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Für diese Nacht (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
220 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76748-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Für diese Nacht -  Juan Carlos Onetti
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Onettis Roman aus dem Jahr 1943 spielt in einer einzigen Nacht in einer Hafenstadt im Bürgerkrieg und folgt einem Mann, der alles daransetzt, seinen politischen Gegnern und früheren Weggefährten zu entkommen und die eigene Haut zu retten, obwohl er um die Vergeblichkeit dieses Unterfangens weiß. Ein Roman, der etwas von der schwarzen Serie der Kriminalromane der frühen vierziger Jahre hat: ein thrill von existentieller Eindringlichkeit.




<p>Juan Carlos Onetti (*1909 in Montevideo, Uruguay, &dagger;1994 in Madrid, Spanien) ist vielfach und zu Recht als einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller bezeichnet worden. 1932 erschien im Rahmen eines Literaturwettbewerbs eine Erz&auml;hlung von ihm in der argentinischen Tageszeitung <em>La Prensa.</em> Sein erster Roman, <em>El Pozo</em> (dt. <em>Der Schacht,</em> 1989), folgte 1939 in einer Auflage von 500 Exemplaren. Er ver&ouml;ffentlichte insgesamt elf Romane und zahlreiche Erz&auml;hlungen sowie zwei Sammlungen von Artikeln, von denen die Mehrzahl ins Deutsche &uuml;bersetzt wurde.</p> <p>Bis 1975 lebte er abwechselnd in Buenos Aires und Montevideo, arbeitete unter anderem f&uuml;r die Nachrichtenagentur Reuters, war lange Jahre als Direktor der st&auml;dtischen Bibliotheken in Montevideo t&auml;tig und publizierte regelm&auml;&szlig;ig in verschiedenen uruguayischen Zeitschriften. Erst mit dem Roman<em> La vida breve </em>(1950, dt. <em>Das kurze Leben, </em>1978) erlangte er einen gewissen Bekanntheitsgrad, blieb aber noch viele Jahre lang eine Art &raquo;Geheimtipp&laquo; und erst in relativ hohem Alter wurden ihm Ruhm und Achtung zuteil. In <em>La vida breve</em> erschuf er den fiktiven Kosmos um die Stadt Santa Mar&iacute;a, der in vielen weiteren Romanen und Erz&auml;hlungen auftauchen sollte.</p> <p>W&auml;hrend der Diktatur, die seit 1973 in Uruguay herrschte, wurde Onetti einige Monate lang in Haft gehalten. 1975 ging er mit seiner vierten Frau, der Geigerin Dorothea Muhr, ins Exil nach Madrid, wo er bis zu seinem Tod blieb und die Romane <em>Dejemos hablar al viento</em> (dt. <em>Lassen wir den Wind sprechen,</em> 1986),<em> Cuando entonces </em>(dt. <em>Magda,</em> 1989) und <em>Cuando ya no importe </em>(dt.<em> Wenn es nicht mehr wichtig ist,</em> 1996) ver&ouml;ffentlichte.</p> <p>Der uruguayische Nationalpreis f&uuml;r Literatur wurde ihm gleich zweimal verliehen: 1962 und nach der R&uuml;ckkehr der Demokratie noch einmal 1985. Au&szlig;erdem erhielt er 1980 den wichtigsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt: den Cervantes-Preis.</p> <p>1994 erschien die erste Ausgabe der <em>Cuentos completos </em>(dt. <em>Willkommen, Bob.</em> Gesammelte Erz&auml;hlungen, 1999) in Buenos Aires. Am 30. Mai desselben Jahres starb Juan Carlos Onetti 84-j&auml;hrig in Madrid.</p> <p>Fast alle gro&szlig;en Autoren Lateinamerikas erkennen Onettis Einfluss auf ihr eigenes Werk an, und von vielen wird er f&uuml;r den ...

I


Weiss hatte am Telefon gesagt:

»Sieht aus, als gäbe es eine Passage für Sie. Nicht sicher. Ein Junge von droben, er kennt Sie. Im First and Last. Sagt Ihnen was? Gut, heute abend um neun. Viel Glück, das war’s. Schicken Sie welche von diesen Ansichtskarten mit Bucht, auf denen oben ›die Schönheiten der Welt‹ steht. Tschau.«

Ossorio betrachtete den Himmel, an dem er nichts als die Sterne sah. Kein ferner Lärm, der erheblicher gewesen wäre als die Musik in den Cafés und die Satzgeflechte mit ihrem genau in der Mitte plazierten Gelächter, die auf die Straße drangen, wenn für einen Augenblick die Türen geöffnet wurden. Nichts, was dort am Himmel gewesen wäre, kein Licht außer den Sternen, keine Bewegung außer den kleinen, rundlichen Wolken, die langsam vor dem Mond vorbeizogen. Er berührte das Bündel Scheine in seiner Hosentasche und ging geradewegs von der Bordsteinkante auf das erleuchtete Fenster zu, das von der Straße durch ein Kreuz aus Stäben getrennt war. Dort war eine Frau in gelblicher Atmosphäre vor einem Schrank mit Spiegel. Der Arm, angehoben, um die Frisur zu richten, zeigte eine dicke und kräftige Schulter, und in der eingegrabenen Mulde der Achsel glänzten die Härchen; der Rest ihres Körpers war halb nackt, und er war zerbrechlich im Dunkeln und unter den runden Muskeln der großen, angehobenen Schulter. Ossorio glaubte für einen Augenblick, das Parfüm der fast unbekleideten Büste durch die Fensterscheibe zu sehen.

