Blutzoll (eBook)
300 Seiten
Lindwurm (Verlag)
9783948695521 (ISBN)
Tanya Huff, geboren in Nova Scotia, lebt mit ihrer Partnerin und mehreren Katzen im ländlichen Ontario. Die ehemalige Köchin der kanadischen Marinereserve war Mitglied der Autor:innengruppe Bunch of Seven und ist heute eine der bekanntesten kanadischen Urban-Fantasy-Autorinnen. Viele ihrer Geschichten sind geprägt von Orten, an denen sie selbst gelebt hat, wie hier Toronto.
Tanya Huff, geboren in Nova Scotia, lebt mit ihrer Partnerin und mehreren Katzen im ländlichen Ontario. Die ehemalige Köchin der kanadischen Marinereserve war Mitglied der Autor:innengruppe Bunch of Seven und ist heute eine der bekanntesten kanadischen Urban-Fantasy-Autorinnen. Viele ihrer Geschichten sind geprägt von Orten, an denen sie selbst gelebt hat, wie hier Toronto.
2
Er hob ihren Arm und ließ die Zunge über die weiche Haut der Innenseite ihres Handgelenks gleiten. Sie stöhnte, den Kopf in den Nacken gelegt, und ihr Atem ging stoßweise. Er beobachtete sie genau, und als sie kam, als ihr Körper sich unter seinem bog, nahm er die kleine, pulsierende Ader an ihrer Daumenwurzel zwischen seine spitzen Zähne und biss zu. Der leichte Schmerz war für sie nur ein Gefühl mehr in einem System, das bereits überlastet war, und während sie auf den Wellen ihres Orgasmus ritt, trank er. Sie waren beinahe gleichzeitig fertig. Er strich eine Strähne feuchten, mahagonifarbenen Haars aus ihrem Gesicht. »Danke«, sagte er.
»Nein, ich danke dir«, flüsterte sie und küsste seine Hand. Eine Weile lagen sie still. Sie war im Halbschlummer und er zog leicht die sanften Kurven ihrer Brüste nach; seine Fingerspitze folgte den blauen Linien ihrer Adern unter der weißen Haut.
Nun, da er getrunken hatte, trieben sie ihn nicht länger zum Wahnsinn. Als er sicher war, dass das Gerinnungsmittel in seinem Speichel wirkte und die kleine Wunde an ihrem Handgelenk nicht mehr blutete, trottete er ins Bad, um sich zu säubern.
Sie erwachte, als er sich anzog. »Henry?«
»Ich bin noch da, Caroline.«
»Noch. Aber du gehst.«
»Ich muss arbeiten.« Er zog einen Pullover über und blinzelte, als plötzlich die Nachttischlampe anging. Lange Jahre der Übung verhinderten, dass er zurückschreckte, aber er wandte sich ab, um seine empfindlichen Augen zu schonen.
»Warum kannst du nicht tagsüber arbeiten wie ein normaler Mensch«, murrte Caroline, zog die Steppdecke vom Fußende des Bettes hoch und kuschelte sich darunter. »Dann hättest du die Nächte für mich frei.«
Henry schmunzelte und antwortete wahrheitsgemäß: »Ich kann tagsüber nicht denken.«
»Autoren«, seufzte sie.
»Autoren«, stimmte er zu, beugte sich vor und küsste sie auf die Nase. »Wir sind eine ganz besondere Sorte.«
»Wirst du mich anrufen?«
»Wenn ich dazu komme.«
»Männer!«
Er knipste die Lampe aus. »Das auch.«
Geschickt wich er ihren tastenden Händen aus, küsste sie zum Abschied und tappte leise aus dem Schlafzimmer und durch die dunkle Wohnung. Hinter sich hörte er, wie ihre Atmung sich veränderte und wusste, sie schlief. Gewöhnlich fiel sie sofort in Schlaf, wenn sie fertig waren, und bekam gar nicht mit, wie er ging. Das war eines der Dinge, die er am meisten an ihr mochte, denn es bedeutete, dass sie selten unangenehme Auseinandersetzungen darüber hatten, ob er über Nacht bleiben würde.
