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Die Inseln der Weisheit (eBook)

Dystopie Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
360 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
978-80-272-0502-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Inseln der Weisheit -  Alexander Moszkowski
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In 'Die Inseln der Weisheit' entführt uns der Autor Alexander Moszkowski in eine faszinierende Welt voller philosophischer Gedanken und Reflexionen. Mit seinem klaren und prägnanten Schreibstil präsentiert Moszkowski eine Reihe von Essays, die sowohl zum Nachdenken anregen als auch unterhalten. Das Buch zeichnet sich durch eine einzigartige Mischung aus tiefgründiger Weisheit und humorvoller Leichtigkeit aus, die den Leser in den Bann zieht. Moszkowski schafft es, komplexe Themen auf verständliche Weise zu präsentieren und regt dazu an, über die grundlegenden Fragen des Lebens nachzudenken. Das Werk steht in der Tradition großer philosophischer Essays und bietet einen inspirierenden Einblick in die Vielfalt des Denkens.

Balëuto


Die Platonische Insel

Ich übergehe die Einzelheiten unserer Landung und vertraue hierin der Phantasie des Lesers, auf die Gefahr hin, daß in den von ihr entworfenen Bildern manches inkorrekt ausfallen sollte. Denn es kommt ja nicht darauf an, zu schildern, welchen Eindruck wir auf die fremden Menschen machten, als vielmehr darauf, welche Eindrücke wir davontrugen. Ich erwähne nur, daß wir selbst zwar eine gewisse Neugier, aber keineswegs ein stürmisches Aufsehen erregten. Die Seleno-Fernphotographie hatte längst vorgearbeitet, und nahe am Kai erblickten wir im Aushang eines Ladens die Bilder der Atalanta nebst den Hauptpersonen unserer Expedition mit Unterschriften in Landtypen und Antiqualettern. Ein Beamter der in sanften Terrassen ansteigenden Hafenstadt erwartete uns am Peer und stellte sich uns zur Verfügung. Er eröffnete uns in einer Art von Pidgin-Englisch, in der das Malayische überwog, daß die Gasthöfe der Stadt infolge einer großen Landesfestlichkeit überfüllt wären. Uns sei indes im Privathause eines Bürgers ausreichendes Quartier bereitgestellt. Es wurde, wie übrigens fast durchweg auf dieser Reise, vorausgesetzt, daß die Schiffsmannschaft an Bord verbliebe. Natürlich sorgten wir für ausreichenden Tagesurlaub, damit die Leute ihren Anteil an den Sehenswürdigkeiten und sonstigen Genüssen der neuen Länder schichtweise genießen konnten.

Was sich uns hier schon am ersten Tage entschleierte, war die Tatsache, daß die Insel Balëuto und ihre gleichnamige Hauptstadt ein Staatswesen nach Platonischem Muster darstellte; genauer gesagt, die Verkörperung des Modells, das Plato vornehmlich in seinem Werk »Politeia« als das Ideal des Staates hingestellt hat. Seit undenklichen Zeiten hatte unter den Intellektuellen der Insel das gedankliche Leitmotiv durchgegriffen: Die Europäer feiern Plato als einen der sublimsten Denker aller Zeiten; sie huldigen seiner Ideenlehre und haben ihm selbst den Ehrentitel »der Göttliche« verliehen; dieser nämliche göttliche Plato hat ihnen in zehn Büchern das auf Gerechtigkeit gegründete Muster eines Staates aufgebaut; aber bis zum heutigen Tage ist es noch keinem Leiter und keiner Gemeinschaft eingefallen, dieses Muster zu erproben und zu verwirklichen. Nicht in Alt-Hellas, nicht in Neu-Griechenland, nicht in irgend einem der Länder, in denen sich der zum Christentum hinüberleitende Neuplatonismus durchgesetzt hat. Hier klafft ein ungeheurer welthistorischer Widerspruch, und auf diesen zu allermeist wird es zurückzuführen sein, daß sich so viel Not und Elend über die alten Länder ergossen hat. Sie hatten das Rezept zum Idealstaat und verleugneten es in der Praxis. In der Beseitigung dieses Widerspruchs liegt die Mission der Balëuto-Menschen. Sie sollen und wollen Platoniker sein, nicht nur in der Idee, nicht nur in philosophischen Abstraktionen nach dem Vorbild europäischer Dozenten und Studiosen, sondern in Wirklichkeit: als überzeugte und werktätige Mitglieder des Platonischen Staates. So lautet das reine Grundmotiv, das zwar im Zeitenlauf gewissen Wandlungen ausgesetzt war – denn wo gäbe es ein System, dessen Schema unverbrüchlich gälte? – das sich aber in großen Zügen auf der Insel richtunggebend erhalten hat.

