Wie Vögel im Sturm (eBook)
396 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-8708-3 (ISBN)
Hannelore Deinert ist in Kelheim an der Donau geboren und wuchs ohne Vater auf, er ist im Krieg geblieben. Nach einigen Wanderjahren und einem sehr intensiven Familien- und Berufsleben -sie betrieb in Münster bei Dieburg ein Spielwaren und Bastelgeschäft- fand sie die Zeit, ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, nachzukommen. Sie absolvierte erfolgreich ein Literatur Fern-Studium und schreibt Romane, Kurzkrimis, Gedichte, Jugend- und Kindergeschichten. Ihr Motto ist: Pures Licht blendet auf Dauer zu sehr, zum Glück gibt es auch den Schatten.
Wie hoch und wohin geht die Reise?
Willst Du, dass ich dich begleite?
Kann ich Dir folgen bedenkenlos?
Die Angst in mir ist viel zu groß.
Auch wenn das Land sich überraschend schnell von den katastrophalen Kriegsschäden erholte und die gravierendsten Zerstörungen auch mit Hilfe der Gastarbeiterflut aus Italien, Spanien und der Türkei beseitigt worden waren, auch wenn in den wiedererrichteten Theatern und Kulturstätten die Künste neu erblühten, die freie Marktwirtschaft den Fleißigen mit bescheidenem Wohlstand belohnte und das zarte Pflänzchen Demokratie bestens gedieh, so lag doch, fünfzehn Jahre danach, die Bedrohung eines neuen Krieges wie ein Damoklesschwert über den Menschen. Kein noch so deutlich demonstrierter Optimismus konnte die Bürde der Schuld vertreiben.
Keiner wollte es wahrhaben, aber die Psyche der Menschen war noch lange nicht geheilt, man verbarg es geschickt hinter Geschäftigkeit und Strebsamkeit, die Deutschen wurden ein Volk von Verdrängungskünstlern. Jedermann trug eine zufriedene Wohlstandsmaske zur Schau, umtriebig und pausenlos strebte man nach immer mehr, wer es sich leisten konnte fuhr mit dem eigenen Auto in den Urlaub, möglichst mit einem Caravan im Schlepptau nach Italien ans Meer. Laute Heiterkeit und Überheblichkeit waren bewährte Rezepte, um der inneren Zerrissenheit wenigstens oberflächlich und zeitweise zu entfliehen, und der Erkenntnis, zu welcher bodenlosen Grausamkeit man fähig war.
Das klappte gut, bis auf die Nächte. Da kamen mit der Stille die Toten zurück, der Schein von brennenden Häusern und Hütten flackerte in ihre Stuben, Qualm nahm ihnen den Atem, das Zischen von Granaten und Querschlägern tobte in ihren Ohren, das Brummen angreifender Tiefflieger, Gewehrsalven und Todesschreie raubten ihnen den Schlaf, Nacht für Nacht, es gab kein Entrinnen. Viele suchten im Alkohol Linderung, und wenn das nicht half, zerschlugen sie mit wütender Verzweiflung alles, was ihnen lieb und teuer war. Sie wussten, Liebe und Harmonie waren nicht angebracht nach allem was war. Sie gaben ihre Schuld ungewollt und unbewusst an ihre Kinder weiter.
Fanny Obermayer und Rolf Dengler versuchten im Alter von achtzehn und neunzehn Jahren der Enge und Dürftigkeit ihrer Elternhäuser und der Kleinmut der niederbayrischen Kleinstadt, in der sie aufgewachsen waren, zu entkommen, indem sie heirateten. Sie legten sich eine wunderbare Zukunft zurecht, allerdings mit verschiedenen Vorstellungen; Fanny erhoffte sich die absolute Freiheit, ohne Zwänge und Ängste vor dem alkoholkranken, tobsüchtigen Stiefvater, und Rolf rechnete sich nach einer abgeschlossenen Elektro-Mechaniker Lehre und einem geplanten Ingenieurstudium eine erfolgreiche berufliche Karriere aus. Beide dachten in ihrer jugendlichen Zuversicht, oder sollte man sagen Einfalt, in München ihre Zukunftspläne am besten verwirklichen zu können.