Er holte seinen Mantel und seine Stiefel und verließ die Wohnung, wobei er die Ohren spitzte, bis er den Türriegel einrasten hörte. In vielerlei Hinsicht waren dies die sichersten Zeiten, die er je erlebt hatte. In anderer die gefährlichsten.
Caroline hegte keinen Verdacht bezüglich seiner wahren Natur. Für sie war er ein amüsantes Zwischenspiel, ein unregelmäßiger Bettgefährte, Sex ohne Schuldgefühle. Er hatte sich nicht besonders anstrengen müssen, damit es sich so entwickelt hatte.
Er sah sein Spiegelbild in den Fahrstuhltüren finster an. »Ich will mehr.« Die Unrast wuchs schon einige Zeit in ihm, nagte an ihm und ließ ihm wenig Frieden. Das Trinken hatte geholfen, die Unruhe gemindert, aber nicht genug. Er unterdrückte einen Schrei, wirbelte herum und schlug mit der Handfläche gegen die Kunststoffwand. Der Schlag hallte wie ein Schuss in dem abgeschlossenen Raum und Henry starrte auf das Muster an Sprüngen, das sich unter seiner Hand gebildet hatte. Seine Handfläche schmerzte, aber die Gewalt schien der Unruhe den Stachel genommen zu haben.
Niemand wartete in der Eingangshalle, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, und Henry verließ das Gebäude fast unbekümmert.
Es war kalt. Er zog seinen Schal ein wenig enger um den Hals und schlug den Mantelkragen hoch. Seine Natur machte ihn weniger empfindlich gegen Witterungseinflüsse als die meisten Menschen, aber er mochte es trotzdem nicht, wenn ihm kalter Wind den Rücken hinunterwehte. Der Saum seines Ledertrenchcoats flatterte um seine Beine, als er den kurzen Block bis zur Bloor Street hinunterlief, sich nach Osten wandte und heimging.
Obwohl es fast ein Uhr an einem Donnerstagmorgen war und der Frühling beschlossen zu haben schien, in diesem Jahr sehr spät zu beginnen, waren die Straßen noch nicht leer. Der Verkehr floss immer noch beständig entlang der Ost-West-Achse der Stadt, und je näher Henry der Kreuzung von Yonge und Bloor kam, der Hauptkreuzung der Stadt, desto mehr Leuten begegnete er auf dem Bürgersteig. Das war eines der Dinge, die er am meisten an diesem Stadtteil mochte: dass er niemals wirklich schlief. Das war auch der Grund, warum er sein Zuhause so nah wie möglich von hier hatte. Zwei Blocks hinter der Yonge bog er in eine Ringstraße ein und folgte der Kurve bis zur Tür seines Hauses.
Im Laufe seiner Existenz hatte er in Burgen aller Art, einer großen Zahl privater Landsitze und sogar ein oder zwei Gruften gelebt, wenn die Zeiten schlecht gewesen waren, aber es war Jahrhunderte her, dass er ein Heim gehabt hatte, das ihm so gut gefallen hatte wie die Eigentumswohnung im Herzen Torontos.
»Guten Abend, Mr Fitzroy.«
»Guten Abend, Greg, irgendetwas los?«
Der Portier lächelte und griff nach dem Türöffner. »Grabesruhe.«
Henry Fitzroy hob eine rotgoldene Augenbraue, wartete aber, bis die Tür geöffnet war und der Summer seine elektronischen Blähungen beendet hatte, ehe er fragte: »Woher wollen Sie das wissen, Greg?«
Der Portier grinste. »Ich war Wachmann auf dem Mount-Pleasant-Friedhof.«
Henry schüttelte den Kopf und grinste auch. »Ich hätte mir denken können, dass Sie eine Antwort parat haben würden.«
»Jawohl, Sir, das hätten Sie. Gute Nacht, Sir.« Die schwere Glastür schloss jede weitere Unterhaltung aus, und als Greg daher seine Zeitung nahm, winkte Henry ihm stumm zum Abschied und ging zu den Aufzügen. Dann blieb er stehen und drehte sich um, blickte durch das Glas.
VAMPIR SUCHT STADT HEIM.
Greg, der beim Lesen die Lippen bewegte, legte die Zeitung auf den Tresen und verdeckte die Schlagzeile.
