Reigen (eBook)
92 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7541-8839-2 (ISBN)
Arthur Schnitzler war ein österreichischer Arzt, Erzähler und Dramatiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne.
Arthur Schnitzler war ein österreichischer Arzt, Erzähler und Dramatiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne.
IV
Der junge Herr und die junge Frau.
Abend. – Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon in einem Hause der Schwindgasse.
Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat, die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht. Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge des Bettes. – Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt sich auf den blausamtenen Fauteuil, zündet sich eine Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder
ins Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse mit einer Flasche Cognac und zwei Likörgläschen heraus, stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen nimmt. Er öffnet es und legt es zum Cognac, geht wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und Eßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein Glas Cognac ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. – Vor dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen, richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen Schnurrbart. – Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht. Nichts regt sich. Es klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt.
DIE JUNGE FRAU dicht verschleiert, schließt die Tür hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige Erregung bemeistern.
DER JUNGE HERR tritt auf sie zu, nimmt ihre linke Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten Handschuh einen Kuß. Er sagt leise. Ich danke Ihnen.
DIE JUNGE FRAU. Alfred – Alfred!
DER JUNGE HERR. Kommen Sie, gnädige Frau ... Kommen Sie, Frau Emma ...
DIE JUNGE FRAU. Lassen Sie mich noch eine Weile – bitte ... oh bitte sehr, Alfred! Sie steht noch immer an der Tür.
DER JUNGE HERR steht vor ihr, hält ihre Hand.
DIE JUNGE FRAU. Wo bin ich denn eigentlich?
DER JUNGE HERR. Bei mir.
DIE JUNGE FRAU. Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.
DER JUNGE HERR. Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.
DIE JUNGE FRAU. Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.
DER JUNGE HERR. Bekannte?
DIE JUNGE FRAU. Ich weiß nicht. Es ist möglich.
DER JUNGE HERR. Pardon, gnädige Frau – aber Sie kennen doch Ihre Bekannten.
DIE JUNGE FRAU. Ich habe ja gar nichts gesehen.
DER JUNGE HERR. Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde waren, – sie können ja Sie nicht erkannt haben. Ich selbst ... wenn ich nicht wüßte, daß Sie es sind ... dieser Schleier –
DIE JUNGE FRAU. Es sind zwei.
DER JUNGE HERR. Wollen Sie nicht ein bißchen näher? ... Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!
DIE JUNGE FRAU. Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen gesagt: Fünf Minuten ... Nein, länger nicht ... ich schwöre Ihnen –
DER JUNGE HERR. Also den Schleier –
DIE JUNGE FRAU. Es sind zwei.
DER JUNGE HERR. Nun ja, beide Schleier – ich werde Sie doch wenigstens sehen dürfen.
DIE JUNGE FRAU. Haben Sie mich denn lieb, Alfred?
DER JUNGE HERR tief verletzt. Emma – Sie fragen mich ...
DIE JUNGE FRAU. Es ist hier so heiß.
DER JUNGE HERR. Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an – Sie werden sich wahrhaftig verkühlen.
DIE JUNGE FRAU tritt endlich ins Zimmer, wirft sich auf den Fauteuil. Ich bin totmüd.
DER JUNGE HERR. Erlauben Sie. Er nimmt ihr die Schleier ab; nimmt die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.
DIE JUNGE FRAU läßt es geschehen.
DER JUNGE HERR steht vor ihr, schüttelt den Kopf.
DIE JUNGE FRAU. Was haben Sie?
DER JUNGE HERR. So schön waren Sie noch nie.
DIE JUNGE FRAU. Wieso?
DER JUNGE HERR. Allein ... allein mit Ihnen – Emma – Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie, nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen.
DIE JUNGE FRAU. Und jetzt ... lassen Sie mich wieder gehen. Was Sie von mir verlangt haben, hab ich getan.
DER JUNGE HERR läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.
DIE JUNGE FRAU. Sie haben mir versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR. Ja.
DIE JUNGE FRAU. Man erstickt in diesem Zimmer.
DER JUNGE HERR steht auf. Noch haben Sie Ihre Mantille an.
DIE JUNGE FRAU. Legen Sie sie zu meinem Hut.
DER JUNGE HERR nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.
