Alvine Hoheloh (eBook)
500 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7541-8370-0 (ISBN)
Amalia Frey, Autorin für Herstory und feministische Romance, lebt, liebt und trinkt Kaffee in Berlin.
Amalia Frey, Autorin für Herstory und feministische Romance, lebt, liebt und trinkt Kaffee in Berlin.
Urlaub
Seit einigen Wochen gingen Alvine und Theodor wieder zu jenen geheimen Feiern, die auf Dachböden stattfanden, mit steter Musik untermalt waren und auf denen jede*r aus derselben Flasche trank. Eng umschlugen, tanzten sie bis in die Morgenstunden, suchten sich dunkle Ecken, um heimlich Liebkosungen auszutauschen, ehe der eine zur Universität musste und die andere in ihre Fabrik. Schlaf fiel immer öfter aus, doch aufgrund ihrer jungen Jahre – in diesem Spätsommer würden beide erst 24 werden – dauerte es eine ganze Weile, bis dieser Rhythmus auf ihren alltäglichen Schwung schlug.
Obgleich Theodor diese Prozedur sich viel eher angewöhnt hatte, machten ihm die langen Nächte dennoch zu schaffen. Stellvertretend für die letzten beiden Jahre, erwischte ihn seine allergische Rhinitis in dieser Saison schändlich, er litt also neben der Erschöpfung unter Müdigkeit und Atemwegsbeschwerden des Frühsommers.
So musste er an drei Abenden in Folge die zaghaften Annäherungsversuche seiner Frau, die normalerweise vollauf genügt hätten, ihn in Wallung zu bringen, unterbrechen und um Vertagung auf den nächsten Morgen bitten. Nun war Alvine jedoch eine Langschläferin, und hinzukam ihr verletzter Stolz, sodass sie ihn ebenfalls dreimal kalt abblitzen ließ.
»So geht es nicht weiter! Wir waren diese Woche doch noch gar nicht tanzen«, maulte sie am Abend gespielt, als er schon im Bett lag, dazu völlig bekleidet.
»Heute ist erst Mittwoch, Weib, und ich habe Prüfungen geschrieben«, antwortete er, die Augen geschlossen.
»Ich weiß, Mann, und ich habe Aufträge an Land gezogen. Meinst du, ich arbeite weniger als du?«, sie sprang im Nachthemd im Schlafzimmer herum und regte sich innerlich schon ein bisschen darüber auf, dass er sie nicht einmal ansah.
»Mitnichten, meine Süße«, sagte er grinsend, »dennoch bin ich halsabwärts gelähmt, das nutzt dir nichts.« Er verschwieg ihr, dass seine Augen brannten, die Pollen in seiner Gurgel kribbelten und seine Glieder schwer wogen. Er hätte sie so gerne angesehen und ihren Wunsch erfüllt, doch in seinem Zustand hätte er sich nur blamiert.
»Ist es meine Menstruation, die dich stört?«, fragte sie.
»Ich bitte dich, das hat es doch noch nie. Und müsstest du sie nicht ohnehin hinter dir haben?«
»Vorhin hatte ich noch ein bisschen Blut auf der Binde. Aber ja, es ist der letzte Tag.« Ihre Stimme klang gelöster. Sie suchte offenbar die Schuld bei sich. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte, um sie zu beschwichtigen.
Alvine lief vor dem Bett auf und ab, ihre nackten Füße tappten über den polierten Holzfußboden: »Ich habe keine Lust, schon wieder selbst auf mir zu spielen, während du daneben liegst. Wozu hab ich denn dann geheiratet?«
»Deswegen also kannst du dich morgens verweigern? Ich war brav und habe mich aufgespart.«
»Schuld eigene«, feixte sie, kletterte zu ihm ins Bett und setzte sich auf seinen Bauch.
»Es tut mir ausnehmend leid, Alvine. Es ist doch wirklich nur die Rhinitis, die quält mich im Frühsommer gerne«, erklärte er ruhig.