Henry, dessen Welt sich auf vier Worte reduziert hatte, schob die Tür auf.
»Haben Sie etwas vergessen, Mr Fitzroy?«
»Ihre Zeitung, Greg. Lassen Sie mich mal sehen.« Erschrocken gehorchte Greg dem Befehl und schob die Tageszeitung nach vorn, bis Henry sie ihm entriss.
VAMPIR SUCHT STADT HEIM.
Langsam, ohne hastige Bewegungen, schob Greg seinen Stuhl zurück, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Mann auf der anderen Seite seines Tresens zu bringen. Er war nicht sicher warum, aber in 63 Jahren und zwei Kriegen hatte er nie zuvor einen Gesichtsausdruck gesehen, wie Henry Fitzroy ihn jetzt hatte, und er hoffte, dass er ihn auch nie wieder sehen würde, denn Fitzroys Zorn war übermenschlich und der Schrecken, den er erzeugte, war mehr, als ein sterblicher Geist ertragen konnte.
Bitte, lieber Gott, lass ihn diesen Zorn nicht an mir auslassen …
Die Minuten dehnten sich und Papier zerriss unter sich verkrampfenden Fingern.
»Mr Fitzroy …« Haselnussbraune Augen wie gefrorener Rauch hoben sich von der Lektüre. Von ihrer Intensität gefangen musste der zitternde Portier erst ein-, zweimal schlucken, bevor er weitersprechen konnte. »… Sie können die Zeitung behalten.«
Die Furcht in Gregs Stimme durchdrang Henrys Wut. Furcht barg Gefahr. Henry fand die sorgfältig konstruierte zivilisierte Fassade, hinter der er das Tier in ihm zu verbergen pflegte, wieder und zwang sich, sie zur Schau zu stellen. »Ich hasse solche Sensationsmache!« Er klatschte die Zeitung auf den Tresen.
Greg zuckte zusammen und sein Stuhl stieß gegen die hintere Wand, was seinen Rückzug beendete. »Dieses Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung ist verantwortungsloser Journalismus.« Henry seufzte und verbarg seinen Zorn hinter einer Patina erschöpfter Empörung. 400 Jahre Übung machten die falsche Miene glaubwürdig, ganz egal, wie schwer es ihm in letzter Zeit auch fiel, sie aufrechtzuerhalten.
»Die bringen uns alle in Verruf.« Greg seufzte auch, wischte sich die feuchten Hände an den Oberschenkeln ab und klammerte sich an dieser Erklärung fest.
»Ich vermute, dass Autoren in dieser Hinsicht etwas empfindlich sind«, äußerte er.
»Einige von uns«, stimmte Henry zu. »Sind Sie sicher, dass ich sie behalten kann?«
»Klar, Mr Fitzroy. Ich habe die Eishockeyergebnisse gleich als Erstes gelesen.« Sein Verstand verdrängte bereits, was er gesehen hatte, und konstruierte rationale Erklärungen dafür, die es möglich, die es erträglich machten. Er rollte seinen Stuhl aber erst zurück an den Tresen, nachdem sich die Fahrstuhltür geschlossen hatte und die Leuchtanzeige nach oben kletterte.
Mit von der Anstrengung still zu stehen verkrampften Muskeln konzentrierte sich Henry auf seine Atmung, darauf, die Wut zu kontrollieren, statt sich von ihr kontrollieren zu lassen. In diesem Zeitalter überlebte seine Art, indem sie sich anpasste, und er hatte einen möglicherweise tödlichen Fehler gemacht, als er so auf die Schlagzeile reagiert hatte. Seine wahre Natur in der Abgeschiedenheit eines leeren Aufzugs zum Vorschein kommen zu lassen, konnte wenig Schaden anrichten, aber es vor sterblichen Zeugen zu tun war eine ganz andere Sache. Nicht dass er erwartete, dass Greg plötzlich mit dem Finger auf ihn zeigen und »Vampir!« brüllen würde … Die...
| Erscheint lt. Verlag | 8.8.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| Schlagworte | Kanada • Mord • Ontario • Polizei • Spannung • Vampire • Verbrechen • weibliche Ermittlerin |
| ISBN-13 | 9783948695521 / 9783948695521 |
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