Einen halben Block weiter hing die Ecklaterne, die Maschine des Erdnußverkäufers pfiff zweimal und schickte der Laterne einen flüchtigen Nebel entgegen. Auf dem Schild an der Bartür stand The First and Last, und die Tür war zweifüglig, eine Schwingtür, die, angestoßen, unruhig vor und zurück klappte, die Bewegung abgeschnittener Köpfe sehen ließ und Beine, die keinen Körper zu tragen hatten. The First and Last, hier war es. ›Und der Mensch ward verurteilt, Nadeln in Heuhaufen zu suchen‹, dachte er.

II


Die Frau hatte ihre Frisur vor dem Spiegel des Kleiderschranks geordnet, ließ den Arm sinken, querte mit kurzen klackenden Schritten auf den hochhackigen neuen Schuhen das Schlafzimmer, strich den Unterrock über den zusammengepreßten Schenkeln glatt und hob das Kleid aus dunkler Seide an, schaute vom Bett aus, ein Knie auf die Matratze gestützt; wieder ihr kleiner, in Unterwäsche gehüllter Körper im Schrankspiegel, und sie lächelte sich zu und dachte: ›Das bin ich, das bin ich. Die dort mit den weißen, nackten Armen bin ich mit den hochgewölbten Brüsten und meinem parfümierten Körper. ‹

»Das bin ich«, flüsterte sie, begriff aber nicht ganz, daß sie selbst es war, die dort wieder eine Nacht im Spiegel zubrachte, wartend; und während sie hin und her ging, Schritte und Drehungen ausführte in der nicht endenden Aufgabe, sich anzukleiden, mit der Puderquaste ihr Dekolleté zu streicheln und sich mit dem Zerstäuber Brüste, beide Seiten am Hals und die noch kindliche Haut in den Mulden hinter ihren Ohren zu parfümieren, kreiste ihr Lauschen fortwährend um die eichenfarben gebeizte Tür wie ein Scheinwerfer, der suchend über die Tür glitt und rings um die Tür, näher jetzt, schon über den quadratischen Teppich zwischen Tür und Bett, den Tisch, die Frisierkommode, und auch jenseits der Tür rastlos in den Geräuschen der Nacht im Innenhof suchte, in der Nacht auf der Straße, und erneut auf die Geräusche rings um die Tür achtete, sie untersuchte, und sie richtete ihr Gehör wie einen grellen Scheinwerfer auf jedes kleine oder große Geräusch, um es fast sofort, traurig, mit einer leichten Regung der Befangenheit in ihrem Körper zu verwerfen. Schon angetan mit ihrem dunklen Kleid für die Nacht, betrachtete sie sich wieder im Spiegel, betrachtete ihre Zähne, die Augen, das Rosa ihrer Wangen; sie drehte die Hände mit ihren Ringen und den Spitzenbündchen, die ihre Handgelenke verdeckten, und ging, jetzt aller Ausflüchte bar, zum Tisch, um sich unter das vom Lampenschirm gedämpfte Licht zu setzen, und bewegte die gealterten Hände und blassen Erinnerungen, bis die erste Bö der gestorbenen Nacht aufkam und ihr die grauen Strähnen über Schläfen und Hinterkopf wehte, aus einer Ferne voller Hufgetrappel, Detonationen, Schreie und dem gleichmäßigen Vibrieren der Motoren. Da wollte sie schon nicht mehr zur Tür schauen, und auch in dieser Nacht begann sie sich allein auszuziehen, und als sie nackt war, spürte sie, wie ihr Gesicht feucht wurde, und sie wollte auch ihren Körper im Spiegel nicht mehr ansehen und betrachtete allein die Stelle der Grotte, die sie in den Stunden mit ihren alten Erinnerungen gegraben hatte.

III


Nach wenigen Schritten in der Wärme blieb Ossorio vor einer Frau stehen, stieß fast an ihren Bauch. Die Frau sah, aufrecht neben ihm, weiter zu ihm hin und hob ihre Fingerspitzen vor ein scheues Lächeln.

»Ich tanze nicht«, sagte Ossorio. Sie lachte und entblößte unvermittelt ihren Mund.

