Göttererbe 3: Persephones Schicksal (eBook)
404 Seiten
Impress (Verlag)
9783646607536 (ISBN)
Merit Niemeitz wurde 1995 in Berlin geboren und lebt noch immer dort, in einer Wohnung mit unzähligen Flohmarktschätzen, Pflanzen und Büchern. Seit ihrer Kindheit liebt sie Worte und schreibt ihre eigenen Geschichten. Während und nach ihrem Studium der Kulturwissenschaft arbeitet sie seit Jahren in der Buchbranche und möchte eigentlich auch nie etwas anderes tun.
Merit Niemeitz wurde 1995 in Berlin geboren und lebt noch immer dort, in einer Wohnung mit unzähligen Flohmarktschätzen, Pflanzen und Büchern. Seit ihrer Kindheit liebt sie Worte und schreibt ihre eigenen Geschichten. Während und nach ihrem Studium der Kulturwissenschaft arbeitet sie seit Jahren in der Buchbranche und möchte eigentlich auch nie etwas anderes tun.
Kapitel 2
Das hier war kein Schneeregen, es war ein Wintersturm. Ich stand erneut auf der Klippe, nur ein paar Meter vom Abgrund entfernt, und reckte das Gesicht nach oben. Die Welt verschwamm in weißem Nebel. Schneeflocken benetzten mein Gesicht, meine nackten Arme, mein offenes, umhertanzendes Haar.
Seit Vesper mir jeden Morgen Nektar gab, spürte ich, wie ich fitter wurde. Ich war viel langsamer außer Atem, wenn ich jeden Morgen die Hügelformation neben dem Haus hinaufstieg, ich wurde später müde und früher wach, und meine Sinne schärften sich. Ich roch den Kaffee, noch bevor ich die Veranda betreten hatte, ebenso wie Sadies aufdringliches Jasminparfum und Calebs Aftershave, von dem er immer zu viel nahm. Ich schmeckte es, wenn die Milch kurz davor war zu kippen. Und ich bemerkte die Blicke, die die anderen austauschten, wenn sie dachten, ich sähe nicht hin. Und vor allem hörte ich sie. Immer. Ich hörte Clio mit Caspar telefonieren, Sadie und Chester im Erdgeschoss miteinander streiten, Caleb und Lex im Nachbarzimmer gelangweilt Karten spielen und Vesper unruhig auf- und ablaufen. Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten. Das Haus wurde mit jedem Tag lauter und das, was die anderen nicht sagten, auch. Seit fast vier Wochen waren wir hier, seit zwölf Tagen trank ich Nektar und ich wusste noch immer nicht, was wir tun sollten. Sie hatten sich alle geirrt. Hades, Dorion, Zeus, Zeo – ich würde diese verdammte Büchse niemals finden. Wie viel Zeit blieb mir noch, bis ihnen das auffiel? Wie viele Tage, bis Hades mich zu sich rief oder Zeus mich auf irgendeine naturgewaltige Art bestrafen würde? Wie lange noch, bis ich den Preis für etwas zahlte, das ich nie gewollt und trotzdem verschuldet hatte?
Ich wusste längst nicht mehr, ob ich Angst davor hatte oder mich danach sehnte. Sollten diese arroganten Götter doch kommen und mich holen. Ich hatte schlechte Laune und ich hatte große Lust, sie an ihnen auszulassen.
Vielleicht blieb ich deswegen immer länger auf der ungeschützten Bergspitze. Wenn Zeus mich mit seinen Blitzen abwerfen wollte, sollte er es gern versuchen.
Trotz des pfeifenden Windes nahm ich ihn wahr, kaum dass er die Klippe erreicht hatte. Seit ich den Nektar trank, war Vespers Nähe noch intensiver spürbar. Seine Wärme kitzelte an meinem Nacken, obwohl er bestimmt noch zehn Meter von mir entfernt war. Ich konnte ihn sogar riechen, unter der beißenden Schneekälte lag diese vertraute Spur aus Moos, Sonnenwärme und Geborgenheit. Am liebsten wäre ich geradewegs über die Klippe gesprungen.
