Oder sind es Sterne (eBook)
304 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-444-8 (ISBN)
Eva Munz studierte an der HFF München Film und arbeitete viele Jahre als Regisseurin und Journalistin in verschiedenen Ländern Asiens. Heute lebt sie in New York und schreibt für Magazine und Tageszeitungen. Eva Munz ist Co-Autorin von Die totale Erinnerung - Kim Jong Ils Nordkorea (2006) und hat Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht. Oder sind es Sterne ist ihr erster Roman.
Eva Munz studierte an der HFF München Film und arbeitete viele Jahre als Regisseurin und Journalistin in verschiedenen Ländern Asiens. Heute lebt sie in New York und schreibt für Magazine und Tageszeitungen. Eva Munz ist Co-Autorin von Die totale Erinnerung – Kim Jong Ils Nordkorea (2006) und hat Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht. Oder sind es Sterne ist ihr erster Roman.
LEUTNANT RYDER
SAN DIEGO
RYDER IST GRUNDZUFRIEDEN mit diesem Tag. Ein Tag wie je-der andere. Die Sonne Kaliforniens scheint wie immer gelangweilt auf den Stützpunkt. Alltag und Routine sind eingezogen und haben die Vergangenheit weichgespült. Ryder hat die Ausbildung bei den Marines bestanden, seitdem ist das Soldatenleben ein Spaziergang. Militärkonfrontationen auf amerikanischem Boden unwahrscheinlich. Somalia ein unscharfer Fleck auf der Weltkarte. Truppen im Kosovo nur noch mit Friedenstauben bewaffnet. Kriegsführung zukünftig ferngesteuert. Der amerikanische Soldat im Schützengraben wird bald ein Anachronismus sein.
Ryder kann sich zurücklehnen. In ein, zwei Jahren wird er sich von einer Sicherheitsfirma anstellen lassen und bei Geldtransporten eine ruhige Kugel schieben oder ein paar Omas vor einem Waldbrand retten. Sogar die verkochten Rippchen in der Kantine sind bei diesen Aussichten akzeptabel.
Da grätscht ausgerechnet dieser General in seine geordnete Idylle. »Ah, ich liebe den Geruch von Meister Proper!«, ruft er und atmet tief ein. »Hygiene! Segnung der freien Welt!« Surfer-Bräune, silbriger Dreitagebart, Pilotenbrille. Die Uniform hängt locker am drahtigen Körper, als wäre sie vom Kostümverleih. Der General wirkt wie ein Schauspieler, der sich bemüht, gleichzeitig authentischer und unattraktiver daherzukommen, als er wirklich ist. Wie alt kann er sein? Fünfzig? Sechzig?
Das Namensschild Bender, Sterne und alle erdenklichen Orden dekorieren seine Jacke. Anscheinend ist er ein hohes Tier.
»Was hat der Spaßvogel hier verloren?«, fragt Ryder seinen Kumpel Kellogg, der ihm Nägel kauend beim Essen zusieht.
Der General kann den Schuss nicht gehört haben, wenn er vorhat, hier mit den Gefreiten zu speisen. Die Kantine des Stützpunkts ist nicht gerade für ihre Gourmetküche bekannt. Streunende Hunde drüben in Mexiko ernähren sich besser. Sogar der fiese Drill-Sergeant bringt sein eigenes Essen mit, dabei kann er seit dem Balkankrieg nichts mehr riechen.
Küchenkraft Lupe beobachtet den General aus dem Schützengraben ihrer rostfreien Anrichte.
»Wunderschönen guten Tag, Fräulein Lupe.«
Ryder kann Lupe aus der Entfernung schlucken sehen.
»Ich bin General Lawrence Bender, Freunde nennen mich Larry. Ich werde demnächst öfter in diesem Etablissement vorbeischauen, die Atmosphäre auf mich wirken lassen, sozusagen. Hätten Sie heute noch etwas anderes zur Auswahl außer den Rippchen? Ich bin Vegetarier, keiner dieser Fundamentalisten, also Eier sind durchaus in Ordnung.«
Lupes tätowierte Augenbrauen fahren hoch, und ihr Häubchen staut sich in ihrem Nacken. »Sir, ich hab noch Hühner-Curry mit Ananas, von gestern, Sir.« Sie wischt sich ein paar Schweißperlen vom Oberlippenflaum und klatscht das atomgelbe Zeug auf den Portionsteller. Ryder erinnert sich an das Aroma, süßlich, wie künstliche Piña Colada.
