Der Clan der Vampire (Die komplette Serie - Band 1 - 5) (eBook)
830 Seiten
Tina Folsom (Verlag)
9781956132694 (ISBN)
1
Venedig, Italien – Anfang 1800
Raphael di Santori hätte nie gedacht, dass sein Leben so enden würde. Anhand eines Pfahls durch sein Herz oder von der Sonne zu Asche verbrannt, ja, aber doch nicht durch Ertrinken! Nicht, dass nicht viele Vampire genau diese Angst hatten: Ihre Körperzellen waren so dicht und fest, dass ihre Körper viel schwerer als Wasser waren und daher wie Steine sanken.
Und genau das war ihm zugestoßen. Einen Augenblick nur war er am Kanal entlang gewandert und nun fand er sich in dessen eiskalter Tiefe wieder. Er konnte rudern und versuchen zu schwimmen soviel er wollte, sein Gewicht zog ihn trotz seiner Bemühungen unter Wasser. All seine Kraft arbeitete gegen ihn.
Es gab nichts, woran er sich hochziehen oder festhalten konnte. Der Kanal war von venezianischen Häusern gesäumt, die keinerlei Vorsprünge, keine Docks und auch keine Eingangstüren an der Wasserseite hatten, die hauptsächlich für Lieferungen benutzt wurden und in den größeren Häusern der reichen Kaufleute üblich waren. Die Gebäude, die diesen schmalen, unbedeutenden, jedoch tiefen Kanal im Labyrinth von Venedig säumten, verfügten nicht über solchen Luxus. Die Bewohner betraten die Häuser von den Straßen aus, von Straßen, durch die er früher am Abend geschlendert war.
Der Lärm der Einwohner, die den Karneval feierten, trieb, gedämpft durch das Wasser in seinen Ohren, zu ihm. Selbst wenn er schrie, würde ihn niemand hören. Sie waren zu betrunken, um Notiz von ihm zu nehmen. Das war einer der Gründe, warum er trotz der großen Anzahl von Menschen durch die Straßen gestreift war. In dem Gewühl von Betrunkenen gab es mehr als ein paar Häppchen, die zur Beute werden würden, mehr als ein paar saftige Hälse, an denen er schlemmen konnte, ohne entdeckt zu werden.
Das ganze Jahr über hatte er darauf geachtet, nicht auf Beutezug zu gehen, wenn auf den Straßen viel los war und immer sicherzustellen, dass sich seine Opfer nicht an die Geschehnisse erinnern konnten. Nur während des Karnevals, wenn Masken das perfekte Accessoire zu jedem Kleidungsstück waren, sättigte er sich an dem reichhaltigen Buffet von Menschen.
War er diesmal zu leichtsinnig gewesen? Hatte ihn jemand gesehen? Er glaubte, eine Hand an seinem Rücken gespürt zu haben, die ihn in den Kanal gestoßen hatte. War es lediglich ein Missgeschick eines betrunkenen Passanten gewesen oder eine vorsätzliche Handlung von jemandem, der über ihn Bescheid wusste? Hatten die Hüter des Heiligen Wassers ihn schließlich doch eingeholt?
Die Hüter – er und seine Brüder fürchteten sie. Niemand wusste, wie die geheime Gesellschaft von Kaufleuten und Adligen entstanden war. Doch während der letzten hundert Jahre seines Lebens hatte er mitansehen müssen, wie ihnen mehr und mehr Vampire zum Opfer gefallen waren. Viele seiner Freunde waren eines Nachts verschwunden und niemand hatte je wieder von ihnen gehört. Sie waren entweder durch einen Pflock im Herzen gestorben oder ertrunken, so wie er ertrinken würde.
