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KÖNIGSBERGER MARJELLCHEN -  Helga Hoekstra

KÖNIGSBERGER MARJELLCHEN (eBook)

Grimms Maerchen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
181 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7541-9013-5 (ISBN)
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Dieses Buch schildert auf lebendige und humorvolle Weise die Flucht eines kleinen Mädchens mit ihrer Mutter aus dem zerstörten Königsberg nach nirgendwo ins Ungewisse. Wenn alles verloren, ist für das Kind das mitgeschleppte Märchenbuch der Gebrüder Grimm das einzige Vertraute und Haltbietende und wir lesen, wie im weiteren Verlauf das abenteuerliche und bewegte Leben der Autorin eine glückliche Wendung nahm

Helga Hoekstra-Marienfeld (geboren 1939) ist eine geborene Erzählerin und Weltbürgerin. Als Kind musste sie vor den Russen fliehen, Entbehrungen erleiden und ohne Freiheit und normalen Entwicklungsmöglichkeiten heranwachsen, bis sie dann als Erwachsene Stewardess wurde und um die Welt flog. Im fortgeschrittenen Alter hat sie Germanistik und Kunstgeschichte studiert. Ihre Kinder und Enkelinnen haben Sie stimuliert um ihr ungewöhnliches Leben zu erzählen.

Helga Hoekstra-Marienfeld( geboren 1939) ist eine geborene Erzählerin und Weltbürgerin. Als Kind musste sie vor den Russen fliehen, Entbehrungen erleiden und ohne Freiheit und normalen Entwicklungsmöglichkeiten heranwachsen, bis sie dann als Erwachsene Stewardess wurde und um die Welt flog. Im fortgeschrittenen Alter hat sie Germanistik und Kunstgeschichte studiert. Ihre Kinder und Enkelinnen haben Sie stimuliert um ihr ungewöhnliches Leben zu erzählen.

KÖNIGSBERG


An die Stadt selbst habe ich aus der Zeit kaum konkrete Erinnerungen. Aus den Erzählungen der Verwandten entsteht ein imaginäres Bild: vom Schloss und dem dort gelegenen Restaurant das 'Blutgericht', ursprünglich der Hinrichtungskeller. Dort traf man sich mit Freunden zum geselligen Beisammensein, ebenso wie im Café Cranz, von dem Dom, wo meine Oma mütterlicherseits dem Ältestenrat beisaß und der Sackheimer Kirche, in der mein Vater konfirmiert wurde. Das aber unter merkwürdigen Umständen:

Der Geburtsort meines Vaters ist Forsthaus Sussemilken, Kreis Labiau. Mein Großvater war dort königlicher Hegemeister, also Förster. Zur Hauptstadt nach Königsberg fuhr man streckenweise mit der Kutsche, und die Fahrt dauerte natürlich einige Stunden. Weil mein Vater erkrankt war und Fieber hatte, der für ihn große Tag in der Kirche aber nicht verschoben werden konnte, flößten die Eltern ihm Cognac ein, damit er durchhielt, so dass er das Kirchenschiff schwankend und benebelt durchquerte.

Als ich im November 1939 in Königsberg geboren wurde, lebte meine Mutter zu der Zeit allein. Heute würde man vielleicht sagen , sie war eine 'grüne' Witwe, nur hatte die Abwesenheit meines Vaters andere Gründe als die des Broterwerbs. lm August des Jahres war in Deutschland mobilisiert worden und musste die „Ehre des Vaterlandes“ und Hitlers größenwahnsinnige Eroberungsvorstellungen verwirklicht werden.

Meine Eltern waren gerade mal neun Monate verheiratet, als mein Vater eingezogen wurde. Ich verbrachte meine erste Kinderjahre daher nur mit einem Elternteil.

Meine eigene Erinnerung an die Zeit in Königsberg bezieht sich mehr auf die kleine Welt eines Kindes.

Ich sehe noch unsere Wohnung vor mir. Geradeaus‚ vom Flur aus gesehen, lag das Herrenzimmer, heute würde man wohl eher Wohnzimmer sagen‚ von dort aus gelangte man durch eine breite Tür auf die Terrasse und von da aus in den Garten. Neben dem Herrenzimmer befand sich das Esszimmer. Hier wurde das erste Foto von mir aufgenommen‚ und obwohl die Wohnung mit Zentralheizung ausgestattet war, hielten wir uns später im Winter meistens in diesem Raum auf, als es kein Brennmaterial mehr gab.