»Wow, Hühner-Curry. Danke, Fräulein Lupe.« Der General späht in den Raum und bleibt an Kelloggs rasiertem Kopf hängen.
»Achtung, General im Anmarsch!« Kellogg duckt sich.
Der General lässt sich neben Ryder auf die Bank fallen, schiebt seine Sonnenbrille nach oben und durchbohrt Kellogg mit stählernen Blicken. »Leutnant Kellogg, Sie haben ja gar nichts zu essen. Kann ich Sie für dieses exotische Hühnerfrikassee begeistern? Ich verzichte vorerst auf tierisches Eiweiß.«
»Sir, ich kann das leider nicht annehmen, Sir«, sagt Kellogg.
»Sie fasten zu Ramadan, Leutnant?«
»So ist es, Sir.«
Ryder bereitet sich innerlich auf die unvermeidliche Glaubensdiskussion vor.
»Ausgezeichnet. Ich mag charakterfeste Persönlichkeiten.« Der General trennt das Curry vom Kartoffelbrei. »Leutnant Shaikh Kellogg. Ihre Eltern stammen aus Pakistan, richtig?«
»Stimmt genau, Sir. Ich bin allerdings hier geboren, Sir.«
»Kellogg, ein eher ungewöhnlicher Name im Punjab, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben.«
»Sir, eigentlich ist Shaikh mein Familienname, ich habe es aufgegeben, das den Leuten klarzumachen, Sir.«
»Ihre Eltern haben Sie Kellogg getauft?«
»Korrekt, Sir. Mein Vater ist sehr leidenschaftlich, was amerikanische Frühstückskultur angeht, Sir.«
»Kann ich gut verstehen. Was mach ich jetzt mit dir, mein ar mes, vegetarisches Hühnchen?« Der General sieht von seinem Teller auf und nimmt Ryder ins Visier. »Ihnen scheint es immerhin zu schmecken, Leutnant.«
»Ich bin nicht sonderlich verwöhnt, Sir«, sagt Ryder vorsichtig.
»Was genau hat Sie noch mal zu den Marines gebracht, Leutnant?«
»Sir, ich hab im College Basketball gespielt, bei den San Diego Aztecs. Das Training hat mich abgehärtet. Ich dachte mir, hier kann ich meine körperliche Fitness sinnvoll einsetzen, Sir, für die Nation, Sir.« Ryder hofft, dass der General schnell wieder das Interesse an ihm verliert.
»Verstehe«, sagt der General und deutet auf Ryders Teller. »Wussten Sie, dass die Verdauungsgase von Rindern den Treibhauseffekt beschleunigen? Einer der Hauptgründe, warum ich mich zu einer Diät auf Pflanzenbasis entschieden habe. Abgesehen davon halte ich wenig davon, anderen Wesen das Leben zu nehmen, um ausgerechnet unsere Gattung zu erhalten. Die Schäden des Anthropozäns sind zwar irreversibel, aber jeder von uns kann dazu beitragen, dass die Löcher in der Atmosphäre nicht noch größer werden. Viele Weltreligionen haben derartige Überlegungen in ihren Glauben eingebaut. Die Hindus zum Beispiel beten Kühe an. Ich glaube, auch die Zuneigung, die Japaner für elektronische Haustiere verspüren, sind Zeugnis unserer Humanität. Selbst das Recht, sogenannte falsche Götter anbeten zu dürfen …«
Meister Bender scheint geistig an ein fernes Universum angeschlossen. Ohne wirklich zuzuhören, lässt sich Ryder von der an genehmen Stimme berieseln. »Welchen beten Sie an, Leutnant? Gott? Welchen? Lassen Sie mich raten, Leutnant Ryder.«
Die Worte des Generals verklumpen in Ryders Gehirn.
