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Brennender Zaster (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach
978-3-8031-4330-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brennender Zaster -  Ricardo Piglia
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Das Geschehen ist rasant: Vier Verbrecher mit engen Verbindungen zu Polizei und Politik rauben einen Geldtransport aus, rasen durch Buenos Aires und schießen auf alles, was sich bewegt. Sie entkommen über den Río de la Plata nach Montevideo, verschanzen sich dort in einer Wohnung und werden von der Polizei sechzehn Stunden lang belagert. Diese von Radio und Fernsehen übertragene Belagerung steuert unweigerlich auf ihr ungeheuerliches Ende vor den Augen einer fassungslosen Zuschauermenge zu ... Piglia erzählt in 'Brennender Zaster' eine wahre Geschichte - und macht daraus einen packenden Roman, der als Verfilmung mit einem Goya ausgezeichnet wurde.

Ricardo Piglia, geboren 1941 in Adrogué, ist einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Im Verlag Klaus Wagenbach sind von ihm außerdem die Romane 'Künstliche Atmung' und 'Falscher Name' erschienen.

Ricardo Piglia, geboren 1941 in Adrogué, ist einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Im Verlag Klaus Wagenbach sind von ihm außerdem die Romane "Künstliche Atmung" und "Falscher Name" erschienen.

Eins


Man nennt sie die Zwillinge, weil sie unzertrennlich sind. Aber sie sind keine Geschwister, sie sind sich nicht einmal ähnlich. Selten wirst du zwei so verschiedene Typen finden. Gemeinsam ist ihnen die Art zu schauen, diese hellen, ruhigen Augen, etwas Starres und Verlorenes im mißtrauischen Blick. Dorda ist schwer, behäbig, sein Gesicht rötlich, meistens lächelt er. Brignone ist schlank, wendig, ein Leichtgewicht mit schwarzem Haar und sehr heller Haut, als hätte er länger im Knast gehockt, als er wirklich drin war.

In der Station Bulnes verließen sie die U-Bahn und blieben vor der Auslage eines Fotogeschäfts stehen, um sich zu vergewissern, daß ihnen niemand folgte. Zwei auffällige, extravagante Erscheinungen, man hätte sie für zwei befreundete Boxer halten können oder für zwei Angestellte eines Bestattungsunternehmens. Sie waren elegant gekleidet, mit dunklem Zweireiher, kurzem Haar und gepflegten Händen. Es war ein ruhiger Nachmittag, einer von diesen sauberen Frühlingsnachmittagen mit weißem, durchsichtigem Licht. Die Leute verließen mit angestrengter Miene die Büros und gingen nach Hause.

Die Zwillinge warteten, bis die Ampel umschaltete, und überquerten die Avenida Santa Fe in Richtung Arenales. Sie hatten die U-Bahn in Constitución genommen und waren mehrmals umgestiegen, wobei sie darauf achteten, daß ihnen niemand folgte. Dorda war extrem abergläubisch, ständig sah er irgendwelche beunruhigenden Vorzeichen, mit seinem Argwohn machte er sich das Leben schwer. Er fuhr gern mit der U-Bahn, er mochte das gelbe Licht der Bahnsteige und Tunnels, er mochte die leeren Waggons, die ihn fortbewegten, ohne daß er sich rühren mußte. Wenn er in Gefahr war (und er war immer in Gefahr), fühlte er sich in den Eingeweiden der Stadt in Sicherheit, als würden sie ihn beschützen. Es war leicht, die Verfolger abzuschütteln. Es genügte, bis zum letzten Augenblick auf dem Bahnsteig stehenzubleiben und den Zug abfahren zu lassen, um sich Klarheit zu verschaffen.

Brignone versuchte, ihn zu beruhigen.

»Wird schon klappen, alles unter Kontrolle.«

»Es gefällt mir nicht, daß so viele Leute mitmischen.«

»Wenn was passiert, passiert es so oder so, auch wenn niemand mitmischt. Wenn’s dich trifft, trifft’s dich, nichts zu machen. Du bleibst stehen und kaufst dir Zigaretten und paßt einen Moment lang nicht auf, schon hast du verloren.«

»Und warum wollen sie, daß wir jetzt alle zusammenkommen?«

Einen Überfall muß man zuerst einmal planen, aber dann muß alles schnell gehen, damit nichts durchsickert. Schnell, das heißt, in zwei oder drei Tagen, von dem Zeitpunkt an gerechnet, wo man den ersten Hinweis bekommt, bis zu dem, wo du ein sicheres Schlupfloch in einem anderen Land findest. Immer mußt du zahlen, eine ganze Menge, und dann besteht auch noch Gefahr, daß der Mittelsmann die Information an eine andere Bande verkauft.

