E-Book 241-250 (eBook)
640 Seiten
Blattwerk Handel GmbH (Verlag)
9783740975678 (ISBN)
»Ich würd’ sagen, wir überlegen uns jetzt gemeinsam, wo unser diesjähriger Ministrantenausflug hingehen soll. Einverstanden? Jeder von euch macht einen Vorschlag, und am Schluss wird abgestimmt.«
Pfarrer Trenker schaute erwartungsvoll auf die Ministranten und Ministrantinnen, die um den Tisch auf der Terrasse des Pfarrhauses saßen und gierig Sophie Tapperts selbstgemachtes Himbeereis löffelten.
»Also, ich würd’ am liebsten wieder auf die Kandereralm gehen wie letztes Jahr«, schlug Bertl, der Sohn des Gantner-Bauern vor. »Da oben war es einfach super.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann verpasste Hansi Hofmeister, der neben Bertl saß, seinem Tischnachbarn einen Rippenstoß. »Ich sag ja net, dass es auf der Kandereralm net schön gewesen wäre«, räumte er ein. »Aber zweimal hintereinander das Gleiche machen, will höchstens so eine Trantüte wie du, Bertl. Ich hab’ dazu keine Lust. Und die anderen bestimmt auch net. Wenn schon eine Bergtour, dann lieber zur Streusachhütte.«
Es erhob sich teils zustimmendes, teils ablehnendes Gemurmel, das Sebastian schließlich mit einer Handbewegung dämpfte.
»So gern ich mit euch in den Bergen wandern würd’«, meinte er, »aber weil wir auch an den Tobi denken müssen, der frisch aus dem Krankenhaus kommt, müssen wir bei unserem diesjährigen Ausflug wohl darauf verzichten. Sein Kreuzbandriss ist zwar erfolgreich operiert worden, aber in den nächsten paar Wochen darf der Tobias sein Knie bestimmt noch net so stark belasten.«
»Ach so. Daran haben wir gar net gedacht«, gab Monika Hirlmeier zu. »Was haltet ihr von einem Tag am Achsteinsee?«, schlug sie vor. »Ich bin mir sicher, dass der Tobias schwimmen darf. Mein Papa ist nämlich vor zwei Jahren auch am Knie operiert worden, und da hat
er …«
»Bloß net!«, unterbrach Peter, dessen Mutter am See einen Andenkenladen betrieb, Monika. »Am Achsteinsee bin ich jeden Tag. Jahraus, jahrein. Dazu brauch’ ich keinen Ministrantenausflug.«
»Das stimmt. Aber wenn wir vielleicht nach Garmisch fahren würden?«, versuchte ein anderer Ministrant zu schlichten. »Wir könnten die Skiflugschanze besichtigen und das Eisstadion.«
»Und das mitten im Sommer! Du bist doch net ganz gescheit«, murrte Peter.
Sebastian Trenker schaute auffordernd in die Runde. Angela Ilgner, die Jüngste, fasste sich ein Herz, als er ihr zulächelte.
»Ich hätt auch eine Idee, was wir unternehmen könnten. Wir könnten zum Beispiel nach Graunau fahren. Das ist auch net so weit.«
»Graunau? Aber da gibt’s doch gar nix zu sehen. Meinst net, dass das eine ziemlich langweilige Angelegenheit wird, Angela?«, winkte Peter ab.
Angela Ilgner schüttelte energisch den Kopf.
»Langweilig wird es uns in Graunau ganz bestimmt net«, behauptete sie. »Dort hält nämlich grad ein Zirkus. Mein Bruder, der Matthias, ist schon ein paar Mal hinübergefahren und hat sich die Vorstellung angeschaut. Er hat gemeint, sie sei wirklich ganz große Klasse. Und das will etwas heißen, weil der Matthias net leicht irgendetwas lobt. Es wird net nur einfach ein Nachmittags- oder Abendprogramm abgespult wie in den meisten Zirkussen. Man kann auch selber ein bissel mitmachen. Das find ich echt Spitze.«
Sebastians Interesse war geweckt. Aber auch die anderen am Tisch waren aufmerksam geworden.