Kellogg kommt ihm zu Hilfe. »Sir, für meinen Vater zum Beispiel ist Ryder ein Ehren-Muslime, wie eine Sonderausgabe von Cornflakes, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Der General ignoriert Kellogg.
»Ich bin getauft, katholisch«, korrigiert Ryder.
»Sie sind in San Ysidro aufgewachsen, am Tijuana River, nicht wahr?«, fragt der General scheinheilig, als sei das eine schicke Adresse in Malibu.
»Ja, Sir.«
»Hartes Pflaster für einen Außenseiter irischer Abstammung. Kriminalität, Gangs, Drogen. Da rutscht man schnell ab. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und ein Vollstipendium fürs College bekommen. Beeindruckend.« Er nickt Ryder wohlwollend zu. »Ihre Eltern haben Sie gefördert?«
»So würde ich das nicht ausdrücken.« Ryder merkt, dass er rot wird. »Basketball hat sicher geholfen.«
»Aber sagen Sie, sind die Aztecs ’98 nicht wegen Ihnen komplett abgeschmiert?«, fragt der General. »Hatten Sie nicht so etwas wie einen Nervenzusammenbruch? Ich hab das doch in Ihren Unterlagen gelesen.«
Seine Unterlagen? Ryder wäre nie auf die Idee gekommen, dass jemand sich die Mühe machen würde, eine verpatzte Saison im College-Basketball festzuhalten.
»Sir, es war ein eingeklemmter Nerv im Oberarm. Der Sportarzt am College hat das schnell wieder hinbekommen.« Er zuckt betont gelassen mit den Schultern.
Der General lässt nicht locker. »Das hatte eindeutig nichts mit Ihrem Arm zu tun, Leutnant. Die hätten einen Seelenklempner auf Sie ansetzen sollen. Ihre Nerven haben die ganze Saison ruiniert. Vorher waren Sie nicht aufzuhalten. Da muss doch irgendwas passiert sein. War das nicht genau zu der Zeit, als Ihr Vater gestorben ist? Oder war das davor?«
Es war genau zu der Zeit. Ryders Kiefer verhakt sich sofort bei dem Gedanken an seinen Alten.
»Das muss hart gewesen sein. Ausgerechnet der Vater«, sagt der General. »Dieses ganze Chaos beim Erwachsenwerden, das weiße Rauschen der Pubertät, die verkrusteten Vorstellungen von Männlichkeit bringen übrigens nicht nur Sportler um den Verstand. Wir könnten alle wesentlich mehr Achtsamkeit gebrauchen, finden Sie nicht?«
»Profisport war nie mein Ziel. Ich liebe es hier bei den Marines, Sir.« Das mit dem Lieben bereut Ryder sofort wieder.
»Schon mal darüber nachgedacht, etwas ambitionierter an das Leben ranzugehen, Leutnant? Es gibt ein paar exklusivere Programme, von denen Sie vermutlich noch nie gehört haben. Die suchen immer nach Persönlichkeiten wie Ihnen. Nach Leuten, die schon etwas erlebt haben. Ich sehe da Potenzial.«
»Nein, Sir.« Ryder ist verwirrt von der plötzlichen Schmeichelei. Er beißt sich in die Wange. Der rostige Geschmack wirkt beruhigend.
»Warum eigentlich nicht? Und hören Sie endlich mit dem albernen >Sir< auf.«
»Körperlich würde ich das sicher packen, Sir. Bei dem Rest weiß ich nicht.«
»Der Rest? Ich möchte...
| Erscheint lt. Verlag | 10.2.2021 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Afghanistan • Debüt • Destiny's Child • Eva Munz • Frankreich • Identität • Kabul • Los Angeles • Männer • Medien • Munz • Oder sind es Sterne • Paris • Roman • Schicksal • Sterne • USA |
| ISBN-10 | 3-95614-444-9 / 3956144449 |
| ISBN-13 | 978-3-95614-444-8 / 9783956144448 |
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