Die Zwillinge waren auf dem Weg zu ihrer Absteige, einem Apartment in der Calle Arenales. Sauber, in einem sicheren Viertel gelegen, am Ende einer Verbindungsstraße, die zur Brauerei führte. Das Apartment hatten sie als eine Art Hauptquartier gemietet, von dort aus konnten sie alle Schachzüge organisieren.

»Es ist eine Bude in einem schicken Viertel, bloß ein Versteck, damit wir die Partie einfädeln und abwarten können«, hatte ihnen Malito erklärt, als er sie engagierte. Die Zwillinge waren schwere Jungs, zwei Typen fürs Praktische, und Malito hatte seine Hand für sie ins Feuer gelegt und ihnen alle Informationen gegeben. Aber immer mißtrauisch, Malito, das schon, extrem vorsichtig mit Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen, fast krankhaft, man bekam ihn so gut wie nie zu Gesicht. Er war der Mann im Hintergrund, das magische Gehirn, er agierte aus der Ferne, hatte seltsame Bekannte und Helfer und Verbindungen, Loca Mala, das verrückte Huhn, wie ihn Dorda nannte, der selber ziemlich verrückt war. Er heißt nämlich wirklich so, Malito, das war sein Nachname. In Devoto war ihm einmal ein Bulle über den Weg gelaufen, der Verdugo hieß, das ist noch schlimmer. Wenn du Verdugo heißt oder Esclavo, mit solchen Namen, einer hieß sogar Batilana, da ist es immer noch besser, du nennst dich Malito. Die anderen hatten erfundene Spitznamen (Brignone war El Nene, der Junge, und Dorda war der blonde Gaucho), aber Malito brauchte gar keinen mehr. Mausgesicht, kleine, eng beisammenliegende Augen, kein erkennbares Kinn, rotes Haar, völlig entspannt, Frauenhände, hochintelligent, verstand was von Motoren und Bomben, konnte so ein Ding in zwei Minuten basteln, die Fingerchen bewegte er so als ob er die Uhr einstellte, die Fläschchen mit dem Nitro, und alles ohne hinzuschauen, wie ein Blinder, die Hände bewegte er wie ein Klavierspieler, er hätte ohne weiteres eine Polizeiwache in die Luft jagen können.

Malito war der Chef, hatte das Ganze geplant und die Verbindungen zu den Politikern und den Bullen hergestellt, von ihnen hatte er Informationen und Lagepläne, die ganzen Details, und wem sie die Hälfte von dem Packen übergeben mußten. Viele Hände waren bei dem Geschäft im Spiel, aber Malito hatte überlegt, daß sie zehn oder zwölf Stunden Vorsprung hätten, daß sie zahlen und dann alles hinter sich lassen würden, mit der ganzen Kohle ab über den Fluß nach Uruguay.

An diesem Nachmittag hatten sie sich in zwei Gruppen geteilt. Die Zwillinge gingen in die Absteige in der Arenales, um alle Schritte der Operation noch einmal genau durchzugehen. Währenddessen mietete Malito ein Zimmer in einem Hotel gegenüber dem Ort, wo der Überfall durchgeführt werden sollte. Vom Hotelfenster aus überblickte er den Hauptplatz von San Fernando und das Gebäude der Landesbank, er versuchte sich vorzustellen, wie die Bewegungen vor sich gehen würden: die Chronometrie der Aktion, die Flucht gegen die Einbahnstraße und der Rhythmus des Straßenverkehrs.

Der IKA-Kombiwagen des Schatzmeisters würde sich nach links wenden, im Uhrzeigersinn, und sie würden frontal auf ihn zufahren müssen, um ihn zu stoppen, bevor er im Einfahrtstor des Rathauses verschwinden konnte. Die Richtung des Verkehrs zwang sie, den ganzen Platz zu umkurven und ihnen den Weg auf halber Strecke abzuschneiden. Sie mußten den Fahrer und sämtliche Wächter ausschalten, bevor die sich verteidigen konnten, denn ihr einziger Vorteil war der Überraschungseffekt.

