Animal (eBook)
432 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99929-8 (ISBN)
Lisa Taddeo sorgte mit ihrem ersten Buch Three Women weltweit für Furore. Es stieg mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerlisten der New York Times und Sunday Times ein, und auch in Deutschland führte es die SPIEGEL-Bestsellerliste an. Lisa Taddeo schreibt außerdem popkulturelle Features für The New York Times, Esquire, New York, Elle und Observer und arbeitet an mehreren Drehbüchern, darunter eine Serienadaption von Three Women. Für ihre Storys wurde sie schon zwei Mal, 2017 und 2019, mit dem Pushcart Prize ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New England.
Lisa Taddeo sorgte mit ihrem ersten Buch "Three Women" in der englischsprachigen Welt und darüber hinaus für Furore. Mit Erscheinen stieg "Three Women" direkt auf Platz 1 der Bestsellerlisten der "New York Times" und "Sunday Times" ein, und auch in Deutschland kletterte es an die Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Davor schrieb Lisa Taddeo popkulturelle Features für "Esquire", "New Yorker", "Elle, "Observer" und viele andere. Neben ihrem Roman "Animal" arbeitet sie derzeit an mehreren Drehbüchern, darunter eine Serienadaption von "Three Women". Für ihre Storys wurde sie bereits zwei Mal, 2017 und 2019, mit dem Pushcart Prize ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New England.
1
Ich musste weg aus New York, wo sich ein Mann vor meinen Augen erschoss. Es war ein gefräßiger Mann, und das Blut, das herausströmte, sah aus wie das Blut eines Schweins. Grausam, so etwas zu denken, ich weiß. Er tat es in einem Restaurant, in dem ich gerade mit einem anderen Mann essen war, einem anderen verheirateten Mann. Siehst du, wie das läuft? Aber ich war nicht immer so.
Das Restaurant hieß Piadina. An den unverputzten Backsteinwänden hingen Fotos von alten Italienerinnen, die mit ihren gewaltigen mehligen Fingern Gnocchi rollten. Ich aß gerade einen Teller Tagliatelle Bolognese. Die Sauce war sämig und rostfarben, und obendrauf lag ein frischer Halm Petersilie.
Als Vic hereinkam, saß ich mit dem Gesicht zur Tür. Er trug wie immer einen Anzug. Ich hatte ihn erst ein Mal in Freizeitklamotten gesehen, Jeans und T-Shirt – ein ziemlich verstörender Anblick. Was er mir mit Sicherheit angemerkt hatte. Ich musste einfach dauernd hingucken, seine Arme waren so blass und teigig.
Er war nie Victor. Er war immer Vic. Er war mein Chef, und ich blickte zu ihm auf, lange bevor etwas passierte. Er war sehr intelligent und reinlich und hatte ein warmes Gesicht. Er war ein unersättlicher Esser und Trinker, schwelgte jedoch nicht ohne Würde. Großzügig, wie er war, tat er allen anderen zuerst Rahmspinat auf, ehe er sich selbst bediente. Er besaß einen beachtlichen Wortschatz, einen säuberlichen Klappscheitel und eine umfangreiche Sammlung guter Hüte. Er hatte zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen; der Junge war geistig behindert, was Vic mir und den anderen, die unter ihm arbeiteten, im Prinzip vorenthielt. Auf seinem Schreibtisch stand nur ein Foto von seiner Tochter.
Vic führte mich in Hunderte Restaurants aus. Wir aßen Porterhouse in großen exklusiven Steakhäusern mit roten Polstersitzbänken, wo die Kellner mit mir flirteten. Sie gingen entweder davon aus, dass er mein Vater oder mein älterer Ehemann war, oder hielten mich für eine Geliebte. Irgendwie waren wir das alles in einem. Seine echte Frau saß zu Hause in Red Bank. Er meinte: »Ich weiß, dass du mir das jetzt nicht glaubst, weil ich so ein Prolet bin, aber meine Frau ist wirklich bildschön.« Was nicht stimmte. Ihr Haar war zu kurz für ihr Gesicht und ihre Haut zu hell für die Farben, die sie gerne trug. Sie sah aus wie eine gute Mutter. Sie kaufte gern kleine Salzfässchen und Hamamtücher, und wenn ich am Anfang meiner Freundschaft mit Vic durch die Stadt lief und mir eine Salzschale aus Bambus ins Auge fiel, schickte ich ihm ein Foto und schrieb: Was für deine Frau?
Er meinte, ich hätte einen tollen Geschmack, aber was heißt das schon?