»Wie heißt denn der Zirkus überhaupt?«, wollte Peter nun wissen.
»Zirkus Rotondo heißt er«, antwortete Angela. »Wahrscheinlich Italiener. So hört es sich jedenfalls an. Mein Bruder hat gesagt, der Zirkusdirektor sieht danach aus. Und seine Tochter hat lange pechschwarze Locken, ein Gesicht wie eine italienische Schauspielerin und tiefdunkle Augen.«
»Kurz und gut: ein echtes Rasseweib«, fasste Hansi Hofmeister altklug zusammen, was ihm einen amüsierten Blick Pfarrer Trenkers eintrug.
»Was heißt denn eigentlich ›ein bissel mitmachen‹?«, wollte Monika Hirlmeier wissen. »Weil wir doch Rücksicht auf den Tobias nehmen müssen.«
»Das ist bestimmt kein Problem«, erklärte Angela. »Denn was man ausprobieren will, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Da ist auch für den Brandner-Tobias etwas dabei. Auf einem Kamel zu reiten zum Beispiel ist überhaupt net schwierig. Das kann jedes Kind. Sogar meine Freundin Anja hat es ausprobiert und eine Menge Spaß dabei gehabt. Und die ist unsportlich wie ein Elefant.«
Unter den Ministranten wurde Gekicher laut.
»Gibt es eigentlich auch Elefanten bei diesem Zirkus Rotondo?«, versuchte Monika Hirlmeier dem Heiterkeitsausbruch der Buben die Spitze zu nehmen.
Angela, die rot geworden war, nickte eifrig.
»Freilich. Und dressierte Pudel. Und ein Dromedar«, wusste sie zu berichten. »Und selbstverständlich jede Menge Pferde. Maria Rotondo, die Tochter des Zirkusdirektors, macht nämlich unter anderem eine Pferdenummer, bei der sie voltigiert.«
Angela erinnerte sich noch ganz genau, wie ihr Bruder Matthias vor ein paar Tagen beim Frühstück von den Reitkünsten der schönen Maria geschwärmt hatte. So lange, bis der Ilgner-Bauer immer missmutiger geworden war und Matthias schließlich mit einem verächtlichen Blick an die Arbeit geschickt hatte, damit ihm endlich die dummen Gedanken vergingen.
»Und Löwen?«, kam es nach einer Weile von Bertl Gantner. »Raubtiernummern finde ich nämlich toll. Und so einem Dompteur würde ich wahnsinnig gern einmal assistieren.«
Angela lachte.
»Löwen haben sie schon«, gab sie zurück. »Aber net solche, wie du meinst, Bertl. Die Löwen vom Zirkus Rotondo sind net gefährlich. Weil sie gar keine richtigen Löwen sind. Sondern bloß Menschen, die in Löwenkostümen stecken. Ihr Dompteur ist ein Clown mit einem Zylinder, einer riesigen roten Knollennase und viel zu großen Schuhen. Den treiben sie fast in den Wahnsinn, weil sie nix kapieren und alles falsch machen.«
Wieder erhob sich allgemeine Heiterkeit.
»Da hast du ja gerade noch einmal Glück gehabt, Bertl«, versetzte Peter hämisch. »Jetzt brauchst du deine großspurige Ankündigung, den Löwendompteur zu geben, wenigstens net wahr machen. Andernfalls wär es dir schlecht ergangen. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass du schon noch rechtzeitig einen Rückzieher gemacht hättest, du Feigling.«
»Erst Trantüte, dann Feigling. Jetzt reicht’s mir aber, du Blödmann, und zwar gründlich! Ich werd dir gleich zeigen, was ich bin und was net«, protestierte Bertl. Seine kleinen Hände ballten sich zu Fäusten.
»Schluss jetzt«, sagte der Bergpfarrer energisch. »So wie es ausschaut, können wir jetzt abstimmen. Jeder von euch hat einen Vorschlag gemacht. Wer also dafür ist, dass wir zum Zirkus Rotondo nach Graunau fahren, soll die Hand heben.«
Vier Finger schnellten so gleichzeitig hoch, als hätte jemand einen unhörbaren Startschuss gegeben.