Hatte die Hand, die er kurz auf seinem Rücken gespürt hatte, einem der geheimnisvollen Hüter gehört? Geheimnisvoll, da trotz aller Nachforschungen, die er und andere Vampire durchgeführt hatten, sie niemals mehr als ein Symbol entdecken konnten: ein Kreuz, das mit drei Wellen durchzogen war. Seinen Brüdern war es ein einziges Mal gelungen, ein Mitglied der Hüter des Heiligen Wassers gefangen zu nehmen. Aber dieser hatte ihnen nicht viel mehr als seinen Namen und das Symbol, das er auf einem schwarzen Onyxring trug, offenbart, bevor er in den Tod geflüchtet war und das Geheimnis mit ins Grab genommen hatte.
Steckten die Hüter auch hinter seinem Schicksalsschlag? Hatte einer von ihnen ihn ins Wasser gestoßen, wohl wissend, dass er ertrinken würde? Aber das spielte jetzt sowieso keine Rolle mehr. In ein paar Minuten würde er tot sein, sein unsterbliches Leben für immer vorbei. Er würde auf dem Boden des Kanals verrotten. Sein Körper würde nicht wie andere Wasserleichen irgendwann an die Oberfläche steigen, denn selbst während er verweste, würde die Dichte seiner Zellen und Knochen dafür sorgen, dass kein Teil seines Körpers jemals den Grund des Kanals verließ.
Raphael dachte über sein langes Leben nach, länger, als ein Mensch sich je gewünscht haben könnte. Er ließ seinen Bruder Dante zurück. Aber es gab keine Frau, die ihn liebte oder eine Träne um ihn weinen würde. Sein Leben war leer. Mit einem letzten Atemzug gab er seinen Kampf auf und erlaubte dem Wasser, ihn zu verschlingen.
~ ~ ~
Isabella Tenderini vernahm das Geräusch des herumschwappenden Wassers in dem ansonsten ruhigen Kanal und bat ihren vertrauenswürdigen Gondoliere, schneller zu fahren. Der Canale Grande war wegen des Karnevals voller Boote und Gondeln, und sie hatte deshalb Adolfo angewiesen, sie durch die ruhigeren Seitenkanäle nach Hause zu bringen.
„Ja, Signora“, sagte er jetzt und trieb die Gondel mühelos vorwärts.
Ihre Augen spähten in die Dunkelheit. Gelegentlich warf Licht von den Häusern, die den Kanal säumten, unheimliche Schatten auf den schmalen Wasserweg. „Siehst du etwas?“
„Direkt vor uns scheint etwas im Wasser zu sein“, antwortete Adolfo.
„Schnell, bring uns dorthin.“ Ihr Herz schlug höher, als sich schreckliche Gedanken in ihr breitmachten. „Berichte mir, was du siehst.“
„Jemand scheint im Wasser zu sein, Signora.“
Die Angst packte sie wie eine enge Faust, und ohne lange nachzudenken, nahm sie den Umhang ab, der sie gegen die kalte Nachtluft geschützt hatte, und ließ ihn auf den Sitz neben sich fallen. „Ein Kind?“
„Nein, größer. Ein Mann.“
Ein Gefühl von Déjà–vu überkam sie und ihr Herz erinnerte sie an ihren eigenen Verlust. Ohne zu zögern, öffnete sie die Schnüre ihres Mieders, da fühlte sie Adolfos Hand auf ihrer Schulter.
„Nein, Signora, er ist zu schwer für Sie. Sie können keinen Mann retten. Ein Kind, ja, aber keinen erwachsenen Menschen.“
Isabella wandte sich ihm zu. Sie würde sich nicht von seiner Besorgnis davon abbringen lassen. Er musste verstehen, dass sie dies tun musste, damit keine andere Frau die Schmerzen ertragen müsste, die sie hatte ertragen müssen. Dass keine andere Frau heute Witwe werden würde, so wie sie Witwe geworden war. „Ich kann niemanden ertrinken lassen, das weißt du doch.“
Er nickte und trotz der Dunkelheit erkannte sie seine traurige Miene. Aber er würde sie nicht aufhalten. Ihr eigener Gemahl, ein wohlhabender Kaufmann, war vor einem Jahr in einem dieser Kanäle ertrunken. Das Geld, das er ihr hinterlassen hatte, hatte ihr nicht über den schmerzhaften Verlust hinweggeholfen.
