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Big Sur und die Orangen des Hieronymus Bosch (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00586-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Big Sur und die Orangen des Hieronymus Bosch -  Henry Miller
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Der Autor der vielumstrittenen «Wendekreis»-Bücher bekennt sich hier mit leidenschaftlicher Diesseitsfrömmigkeit zu einem Leben fern aller Zivilisation, in ursprünglichem Einverständnis von Mensch und Natur, wie er selbst es lange Jahre in bizarrer Einöde an der kalifornischen Küste im Kreise von Künstlern, Intellektuellen und gleichgesinnten Originalen verwirklichte.

Henry Miller, der am 26. Dezember 1891 in New York geborene deutschstämmige Außenseiter der modernen amerikanischen Literatur, wuchs in Brooklyn auf. Die Dreißiger Jahre verbrachte Miller im Kreis der «American Exiles» in Paris. Sein erstes größeres Werk, das vielumstrittene «Wendekreis des Krebses», wurde - dank des Wagemuts eines Pariser Verlegers - erstmals 1934 in englischer Sprache herausgegeben. In den USA zog die Veröffentlichung eine Reihe von Prozessen nach sich; erst viel später wurde das Buch in den literarischen Kanon aufgenommen. Henry Miller starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.

Henry Miller, der am 26. Dezember 1891 in New York geborene deutschstämmige Außenseiter der modernen amerikanischen Literatur, wuchs in Brooklyn auf. Die Dreißiger Jahre verbrachte Miller im Kreis der «American Exiles» in Paris. Sein erstes größeres Werk, das vielumstrittene «Wendekreis des Krebses», wurde – dank des Wagemuts eines Pariser Verlegers – erstmals 1934 in englischer Sprache herausgegeben. In den USA zog die Veröffentlichung eine Reihe von Prozessen nach sich; erst viel später wurde das Buch in den literarischen Kanon aufgenommen. Henry Miller starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.

Erster Teil Die Orangen des Tausendjährigen Reiches


Die kleine Gemeinde, die zuerst nur aus dem sagenhaften «Ausländer» Jaime de Angulo bestand, hat sich auf ein Dutzend Familien vermehrt. Der Berg (Partington Ridge) nähert sich seinem Sättigungspunkt, so schnell geht das hier. Der große Unterschied zwischen dem Big Sur, das ich vor elf Jahren vorfand, und dem heutigen besteht darin, daß jetzt so viele Kinder geboren werden. Die Mütter scheinen hier ebenso fruchtbar zu sein wie der Boden. Die kleine Landschule, nicht weit vom Staatspark gelegen, ist schon fast überfüllt. Sie gehört zu jener Art Schulen, die zum großen Nachteil unserer Kinder schnell vom amerikanischen Boden verschwinden.

Wer weiß, wie es hier in zehn Jahren aussehen wird! Wenn man hier Uran oder anderes für Kriegszwecke wichtiges Material findet, wird Big Sur bald nur noch eine Legende sein.

Schon heute ist es kein Vorposten mehr. Die Ausflügler und Besucher nehmen von Jahr zu Jahr zu. Emil Whites Führer durch Big Sur allein bringt Schwärme von Touristen an unsere Türen. Was mit jungfräulicher Bescheidenheit begonnen wurde, droht als Goldgrube für Reisebüros zu enden. Die ersten Ansiedler starben weg. Sollte ihr Landbesitz in kleine Parzellen aufgeteilt werden, kann sich Big Sur schnell zu einem Vorort (Montereys) entwickeln, mit fahrplanmäßigem Omnibusverkehr, Wurstbratereien, Tankstellen, Geschäftsfilialen und all dem anderen widerlichen Firlefanz, der einen Vorort so schauderhaft macht.

Du siehst aber schwarz, wird man sagen. Mag sein, daß uns die sonstigen mit dem Fortschritt verbundenen Greuel erspart bleiben. Vielleicht bricht inzwischen, ehe wir herausgesetzt werden, das Tausendjährige Reich an.

Ich denke gerne an meine erste Zeit auf Partington Ridge zurück. Damals gab es hier noch kein elektrisches Licht, kein Propangas, keine Kühlschränke, und die Post kam nur dreimal in der Woche. Damals und selbst später noch kam ich ohne Auto aus. Ich hatte allerdings einen kleinen Wagen (der einem Kinderspielzeug nicht unähnlich war), den Emil White für mich zusammengezimmert hatte. Ich hatte leider keinen Ziegenbock, den ich vorspannen konnte, und so mußte ich mich selbst ins Geschirr legen. Geduldig zog ich damit die Post und alles, was ich (meistens für andere) eingekauft hatte, einen etwa zweieinhalb Kilometer langen steilen Weg hinauf. Wenn ich an die Straßenkehre bei Roosevelts kam, zog ich bis zum Schulterzugriemen alles aus, was ich anhatte. Was sollte mich davon abhalten?

