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Für diesen Sommer (eBook)

Roman | Von der Autorin des SPIEGEL Bestsellers 'Das Lied der Stare nach dem Frost'

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01053-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Für diesen Sommer -  Gisa Klönne
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EIN VATER. EINE TOCHTER. EIN HAUS VOLLER ERINNERUNGEN. Bestsellerautorin Gisa Klönne verwebt in ihrem neuen Roman Zeit- und Familiengeschichte zu einem Porträt zweier Generationen. Mit großer Wärme erzählt sie von Hoffnung und Scheitern, verpassten Chancen und dem schwierigen Weg zur Versöhnung. Einst schien das Glu?ck der Familie Roth so selbstverständlich wie der Flug der Leuchtkäfer in den Sommernächten im Garten. Jetzt ist Vater Heinrich alt und allein. Ausgerechnet Franziska, die Tochter, mit der er sich u?berworfen hat, soll fu?r ihn sorgen. Ihr Lebenstraum ist gescheitert - genau wie Heinrich das stets prophezeit hatte. Doch auch sein Konzept ging nicht auf. Er, der stets alles kontrollieren wollte, muss das Loslassen lernen. Die ungewohnte Nähe schu?rt die nie gelösten Konflikte von Neuem. Zugleich erwachen Erinnerungen an die hellen Tage. Wie damit leben, dass all das unwiederbringlich vorbei ist?

Gisa Klönne, geboren 1964, lebt als Schriftstellerin, Schreibcoach und Yogalehrerin in Köln. Bekannt wurde sie mit ihren Kriminalromanen um die eigenwillige Kommissarin Judith Krieger. Die Reihe wurde in mehrere Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Ihr autobiografisch inspirierter Familienroman «Das Lied der Stare nach dem Frost» war ein SPIEGEL-Bestseller. Klönnes Bücher erreichten eine Gesamtauflage von über einer halben Million. Zuletzt erschien bei Rowohlt von ihr der Familienroman «Für diesen Sommer».

Gisa Klönne, geboren 1964, lebt als Schriftstellerin, Schreibcoach und Yogalehrerin in Köln. Bekannt wurde sie mit ihren Kriminalromanen um die eigenwillige Kommissarin Judith Krieger. Die Reihe wurde in mehrere Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Ihr autobiografisch inspirierter Familienroman «Das Lied der Stare nach dem Frost» war ein SPIEGEL-Bestseller. Klönnes Bücher erreichten eine Gesamtauflage von über einer halben Million. Zuletzt erschien bei Rowohlt von ihr der Familienroman «Für diesen Sommer».

KOMMEN


Sie steht vor der Tür ihres Elternhauses und denkt, dass sie noch nicht geklingelt hat und also einfach wieder gehen könnte, und dann wäre zwar nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Sie hebt die Hand zur Klingel und weiß im selben Moment wieder, wie es war, diesem Haus den Rücken zu kehren und zu rennen, geduckt und auf Zehenspitzen hinter der Hecke, lauf schnell und lauf weit und bloß nicht zurückblicken. Und sie weiß wieder, wie es gewesen ist, auf der anderen Seite im Haus an die Klinke zu fassen und die Tür aufzureißen. Wie wichtig ihr das gewesen ist früher, sobald der melodische Dreiklang der Klingel ertönte, als Erste die Haustür zu erreichen, schneller als Monika und ihre Eltern. Das Kind, das die Tür öffnen wollte, ist sie gewesen. Ihr hell schlagendes Herz, ihre fliegenden Schritte auf den blanken Fliesen, und dann stand da doch wieder nur Edith Wörrishofen und wollte Mehl borgen oder Zucker, oder eine andere Nachbarin hatte etwas auf dem Herzen, oder der Kartoffelmann kam oder der Postbote.

Die Haustür ist aus dunklem Holz, der Türknauf aus Messing, blank gewetzt von den vielen Händen, die ihn im Lauf der Jahre, Jahrzehnte berührt haben. Thomas hat behauptet, sie hätte noch einen Hausschlüssel, da sei Monika sich ganz sicher, aber das stimmt nicht, oder falls doch, steckt dieser Schlüssel irgendwo in den Untiefen eines Umzugskartons in Niedenstein und hilft ihr hier und jetzt also nicht weiter. Heinrich Roth steht in geschwungener Gravur auf dem Klingelschild, der Name ihres Vaters, seit eh und je nur sein Name, auch wenn sie hier einmal zu viert gewohnt haben und dann, er und ihre Mutter, zu zweit. Jetzt stimmt es also endlich, denkt sie und wünscht sich, auch ihre Mutter wäre noch dort drinnen, wünscht sich, sie würde herbeieilen, die Arme ausbreiten und sagen, komm rein, Zissy, schnell, lass dich anschauen, ich hab dich so vermisst, dünn bist du, mein Mädchen, wie schön, dass du da bist. Sie ist wieder sieben und siebzehn und seltsamerweise auch weit über siebzig. Alles ist sie, nur nicht eine Frau Anfang fünfzig mit einem Rucksack, der an ihrem Rücken klebt und auf einmal zu schwer wiegt. Sie hätte wohl doch Blumen mitbringen sollen. Pralinen, Wein, irgendetwas. Es würde nichts ändern, aber immerhin wäre es eine Geste, und sie hielte etwas in den Händen. Hier, für dich, Papa, nimm und verzeih mir, lass uns noch einmal anfangen.