Als sie ihr reich besticktes Kleid auszog und die Petticoats auf den Boden der Gondel fallen ließ, blies die kalte Februarluft durch ihr Unterkleid. Aber alles, woran sie denken konnte, war der Mann, dessen Hände nun die einzigen Körperteile waren, die noch aus dem Wasser ragten, als versuchte er, sich an einem unsichtbaren Seil festzuhalten. Wenn sie ihn retten könnte, würde sie vielleicht endlich Frieden finden und akzeptieren, was geschehen war. Giovannis Tod akzeptieren.
„Halte dich über Wasser“, bat Isabella. „Nur noch ein paar Sekunden.“ Sie betete, sie würde nicht zu spät kommen.
„Ich werde Ihnen helfen“, bot Adolfo an.
Sie schüttelte den Kopf. Nur weil sie diese Dummheit begehen musste, bedeutete das nicht, dass sie ihren treuen Diener gefährden würde. „Nein, du bist kein guter Schwimmer.“
Nachdem er das Boot neben dem Ertrinkenden zum Stillstand gebracht hatte, ließ Adolfo vom Ruder ab und trat hinter sie. Einen Augenblick später spürte sie seine Hände auf sich.
„Was?“ Er würde sie doch nicht aufhalten wollen?
„Ein Seil. Ich werde es um Sie binden.“
Gekonnt band er das Tau um ihre Taille, während sie das dunkle Wasser nach dem Mann absuchte. Seine Hände waren verschwunden. Er war untergegangen. Nur Wellen waren noch auf der Wasseroberfläche zu sehen.
„Beeil dich!“
„Fertig.“
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, sprang sie mit den Füßen voraus in den Kanal. Das eiskalte Wasser traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hielt den Atem an und ließ sich in die Tiefe des trüben Kanals ziehen. Sie spürte einen Ruck am Seil und wusste, dass Adolfo dafür sorgen würde, dass ihr nichts geschehen würde.
Isabella öffnete ihre Augen nicht – es hatte keinen Zweck. Ihre Augen würden nur schmerzen, doch sehen würde sie trotzdem nichts. Es war zu dunkel. Selbst bei Tageslicht wäre es fraglich, ob ihre Augen ihr in dem trüben Wasser dabei helfen könnten, den Ertrinkenden zu finden.
Sie ruderte mit ihren Beinen und streckte ihre Hände aus, tastete sich vor. Nichts. Fieberhaft tauchte sie tiefer, drehte sich zu ihrer Linken, dann zu ihrer Rechten. Sie streckte ihre Arme weiter aus. Schließlich berührten ihre Finger etwas. Sie griff danach und ihre Hand bekam ein Stück Stoff zu fassen, einen Ärmel oder den Aufschlag eines Mantels. Der durchweichte Wollstoff war schwer. Sie zog daran und zu ihrer Erleichterung spürte sie etwas Schweres, was ihr bestätigte, dass sie den Ertrinkenden gefunden hatte.
Der Druck in ihrer Lunge wurde immer intensiver. Sie kämpfte gegen den Instinkt ihres Körpers an, aufzutauchen, um Luft zu holen. Sie wusste, dass, wenn sie ihn jetzt losließe, sie ihn nie wieder finden würde. Also versuchte sie, ihr eigenes Verlangen nach Sauerstoff zu unterdrücken.
Isabella schob eine Hand unter die Achsel des Mannes. Trotz des Auftriebs des Wassers war er schwerer, als sie erwartet hatte. Sie sammelte all ihre restlichen Kräfte und signalisierte...
| Erscheint lt. Verlag | 5.1.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Der Clan der Vampire |
| Verlagsort | Sacramento CA 95819 |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| Literatur ► Historische Romane | |
| Schlagworte | Alpha Held • erotisch • Frau in Nöten • historisch • Liebe auf den ersten Blick • Retter • Scheinehe • Sexy • sinnlich • Spannung • Unsterblich • Vampir • Vampire • Vampirroman • Vampirserie • Venedig |
| ISBN-13 | 9781956132694 / 9781956132694 |
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