Wenn du mit einem älteren Mann befreundet bist, der dich bewundert, kann dir das ein Gefühl großer Sicherheit geben. Egal, wo du bist – wenn etwas schiefgeht, genügt ein Anruf, und er ist da. Der Mann, der da ist, sollte dein Vater sein, doch damals hatte ich keinen, und du wirst nie einen haben.
Irgendwann verließ ich mich dann in allem auf Vic. Wir arbeiteten bei einer Werbeagentur. Er war der Creative Director. Als ich anfing, hatte ich praktisch null Erfahrung, doch Talent hätte ich schon, meinte er. Er beförderte mich von einer gewöhnlichen Assistentin zur Texterin. Anfangs sonnte ich mich in der ganzen Lobhudelei, doch dann beschlich mich das Gefühl, dass mir alles, was ich bekam, auch zustünde, ohne dass er im Geringsten damit zu tun hätte. Bis dahin dauerte es ein paar Jahre. In der Zwischenzeit gingen wir miteinander ins Bett.
Von Sex mit Männern, die man nicht attraktiv findet, kann ich dir ein Lied singen. Es dreht sich dann alles nur um die eigene Performance, den eigenen Körper, wie er von außen wirkt und sich auf diesem – zum bloßen Zuschauer degradierten – Typen bewegt.
Solange das lief, war ich mir der Folgen gar nicht bewusst. Es fiel mir erst Jahre später auf, als dreimal täglich Duschen immer noch nicht reichte.
Das allererste Mal war in Schottland. Die Agentur hatte Newcastle Beer an Land gezogen, und Vic schlug vor, dass ich übernahm, zu allen Terminen ging und den Stein ins Rollen brachte. Es war ein großer Kunde, und die anderen waren neidisch. Ich war die Neue in der Firma und im Arbeitsleben allgemein. Sie flirteten nicht mehr mit mir und behandelten mich bald wie so eine exotische Tänzerin – ließen sich über mich aus und holten sich einen darauf runter.
Newcastle brachte mich in einem Luxushotel gleich außerhalb von Edinburgh unter. Alles kalter Stein und große Fenster, und der Haupteingang lag an einer kreisförmigen Kiesauffahrt. Ich sah aus dem Fenster auf die vorfahrenden Autos, Oldtimer und tintenschwarze G-Klassen und kleine silberne Porsche. Auf dem Bett lag eine Tagesdecke mit Schottenkaros, und das Telefon sah aus wie eine Stockente. Das Zimmer kostete vierzehnhundert Dollar die Nacht.
Nach ungefähr einer Woche fing Schottland an, mich zu deprimieren. Ans Alleinsein war ich gewöhnt, aber in einem fremden Land ist es noch mal etwas anderes. Die Sonne ließ sich nie blicken, aber auch kein Regen. Außerdem war ich in Geschäftsdingen ziemlich naiv, und das hatten auch die Newcastle-Vertreter bemerkt. Ich rief Vic im Büro an. Wider Willen brach ich in Tränen aus. Ich sagte, ich vermisste meinen Vater. Meine Mutter vermisste ich natürlich auch. Doch dazwischen lagen Welten – du wirst noch sehen, warum.
Am nächsten Abend landete Vic in Schottland. Sein Last-Minute-Flug hatte ein Vermögen gekostet, über zwölftausend Dollar, und er bezahlte ihn aus eigener Tasche, weil ich Angst hatte, unsere Kollegen würden sonst glauben, ich hätte das Projekt in den Sand gesetzt. Vic kam zu keinem Termin mit, sondern arbeitete bloß eine Handvoll Gesprächsthemen aus. Nahm sich ein eigenes Zimmer am Ende des Flurs. Am ersten Abend aßen und tranken wir etwas in der Hotellobby und gingen getrennt auf unsere Zimmer. Doch am zweiten Abend begleitete er mich auf meines.
Clevere ältere Männer haben es nun mal so an sich, dir das Bein hochzukrebsen. Anfangs kommt dir daran nichts faul vor. Es kann sogar so aussehen, als wäre es deine Idee gewesen.
Ich hatte ein cremefarbenes Wollkleid an, meine Beine darunter waren nackt. Ich trug nie Strumpfhosen oder Leggings oder dergleichen, auch nicht im Winter. An den Füßen hatte ich hochhackige schwarze Mary Janes.
Vic war im Anzug. Ständig lief er herum wie die Männer in Zigarettenreklamen. Ich stand nicht auf ihn, doch sein Eau de Cologne war tröstlich. Lachend spazierten wir den grün-goldenen Flur entlang. Ein Pärchen kam uns entgegen; ich weiß noch, wie die Frau mich anstarrte. Dieses Gefühl begleitete mich schon lange.