DIE JUNGE FRAU. Und jetzt – adieu –
DER JUNGE HERR. Emma –! Emma! –
DIE JUNGE FRAU. Die fünf Minuten sind längst vorbei.
DER JUNGE HERR. Noch nicht eine! –
DIE JUNGE FRAU. Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wie spät es ist.
DER JUNGE HERR. Es ist Punkt viertel sieben.
DIE JUNGE FRAU. Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.
DER JUNGE HERR. Ihre Schwester können Sie oft sehen ...
DIE JUNGE FRAU. O Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazu verleitet.
DER JUNGE HERR. Weil ich Sie ... anbete, Emma.
DIE JUNGE FRAU. Wie vielen haben Sie das schon gesagt?
DER JUNGE HERR. Seit ich Sie gesehen, niemandem.
DIE JUNGE FRAU. Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wer mir das vorausgesagt hätte ... noch vor acht Tagen ... noch gestern ...
DER JUNGE HERR. Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen ...
DIE JUNGE FRAU. Sie haben mich so gequält. Aber ich habe es nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge – ich habe es nicht tun wollen ... Gestern war ich fest entschlossen ... Wissen Sie, daß ich Ihnen gestern abend sogar einen langen Brief geschrieben habe?
DER JUNGE HERR. Ich habe keinen bekommen.
DIE JUNGE FRAU. Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.
DER JUNGE HERR. Es ist doch besser so.
DIE JUNGE FRAU. O nein, es ist schändlich ... von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.
DER JUNGE HERR umfaßt sie und bedeckt ihr Gesicht mit heißen Küssen.
DIE JUNGE FRAU. So ... halten Sie Ihr Wort ...
DER JUNGE HERR. Noch einen Kuß – noch einen.
DIE JUNGE FRAU. Den letzten. Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihre Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.
DER JUNGE HERR. Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weiß jetzt erst, was Glück ist.
DIE JUNGE FRAU sinkt in einen Fauteuil zurück.
DER JUNGE HERR setzt sich auf die Lehne, schlingt einen Arm leicht um ihren Nacken. ... oder vielmehr, ich weiß jetzt erst, was Glück sein könnte.
DIE JUNGE FRAU seufzt tief auf.
DER JUNGE HERR küßt sie wieder.
DIE JUNGE FRAU. Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!
DER JUNGE HERR. Nicht wahr – es ist hier gar nicht so ungemütlich ... Und wir sind ja hier so sicher! Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien ...
DIE JUNGE FRAU. Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.
DER JUNGE HERR. Ich werde auch daran immer mit tausend Freuden denken. Für mich ist jede Minute, die ich an Ihrer Seite verbringen durfte, eine süsse Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU. Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?
DER JUNGE HERR. Ob ich mich daran erinnere ...? Da bin ich ja während des Soupers neben Ihnen gesessen, ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner ...
DIE JUNGE FRAU sieht ihn klagend an.
DER JUNGE HERR. Ich wollte nur vom Champagner reden. Sagen Sie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Cognac trinken?
DIE JUNGE FRAU. Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher ein Glas Wasser.
DER JUNGE HERR. Ja ... Wo ist denn nur – ach ja ... Er schlägt die Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer.
DIE JUNGE FRAU sieht ihm nach.
DER JUNGE HERR kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.
DIE JUNGE FRAU. Wo waren Sie denn?
DER JUNGE HERR. Im ... Nebenzimmer. Schenkt ein Glas Wasser ein.
DIE JUNGE FRAU. Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred – und schwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.
DER JUNGE HERR. Ich schwöre. –
DIE JUNGE FRAU. War in diesen Räumen schon jemals eine andere Frau?
DER JUNGE HERR. Aber Emma – dieses Haus steht schon zwanzig Jahre!
DIE JUNGE FRAU. Sie wissen, was ich meine, Alfred ... Mit Ihnen! Bei Ihnen!
DER JUNGE HERR. Mit mir – hier – Emma! – Es ist nicht schön, daß Sie an so etwas denken können.
DIE JUNGE FRAU. Also Sie haben ... wie soll ich ... Aber nein, ich will Sie lieber nicht...
| Erscheint lt. Verlag | 17.3.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| ISBN-10 | 3-7541-8839-9 / 3754188399 |
| ISBN-13 | 978-3-7541-8839-2 / 9783754188392 |
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