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New Wave (eBook)

Ein Kompendium 1999 - 2006
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30150-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

New Wave -  Christian Kracht
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Über die Buchinger-Klinik, Tschernobyl und die ägyptische Buchmesse, über asiatische Suppen und Bienen auf dem Kuchen, über Afghanistan, Ukraine, Paraguay, den Bodensee, die Mongolei, die Schweiz! Christian Krachts Erzählungen und Reportagen spielen überall auf der Welt und sind Glanzstücke zeitgenössischer Literatur. Wenn man die vielen großartigen kurzen Texte und die Reiseberichte liest, die Christian Kracht in den letzten Jahren, oft unterwegs irgendwo auf der Welt, geschrieben hat, hat man das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen, weil hier auch die Gattungsschubladen souverän ignoriert werden.

Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane »Faserland«, »1979«, »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, »Imperium«, »Die Toten« und »Eurotrash« sind in über 30 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis, 2016 den Schweizer Buchpreis und den Hermann-Hesse-Literaturpreis.

Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane »Faserland«, »1979«, »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, »Imperium«, »Die Toten« und »Eurotrash« sind in über 30 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis, 2016 den Schweizer Buchpreis und den Hermann-Hesse-Literaturpreis.

Et In Arcadia Ego


Ein Besuch in Djibouti / 2003

Um acht Uhr morgens sausten Ali, Bob, der französische Botschafter und ich mit achtzig Stundenkilometern über einen ausgetrockneten Salzsee, über den Grand Barra. Wir saßen jeder für sich in kleinen weißen Go-Karts, an denen ein Segel befestigt war.

Ich war in Djibouti, dem kleinsten Land Afrikas – Arthur Rimbaud war hier am Horn gewesen, Evelyn Waugh, Charlton Heston, als er den Film »Planet der Affen« drehte, hier in der Nähe des Salzsees, nun die deutsche Marine und dann ich; es ging qualitativ bergab mit den weißen Besuchern.

Fünfzig Grad Hitze herrschten in Djibouti im Sommer, hier draußen in der Salzwüste sogar siebzig Grad. Doch jetzt, Anfang Februar, war es erträglich, es war die beste Jahreszeit, struppige rote Blumen blühten am Rand der Sanddünen, Adler und Geier kreisten hoch oben in den Luft strömen über den Salzseen.

 

Der französische Botschafter gewann unser Sandsegelrennen mit links, packte aus seinem Ford Explorer einige Croissants aus, verteilte sie an uns, setzte sich in den Wagen und verschwand dann in einer Staubwolke über den Salzsee in Richtung Hauptstadt.

»Au revoir, Messieurs!« rief der Botschafter aus dem Wagenfenster.

»Au revoir, Excellence!« riefen Ali, Bob und ich ihm hinterher, auf dem Blätterteig kauend.

 

Die Deutschen hatten sich für heute angekündigt, eine ganze Busladung voller Marinesoldaten, die das Sandsegeln lernen wollten. Wir setzten uns auf drei Stühle und warteten. Wir spielten Karten, wir rauchten Zigaretten. Bob trug eine Palette Dosenbier aus der Kühltruhe von einem Ende der offenen Wellblechhütte zum anderen. Die Croissants waren längst aufgegessen. Wir beobachteten Fliegen. Wir zählten Fliegen. Wir zählten Fliegenbeine.

Als der Bus kurz vor Sonnenuntergang noch immer nicht gekommen war, fuhren Ali, Bob und ich zurück in die Hauptstadt Djiboutis, die der Einfachheit halber auch Djibouti heißt, und Bob und ich ließen uns von Ali an einem großen Platz absetzen.

 

Äthiopische, schwer parfümierte Frauen in Catsuits huschten nach Sonnenuntergang über die Place Menelik. Die schwärzesten Schatten des Nachmittags, die, von der seitwärts stehenden Sonne getrieben, die gelbgestrichenen Arkaden hochgewandert waren, waren nun verschwunden; die Finsternis der Nacht hatte alle Schatten gleichgemacht, einzig die Mauern fühlten sich noch handwarm an. Immer ab halb drei Uhr nachmittags verfiel ganz Djibouti in ein Koma; es war Zeit, Kat zu kauen, die ganze Stadt und das ganze Land standen still, im schwarzen Schatten saßen die Männer mit dicken Backen und kauten die narkotisierenden grünen Blätter, vor sich hin auf die Straße starrend, bis tief in die Nacht.