Vom Esszimmer gelangte man ins Schlafzimmer. Auf der anderen Seite der Diele befanden sich noch ein Zimmer, das Bad (ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich jemals in der Badewanne gelegen habe, was wohl wie gesagt, auf den Mangel an Heizmaterial zurückzuführen ist).

Meine Erinnerung an die Küche hat auch mit Kälte zu tun. Nur andersherum. lm Sommer kam zweimal in der Woche ein Pferdewagen mit Eisblöcken. Man ging hinaus auf die Straße und ließ sich ein Stück vom Eis abschlagen. Das war das 'Futter' für den Eisschrank. Später gab es diese kleinen Highlights auch nicht mehr: man hatte sowieso nichts Essbares mehr weder zum Kühlen noch Wärmen‚ und die Pferde wurden wohl anderen Zwecken zugeführt.

Ich erwähne die Wohnung nur, um zu zeigen, dass wir gar nicht schlecht eingerichtet waren und möchte dem entgegentreten, was uns später auf der Flucht von Ost nach West von unseren eigenen Landsleuten vorgeworfen wurde: man sah uns als zerlumptes Flüchtlingspack, das aus dem unbekannten Osten kam, nie was besessen hatte und sich nun im Westen breitmachen wollte.

Ich erinnere, dass wir oft meine Oma in der Innenstadt besucht haben. Wir fuhren dann mit der Straßenbahn und hielten auch immer am Zoo. Ich erkannte die Haltestelle, weil meine Mutter mit mir ein paar Mal im Tiergarten gewesen ist.

Die Zwillingsschwester meiner Mutter wohnte mit ihrer Familie etwas außerhalb der Stadt, und dorthin fuhren wir mit dem Fahrrad. Und zweimal sind wir zusammen mit meiner Oma in Schwarzort an der Ostsee zur Sommerfrische -so hieß das damals- gewesen.

Meine Mutter ging mit mir ins Wasser. Sie fing an zu schwimmen‚ ich lag auf ihrem Rücken‚ hatte mit den Händchen ihren Hals umklammert, während sie in der See schwamm. Auch das ängstliche Rufen meiner Oma vom Strand her "Hildchen, nicht so weit, " hat unserem Spaß keinen Abbruch getan und bei mir die Liebe zum Wasser und der Ostsee im Besonderen geweckt.

Irgendwie scheint es damals immer Sommer gewesen zu sein. Aber mehr und mehr kamen dunkle Wolken auf. Zu essen gab es immer weniger‚ man musste in den Geschäften lange anstehen, und oft bekam man trotzdem nichts.

Zu den Schwierigkeiten des täglichen Lebens, den Versorgungsengpässen, kam die Sorge um meinen Vater. Die Stimmung meiner Mutter schwankte je nachdem‚ ob Post oder keine Post von ihm gekommen war. Natürlich war es vollkommen ungewiss, wann man sich wiedersehen würde.

Ich glaube, ein Teil der Schwierigkeiten des damaligen täglichen Lebens bestand darin, dass man nur von Gerüchten lebte.

Im Radio gab es bloß die Nazipropaganda‚ später hatte man noch nicht einmal einen Radioapparat. In den Zeitungen stand auch nichts, nach dem man sich richten konnte. Was die Männer von den Fronten schrieben, war gefiltert und zensiert‚ wo genau sie sich befanden, war nicht deutlich zu ersehen, denn der Name des Standorts wurde geschwärzt.

So konnten die Frauen zu Hause, und allmählich wurde es ein mehr oder weniger nur Frauenland, sich kaum eine Vorstellung machen, was wirklich an den Fronten ablief. Anders mag es im Westen oder in der Mitte Deutschlands gewesen sein, aber Ostpreußen lag ja nun mal an der Peripherie, an der Grenze zu Russland und weitab vom politischen Geschehen in Berlin.

Außer den Hurra-Berichten im Radio bekam man schon mit, dass im Verlauf des Krieges auch Bombenangriffe auf Deutschland geflogen wurden und dass das Einfluss auf die Zivilbevölkerung hatte. Es passierte immer häufiger, dass Fremde im alltäglichen Leben auftauchten z. B. in Geschäften oder auch ab ca. 1942 im Luftschutzkeller. Außer Königsbergern saßen da auf einmal auch Rheinländerinnen oder Süddeutsche mit ihren Kindern.