Damals kamen fast nur junge Leute zu Besuch, die kurz vor dem Militärdienst standen oder gerade entlassen worden waren. (Die jungen Leute sind heute noch immer mit dem Militär beschäftigt, obwohl der Krieg 1945 zu Ende ging.) Die meisten dieser jungen Burschen waren Künstler oder wären gerne welche gewesen. Manche blieben und schlugen sich jämmerlich durch. Manche kamen später wieder und machten dann den Versuch, durchzuhalten. Sie waren alle von der Sehnsucht erfüllt, dem schauderhaften Leben der Gegenwart zu entgehen, und entschlossen, lieber wie Ratten zu leben, wenn sie nur in Ruhe und Frieden leben könnten. Eine sonderbare Gesellschaft war das! Einer der ersten, die sich hier verkrochen, war Judson Crews aus Waco in Texas. Er erinnerte einen wegen seines struppigen Bartes und seiner Redeweise an einen Mormonen. Er lebte fast ausschließlich von Erdnußbutter und wildem, grünem Senf. Er rauchte und trank nicht. Norman Mini, der schon eine ungewöhnliche Laufbahn hinter sich hatte – sie fing damit an, daß er wie einst Poe aus West Point entlassen wurde –, blieb (mit Frau und Kind) lange genug, um einen Anfängerroman zu vollenden – den besten Anfängerroman, den ich je gelesen habe und der deshalb noch unveröffentlicht ist. Norman unterschied sich dadurch von den anderen, daß er zwar auch arm wie eine Kirchenmaus war, aber einen Keller hatte, an dem er sehr hing. Er enthielt einige der feinsten Weine, die man sich nur wünschen konnte (inländische und ausländische). Walker Winslow schrieb damals gerade seinen Roman Wenn der Mensch verrückt ist, der ein Erfolgsschlager wurde. Walker schrieb mit Eilzuggeschwindigkeit und anscheinend ohne Unterbrechung in einer winzigen Hütte an der Straße, die einmal White gebaut hatte, um den ständigen Strom von Herumstreichern abzufangen, die ihm Tage, Wochen, Monate, ja, Jahre auf der Pelle lagen.

Alles in allem sind seit meiner Ankunft etwa hundert Maler, Schriftsteller, Tänzer, Bildhauer und Musiker hier gewesen und wieder abgezogen. Mindestens ein Dutzend besaß echtes Talent und kann noch Spuren in der Welt hinterlassen. Der einzige, der zweifellos ein Genie und der bemerkenswerteste von allen außer Varda war, der aber einer früheren Zeit angehörte, war Gerhart Münch aus Dresden. Gerhart gehört in eine eigene Kategorie. Als Pianist ist er unübertrefflich, wenn nicht unvergleichlich. Er ist auch Komponist und dazu noch gelehrt bis in die Fingerspitzen. Wenn er nichts Weiteres getan hätte, als uns Skrjabin zu interpretieren – und er tat weit mehr, leider ohne Ergebnis! –, müßten wir in Big Sur ihm für immer dankbar sein.

Da ich gerade von Künstlern spreche – es ist sonderbar, daß nur wenige von dieser Gilde es hier lange aushalten. Fehlt hier etwas? Oder gibt es hier vielleicht zuviel – allzuviel Sonnenschein, zuviel Nebel, zuviel Freude und Zufriedenheit?

Fast jede Künstlerkolonie verdankt ihren Beginn dem Verlangen eines reifen Künstlers, sich der Clique, die sich an ihn hängt, zu entziehen und mit ihr zu brechen. Der ausgewählte Platz ist gewöhnlich ideal, besonders für den Entdecker, der den größten Teil seines Lebens in dumpfen Löchern und Dachstuben zugebracht hat. Die «möchte-gern»-Künstler, für die Ort und Atmosphäre von überragender Bedeutung sind, bringen es immer fertig, einen solchen stillen Winkel in eine lärmende, operettenhafte Kolonie zu verwandeln. Es bleibt abzuwarten, ob dies auch mit Big Sur geschehen wird. Glücklicherweise gibt es einige Abschrekkungsmittel.