»Lügner! Letztes Jahr warst du quietschfidel und das davor ebenso.«
Wohl hatte er ihr davon erzählt, aber nie anschaulich berichtet, wie schlimm ihn diese Anfälligkeit ausbremsen konnte – darüber zu jammern, hätte nicht seinem Stolz entsprochen. »Da wurde ich von dir noch nicht dermaßen gefordert«, gab er nur knapp zurück.
Alvine hüpfte auf ihm herum, sodass die Matratze federte und warf ihm lachend vor: »Unverschämtheit! Erst bringst du mir so viel Schönes bei und dann lässt du mich am langen Arm verhungern.«
»Verzeih!« Er meinte es ernst, aber er konnte sich, ob ihres albernen Gebarens nicht verkneifen, zu lachen.
»Wann fahren wir in den Urlaub?«, fragte sie plötzlich, »lass uns nachträglich zum Hochzeitstag wieder zum Gut reisen.«
»Trotz der unsicheren Zustände im Reich willst du wegfahren?«
»In der Stadt gibt es zu viel Zerstreuung«, erklärte sie, »das lenkt dich alles nur vom Wesentlichen ab, wofür du geschaffen wurdest: deinem Weib zu dienen.«
Theodor lachte herzlich: »Du bist meschugge!«
»Ich weiß, Schabbes Goy[Fußnote 3]. Also machen wir jetzt auf klassische Art Liebe oder muss ich mich auf dein Gesicht setzen?«
Daraufhin öffnete er endlich die Augen und schmunzelte ungläubig. Sie war definitiv die einzige Frau auf der Welt, die ihm wundervolle Schamesröte in die Wangen trieb.
°°°
Mitte Juni startete der Transport von Strumpf und Ballade gen Süden, wenige Tage später verabschiedete Dorothea ihre Tochter und ihren Schwiegersohn am Bahngleis, der Luxuswaggon Hoheloh in ihrem Rücken. Kurz nahm sie ihr Kleinod zur Seite, strich ihr über den flachen Bauch und sagte: »Wollt ihr mir nicht langsam ein Enkelchen machen?«
»Ach Mama, nicht wenn die Zeiten so unsicher sind. Außerdem hast du schon acht.«
»Versucht es doch, dazu ist der Urlaub da.« Dorothea zwinkerte mit einer Kessheit, die Alvine kaum von ihr kannte, »außerdem seid ihr zwei so hübsch anzuschauen. Ich mag so gerne eure Kinder sehen.«
»Etwas Geduld, bitte. Ich habe das Universum gebeten, mir so lange kein Kind zu schenken, wie der Teufel namens Krieg in meinen Mann gefahren ist. Allergische Rhinitis, Weitsichtigkeit und dazu noch Waffenvernarrtheit will ich keinem meiner Leibesfrüchte zutrauen.«
»Hm, Gott scheint auf dich zu hören.«
Wohl eher verdanke ich meine Kinderlosigkeit unserer Vorsicht und Verhütung, dachte Alvine bei sich.
»Nun ja, du wirst es besser wissen«, meinte Dorothea, drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und entließ sie in den Waggon – nicht ohne Grüße an ihre alte Heimat abzugeben.
Die Tage auf Friedgolds Hof waren wie immer unbeschwert. Das Paar liebte sich die Nächte durch, schlief morgens aus, aß sehr viel Kuchen und ging oft spazieren. Die Sommersonne ließ Alvines lohbraune Haut noch mehr dunkeln und strahlen, und zauberte Theodors Sprossen hervor und sie bekam gar nicht genug davon, sie zu zählen.
Fernab von all dem Wahn, der in der Gesellschaft kochte, verbrachten sie ihren letzten Sommer als sorgenfreies Ehepaar.
»Theo! Bremst du Ballade da gerade absichtlich?«, schrie Alvine, als sie sich bei einem weiteren Wettreiten umsah. Etwas hatte ihren Gatten abgelenkt, weswegen er gar nicht gemerkt hatte, dass sie sich umblickte. Erbost stoppte sie Strumpf und stieg ab.
