Jugenderzählungen (eBook)
1230 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
978-80-272-2909-3 (ISBN)
»Du hast richtig gedacht. Ich wäre nun jetzt am Ziele; aber diese Bleichgesichter verfolgten mich; mein Pferd war zu abgemattet und konnte den Sprung über dieses Wasser nicht tun; es stürzte. Wohkadeh kam unter dasselbe zu liegen und verlor die Besinnung; als er erwachte, war er mit Riemen gebunden.«
Und in der Siouxsprache fügte er knirschend hinzu:
»Es sind Feiglinge. Neun Männer fesseln einen Knaben, dessen Seele von ihm gewichen ist! Hätte ich mit ihnen kämpfen können, so gehörten jetzt ihre Skalpe mir.«
»Sie haben dich sogar geschlagen!«
»Sprich nicht davon, denn jedes dieser Worte riecht nach Blut. Mein weißer Bruder wird mir die Fesseln abnehmen, und dann wird Wohkadeh als Mann an ihnen handeln.«
Er sagte das mit solcher Zuversichtlichkeit, daß der dicke Jemmy lächelnd fragte:
»Hast du nicht gehört, daß ich ihnen nichts zu befehlen habe?«
»O, mein weißer Bruder fürchtet sich vor hundert solchen Männern nicht. Ein jeder von ihnen ist Wakon kanch (ein altes Weib). «
»Meinst du? Woher kannst du wissen, daß ich mich vor ihnen nicht fürchte?«
»Wokadeh hat offene Augen. Er hörte von den beiden berühmten weißen Kriegern oft sprechen, welche Davy-hons-keh und Jemmy-petahtscheh genannt werden, und hat sie an ihren Gestalten und Worten erkannt.«
Der kleine Jäger wollte antworten, wurde aber von Walker unterbrochen:
»Halt, Mann! So haben wir nicht gewettet! Ich habe Euch zwar erlaubt, mit dem Kerl zu reden; aber das muß in englischer Sprache geschehen. Euer Kauderwelsch kann ich nicht dulden; denn ich muß da gewärtig sein, daß ihr miteinander gegen uns Pläne schmiedet. Uebrigens genügt es uns, erfahren zu haben, daß er des Englischen mächtig ist. Wir brauchen euch nun nicht mehr, und ihr könnt also dahin gehen, woher ihr gekommen seid. Und wenn das nicht schnell geschieht, so werde ich euch Beine machen!«
Jemmys Blick flog zu Davy hinüber, und dieser gab ihm mit einer Wimper einen Wink, den niemand bemerkte. Für den Dicken aber war dieses blitzschnelle Zucken des Auges verständlich genug. Der Lange hatte ihn auf die Büsche aufmerksam gemacht, welche seitwärts von ihm standen. Jemmy richtete einen kurzen, aber scharf forschenden Blick hinüber und bemerkte, daß nahe am Boden die Läufe zweier Doppelgewehre ein wenig zwischen den Zweigen hervorragten. Dort lagen also zwei Männer im Anschlage. Wer waren sie? Freunde oder Feinde? Die Sorglosigkeit, welche Davy zeigte, beruhigte ihn. Er antwortete Walker:
»Die Beine, welche Ihr mir machen wollt, möchte ich wohl sehen! Ich habe keine solche Veranlassung zum schnellen Davonlaufen wie ihr.«
»Wie wir? Wem sollten wir davonlaufen?«
»Demjenigen, dem gestern noch diese beiden Pferde gehört haben. Verstanden?«
Er deutete bei diesen Worten auf zwei braune Wallachen, welche eng nebeneinander standen, als ob sie wüßten, daß sie zusammen gehörten.
»Was?« rief Walker. »Wofür haltet Ihr uns? Wir sind ehrliche Prospekters, welche hinüber nach Idaho wollen, wo jetzt neue Goldlager entdeckt worden sind. «
»Und weil es euch zu dieser Reise an den nötigen Pferden mangelt, so seid ihr nebenbei auch eben so ehrliche Horsepilfers. Uns täuscht ihr nicht!«
»Mann, sag noch ein Wort, so schieße ich dich nieder! Wir haben alle diese Pferde gekauft und bezahlt. «
»Wo denn, mein ehrlicher Master Walker?«
»Bereits unten in Omaha.«
»So! Und da habt ihr euch dort wohl auch gleich einen Vorrat von Hufschwärze mitgenommen? Warum sind denn die beiden Braunen so frisch, wie aus der Fenz heraus? Warum haben sie frisch geschwärzte Hufe, während eure anderen Gäule abgetrieben sind und in den verwahrlosesten Pantoffeln laufen? Ich sage euch, daß die Braunen noch gestern einen anderen Herrn gehabt haben und daß der Diebstahl von Pferden hier im fernen Westen mit dem schönen Tode durch den Strang bestraft wird. «
»Lügner! Verleumder!« brüllte Walker, sich nach seinem Gewehre bückend.
»Nein, er hat recht!« ertönte eine Stimme zwischen den Büschen hervor. »Ihr seid elende Pferdediebe und sollt euren Lohn haben. Schießen wir sie nieder, Martin!«
»Nicht schießen!« rief der lange Davy. »Nehmt die Kolben! Eine Kugel sind sie nicht wert. «
Er holte mit dem umgekehrten Gewehre aus und versetzte Walker einen Hieb, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Aus den Büschen sprangen zwei Gestalten, ein kräftiger Knabe und ein älterer Mann, mit hoch erhobenen Gewehren hervor und warfen sich auf die angeblichen Prospekters.