„Wenn wir heiraten“, hatte Rolf, der es von Natur aus immer eilig hatte, erklärt, „brauchen wir nur eine Miete zu bezahlen. Außerdem sind die Leute in München genauso stockkonservativ wie hier. Besuche von Mädchen in Junggesellenbuden sind absolut tabu und gegen alle guten Sitten.“
Allerdings waren sie zum Heiraten noch zu jung, aber Rolf wäre nicht Rolf gewesen, wenn er nicht eine Lösung dafür gefunden hätte. Er war ein Flüchtlingskind und Waise, seine Ausgangsposition im Leben war also nicht gerade die Beste, aber er war intelligent und ehrgeizig und erreichte mit seinem unerschütterlichen Glauben an sich selbst so gut wie alles, was er sich vornahm. Und er wollte Fanny heiraten, nur sie, da war er sich ganz sicher.
Gleich beim ersten Mal, als er sich mit einigen Kumpels auf der Steinbrücke vor dem Stadttor, einem beliebten Treffpunkt der Jugendlichen, aufgehalten hatte und sie mit einer Freundin dort aufgetaucht war, war sie ihm aufgefallen. Sie waren mit Fahrrädern gekommen, stellten sie ab und kamen auf die Brücke. Während ihre Freundinnen unverzüglich anfingen mit den Jungs herumzualbern, blieb sie abwartend und zurückhaltend, das gefiel ihm. Von seinen Kumpels erfuhr er, dass sie Fanny Obermayer hieß und erst kürzlich von einem Internat nach Hause gekommen sei. Rolf hatte sich gleich heftig in sie verliebt, er machte seinen Kumpels unmissverständlich klar, dass sie nun seine Freundin sei, denn in seinem Freundeskreis galt es als ungeschriebenes Gesetz, sich nicht gegenseitige die Mädels auszuspannen.
Nach seiner Ausbildung zum Elektro-Mechaniker war Rolf nach München gegangen, wo er schnell in einer Geschäftsstelle des Esseners Röntgenwerks Arbeit fand. Jeden Freitag fuhr er nach der Arbeit mit dem hart ersparten Moped die hundert Kilometer nach Hause, um Fanny zu sehen und sie, wenn sie mit ihren Freundinnen zu den Tanzveranstaltungen oder in die Kinos ging, zu begleiten. Zwar war Rolf hoffnungslos unmusikalisch, aber wenn er sie nicht ausgeführt hätte, befürchtete er, würden es andere tun, die obendrein besser tanzen konnten wie er. Als Fanny den Wunsch äußerte, auch nach München gehen zu wollen, kam ihm das gerade recht.
Er beantragte kurzerhand beim Amtsgericht Fannys Vormundschaft, die er wegen ihres gewalttätigen Stiefvaters und seiner abgeschlossenen Berufsausbildung und festen Anstellung auch bekam. Somit war Rolf mit neunzehn Jahren volljährig und heiratsfähig.
Im Jahre 1960 heirateten Fanny und Rolf in aller Schlichtheit. Allerdings nur standesamtlich, denn Rolf war protestantisch und Fanny katholisch. Der katholische Pfarrer höchstpersönlich war in Obermayers bescheidenem Zuhause aufgetaucht, um Fanny ins Gewissen zu reden. „Einen Protestanten zu heiraten, bedeutet den Ausschluss aus der Mutter Kirche, Fanny“, hatte er sie gewarnt. Das war zwar sehr unerfreulich für Fanny, aber vorerst fiel es wegen der allgemeinen Aufregung mit der Hochzeit und dem Umzug nach München nicht so sehr ins Gewicht.
