Stille Nacht (eBook)
336 Seiten
Societäts-Verlag
978-3-95542-435-0 (ISBN)
Dana Müller-Braun wurde Silvester '89 in Bad Soden am Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer - mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Fantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren und veröffentlichte schließlich 2017 ihren Debütroman, auf den weitere Bücher folgten. Ulrich Müller-Braun, Jahrgang 1956, volontierte nach seinem Studium bei der Frankfurter Neuen Presse. Eine seiner Leidenschaften - den Sport - lebt er seitdem nicht nur bei mehreren Stationen als Redaktionsleiter und Sportchef aus, sondern auch in sportlichen Funktionen. Er war Presse- und Marketingleiter des Handball-Bundesligisten SG Wallau/Massenheim und Pressesprecher bei Eintracht Frankfurt e.V. Der Frankfurter machte sich 1999 selbstständig und verantwortet seither unterschiedliche Projekte im Verlagswesen.
Dana Müller-Braun wurde Silvester '89 in Bad Soden am Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer – mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Fantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren und veröffentlichte schließlich 2017 ihren Debütroman, auf den weitere Bücher folgten. Ulrich Müller-Braun, Jahrgang 1956, volontierte nach seinem Studium bei der Frankfurter Neuen Presse. Eine seiner Leidenschaften – den Sport – lebt er seitdem nicht nur bei mehreren Stationen als Redaktionsleiter und Sportchef aus, sondern auch in sportlichen Funktionen. Er war Presse- und Marketingleiter des Handball-Bundesligisten SG Wallau/Massenheim und Pressesprecher bei Eintracht Frankfurt e.V. Der Frankfurter machte sich 1999 selbstständig und verantwortet seither unterschiedliche Projekte im Verlagswesen.
Kapitel 1
23. Dezember 2020, 17.34 Uhr
Lydia
Mama? Du? Was … Wieso … äh …« Ich kann fühlen, wie das Blut aus meinem Kopf in die Tiefe sackt und sich mein Magen nach innen wölbt. Sprechen kann ich dafür nicht.
»Ja, Mäuschen. Ich bin es!« Wortfetzen dringen an mein Ohr. Kommen von weit, weit her. Jedenfalls empfinde ich das so.
»M … ama?«, bringe ich noch einmal hervor. Mein Puls rast und meine Beine sind nicht mehr in der Lage, die läppischen 52 Kilogramm zu tragen, die ich nach einem halben Jahr als Gleichstellungsbeauftragte der Eintracht mit Mühe auf die Waage bringe. Ich blicke mich fast panisch nach einer Sitzgelegenheit um. Als ob ich mich direkt vor meinem Elternhaus nicht bestens auskennen würde. Aber: Ich fürchte, mein Orientierungsvermögen ist gerade außer Kraft gesetzt. Ich schaue rechts, schaue links, aber da ist nichts. Ob ich reingehen soll? Es sind nicht mal 50 Meter bis zur Haustür. Besser nicht! 50 Meter können weit sein. Also gleite ich wie ein Plumpsack zu Boden. Sollen die Nachbarn doch denken, was sie wollen, wenn sie die Eintracht-Vizepräsidentin wenige Meter vor ihrem Elternhaus kreidebleich auf dem Bürgersteig hocken sehen.
Vielleicht sollte ich die Maske aufsetzen, schießt es mir durch den Kopf. Dann erkennt mich nicht gleich jeder. Im gleichen Atemzug beantworte ich mir die Frage selbst: »Lydia Heller. Hast du sie eigentlich noch alle!«, entfährt es mir hörbar. Ich nehme das Handy wieder ans Ohr. »Nein. Mama. Du warst nicht gemeint. Obwohl: Äh. Verzeih, aber: Hast du sie noch alle?«
»Ach Mäuschen. Es spielt keine Rolle, was mit mir ist. Glaub mir. Es geht um dich. Sonst würde ich mich wohl kaum so aus dem Nichts heraus bei dir melden.«
»Aus dem Nichts heraus trifft es ziemlich gut.«
Ich habe ein Stück Fassung zurückgewonnen und kann sogar diesen leicht schnippischen Ton, den ich im Kommunikationsseminar für Pressesprecher erlernt habe, in diesen Satz legen. Das hilft auch bei Presseleuten, eine Art dunkelgelbe Karte zu zeigen, wenn sie immer wieder die gleichen blöden Fragen stellen.
»Weihnachten ist doch erst morgen, Mama. Und normalerweise bringt der Briefträger eine Ansichtskarte irgendwo aus Afrika oder was weiß ich woher, mit zwei Wörtern: Frohes Fest!« Ich lege eine kleine Pause ein. Das mit den lieblosen Karten soll erst einmal bei ihr ankommen. Dann hole ich aus.
