die Missionsarbeit und das Leben auf Sumatra sowie durch die Auswirkungen zweier Weltkriege geprägt wurde. Die ersten waren Karl Hermann Weissenbruch und seine Frau Martha geb. Schmidt die in der Zeit von 1904 bis 1939 auf der Insel Sumatra im damaligen Niederländisch-Indien im Missionsdienst tätig waren. Dort wurden ihnen drei Töchter geboren. Die älteste Tochter, Elisabeth, lebte nach ihrer Eheschließung mit dem Kaufmann Karl-Heinz Otto mit zwei Töchtern in Bandjermasin auf Borneo, dem heutigen Kalimantan. Die zweite Tochter, Gertrud, heiratete den Missionar Alfred Rutkowsky. Beide waren, mit Unterbrechungen während des Krieges, ebenfalls von 1933 bis 1966 im Dienste der Rheinischen Mission auf Sumatra tätig. Ihnen wurden vier Kinder auf Sumatra geboren; das fünfte und jüngste, später in Deutschland geborene Kind reiste später mit den Eltern noch einmal mit hinaus nach Sumatra.
Was war das für eine Welt, welche die Weissenbruchs 1904/1906 vorfanden, und wie waren die Verhältnisse, in denen sie ihrem Missionsauftrag nachgingen?
Sumatra ist die zweitgrößte Insel dieses zwischen Indien und Australien sich ausdehnenden Inselreichs, welches seit dem Zweiten Weltkrieg Indonesien genannt wird. Bis zum zweiten Weltkrieg war es holländische Kolonie und hieß Niederländisch-Indien. Die Holländer hatten ihre Eroberung des Archipels erst zu Beginn des 19. Jh. mit der grausamen Okkupation Balis abgeschlossen; Bali, dem letzten Teil des einst alles einigenden buddhistischen Königreiches Srivijaja, welches dann von dem Hindureich Majapahit abgelöst worden und nach dessen Niedergang in viele einzelne islamische Sultanate zerfallen war.
Auf Sumatra, Heimat von Orang-Utan, Tiger, Rhinozeros und Elefant, waren zu dieser Zeit besonders die Küstenregionen schon seit dem II. Jh. durch vor allem arabische Händler erschlossen, während das Binnenland als unzugänglich und wegen der wilden Bevölkerung auch als gefährlich galt. Reisende erhielten nur unter großen Schwierigkeiten die Erlaubnis, sich dorthin zu begeben. Südlich von Aceh, im Bergland rund um den Tobasee, lebten die verschiedenen Stämme der Batak, von denen man aufgrund von Sprachanalysen vermutet, sie seien vor etwa 2.500 Jahren von China oder den Philippinen hierher eingewandert. Der Tobasee, mit 100 km Länge und 30 km Breite der größte Kratersee der Welt, bildete einen natürlichen Mittelpunkt, um den sich die altindonesischen Volksstämme der Batak angesiedelt hatten. Die Batak lebten in nahezu völliger Abgeschie-denheit von den anderen Volksgruppen der Insel und ihre Kultur und Sprache wiesen wenige Fremdeinflüsse auf. Der Volksstamm der Batak untergliedert sich in sechs Gruppen, die sich bezüglich ihrer Rituale, ihrer Architektur, ihrer Kleidung und vor allem ihrer Sprache und Schrift unterscheiden.
Die Batak lebten in Clan-Verbänden, so genannten margas. Diese definierten sich durch die gemeinsame Abstammung von einem bestimmten Vorfahr, der entsprechend verehrt wurde. Noch heute können viele Batak auf Nachfrage genaue Auskunft geben über die verwandtschaftlichen Verhältnisse ihrer marga und das über Generationen zurück. Bestimmend für das Zusammenleben war die adat, der Sitten und Verhaltenskodex, der auch heute noch oft über politische und religiöse Grenzen hinweg Gültigkeit hat.
Bereits der venezianische Handelsreisende und Weltumsegler Marco Polo im 13. Jh. und der englische Historiker William Marsden, der die Insel 1820 besucht hatte, berichteten beide über von den Batak praktizierten Kannibalismus.
Durch die arabischen Händler des 11. Jh. waren die Küstengebiete und vor allem Aceh, die Nordspitze Sumatras, durch den Islam geprägt. Die wilden und unzugänglichen Landesteile im Inneren der Insel waren weitgehend heidnisch geblieben, bis hierher war der Islam noch kaum vorgedrungen. Dies machte die im Animismus lebenden Batak für Missionierungsversuche interessant, denn hier ließ sich „ein Bollwerk gegen den Islam“ (Martha Weissenbruch) errichten.
Zwei der ersten Missionare, die sich in diese Gegend vorwagten, die amerikanischen Baptisten Henry Lymann und Samuel Munson wurden 1834 im Silindungtal von den Batak ermordet und „aufgefressen“. So die Überlieferung. Wahr ist, dass bis heute nichts Genaueres über die Ermordung hinaus bekannt ist.