Bob und ich saßen ebenfalls unter den Arkaden in einem Café und tranken jeder ein Bier aus der Flasche.

»Djibouti ist das teuerste Land der Welt, nach Japan«, sagte Bob. Die beiden Biere hatten 32 Dollar gekostet. Bob war aus Johannesburg, er war Vertreter für Schleifgeräte. Einmal im Jahr fuhr er durch ganz Afrika, immer am Äquator entlang, um seine Waren anzupreisen. Während er langsam sein Bier trank, sagte er, er habe noch einen Termin bei Monsieur Al-Gamil, und bat mich, ihn zu begleiten. Ich solle beim Gespräch nichts sagen, er würde mich einfach als seinen Assistenten aus der Schweiz vorstellen. Also tranken wir aus und fuhren zu Al-Gamil.

»Können wir Sie vielleicht für unser Schleifsteinsortiment interessieren?« fragte Bob. »Wir produzieren deutsche Qualität in Südafrika. Wir vertreten die Firma Pferd, sehen Sie, eine angesehene Firma, wir können Sie, Monsieur Al-Gamil, zu einem unglaublichen Viertel Ihres sonstigen Bezugspreises beliefern.«

»Sie sind zum richtigen Mann gekommen. Ich bin der König von Djibouti.«

»Der Baumarktkönig, enfin«, sagte Bob.

»Ja, ja, richtig, aber ich bin auch der marokkanische Botschafter in Djibouti. Schauen Sie.« Al-Gamil wies mit der beringten Hand in Richtung seines Baumarktes. Eine marokkanische Fahne hing schlaff neben der Registrierkasse, rechts neben dem Feilensortiment.

»Zeigen Sie Ihren Katalog einmal her.«

»Bitte.«

»Ah, nicht uninteressant. Wenn jemand irgend etwas in Djibouti bauen will, dann kommt er nämlich erst mal zu mir, zu Al-Gamil.«

»Eben. Sehen Sie sich bitte Seite 16 an, eine Betonschleifscheibe, und hier, das ist eine ähnliche Scheibe, um Eisen zu schleifen. Es ist gut verarbeitete Ware.«

»Und wenn ich zehntausend Stück bestelle, ach was, vierzehntausend Stück …«

»Dann laden wir Sie zur Industriemesse in Köln ein, dieses Jahr noch.«

»Gut, ich nehme … schreiben Sie auf?«

»Moment«, sagte Bob und drückte zwei-, dreimal mit dem Daumen auf den Nupsi oben am Kugelschreiber.

»Vierzehntausend hiervon, dreißigtausend hiervon …«

Bob notierte sich die Bestellungen, sein Kugelschreiber flog über das Papier wie ein emsiger Sperling auf Nahrungssuche.

»So, und jetzt genug des Geschäfts. Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause. Vorher aber … einen kleinen Moment … vous permettez … Ihre Oberhemden sehen so verwaschen aus, bitte nehmen Sie diese, als Geschenk von mir, von Al-Gamil.«

Er griff unter seinen lederbezogenen Schreibtisch und überreichte Bob und mir zwei große rote Pappschachteln mit dem Aufdruck Pierre Cardin. Das Preisschild hatte er drangelassen.

»Exzellenz, so ein teures Geschenk«, sagte ich.

»Djibouti ist das teuerste Land der Welt, nach Japan«, sagte der Baumarktkönig.

»Sie sind wirklich zu freundlich«, sagte Bob.

Zu Hause im Sheraton Djibouti packte ich die Pierre-Cardin-Schachtel vorsichtig aus, es war ein Oberhemd, ein minzgrünes, mit kleinen hellblauen Streifen und eingewirkten, weißen Diamantstickereien, in Größe XXL.

In der Bar des Sheraton Djibouti standen deutsche und afrikanische Journalisten, Marinesoldaten, ein paar Offiziere in Zivil und mehrere Feldjäger herum und unterhielten sich über den Galaempfang, heute abend, auf der »Emden«. Afrikanische Kellner liefen mit Getränketabletts hin und her. Bob bestellte sich einen Wodka, ich trug Al-Gamils Oberhemd. Die viel zu langen Ärmel waren hochgekrempelt, das Hemd, das mir bis zu den Knien ging, hatte ich in die Hose gesteckt, die sich nun im Becken- und Gesäßbereich bauschte wie eine Windel.