Auf meinem Zimmer machten wir zwei Flaschen Rotwein aus der Minibar auf, plus drei Mini-Scotchs, die er ganz allein wegkippte.
Wie es anfing, weiß ich – wahrscheinlich aus Selbsterhaltung – gar nicht mehr genau. Ganz bestimmt hatte ich einen großen Anteil daran, weil ich testen wollte, wie weit meine sexuelle Macht reichte. Wie hübsch ich war. Doch was mir überdeutlich im Gedächtnis blieb, war der Wandspiegel gegenüber den Fenstern, vor denen ich tagelang dem knirschenden Kies unter den schnittigen Wagen gelauscht hatte. Ich stand auf und warf einen Blick in diesen Spiegel, weil Vic behauptete, ich hätte Rotwein in den Mundwinkeln und würde wie eine Cracksüchtige aussehen. »Haha«, machte ich. Doch dieser Mann hätte mir nie das Gefühl geben können, hässlich zu sein.
Er trat hinter mich in den Spiegel. Neben meinem Kopf sah seiner unnatürlich groß aus. Meine langen dunklen Haare bildeten einen eleganten Kontrast zum Cremeweiß des Kleides. Er legte eine Hand auf meine Schulter, die andere auf mein Haar über dem Ohr und neigte meinen Kopf. Ich beobachtete den Ausdruck in seinen Augen, als er seine dünnen Lippen auf meinen Hals drückte. Was mir einen Schauder über den Rücken jagte – teils vor Abscheu, teils aber auch aus einem unwillkürlichen sexuellen Reflex. Er schob das Kleid über meinen Kopf. Ich stand in High Heels, einem weißen Spitzen-BH und weißem Höschen mit kleinen roten Schleifen an den Seiten da. Damals brezelte ich mich noch für jemanden auf und redete mir ein, dass dieser Jemand ich wäre. In einem kleinen Küchengeschäft in SoHo hatte ich mir mal eine Schürze gekauft, die mit Häschen, Chalets und Eis schleckenden kleinen Mädchen bedruckt war.
Es folgten die Reisen nach Sayulita, nach Scottsdale wegen des schönen Spas. Es gab blau geflieste Badezimmer und fantastisches Sushi. Am Tisch zubereitete Guacamole, Bauchtänzerinnen, Service für dies, Service für das.
Irgendwann wurde der Ekel doch zu groß, aber lange ging es. Im Großen und Ganzen war es gar nicht so körperlich. Du kommst mit sehr viel Nichts davon, wenn du es geschickt anstellst. Vor allem wenn der Mann verheiratet ist, kannst du von Moral anfangen und was wohl dein verstorbener Vater sagen würde. Das kann so weit gehen, dass dem Mann schon beklommen zumute wird, wenn er nur deine Hand hält, und dabei bist du die ganze Zeit an diesen warmen Orten mit Palmen und Golfwagen.
In all den Jahren hatte ich natürlich noch andere Beziehungen. Es gab ein paar kleinere Verknalltheiten, aber nichts wirklich Ernstes. Ich erzählte Vic ab und zu davon. Behauptete, es seien nur Freunde, um ihn dann in seinem Verdacht schmoren zu lassen. Meistens log ich aber. Sagte, ich würde mit Freundinnen feiern gehen, schlich mich aus dem Büro und rannte zur U-Bahn, wobei ich mich immer wieder ängstlich umblickte, ob er mir nicht folgte. Dann traf ich mich mit irgendeinem herzlosen Typen, und Vic fuhr heim und durchkämmte die sozialen Netzwerke auf der Suche nach Lebenszeichen von mir. Gegen elf schrieb er dann zuverlässig: Was treibst du Kid. Ohne Komma oder...
| Erscheint lt. Verlag | 30.9.2021 |
|---|---|
| Übersetzer | Anne-Kristin Mittag |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Animal |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Affäre • Aufbegehren • Begehren • Bestsellerautorin • Buch • Bücher • bücher bestsellerliste • buch für frauen • Buchtipp Frauen • Ehe • Emanzipation • Feminismus • Frauen • Geschenk für die beste Freundin • Neuerscheinung 2021 • Partnerschaft • Patriarchat • Rache • Roman • Roman für die beste Freundin • Selbstbestimmung • Selbstfindung • Sexismus • Sexueller Missbrauch • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • USA • weibliche lust • Weibliche Sexualität |
| ISBN-10 | 3-492-99929-8 / 3492999298 |
| ISBN-13 | 978-3-492-99929-8 / 9783492999298 |
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