Erst handelte es sich um sogenannte Evakuierte‚ später dann auch um Ausgebombte. Und so vernahm man aus quasi erster Hand‚ was sich in anderen Teilen Deutschlands zugetragen hatte, wodurch die Ungewissheit und die Angst sich mehrten.

Aus sogenannten Sicherheitsgründen wurden wir, meine Mutter, Großmutter und ich, zweimal evakuiert.

Das erste Mal wurden wir nur kurzfristig aufs Land transportiert und kamen schnell wieder nach Königsberg zurück. Das zweite Mal ist mir nachhaltiger im Gedächtnis geblieben. Wir wurden in einem Seitenteil eines Bauernhofs einquartiert. Durch ein größeres Zimmer, in dem auch drei evakuierte Frauen mit ihren fünf Kindern 'residierten'‚ gelangten wir in unsere Behausung: ein kleines Kämmerchen mit einem Bett. Das hatte zur Folge, dass meine Mutter und Oma nachts umschichtig schlafen mussten‚ eine im Bett, die andere auf einem Stuhl. In der nächsten Nacht wurde gewechselt. Nur ich hatte Glück und durfte jede Nacht bei einer der Frauen im Bett schlafen.

Ansonst war der Verbleib dort das reinste Spießrutenlaufen. Weil es in unserem Kämmerchen weder Wasser, Toilette, Herd oder dergleichen und nur die eine Tür gab, und auch wenn wir nur aus der Enge hinaus an die frische Luft wollten, mussten wir durch die 'Vorhölle', durch das Zimmer der Anderen. Die Frauen beschimpften uns‚ sie schrien herum und zeterten, und wir schlichen bedripst hinaus.

Der Weg zur Toilette, einem Plumpsklo irgendwo im Hof‚ war eine besondere Qual, weil man den Weg dorthin so lange wie möglich hinauszog, bis noch eine Zweite den gleichen Druck verspürte‚ und man nicht allein gehen musste.

Natürlich kann man im Nachhinein die Frauen im Vorderzimmer verstehen: drei Frauen und fünf Kinder lebten auf engstem Raum und mit allen Entbehrungen zusammen. Bis zu unserem Eintreffen durften die Frauen unsere Kammer mitbewohnen. Aber dann kamen wir und nahmen ihnen das bisschen Extraplatz weg. Meine Mutter und Oma waren jedenfalls heilfroh‚ als Entwarnung gegeben wurde‚ und wir nach Königsberg zurückkehren konnten.

Eine andere Möglichkeit Neues zur allgemeinen Lage im Lande zu erfahren‚ waren die Pflichtjahrmädchen. Da die Männer und männlichen Jugendlichen eingezogen wurden, Frauen Kinder „für Führer und Vaterland “gebären sollten, mussten nun auch die jungen Mädchen ihren Teil „für Führer und Vaterland“ beitragen und ein Pflichtjahr absolvieren.

Sie wurden überall da eingesetzt, wo Arbeitskräfte fehlten, also als Erntehelferinnen‚ als Hilfe im Haushalt usw. Und sie wurden überall im Land eingesetzt: im Norden, Süden, im Westen und im Osten. Damit kamen auch Berichte und Nachrichten‚ von denen man normalerweise nichts gehört hätte. Denn diese Mädchen empfingen Post mit allen sich zugetragenen Neuigkeiten von zu Hause, diese wurden dann weitererzählt.

Auch wir hatten ein Jahr lang ein Pflichtjahrmädchen. Sie hieß genau wie meine Mutter, Hildegard, und kam aus dem Ruhrgebiet. Sie sollte das Haushaltführen erlernen und der Frau des Hauses zur Hand gehen. Allerdings gab es in unserem Fall nicht viel Haushalt.

Das Kochen lernen war unmöglich, weil es einen Mangel an Lebensmitteln und an allen anderen Dingen des täglichen Bedarfs gab. Man war froh, wenn die Wäsche einigermaßen sauber wurde‚ mit hausfraulichem Können hatte das wenig zu tun eher mit...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Autobiografisch • Humor • Krieg • Rusland • Russen
ISBN-10 3-7541-9013-X / 375419013X
ISBN-13 978-3-7541-9013-5 / 9783754190135
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