***

Die uns angewiesenen Wohnräume lagen im zweiten Stockwerk eines villenartigen, von hübschen Gartenanlagen umgebenen Privathauses, das einem Großdrogenhändler Namens Yelluon gehörte. Er empfing uns am Eingang, leitete uns hinauf, ließ uns korrekter Weise eine kurze Weile allein und meldete sich dann zu einem formellen Besuche:

»Ich begrüße Sie, Herrschaften, nicht nur mit der leeren Höflichkeit, die man Gästen im Allgemeinen schuldet, sondern mit jenem Eudämonismus, der von der Schule Platons ausgehend vornehmlich durch dessen Zeitgenossen Aristipp aus Cyrene seine deutlichste Prägung erhalten hat. Dieser Eudämonismus, – man könnte ihn auch, wiewohl philologisch nicht ganz genau, als Hedonismus ansprechen, – also das Gefühl und die Lehre von der Glückseligkeit, ist in mir lebendig, wenn ich den Wunsch äußere, es möge Ihnen in diesem Staate und in meinem Hause wohlgefallen. Wir werden es an nichts fehlen lassen, um Sie zu befriedigen, und ich bin um so sicherer, daß uns dies gelingen wird, als Sie selbst nach dem ersten Eindruck zu schließen, durchaus befähigt erscheinen, die von uns gebotene Verwirklichung der platonischen Ideen voll zu würdigen. In diesem Sinne heiße ich Sie willkommen.«

Wir sahen uns einigermaßen verblüfft an, dann erlaubte ich mir, da die anderen schwiegen, das Wort zu nehmen.

»Empfangen Sie, Herr Yelluon, unseren Dank, zugleich mit dem Ausdruck der Bewunderung für die überraschend schöne Diktion, die Ihnen zu Gebote steht. Sie erweckt in uns die Empfindung, daß wir hier tatsächlich in ein Land erhöhter Bildung gekommen sind. Die Platonischen Begriffe, die hier nach Ihren Andeutungen eine so große Rolle spielen, sind uns nicht ganz fremd, und wir freuen uns im Voraus auf die Erscheinungsformen der »Kalokagathia«, denen wir hier begegnen werden, das Wort im weitesten Sinne genommen, nach seinen Grundbestandteilen »Kalos«, schön, »agathos«, gut, also eine Einheit von Schönheit, Wahrheit und sittlicher Trefflichkeit. Hiervon abgesehen liegt uns aber auch daran, mit Ihnen als unserem Hauswirt einige sachliche Dinge zu erörtern, die uns Fremdlinge nach einer so langen Reise notwendig beschäftigen müssen.«

»Diese Notwendigkeiten sollen sofort erledigt werden,« entgegnete der Wirt. »Ich habe deshalb gleich die sieben Meldezettel mitgebracht, und bitte Sie um vorschriftsmäßige Ausfüllung.«

Wir begannen zu schreiben, gerieten indes alsbald an eine Schwierigkeit. »Sagen Sie, bitte, wie ist das zu verstehen? Auf diesen Meldezetteln befindet sich neben Geburtsort, Stand und Staatsangehörigkeit auch eine fragende Rubrik: »Philosophie«?«

»Hier haben Sie einzutragen, Person für Person, welcher philosophischen Richtung Sie besonders huldigen, mit kurzer Angabe der erkenntnistheoretischen Gründe.«

Als wir zögerten; ergänzte Jener: »Diese Verordnung besteht hier schon lange und ist neuerdings durch unser Ministerium für philosophische Angelegenheiten in Erinnerung gebracht worden. Wir verfahren dabei durchaus nicht engherzig, da den privaten Neigungen des Einzelnen jeder Spielraum gewährt wird, denn wir setzen voraus, daß bei Jedem ein platonisches Grundbewußtsein vorhanden ist. Nichtsdestoweniger wünscht die Behörde möglichst informiert zu werden über die philosophische Partei, der jeder Staatsbürger und jeder Fremdling angehört.«