Fregattenkapitän Thiele stand an der Bar und trank ein Bier. Er trug ein lilafarbenes Muskel-T-Shirt, das seinen sonst unter dem Uniformärmel verborgenen, beeindruckenden Bizeps prächtig zur Geltung brachte.

»Teuer, das Bier«, sagte Fregattenkapitän Thiele. »Fast so teuer wie in Japan.«

»So habe ich mir die Marine nicht vorgestellt«, sagte ich.

»Na wie denn sonst?«

»Na ja, ich muß bei der Marine immer an Querelle de Brest denken – Sie kennen den Roman von Jean Genet?«

»Nein«, antwortete Fregattenkapitän Thiele.

»Oder die Verfilmung von Fassbinder – schneeweiße Uniformen, Schlaghosen, O-Beine, très Tom of Finland. Die deutsche Marine erscheint mir dabei eher recht … leger.«

»Ja, in Zivil tragen wir, was wir wollen. Abends, meine ich.«

»Und ich sehe, Sie gehen immer ins Fitneßstudio.«

»An Bord. Wir haben da einen Trainingsraum.«

»Und Sie schwitzen dann mit den ganzen anderen Jungs … ähm, den Matrosen …«

Fregattenkapitän Thiele verdrehte die Augen und wandte sich ab. Bob hatte sich inzwischen in ein Sofa fallen lassen und starrte in sein Wodkaglas. Thieles Assistentin, die meinem Gestammel zugehört hatte, sah mißbilligend an mir herunter.

»Sie denken, ich trage Windeln? Nein, nein, das ist nur mein Oberhemd, es ist viel zu groß, sehen Sie. Es ist ein Geschenk von Al-Gamil, dem Baumarktkönig von Djibouti.«

»Aha«, sagte die Assistentin.

Ich suchte nach Worten, um von meinem ausladenden Entenbecken abzulenken: »Sind Ihre … Haare nicht viel zu lang für das Militär?«

»Ich finde Ihre Frage sehr frauenfeindlich. Ich finde sie sogar ausgesprochen unhöflich. Eigentlich finde ich Sie auch ausgesprochen unhöflich.«

»Ah, so meinte ich das gar nicht. Ich dachte eher an US-Filme …«

»Können Sie sich denn nicht vorstellen, daß Frauen es bei der Marine doppelt schwer haben? Auch ohne solche unreflektierten Fragen?«

»Bitte gehen Sie jetzt«, sagte ein Feldjäger, der zugehört hatte und nun einen Schritt vortrat.

»Aber ich wollte doch nur …«

»Haben Sie verstanden? Sie sind beleidigend und gehen allen hier auf die Nerven. Gehen Sie.«

»Kann ich mich vielleicht entschuldigen?«

»Nein.«

»Keine Chance?«

»Nein.«

»Eine klitzekleine Chance?« Mir kam ein schrecklicher Gedanke. »Bedeutet das, ich darf nicht auf den Galaempfang?«

»Gehen Sie jetzt endlich mal? Oder muß ich deutlicher werden?« fragte der Feldjäger und griff sich drohend vorne ans Koppelschloß.

Bob, den körperliche Gewalt eher anzog, begann sich aus dem Sofa herauszuschälen. Er wankte auf den Feldjäger zu, das leere Glas Wodka in der rechten Hand zu einem Schlaginstrument formend.

»He, boche! Lassen Sie meinen Kameraden in Ruhe«, sagte Bob. Der Feldjäger, der sehr groß gewachsen war, blickte auf Bob herab, mitleidig, wie ein Schlachter auf ein kleines elsässisches Vögelchen.

»Wir«, Bob deutete mit der einen Hand auf mich und umschloß mit der anderen fester das Wodkaglas, »wir beide gehen jetzt zum Galaempfang.«

»Vergiß es, Bob, du hast doch gehört, was der...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2020
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 1979 • Chritian Kracht • die Toten • Erzählungen • Faserland • Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten • Imperium • Reportagen • Texte • Theaterstück
ISBN-10 3-462-30150-0 / 3462301500
ISBN-13 978-3-462-30150-2 / 9783462301502
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