Nur Peter Bammler zögerte noch einen Moment. Aber als er die einhellige Zustimmung der anderen sah, schloss er sich, wenn auch mit einiger Verzögerung, an.
»Gut. Damit wäre also einstimmig beschlossen, dass wir nach Graunau fahren«, erklärte Pfarrer Trenker. »Als Termin schlage ich den nächsten Mittwoch vor. Das ist der letzte Schultag vor den großen Ferien. Da habt ihr ein bissel früher frei. Und im Urlaub ist auch noch keiner von euch.«
»Und wenn der Zirkus bis dahin schon weitergezogen ist?«, wandte Peter Bammler ein, doch Angela verneinte sofort.
»Das ist er ganz bestimmt net«, versicherte sie. »Mein Bruder hat gefragt. Der Zirkus bleibt noch gute vierzehn Tage dort.«
»Wunderbar. Dann wäre also alles geklärt«, resümierte Pfarrer Trenker zufrieden. »Bleibt lediglich die Frage offen, wer ein zweites Himbeereis möchte. Frau Tappert hat, soviel ich weiß, noch jede Menge davon auf Vorrat.«
Diesmal waren es fünf Finger, die sofort in die Höhe flogen.
Wobei Pfarrer Trenker hätte schwören können, dass der Peter diesmal sogar einen leichten Vorsprung gehabt hatte.
*
Die Nachmittagsvorstellung des Zirkus Rotondo war unter großem Beifall des vorwiegend jungen Publikums zu Ende gegangen.
Als glanzvollen Abschluss der Vorstellung, hatte Maria Rotondo alle ihre prächtigen Pferde in die Manege stürmen lassen, und mit ihren Darbietungen großen Applaus geerntet. Selbst Sebastian Trenker war begeistert von dem Können und dem Mut der jungen Reiterin.
Wieder und wieder verneigte sich Maria Rotondo. Mit der einen Hand hielt sie ein tänzelndes Pferd am Zügel, mit der anderen löste sie bei der fünften oder sechsten Verbeugung anmutig den Knoten, zu dem sie ihre Haare während des Ritts im Nacken zusammengefasst hatte. Wie ein Mantel fielen ihr ihre langen Locken bis zu den Hüften und streiften bei jedem weiteren tiefen Knicks mit den Spitzen den Sand der Manege. Schließlich dämpfte Maria mit einer winkenden Bewegung ihrer schlanken langfingerigen Hände den Applaus und machte deutlich, dass sie etwas sagen wollte.
»Liebe Kinder und Jugendliche, ich danke euch vielmals für die Aufmerksamkeit und das Interesse, das ihr unseren Darbietungen entgegengebracht habt«, sagte sie mit weicher melodischer Stimme. »Wir vom Zirkus Rotondo freuen uns alle sehr, dass es euch so gut gefallen hat. Wenn ihr Lust habt, uns, unsere Tiere und unsere Arbeit näher kennen zu lernen, seid ihr gerne dazu eingeladen. Ihr könnt zum Beispiel unsere Tiere aus nächster Nähe anschauen und selbst ein paar Kunststückchen ausprobieren. Und natürlich könnt ihr euch auch ein bisschen hinter den Kulissen umsehen und euch informieren, wie wir wohnen und leben. Besonders herzlich eingeladen sind die Ministrantinnen und Ministranten aus St. Johann, die zusammen mit ihrem Pfarrer ihren diesjährigen Ausflug zu uns nach...
| Erscheint lt. Verlag | 28.4.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Der Bergpfarrer | Der Bergpfarrer |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Alpen • Bundle • Heimat • Hüttenwirt • Liebesgeschichte • Liebesroman • Martin Kelter Verlag • Pfarrer • Sebastian Reiter • Sonnenwinkel • Sophienlust • Toni |
| ISBN-13 | 9783740975678 / 9783740975678 |
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