Sie klingelt. Ding-dang-dong. Hell-dunkel-dunkler. Gedämpft kann sie das durch die Tür hören. Stille danach, eine veränderte Stille, so scheint es, als würde das Haus erwachen, den Atem anhalten und lauschen. Die Geister sind das. Erinnerungsgeister. Ihr Vater im Trainingsanzug, juvenil und dynamisch. Monika und sie in ihren selbst geschneiderten, sorgsam gebügelten Kleidchen. Ihre Mutter Johanne in dem Morgenmantel mit den Orchideen, die ihnen die Schulbrote in die Ranzen steckt, sie zum Abschied küsst und ihnen nachwinkt und dabei immer ein wenig erstaunt wirkt. Als ob sie nicht glauben könnte, dass es sie wirklich gibt, diese beiden Töchter mit den strammen Zöpfen, als ob sie nicht fassen könnte, dass sie heranwachsen und auf einmal ohne sie aus dem Haus eilen.

Die Strumpfhosen hat sie gehasst, weil die nie richtig im Schritt sitzen blieben, sondern zwickten und kratzten. Die Kniestrümpfe waren kaum besser. Luft an der Haut wollte sie, die nackten Zehen ins Gras drücken können, jederzeit, immer, in Sand, Schlick, Matsch oder auf warmen Asphalt, dieses Gefühl der Verwegenheit auskosten, das damit einherging.

Franziska klingelt noch einmal, energischer diesmal. Nichts regt sich im Haus, der Nachmittag brütet stumm auf den Dächern und Dorfstraßen. Was, wenn ihr Vater entgegen Thomas’ Versicherungen gar nicht da ist? Oder wenn er sie längst gesehen hat und nicht vorhat, ihr zu öffnen? Oder wenn er ihr nicht aufmachen kann, weil er dafür zu schwach ist. Was ist, um Himmels willen, wenn er tot ist?

Im Garten könnte ihr Vater sein und die Klingel nicht hören, es wird ja nicht besser mit seinen Ohren, und er war immer gern draußen. Franziska löst den Hüftgurt ihres Rucksacks, lässt ihn zu Boden sinken und lehnt ihn an die Hauswand. Das T-Shirt haftet an ihren Schultern, den Hüften, dem Rücken, ihre Füße fühlen sich an, als wären sie mit ihren Sneakern verwachsen. Dieselben Sneaker, die sie vor zweieinhalb Jahren getragen hat, plötzlich fällt ihr das auf. Dieselben Sneaker, derselbe Rucksack, nur durchweicht vom Schnee damals, und ein bisschen neuer.

Du bist zu spät, Franziska, Mutti ist heute Morgen gestorben. Monika, die ihr das gesagt hat, das Gesicht bleich und verquollen. Du bist zu spät, Franziska. Sie hat so gefroren.

Wie viel Grad mag es jetzt sein? Über dreißig bestimmt. Keine Wolke am Himmel, der trotzdem nicht richtig blau ist, sondern blass, als sei die Farbe ausgebleicht worden. Anfang Juni erst und seit fünf Wochen kein Regen. Oder schon seit sechs? Das hat sie sich nicht vorstellen können, als sie in den 80er-Jahren gegen das Waldsterben demonstrierte: dass die Natur nicht am sauren Regen zugrunde gehen würde, nicht am Ozonloch oder an den Rodungen für die Autobahnen und Straßen, die ihr Vater so leidenschaftlich plante, sondern einfach in diesen nicht enden wollenden Schwimmbad- und Biergartensommern vertrocknen.

Wir hatten doch recht damals, aber ihr wolltet nicht auf uns hören. Wie nutzlos das ist, so zu denken oder das gar zu sagen. Drei Wochen lang soll sie bleiben. Drei Wochen sind so gut wie nichts, gemessen an einem ganzen Leben, selbst dann, wenn ihr Vater sich weiterhin weigern sollte, mit ihr zu sprechen, kann sie die überstehen.