»Dein letzter Anruf war …«
»Ich weiß. Aber dieses Jahr ist eben alles anders. Ich erkläre es dir. Alles«, unterbricht mich ihre Stimme merkwürdig schroff.
Plötzlich schießt es mir durch den Kopf. Corona! Meldet sie sich bei mir telefonisch … einfach nur, weil sie krank ist, und Angst davor hat zu sterben, ohne vorher noch ein paar Dinge ins Reine gebracht zu haben?
»Bist du mit diesem Virus infiziert?«
»Nein, Mäuschen. Ich bin nicht infiziert.«
»Okay. Was willst du dann? Und hör auf, mich Mäuschen zu nennen. Ich bin schon lange nicht mehr dein Mäuschen!« Ein kurzer Moment der Stille entsteht. Offenbar muss sie meine Antwort erst verdauen.
»Was ich will? Das lässt sich nicht so einfach in drei Worten sagen. Du musst zu Papa und ihm mitteilen, dass ich angerufen habe. Er weiß dann, was zu tun ist. Und bitte, Mäuschen: Tu einfach, was ich sage. Es ist wichtig. Vielleicht sogar überlebenswichtig!«
Ihre Stimme klingt plötzlich so, als hätte ich mein Zimmer mal wieder nicht aufgeräumt. Und das ›überlebenswichtig‹ macht mir Angst.
»Hallo! Mama! Du erinnerst dich doch, oder? Es ist ein paar Tage her, dass wir uns zuletzt gehört haben. Gefühlt: ein paar Jahre. Und du willst das mit deinem Gouvernantenton mal eben aus meinem Gedächtnis streichen? So, als wäre nichts gewesen. Denkst du wirklich, ich glaube noch an den Weihnachtsmann? Ich bin kein Kind mehr … und du hast irgendwann entschieden, nicht mehr meine Mutter sein zu wollen.«
»Nein. Mäuschen. Will ich nicht. Und würde ich ja auch nicht, wenn es nicht so wichtig wäre. Also, ich meine das Aus-der-Welt-schaffen. Nicht das Muttersein. Ach, egal. Du bist in Gefahr.«
»Klar, Mama. Ich sitze hier auf dem Bürgersteig in einer reinen Anliegerstraße und bin ziemlich aufgelöst. Aber: Ich sitze. Also umfallen kann ich nicht, und es sieht auch nicht so aus, als käme der Gruber aus der 79 hier mit seinem aufgemotzten Flitzer um die Ecke gebogen, um mich über den Haufen zu fahren!«
Meine Stimme ist ziemlich am Ende ihrer Kapazitäten angelangt.
Mama scheint das aber überhaupt nicht zu beeindrucken. »Du musst mir einfach nur vertrauen. Ich rufe nicht an, um dir … äh … euch ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen. Ich melde mich, um dich zu warnen!«
»Jetzt? Vor was denn? Wie wäre es mit einem Anruf gewesen vor meiner Blinddarm-OP, vor der Abi-Prüfung oder meinem ersten Tag bei der Eintracht? Das mit dem Telefonieren soll weltweit funktionieren, habe ich gehört!«
»Ja, das wollte ich auch immer mal wieder, aber …«
»Was aber! Mama! Willst du mich verarschen?! Wir leben seit einem Jahr in Corona-Zeiten – gut. Weltweit – auch gut, aber da kann man doch völlig gefahrlos telefonieren. Oder nicht?«
»Ach, Mäuschen! Wenn das alles so einfach wäre.«
»Sicher einfacher, als seinen Koffer zu packen und sich auf Nimmerwiedersehen zu verabschieden. Weißt du was, Mama: Leck mich!«
Das hat gesessen. Zumindest herrscht jetzt Stille am anderen Ende der Leitung. Vielleicht, weil diese Art Gefühlsausbruch so gar nicht zu mir zu passen scheint. Ich bin selbst überrascht. Leck mich … ? Aber – was soll’s. Ihre Sprachlosigkeit gibt mir Gelegenheit, ein bisschen auszuholen: »Weißt du, es kann ja sein, dass dich Papa mit seiner Eintracht nur noch genervt hat. Aber was war denn mit mir?«
»Hat es dir Papa nicht gesagt?« Mit sechs Wörtern bringt sie mich wieder aus dem Konzept.