In der Münchner Innenstadt, nahe des Sendlinger Torplatzes, mietete Rolf im Erdgeschoss eines achtstöckigen Neubaus ein zwar winziges, aber umso teureres Einzimmerappartement mit Dusche und einer Kochnische. Ein paar Straßenzüge weiter fand Fanny mit Rolfs Hilfe Arbeit in einer kleinen Näherei.
Aber Fanny fühlte sich inmitten der gleichgültigen Geschäftigkeit der großen Stadt, mit den großen, neuen Kaufhäusern, den Prachtbauten aus Glas und Beton, die in den Himmel wuchsen, den kolossalen Kinos und Theatern, die ihre Programme auf riesigen Plakaten mit wunderschönen Menschen darauf ankündigten, fehl am Platz. Die breiten Straßen mit dem hektischen, lärmenden Verkehr, die polternden Straßenbahnen und die hastenden Menschenmassen verwirrt sie. Sie fühlte sich allein, denn Rolf war unter der Woche meist auf Montage.
Rolf merkte es nicht, er hatte mit seinen Angelegenheiten mehr als genug zu tun. Aber am Wochenende führte er seine Frau gern in das neue, moderne Kino im Bahnhof, -er wurde erst kürzlich auf das prächtigste fertiggestellt- wo man sich für wenig Geld lustige „Micky-Maus“ und „Tom und Jerry“ Filme, die sich in Endlosschleifen wiederholten, anschauen konnte. Im Sommer gingen sie an den Isarauen spazieren, sonnten sich dort und badeten, oder wanderten durch den Englischen Garten. Das war sehr schön.
Als Fanny schwanger wurde, freute sie sich, sie glaubte, nun wäre sie in der großen Stadt nicht mehr so allein.
Am frühen Morgen des Ostersonntags, des Jahres 1962, platzte bei einem Toilettengang völlig überraschend und ohne Vorwarnung Fannys Fruchtblase. Beide, Fanny und Rolf, waren völlig überrascht und gerieten fast in Panik, denn Fanny ging es bis dahin hervorragend, auch wenn der errechnete Geburtstermin bereits erreicht war. Zum Glück hatte Rolf gerade in einem Achtstunden-Crashkurs und einigen Fahrunterweisungen seinen Führerschein erworben und ein Firmenwagen, ein königsblauen Ford-Bus stand vor dem Haus, damit fuhr er seine Frau durch die feiertäglich leeren, sechsspurigen Straßen der noch schlafenden Münchner Innenstadt, zum Marienkrankenhaus, wo Fanny zur Entbindung angemeldet war. Sein Fahrstil war entsprechend, aber das spielte zu dieser frühen Stunde des Feiertags keine Rolle, es begegnete ihnen kaum ein anderes Fahrzeug; und wäre einem Polizeifahrzeug der königsblaue Ford-Bus aufgefallen, dann hätten die Beamten mit dem konfusen, jungen Mann bestimmt ein Nachsehen gehabt. Als das Festgeläute der nahen Kirchen einsetzte, trug das nicht gerade zur Beruhigung der werdenden Eltern bei.
Fanny kam gleich in einen kahlen, weißen Entbindungsraum, wo sie, mit einem Klinikhemd angetan, auf einer zentral gelegenen Liege der Geburt ihres Kindes entgegensah. Eine Hebamme war mit diesem und jenem beschäftigt und später erschien auch ein junger, missgelaunter Arzt, dem anzusehen war, dass er sich heute am Ostersonntag etwas Schöneres hätte vorstellen können, als Dienst zu schieben. Mit undurchdringlicher Miene untersuchte er Fanny und meinte dann mit leicht ironischem Unterton zur diensthabenden Schwester: „Erstgeburt, nehmen Sie sich heute lieber...
| Erscheint lt. Verlag | 29.3.2021 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| ISBN-10 | 3-7534-8708-2 / 3753487082 |
| ISBN-13 | 978-3-7534-8708-3 / 9783753487083 |
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