»Was soll das?« Seine Stimme wurde vom Wind auseinandergenommen, aber ich hörte sie trotzdem überdeutlich. So wie seine Schritte, die knirschend über die weiße Ebene auf mich zukamen.
»Was soll was?«, fragte ich zurück, ohne mich auch nur zu bewegen. Auf meinem Gesicht und meinen Armen hatte sich eine dünne Schneeschicht gebildet. Meine Jacke hatte ich noch auf der Veranda ausgezogen und achtlos in die Dünen geworfen.
»Du bist seit Stunden hier oben. Du warst nicht mal beim Frühstück.« Er kam näher.
Mein Körper spannte sich an, ich presste die Augen fest zu. »Na und? Was habe ich verpasst? Habt ihr euch darüber gestritten, wen ich dabei bin zu verraten? Habt ihr darüber abgestimmt, was ich tun soll? Was ich sagen und machen und wer zur Hölle ich sein soll, damit es euch und euren arroganten Götter-Chefs in den Kram passt?« Mit einem Ruck riss ich die Augen auf und fuhr zu ihm herum.
Vesper stand nur zwei Meter hinter mir. Der Schnee tanzte weiß um seine Silhouette herum – doch kaum dass er ihn berührte, schmolz er. Feine Wasserspuren, die über seine Haut liefen und die ich so unerträglich drängend wegwischen wollte. Das Grünbraun der Highlands in der Ferne zerlief hinter ihm zu einem unfertigen Aquarellgemälde. Es war so absurd und grausam: Die Welt verschwamm noch immer unter dem Schnee, aber Vesper blieb scharf gezeichnet. Meine Sinne fokussierten ihn und zersetzten ihn gleichzeitig in all jene Details, die ich seit Wochen zu vergessen versuchte. Es tat so weh, dass ich am liebsten geschrien hätte.
Stattdessen ballte ich die Hände zu Fäusten und konzentrierte mich auf das andere Gefühl in mir. Auf andere Weise schmerzhaft. Auf eine, mit der ich umgehen konnte. Wut. »Ich hab es so satt. Ich hab es satt, dass ihr mich alle als ein Mittel zum Zweck betrachtet. Als einen willenlosen Spürhund, der euch nützlich sein kann, wenn ihr mich auf die richtige Fährte setzt. Das war schon damals mit diesem bescheuerten Stein und dieser Prophezeiung anstrengend, aber jetzt ist es einfach nur beschissen. Ich bin nicht das, was ihr in mir seht, okay? Ich hab absolut keine Ahnung, wer ich überhaupt bin, aber ganz bestimmt bin ich kein verfluchter Kompass. Und mir reicht es jetzt, dass ihr mich alle permanent beobachtet und jeden meiner Schritte verfolgt. Ich habe das Gefühl, in diesem Haus zu ersticken. Ich bekomme keine Luft mehr. Ihr. Macht. Mich. Krank!« Die letzten Worte stieß ich nur noch heiser hervor.
Vesper betrachtete mich mit einer Seelenruhe, die das Kribbeln in mir nur verstärkte.
»Du bist wütend«, stellte er sachlich fest. Sein Atem schwebte in Wolken zwischen uns, so viel sichtbarer als meiner.
»Und du bist eine richtige Intelligenzbestie, seit du unsterblich bist. Bist du jetzt der neue Gott der Erkenntnis?« Ich lachte rau auf. Ein Ton, der über meine Kehle schabte, so heftig, dass ich glaubte Blut zu schmecken. Vielleicht lag das aber auch nur daran, wie oft ich mir in den letzten Tagen in die Wange gebissen hatte, um nicht vor Frust zu schreien.
Ungerührt kam er weiter auf mich zu. »Es ist gut, dass du wütend bist.«
»Findest du?«, schoss ich bissig zurück.