Mehrere Zeugen versichern, Malito im Hotel mit einer Frau gesehen zu haben. Andere sagen, sie hätten nur zwei Männer gesehen, und keine Frau. Einer von den beiden war ein nervöser Dünner, der alle paar Augenblicke verschwand, um sich einen Schuß zu setzen, der Chueco Bazán, der war tatsächlich an diesem Nachmittag im Hotel in San Fernando. Vom Fenster aus, das auf die Straße ging, beobachteten er und Malito die Bewegungen in der Bank. Nach dem Überfall hat die Polizei das Hotelzimmer durchsucht, im Bad fanden sie die Spritzen und einen Löffel und die Glasplättchen, das hatten sie alles zurückgelassen. Die Polizei vermutete, daß der Chueco identisch war mit dem jungen Mann, der zur Bar hinunterging und einen Alkoholerhitzer verlangte. Die Zeugenaussagen sind widersprüchlich, wie immer in solchen Fällen, aber alle stimmen darin überein, daß der Junge wie ein Schauspieler aussah und abwesend dreinblickte. Daraus schließen sie, daß er der war, der sich vor dem Überfall Heroin spritzte und den Kerosinkocher verlangte, um die Droge zu erhitzen. Sofort begannen die Zeugen, ihn »den Jungen« zu nennen, was später dazu führte, daß sie Bazán und Brignone verwechselten, manche behaupteten auch, daß beide ein und derselbe wären, nämlich der, den alle »den Jungen« nannten. Ein extrem nervöser Typ, der die Pistole in der Linken hielt, den Lauf nach oben gerichtet, wie ein Polyp in Zivil. In solchen Situationen spüren die Leute, wie ihnen das Adrenalin ins Blut schießt, sie erregen sich und sind benebelt, weil sie bei einer Geschichte dabei waren, die sonnenklar und gleichzeitig dunkel ist. Einige sahen ein Auto, das dem IKA-Wagen vor die Schnauze fuhr, und man hörte ein Getöse, ein Typ lag auf dem Boden und zuckte mit den Beinen, während er starb.

Vielleicht wollten sie sich nach dem Überfall im Hotel verstecken, falls die Flucht mißlänge. Am wahrscheinlichsten ist, daß zwei Typen die Bank vom Hotel aus im Blick hatten und drei andere in einem »frisierten« Chevrolet 400 kamen, die Auto marke ist in allen Aussagen dieselbe. Schnell wie eine Geschoß, die Kiste. Einer von den Ganoven war Mechaniker, er hatte die Karosse geschliffen, bis sie wie am Schnürchen lief, mit über 5000 Umdrehungen pro Sekunde.

San Fernando ist ein Wohnvorort von Buenos Aires, die Straßen sind still und von Bäumen gesäumt, die großen Anwesen vom Beginn des Jahrhunderts dienen heute als Schulen oder stehen verlassen auf den Anhöhen über dem Flußufer.

Der Hauptplatz lag still im weißen Frühjahrslicht. Während Malito und der Chueco Bazán den Abend und die Nacht vor dem Überfall im Hotel in San Fernando verbrachten, schloß sich der Rest der Bande in der Wohnung in der Calle Arenales ein. Sie hatten ein Auto geklaut, draußen in Lanús und es in der Tiefgarage abgestellt, danach fuhren sie mitsamt den Pistolen und dem ganzen Werkzeug im Dienstaufzug hoch und blieben dort, mit heruntergelassenen Rolläden warteten sie auf Befehle und ließen die Stunden verstreichen.

Es gibt nichts Schlimmeres als den Tag davor, wenn alles bereit ist und man nur noch auf die Straße hinaus muß, um das Ding durchzuziehen, da wirst du zum Hellseher und kriegst Halluzinationen, jede Kleinigkeit ist ein böses Omen, irgendein Schleimer, dem was auffällt und der den Bullen einen Hinweis liefert,...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2021
Übersetzer Leopold Federmair
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Argentinien • Roman • Wat
ISBN-10 3-8031-4330-6 / 3803143306
ISBN-13 978-3-8031-4330-3 / 9783803143303
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