Theodor tat es ihr verwundert gleich.
»Hast du all die Wettrennen etwa absichtlich verloren?«, rief sie aufgebracht.
»Es ging für mich nie um den Sieg, Hauptsache, wir haben unsern Spaß.« Er lächelte verschmilzt.
»Was haben wir denn beide davon?«
Vielsagend grinste er und umfasste sie in einer fließenden Bewegung, um in ihre Pobacke zu kneifen. Alvine sprang vor Schreck zur Seite und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Du hattest nichts Besseres zu tun, als dir meinen Hintern in der Hose anzusehen? Den siehst du doch jede Nacht, ist das nicht genug?«
Er zog sie an sich und griff mit beiden Händen an ihre Pobäckchen: »Kann es denn jemals genug sein, Liebste?«
Sie lachte herzlich, dann küssten sie sich innig. Von Lust erfasst erkannten sie, dass es das Beste war, schnell ins Haus zurückzukehren.
Auf dem Hof stand eine seltsam ratlose Menschentraube, die aufgeregt zuckte, als das Paar das Gutstor passierte.
»Was ist denn hier los?«, fragte Alvine.
Der Stallmeister kratzte sich am Hinterkopf, Martha brach in Tränen aus. Endlich redeten sie: Ein Unglück sei geschehen, ein Attentat. Der Kronprinz der Donauregion und seine Gattin seien gestern ermordet worden. Auf weitestgehend neutralem Gebiet! Theodor stieg vom Sattel, mechanisch schritt er zu seiner Frau und fasste ihre Hand. Sie hatte selten Hilfe gebraucht, von Strumpf abzusteigen, aber an diesem Tag war sie für sein Angebot dankbar. Verwirrte Gesichter, wohin sie sahen.
Schließlich stellte die junge gnädige Frau die Frage, die allen auf der Seele brannte: »Und nun?«
Wie in Schockstarre warteten sie auf den nächsten Morgen, dann rief Alvine ihre Mutter an. Diese berichtete von einer allgemeinen Ratlosigkeit, doch der heitere Betrieb sowohl in der Großstadt als auch im befreundeten Kaiserreich, sei offenbar alsbald wieder fortgeführt worden.
»Kaum einer trauert, Kind. Insgeheim ist man wohl froh über den Tod des brüsken Thronfolgers unseres Nachbarn.«
Dorothea riet den Kindern zu bleiben, wo sie waren. Es sah eine Woche später immer noch nicht so aus, als würde eine große Sache daraus gemacht werden. Schmucklos und ohne nur ein Mitglied des internationalen Hochadels einzuladen, wurde der Kronprinz nebst seiner Gattin beigesetzt.
Einen Tag später stellte der hiesige Kaiser jenem der Donauregion einen Blankoscheck aus. Der amtierende Reichskanzler erklärte darin, dass es somit in der Verantwortung ihrer Nachbar*innen lag, die Situation zu beurteilen: Wie auch immer die Entscheidung ausfiele, mit Sicherheit stünden wir als Bundgenosse und Freund der Monarchie hinter ihr.
Jener Anschlag wurde von allen Seiten als terroristischer Akt verurteilt und gab der Donauregion das Recht auf Satisfaktion. Genau genommen war davon auszugehen, dass der Attentäter, der aus einem feindlichen Land stammte, tatsächlich Verbindungen zur panslawischen Bewegung unterhielt, die das Germanische verabscheuten und bekämpften. Die Donauregion war wild entschlossen, das Problem gewaltsam zu lösen. Der Attentäter war zwar kein Landsmann gewesen, aber die weitestgehend neutrale Regierung,...
| Erscheint lt. Verlag | 28.2.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Alvine Hoheloh | Alvine Hoheloh - Unternehmerin |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Berlin • Blaustrumpf • Ehe • Feminismus • Frauen • Herstory • Kaiserreich • Weltkrieg |
| ISBN-10 | 3-7541-8370-2 / 3754183702 |
| ISBN-13 | 978-3-7541-8370-0 / 9783754183700 |
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