– Ich sollte meinen, das wäre Privatsache und ginge die Regierung eigentlich gar nichts an. »Sie sind im Irrtum, mein Herr, dies ist amtlich durchaus nicht belanglos. Meines Wissens werden auch bei Ihnen in Deutschland auf staatlichen Formularen ähnliche Fragen gestellt. Bei Ihnen verlangt man die Erklärung darüber, ob Katholik, Protestant, Jude oder Dissident, was uns wiederum im höchsten Grade gleichgültig erscheint, denn die Konfession ist allerdings Privatsache, nicht aber die Philosophie…«

– Mir ist der Zweck der Fragestellung immer noch dunkel.

»Lassen Sie sich das an Beispielen erklären. Gesetzt, wir fänden in unseren Statistiken, daß eine bestimmte Art von Vergehen oder Verbrechen mit besonderer Häufigkeit auf Personen entfällt, die sich etwa zu Spinoza bekennen, so würden wir auf theoretische Maßregeln zu sinnen haben, die dem Spinozismus entgegenwirken. Fänden wir wiederum, daß die pünktlichsten Steuerzahler unter den Anhängern des Cartesius angetroffen werden, so wäre uns das ein Wink in unseren Schulen und Akademien den Descartes zu bevorzugen. Sie dürfen nie aus den Augen verlieren, daß diese Insel durchaus nach dem Prinzip Platos eingerichtet ist, der ausdrücklich alle Staatsmacht den Philosophen zuweist und der kategorisch verlangt, daß das gesamte Getriebe des Gemeinwesens philosophisch reguliert wird.«

Wir füllten nunmehr die fragliche Rubrik aus. Herr Mac Lintock flüsterte mir zu, er wäre hier in Verlegenheit, da er sich zeitlebens noch nie um Philosophie gekümmert hätte. Ich gab ihm halblaut die Weisung, hinzuschreiben: »Pragmatismus nach William James«, denn diese neuamerikanische Denkform beruhe auf dem common sense, auf der praktischen Nützlichkeit, und stünde als philosophische Lehre sicherlich seiner eigenen kaufmännischen Praxis nahe. Seine Nichte bezeichnete sich auf dem Zettel kurzweg als Schopenhauerianerin; der Kapitän und Donath nannten sich Epikuräer; der Offizier und der Arzt bezeichneten irgendwelche andere berühmte Namen, und ich selbst schrieb kurzerhand, um uns auf alle Fälle gut Wetter zu machen »Plato«; obschon ich überzeugt war und bin, daß man sich überhaupt nicht einem einzelnen Philosophen verschreiben darf, da jeder nur eine Profillinie der Wahrheit darstellt, deren volles Gesicht erst in der Vereinigung aller Philosophien erkennbar wird.

Da es gerade Vesperzeit war, verfügten wir uns auf die Veranda zum Kaffeetisch, woselbst sich noch ein Schwager unseres Wirtes, Rektor einer Oberschule, angefunden hatte. Die Gattin des Herrn Yelluon ließ sich mit Unwohlsein entschuldigen. Sie lag zu Bett und fühlte sich so angegriffen, daß sie auf ihren sanften Kissen die gewohnten Dialoge des Plato nicht in der griechischen Urschrift, sondern nur in einer erleichternden Übersetzung zu lesen vermochte. Ich schalte ein, daß Balëuto einen Kaffee hervorbringt, gegen den die erlesensten Sorten unserer Kontinente nur als fade Substanzen zur Erzeugung von Spülichtwasser erschienen. Mir war dieser Umstand nicht ganz nebensächlich, denn zu gewissen Tagesstunden neige ich mehr zu...

Erscheint lt. Verlag 7.8.2017
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 1984 • Aldous Huxley • Die Tribute von Panem • Divergent • Einstein • Expeditionserfahrungen • Geistesströmungen • George Orwell • gesellschaftsexperimente • Gesellschaftskritik • Hochtechnisierte Inseln • Hunger Games • Jonathan Swift • Jules Verne • Prophetische Elemente • Rahmenhandlung • Schöne neue Welt • Technologische Voraussicht • Utopischer Roman • Virtuelles Holodeck
ISBN-10 80-272-0502-6 / 8027205026
ISBN-13 978-80-272-0502-8 / 9788027205028
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