»Was hat mir Papa nicht gesagt?«
Es ist alles so irreal. So völlig aberwitzig. Ich habe die Stimme meiner Mutter beim ersten Ton wiedererkannt. Sie war so vertraut. So völlig vertraut. Als wäre sie niemals weg gewesen. Als wäre da nicht mehr als ein Jahr vergangen, dass ich sie zum letzten Mal am Telefon gehört habe. Und gleichzeitig klang dieses ›Ach Mäuschen‹ so fremd. So entfernt. So schuldig. Eine Träne kullert meine Backe hinunter zu meinem Mundwinkel. Sie schmeckt salzig. Salziger als normal, habe ich das Gefühl.
»Warum ich gegangen bin. Hat Papa es dir nicht gesagt?«
»Nein. Papa hat nicht ein Wort dazu verloren. Er ist damals in seinem Kabuff verschwunden und erst nach vielen Stunden wieder aufgetaucht. Gesagt hat er nichts. Was hätte er denn auch sagen sollen? Dass er dich mit seiner allumfassenden Eintracht-Liebe letztlich fortgetrieben hat? Und dass dir dabei dein Kind völlig egal war? Mama! Hätte er mir das sagen sollen?«
»Ich kann dir nicht sagen, was er hätte machen sollen. Es war seine Entscheidung.«
Und wieder bollert das Blut durch meine Halsschlagader. »Seine Entscheidung!«, brülle ich wie nach dem 5:2 gegen die Bayern letztes Jahr: »Seine Entscheidung! Ich fürchte, du bringst da ein bisschen was durcheinander.«
»Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu streiten. Du musst mir einfach vertrauen. Wo bist du gerade? Im Stadion? Am Riederwald? In Kronberg?«
»Vor Papas Haustür.« Ich versuche, die Worte Papas Haustür möglichst lang zu ziehen. Jeder Buchstabe soll sie daran erinnern, was sie aufgegeben hat. Dass sie mich aufgegeben hat. Schmierentheater, ich weiß, aber das ist mir in diesem Moment egal. Seit vergangenem Mittwoch haben wir wieder einen Lockdown und ich noch immer nicht alle Weihnachtsgeschenke. Leider haben aber keine Geschäfte mehr auf. Also muss ich Gutscheine schreiben und mir irgendwelche Kleinigkeiten einfallen lassen. Außerdem ist heute eine Mini-Weihnachtsfeier bei der Eintracht, zu der ich eigentlich nicht will, weil ich Heiligabend mit Papa verbringen möchte und Angst habe, mich bei dieser Feier anzustecken und ihn dann gleich mit. Er gehört mit seinem scheiß Schlaganfall auch noch zur Risikogruppe. Und weil ich auf Nummer sicher gehen will, werde ich nicht zu dieser Feier gehen und zusätzlich noch einen Test machen. Außerdem hat sich Sev heute abgemeldet, weil er mit seinen ›Buddys‹ aus dem Greifvogel natürlich den Todestag von Mic begehen möchte. Ohne mich. Was ja okay ist, wenn ich nicht genau wüsste, dass er vor Sonntag wahrscheinlich kein Lebenzeichen mehr von sich geben wird. Was mir eigentlich ganz egal sein könnte – wir sind ja schließlich kein Paar –, was mir aber eben verflucht nochmal nicht egal ist. Ich sag’s mal so: Es ist einfach alles wirklich sehr, sehr, sehr viel. Und dann ruft mich meine Ex-Mutter an und will mich vor was auch immer warnen. Mal ehrlich. Fröhliche Weihnachten fühlt sich dann doch irgendwie anders an.
Ich spüre, wie die Galle in meiner Speiseröhre Zentimeter für Zentimeter nach oben klettert.
»Kannst du jetzt bitte einfach tun, was ich sage?«
Wieder so ein Schlüsselwort, das mich innerlich verbluten lässt. Mama meldet sich nach Monaten und wenn ich nicht spure, setzt es Stubenarrest, oder was? Ja, wo sind wir denn?
Es fällt mir schwer, mich zu beherrschen. »Aus welchem fernen Land rufst du eigentlich an?« Sarkastischer hätte nicht einmal Böhmermann diese Frage betonen können.
»Aus Afghanistan! Könntest du mir vielleicht zehn Minuten gönnen?«
Ihr Ton erinnert mich an die Mama, die ich...
| Erscheint lt. Verlag | 22.11.2021 |
|---|---|
| Verlagsort | Frankfurt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | 24 Stunden Showdown bis Heiligabend • Der 3. Teil der Erfolgsreihe • Nervenkitzel rund um Eintracht Frankfurt • Tödliche Geiselnahme im Stadion |
| ISBN-10 | 3-95542-435-9 / 3955424359 |
| ISBN-13 | 978-3-95542-435-0 / 9783955424350 |
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