Jemmy hatte sich niedergebückt und mit zwei schnellen Schnitten die Fesseln Wohkadehs gelöst. Dieser schnellte empor, sprang auf einen der Feinde zu, ergriff ihm beim Genick, riß ihn nieder und schleuderte ihn über das Wasser hinüber, wo sein Skalpmesser lag. Kein Mensch hätte ihm eine solche Körperstärke zugetraut. Ihm nachspringen, das Messer mit der Rechten ergreifen, auf den Feind knieen und dessen Haarschopf mit der Linken erfassen, das war das Werk eines Augenblickes.
» Help – help -for God’s sake – help!« kreischte der Mann in höchster Todesangst auf.
Wohkadeh hatte das Messer zum tödlichen Stoße erhoben. Sein blitzendes Auge fiel auf das vor Entsetzen verzerrte Gesicht des Feindes – und seine Hand sank mit dem Messer nieder.
»Hast du Angst?« fragte er.
»Ja, o Gnade, Gnade!«
»Sag’, daß du ein Hund bist!«
»Gern, sehr gern! Ich bin ein Hund!«
»So bleib’ zu deiner Schande leben; ein Indianer stirbt mutig und ohne Klage, du aber wimmerst um Barmherzigkeit. Wohkadeh kann den Skalp eines Hundes nicht tragen. Du hast mich geschlagen; dafür gehörte deine Kopfhaut mir; aber ein räudiger Hund kann keinen roten Mann beleidigen. Lauf fort; es ekelt Wohkadeh vor dir l«
Er gab ihm einen Tritt mit dem Fuße. Im nächsten Augenblicke war der Mann verschwunden.
Das alles war viel, viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Walker lag am Boden, ein anderer neben ihm; die übrigen hatten sich schleunigst aus dem Staube gemacht. Ihre Pferde waren ihnen nachgelaufen; die beiden Braunen standen noch da und rieben ihre Köpfe an den Schultern der beiden Helfer, welche sich so unerwartet eingestellt hatten.
Der Knabe mochte ungefähr das sechzehnte Jahr zurückgelegt haben, doch war sein Körper über dies Alter hinaus entwickelt. Heller Teint, blondes Haar und blaugraue Augen wiesen auf germanische Abstammung hin. Er war barhäuptig und ganz in blaues Leinen gekleidet. In seinem Gürtel steckte ein Messer, dessen Griff von seltener indianischer Arbeit war, und das Doppelgewehr, welches er in der Hand hielt, schien für ihn fast zu schwer zu sein. Seine Wangen hatten sich im Kampfe hoch gerötet, aber er stand doch so ruhig da, als ob es etwas für ihn ganz Gewöhnliches gegeben hätte. Wer ihn jetzt betrachtete, war jedenfalls geneigt, anzunehmen, daß solche Scenen, wie die eben vergangene, für ihn nichts Seltenes seien.
Einen eigentümlichen Anblick bot sein Begleiter. Dieser war ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Gesicht von einem dichten, schwarzen Vollbarte umrahmt war. Ertrug indianische Schuhe und Lederhosen und dazu einen dunkelblauen Frack, welcher mit hohen Achselbuffen, Batten und blank geputzten Messingknöpfen versehen war. Dieses letztere Kleidungsstück stammte wohl aus dem ersten Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts. Damals wurde ja ein Tuch fabriziert, welches für eine Ewigkeit gemacht zu sein schien.
Freilich war der Frack außerordentlich verschossen und an den Nähten fleißig mit Tinte aufgefärbt, aber es war noch kein einziges Löchlein darin zu bemerken. Solchen alten Kleidungsstücken begegnet man im »far West« sehr oft. Dort geniert es keinen, ein altmodisches Habit zu tragen, denn bei den dortigen Verhältnissen gilt der Mann mehr als das Kleid.
Auf dem Kopfe trug der kleine Mann einen riesigen schwarzen Amazonenhut, den eine große, gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Dieses Prachtstück hatte jedenfalls vor Jahren irgend einer Lady des Ostens gehört und war dann durch ein launenhaftes Schicksal nach dem fernen Westen verschlagen worden. Da seine außerordentlich breite Krämpe sehr gut gegen Sonne und Regen schützte, so hatte sich der jetzige Besitzer gar keine Skrupel gemacht, ihm die gegenwärtige Bestimmung zu geben.
Bewaffnet war das Männchen nur mit Büchse und Messer. Selbst der Gürtel fehlte, ein sicheres Zeichen, daß der Kleine sich jetzt nicht auf einem weiten Jagdzuge befand.
Er schritt auf der kleinen Walstatt hin und her und betrachtete sich einige Gegenstände, welche von den Besiegten in der Eile der Flucht zurückgelassen worden waren, dabei konnte man bemerken, daß er mit dem linken Fuße hinkte; Wohkadeh war der erste, welchem dieser Umstand auffiel. Er trat zu ihm, legte ihm die Hand an den Arm und fragte:
»Ist mein weißer Bruder vielleicht der Jäger, welchen die Bleichgesichter den Hobbel-Frank nennen?«
Der Kleine nickte ein wenig...
| Erscheint lt. Verlag | 15.11.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | Prague |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Kinder- / Jugendbuch ► Vorlesebücher / Märchen | |
| Schlagworte | 19. Jahrhundert • Abenteuer • Abenteuerroman • Blut und Flammen • Das Hexenzeichen • deutscher Schriftsteller • Die Tore von Kunarja • Girl on the train • Goldrausch • Harry Potter • Im Lautlosen • In den Armen des Kelten • Indianer • Jugendbuch • Kein Himmel ohne Sterne • Nordamerika • Spannung • Stunde der Drachen • Thomas Mann • Wildwest |
| ISBN-10 | 80-272-2909-X / 802722909X |
| ISBN-13 | 978-80-272-2909-3 / 9788027229093 |
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