Sie folgt dem Trittpfad aus Sandstein zur Rückseite des Hauses. Die Terrasse wirkt verwaist, der Garten verwildert. Das Gartenhaus gibt es noch, die Obstbäume und die Walnuss und die Wiesen gleich hinter dem Garten. Dorfende. Weltende, so kam ihr das früher vor. Unter dem Vordach des Gartenhauses haben sie in den Julinächten gesessen und die Leuchtkäfer beobachtet. Später ist sie manchmal allein durch das Gartentor auf die Wiesen getreten und hat versucht, sich die Unendlichkeit vorzustellen und dass die Erde darin nur eine Steinkugel ist, auf die es nicht ankommt, ein winziger Splitter im Universum nur, der irgendwann einfach wieder vergehen wird.

Zwei Hühner stolzieren durch den Nachbargarten zum Staketenzaun und glotzen zu ihr herüber. Ein schwarzes und ein weißes. Auch der Hühnerstall steht an seinem Platz, vielleicht gibt es die schrullige Edith Wörrishofen ja auch wieder.

Beschreiben Sie Ihren Vater. Wenn man sie das fragte, was würde sie erwidern? Obwohl er persönlich nichts gegen Hühner hatte, sie sogar mochte, versuchte er, seiner Nachbarin die Hühnerhaltung zu verbieten, denn das Glück unserer Mutter ging ihm über alles, und die konnte das Scharren und Glucken mit jedem Jahr weniger gut ertragen. Wenn er uns früher die Haustür öffnete, sagte er manchmal: Wir geben nichts, und da uns Mädchen das kränkte, behauptete er, dass er doch nur Spaß mache. Er hat uns für den Nachtflug der Glühwürmchen begeistert, aber strikt verlangt, dass wir sie Leuchtkäfer nannten, weil sie biologisch gesehen nun einmal zur Gattung der Käfer gehören. Er wollte die Welt vermessen, jede Erhebung, jeden Bachlauf, exakt bis in den Millimeterbereich, als sei dies die einzige Chance, sich zu orientieren, er fand, es sei wichtig, die Welt so zu ordnen. Ich bin mit ihm gelaufen, durch den Wald, viele Male, dabei waren wir uns ganz nah, und manchmal, ganz selten, wenn ich schnell genug rannte, vergaß er seine Stoppuhr und die zuvor sorgfältig ausgetüftelten Routen, und etwas in seinem Gesicht wurde freier. Ich kann nicht exakt beschreiben, woran ich das damals eigentlich festgemacht habe, warum ich überhaupt ‹frei› dachte, wo doch frei so ein großes Wort ist, das noch dazu gar nicht zu ihm passte. Vielleicht war es ein bestimmter Zug um seinen Mund oder etwas in seinem Atem, aber in jedem Fall schien es mir unverkennbar, jedes Mal, wenn es eintrat. Und ich dachte dann, dass dieses Freiheitsgefühl wohl der wirkliche Grund war, warum wir so viel rannten, ja dass mein Vater womöglich überhaupt nur zum Läufer geworden war, um diese Freiheit zu finden, dass er sie nur so fühlen konnte. Und heute denke ich manchmal, dass wir uns darin gleichen.

Franziska wendet sich zum Haus um. Sneakerschritte auf Sandsteinplatten. Irgendwo über ihr singt eine Amsel, weit entfernt rauscht die Schnellstraße, und ihr Herz schlägt zu laut, als sie sich der Terrassentür nähert. Was, wenn sie wieder zu spät kommt, wie soll sie das aushalten? Die Terrassentür ist verschlossen, der Blick ins Haus von den Spitzenstores ihrer Mutter verhängt. Nur im Arbeitszimmer ihres Vaters gibt es keine Gardinen, und im Erkerfenster erkennt sie wie eh und je seine Ferngläser, den Theodolit und das Tachymeter. Franziska tritt näher. Ihr Vater sitzt mit geschlossenen Augen in seinem Sessel, er atmet, und Thomas hat offenbar nicht übertrieben: Ihr Vater wird wunderlich auf seine alten Tage. Auf seinem Schreibtisch, dem Sideboard, sogar zu seinen Füßen stapeln sich Skizzen von Ameisenbären.

*

Sein Problem mit dem Sterben ist, dass es keine verlässlichen Informationen darüber gibt, was danach kommt, weil ja, wer erst einmal tot ist, nicht wieder zurückkehren kann, um darüber zu berichten. Eines seiner Probleme mit dem Sterben ist das, und aktuell das, was ihn am meisten beschäftigt. Natürlich hat er sich umfassend informiert. Das Internet wimmelt nur so von Berichten von Menschen mit Nahtoderlebnissen, die angeblich schon...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abschied • Altern • Erinnerungen an die Kindheit • Familie • Familiendynamik • Familiengeschichte • Familienleben • Familienroman • Generationenkonflikt • Generationenroman • Herkunft • Identität • Laufen • Nähen • Roman für Frauen • Roman Hessen • Sommerroman • Tochter • Umweltschutz • Vater • Vater Tochter Beziehung • Versöhnung • Yoga
ISBN-10 3-644-01053-6 / 3644010536
ISBN-13 978-3-644-01053-6 / 9783644010536
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