Ich bin davon überzeugt, daß der noch nicht ausgereifte Künstler selten in einer idyllischen Umgebung gedeiht. Er braucht in erster Linie, obschon man so etwas nie wie ein Rezept empfehlen kann, Lebenserfahrung aus erster Hand – bittere Erfahrungen, um es deutlicher zu sagen, mehr Kampf, mehr Entbehrungen, mehr Schmerz, tiefere Enttäuschungen. Er darf nicht hoffen, solche Anstachelungen oder Stimulantien hier in Big Sur zu finden. Wenn er nicht auf der Hut ist, wenn er nicht bereit ist, sich ebenso mit Phantomen wie mit bitteren Wirklichkeiten herumzuschlagen, kann er hier leicht geistig und seelisch einschlafen. Wenn sich hier eine Künstlerkolonie niederlassen sollte, wird sie den Weg aller anderen gehen. Künstler gedeihen nicht in Kolonien. Ameisen eher. Der Künstler braucht im Anfang vor allem das Vorrecht, mit seinen Problemen in Einsamkeit ringen zu können – und dann und wann ein gutes, saftiges Beefsteak.

Wer für sich leben will, für den ist das Hauptproblem, lästige Besuche fernzuhalten. Man kann sich nie darüber klarwerden, ob Besuche ein Fluch oder ein Segen sind. Bei all der Erfahrung, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe, weiß ich noch immer nicht, wie oder ob ich mich gegen die ständige Invasion, gegen die schnüffelnde, zudringliche Spezies des «homo fatuoso» schützen soll. Sie besitzt die erstaunliche Fähigkeit, mich immer im ungeeignetsten Augenblick zu überfallen. Ein schwerer zugängliches Versteck zu suchen, halte ich für nutzlos. Der Besuchsfanatiker, der sich in den Kopf gesetzt hat, einen unbedingt kennenzulernen, wenn auch nur um einen Händedruck auszutauschen, würde sich nicht scheuen, selbst den Himalaja zu erklimmen, um sein Ziel zu erreichen.

Ich habe seit langem bemerkt, daß man in Amerika jedem Besucher schutzlos preisgegeben ist. Es wird von einem erwartet, daß man jederzeit zur Verfügung steht, sonst wird man als komischer Kauz angesehen. Nur in Europa leben Schriftsteller hinter Gartenmauern und verschlossenen Türen.

Zu allen anderen Problemen, mit denen er fertig werden muß, hat der Künstler auch noch einen ständigen Kampf um seine Freiheit zu führen, einen Ausweg aus dem täglichen, sinnlosen Trott zu finden, der jeden Aufschwung zu lähmen droht. Noch mehr als andere Sterbliche bedarf er einer harmonischen Umgebung. Als Maler oder Schriftsteller kann er seine Arbeit so ziemlich überall tun. Es ist nur fast unmöglich, dort, wo das Leben billig, die Natur einladend ist, das bloße Existenzminimum zu erwerben, das man braucht, um Körper und Seele zusammenzuhalten. Ein Mann mit Talent muß seinen Lebensunterhalt nebenbei erwerben oder seine schöpferische Arbeit nebenbei tun. Eine schwierige Wahl!

Wenn er das Glück hat, einen idealen Ort oder eine ideale Gemeinschaft zu finden, so folgt daraus noch nicht, daß ihm dort auch die Ermutigung zuteil wird, die er so dringend nötig hat. Im Gegenteil, er wird wahrscheinlich entdecken, daß sich niemand für seine Arbeit interessiert. Im allgemeinen wird man ihn als sonderbaren Heiligen ansehen. Und das ist er natürlich, da das, was ihn dazu macht, dieses geheimnisvolle Element ist, ohne das seine Mitmenschen so gut auskommen können. Er wird fast immer auf eine andere Art als sein Nachbar essen, reden und sich kleiden, und das genügt, um ihn der Lächerlichkeit, Verachtung und Vereinsamung auszuliefern. Wenn er durch Übernahme einer bescheidenen Arbeit zeigt, daß er nichts Besseres sein will als sein Nachbar, kann er seine Lage vielleicht etwas erleichtern. Aber nicht für lange. Zu beweisen, daß er «nichts Besseres ist als sein Nachbar», bedeutet für einen Künstler wenig...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Übersetzer Kurt Wagenseil
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anekdoten • Beat-Generation • Kalifornien • Milieustudien • Träumereien
ISBN-10 3-644-00586-9 / 3644005869
ISBN-13 978-3-644-00586-0 / 9783644005860
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