»Heute nacht wird nicht getanzt, niemand tanzt.«

»Wieso heute nacht nicht?«

Er wußte, sie würde lügen, alle logen, als könnten die Dinge dadurch, daß man sie beim Namen nannte, heraufbeschworen werden. Sie log und wandte dabei den Kopf zur Saalmitte.

»Nein«, sagte sie, »es ist sehr voll, und die Tanzfläche ist mit Tischen zugestellt.« Dann fügte sie im Tonfall einer gewagten Frage hinzu: »Wir finden nie und nimmer einen freien Platz«, und hängte sich bei ihm ein.

Ossorio verlagerte das rechte Bein ein wenig, um weiter das Gewicht der Scheine zu spüren. Er redete und betrachtete dabei die Gesichter im Saal. ›Ich kenne nicht einmal den Namen‹, dachte er und sagte dabei zu der Frau:

»Ein Jammer, daß wir keinen Platz finden, wo es soviel zu sagen gäbe… «

Sie ermunterte ihn, riß begeistert die Augen auf, strich über seinen blanken Hals mit ihren Fingern, die kurz und rosig waren, mit geschwollenen Gelenken. ›Jedes Gesicht könnte es sein‹, dachte Ossorio weiter.

»Sind Sie sicher, daß man sich nirgends hinsetzen kann?«

Die Frau sah ihm neugierig ins Gesicht und lachte gleich darauf.

»Aber ja«, sagte sie. »Gehen wir in eine Nische.«

Während sie gingen, richtete sich sein Argwohn auf die Stimme der Frau, die tief geklungen hatte, ausländisch. Dann tätschelte er ihr die Wange und sagte:

»Wir können uns in irgendeine Nische setzen, und ich halte Sie fest und wärme Ihnen die Hände. Hören Sie, eins nur. Wir werden uns immer, in jedem Fall, siezen.«

Sie nickte. In einer Ecke stand die Bühne für das Orchester; an der abgewandten Seite fanden sie einen freien Tisch und setzten sich mit dem Rücken an die Trennwand aus schwarzem Holz. Ossorio nahm seinen Hut ab und umfaßte die Hände des Mädchens, um sie zu wärmen.

»Noch etwas«, sagte er. »Keinen Alkohol. Ich zahle alles mögliche. Aber keinen Alkohol.«

Sie lächelte weiterhin mit seliger und verkindlichter Miene; sie streckte eine Hand aus und strich Ossorio übers Gesicht, duckte sich zum Lachen zusammen.

»Du bist stoppelig.«

Er zog eine Pfeife und einen Tabaksbeutel aus der Tasche und ließ den Beutel einen Augenblick an einer gelben Schnur tanzend von seinem Finger baumeln.

»Wir hatten ausgemacht, uns nicht zu duzen«, sagte er.

»Oh, ja!« antwortete sie, und der glückliche Ausdruck verbreitete sich über ihr ganzes rundes Gesicht, und sie schlug die Augen nieder und schob die gespitzten Lippen vor. »Sie, Sie, Sie… «

Das S wand sich ein wenig, ehe es sich vom Gaumen löste. Dann kniff sie ihm ins Kinn und wandte sich lachend dem Kellner zu.

»Für mich Anis. Für ihn, für Sie, keinen Alkohol.«

Ohne sich umzudrehen, klopfte Ossorio mit der Pfeife gegen die Trennwand über seiner Schulter.

»Was ist dort?« fragte er.

Er beugte sich zum Anrauchen vor und lehnte sich mit der Pfeife zwischen den Zähnen, von Rauch umgeben, erneut zurück. Die Frau gab keine Antwort; als der Kellner kam, schob sie Ossorio den Kaffee hin, trank den Anis zur Hälfte und saß eine Weile schweigend nach vorn gelehnt, die Hände vorm Gesicht, die Daumenballen kräftig gegen den Mund gepreßt, wobei die ausgestreckten kurzen Finger kaum die Brauen erreichten. Er konnte die schmutzigen Fingernägel sehen, die runden, fleischigen Ohren und die gemalten, fast verwischten Linien über den Augen, anstelle der abhanden gekommenen Brauen. »Viens, viens … «, flüsterte sie; ihr Gesicht war entschlossen und erhitzt. Sie schob ihre Finger zwischen Beine und Sitzfläche und wiegte sich »viens, viens« summend im Rhythmus des Orchesters.

Bedächtig,...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2020
Übersetzer Svenja Becker
Sprache deutsch
Original-Titel Angabe fehlt
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Borges • Das kurze Leben • Die so gefürchtete Hölle • Existentialismus • Hundert Jahre Einsamkeit • Lateinamerika • Lateinamerikanische Literatur • Literatur der Moderne • ST 5040 • ST5040 • suhrkamp taschenbuch 5040 • Uruguay
ISBN-10 3-518-76748-8 / 3518767488
ISBN-13 978-3-518-76748-1 / 9783518767481
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