1861, 28 Jahre nach diesen Ereignissen, wurde nun ein erneuter Versuch gewagt. Die Rheinische Missionsgesellschaft in Barmen, seit den 1830er Jahren bereits in Cape Town, Afrika tätig, schickte nun den von der Hallig Nordstrand stammenden Missionar Ludwig Ingwer Nommensen nach Sumatra. Diesem gelang es unter großen Schwierigkeiten, bei den Batak Fuß zu fassen. Mehrfach kam er nur knapp mit dem Leben davon. Zugang zu den Batak fand er in erster Linie über medizinische Hilfe, Bildung und erst in zweiter Linie über die Verkündigung des Evangeliums. Früh wurden von ihm bataksche Lehrer und Prediger ausgebildet. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war dabei, dass Nommensen von Anfang an auch die Ausbildung der Frauen als Krankenschwestern, Hebammen und Gemeindehelferinnen mit einbezog. Auf diese Weise wurde die Arbeit fest in der Bevölkerung verankert. Innerhalb einer Generation erreichte er eine weitgehende Christianisierung der Region.
Zu Beginn seiner Arbeit auf Sumatra versuchte Nommensen, sich von den Europäern, insbesondere den holländischen Kolonialherren fernzuhalten, er hielt ihren Einfluss im Hinblick auf seine Ziele für hinderlich. Schließlich arbeitete er aber doch mit der Kolonialregierung und dem Militär zusammen. Zum Beispiel versuchte er, während einer Strafexpedition des Militärs im sumatranischen Hochland zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Dabei gelang es ihm, größeres Blutvergießen zu vermeiden. Dadurch gewann er mehr Vertrauen in der Bevölkerung. Die politische Bedeutung dieser Kooperation wurde deutlich, als sich die Kolonialverwaltung ausdrücklich für die Zusammenarbeit bedankte. Nommensen wurde auf diese Weise, ohne es primär gewollt zu haben, zu einem Wegbereiter des Kolonialismus, ein Vorwurf, den man heute den damaligen Missionaren wohl nicht ganz zu Unrecht macht. Und doch ist diese Sicht zu einseitig. Der Journalist Rüdiger Siebert formuliert das so: „Nommensen verkörpert einen Mann der neuen Zeit. Er und seine Mitstreiter verhelfen zu Bildung. Gerade Frauen und jüngere Leute lassen sich davon begeistern. Die Epoche ist reif für Veränderungen. Die moderne Technik dringt vor. Deshalb ist es wohl zu kurz gegriffen, einen Mann wie Nommensen nur als Wegbereiter des Kolonialismus zu sehen; er war in weiterem Sinne Wegbereiter neuer Ideen, einer weltoffenen Lebensweise, eines selbstbewussteren Umgangs der Menschen miteinander. Während der 56 Jahre, die Nommensen im nördlichen Sumatra lebte, hat er das Land der Batak räumlich und geistig geöffnet.“ (R. Siebert, Deutsche Spuren in Indonesien, 2002, S. 81)
1935 übersetzte Hermann Weissenbruch den Bericht eines batakschen Pfarrers, des Pandita Josef, aus der batakschen in die deutsche Sprache, in welchem u.a. dieser Gedanke gestützt und noch einmal anders verdeutlicht wird. Gleichzeitig ist er eine gute Darstellung batakscher Mentalität aus originaler, d.h. batakscher Sicht. Das Folgende ist eine Zusammenfassung des Textes: Die Batak lebten in Angst vor den begus, den bösen Geistern. Das bataksche Denken war soehar, d.h. böse oder schlecht, aber sie hatten auch Gutes, etwa die adat, also die Sitten und Gebräuche, welche die Liebe für die Verwandten und die ganze Sippe einschloss, und sie ehrten ihre Häuptlinge und Ältesten. Sie kannten alle ihren Stammbaum zurück bis zu raja Batak, ihrem Stammvater. Die Batak haben einen ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht, auch jenes, welches sie im Umgang mit anderen erfahren, und behalten es immer im Gedächtnis, besonders aber das Schlechte. Sie sind sehr geschickt darin, das nachzumachen, was sie einmal gesehen haben. Die Redekunst wird von ihnen sehr bewundert, weshalb sie oft in Streit geraten oder Rechtshändel ausfechten. Die Batak, die zum Christentum konvertiert waren und dabei auch viel dazugelernt hatten, wurden von der holländischen Verwaltung den Heiden bei der Vergabe von Ämtern vorgezogen. In Handel und Verkehr, in Landwirtschaft und allerlei Gewerbe kam Bewegung und Aufstieg. Man wurde sich seiner Gaben und Aufgaben bewusst, jeder an seiner Stelle. Das Selbstbewusstsein wurde mächtig gehoben und über das Maß hinaus gesteigert. Die Erkenntnis, dass Wissen auch bedeutete, gutes Geld zu verdienen, zog so manchen in die Schule, um weiter voranzukommen.
Als Nommensen am 23. Mai 1918 starb – er war 84 Jahre alt geworden – zählte die von ihm gegründete Kirche 180000 Mitglieder, darunter 34 bataksche Pastoren und hunderte von Lehrern. Nommensen wurde in Sigumpar am Südufer des Tobasees begraben. Noch heute wird sein einfaches Grab von vielen Menschen besucht, die...
| Erscheint lt. Verlag | 18.5.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Batak • Deutschland • Evangelische Mission • Indien • Internierung • Medan • Si Piak • Sumatra • Zweiter Weltkrieg |
| ISBN-10 | 3-946130-39-9 / 3946130399 |
| ISBN-13 | 978-3-946130-39-0 / 9783946130390 |
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