»Ja. Deine Kräfte …«
Ich stöhnte auf und drehte mich einmal im Kreis, ehe ich die Hände an die pochenden Schläfen presste und vor ihm zurückwich. Ich wusste, dass das überzogen war, alles irgendwie zu viel, aber genau das war ja der Punkt: Es war alles verdammt nochmal zu viel. »Gott, fang jetzt nicht wieder damit an. Es tut mir leid, dass mir keine Blitze aus den Augen schießen oder ich Menschen in Stein verwandeln kann, okay? Es tut mir echt leid, dass ich so eine verdammte Enttäuschung bin. Aber …«
»Bleib sofort stehen!«, fiel Vesper mir barsch ins Wort.
Eine weitere Hitzewelle flutete meine Muskeln. Meine Fingerknöchel knackten, als ich die Hände erneut zu Fäusten ballte. Mit noch größeren Schritten wich ich zurück. »Hör auf mir zu sagen, was ich …« Meine Stimme brach ab, als mein linker Fuß plötzlich in der Luft schwebte. Ich registrierte vage, dass ich das Ende der Klippe erreicht haben musste, aber da war es schon zu spät. Der Abgrund griff mit windgeschmückter Hand nach mir und zerrte mich zu sich. Ich wankte und gerade, als ich das Gefühl hatte zu fallen, spürte ich Vespers Hände auf mir.
Er packte mich an den Unterarmen und zog mich bestimmt nach vorn, direkt an seine Brust. Seine Nähe löschte alles andere aus. Auf einen Schlag war die unangenehme Hitze verblasst und eine weiche Wärme kroch über mein aufgerautes Inneres. Vesper zog mich mit sich zurück auf die Klippen, bis wir ein paar Meter entfernt vom Abgrund standen. Und auch dann ließ er mich nicht los. Die Finger in meine nackten Arme gegraben, sein Atem an meiner Stirn, sein Herzschlag auf meiner Haut, ein bisschen schneller und kräftiger als üblich. So viel Wärme, die stärker wehtat als die Kälte um mich herum.
»Beruhige dich, Lia«, sagte er leise, aber bestimmt.
Ich zuckte zusammen, weil es so ungewohnt war, meinen Namen aus seinem Mund zu hören. Beim letzten Mal, als er mich so genannt hatte, hatte der Name noch eine Bedeutung für ihn gehabt. Und zwar eine, die nicht mit Hass zusammenhing, sondern mit Liebe. Beim letzten Mal hingegen, als er mich so bewusst berührt hatte, war er kurz davor gewesen, mich umzubringen. Ich konnte nicht einmal sagen, welche der Erinnerungen grausamer war.
Hastig versuchte ich mich von ihm zu lösen, doch er festigte seinen Griff. »Ich werde dich erst loslassen, wenn ich mir sicher bin, dass du nicht über die Klippe springst«, raunte er mir zu. »Du wirst jetzt die Augen schließen und bis fünfzig zählen, verstanden? Und dann siehst du mich an und sagst mir, dass du deine Gefühle im Griff hast – und nicht sie dich.«
Ich biss die Zähne aufeinander, aber ich gehorchte. Versuchte Vespers schmerzhaft vertraute Nähe auszublenden und auf die Reste des Brennens in mir zu horchen. Sicherheitshalber zählte ich gleich bis siebzig, bis ich es wagte, die Augen zu öffnen.
Vespers Blick lag fokussiert auf mir, sein Gesicht nur zwei Fingerbreit von mir entfernt. Zu nah. Und doch viel zu weit weg.
»Okay«, flüsterte ich und...
| Erscheint lt. Verlag | 19.5.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Göttererbe | Göttererbe |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
| Schlagworte | Fantasy Liebesromane Erwachsene • fantasy romance deutsch • götter fantasy bücher • götter liebesromane • Götterromane • griechische Mythologie • impress ebooks • Romantasy Bücher • romantische Fantasy Bücher • Übersinnliche Liebesromane • Urban Fantasy Bücher |
| ISBN-13 | 9783646607536 / 9783646607536 |
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