Litauische Geschichten (eBook)
220 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
978-80-7583-896-4 (ISBN)
Ansas Wanags mußte gestehen, daß die kleine Grita, die er nur als Kind gesehen, ein recht hübsches Mädchen geworden sei, das sich neben der saubersten litauischen Wirtstochter zeigen könne. Die braucht nicht weit in die Zukunft zu rechnen, dachte er; wird schon einen Mann finden, der nach der Ausstattung nicht viel fragt. Abends hörte er sie unter den Birken singen, und die bekannten schwermütigen Lieder waren ihm nie so tief ins Herz gegangen, wie diesmal. Er zündete die lange Pfeife an und setzte sich auf den Stamm eines verkrüppelten Birnbaumes, der hinter seiner Klete stand. Von da konnte er gut in des Nachbars kleinen Bienengarten sehen, in dem das Mädchen sich zu schaffen machte. Es war nicht seine Absicht, mit ihr Verkehr anzuknüpfen, aber bald quälte es ihn doch, zu wissen, was Grita eigentlich vorhabe, und ehe er sich dessen versah, stand er vor dem von den letzten Strahlen der Abendsonne rot angeglühten Zaungeflecht von trockenen Fichtenästen, lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf die vorragenden Haltepfähle und blies den blauen Rauch hinüber. Grita tat, als ob sie ihn gar nicht bemerkte und sang weiter, indem sie sich zugleich von Zeit zu Zeit zur Erde bückte und etwas aufnahm.
»Was tust du denn da?« fragte Ansas endlich, ein wenig gereizt durch die Nichtachtung seiner Person; er hatte gemeint, als Wirt das Gespräch nicht anfangen zu dürfen.
»Bist du's?« fragte sie nun, sich umschauend. Sie hatte einen Kranz von allerhand Gräsern, Blättern und Blumen in der Hand, dessen Enden aber noch nicht verbunden waren. Ihr blondes Haar, das über der Stirn glatt gescheitelt war und in langen Zöpfen herabhing, glänzte im Sonnenlicht wie Gold.
Er sagte nun erst »Guten Abend« und nickte ihr freundlich zu.
»Ich singe den Bienen etwas vor«, sagte sie nähertretend, »damit sie mich kennenlernen und das Stechen lassen. Die Bienen sind kluge Tiere, aber sie wollen auch gut behandelt sein; sie merken bald, wer zum Hause gehört.«
»Und für wen ist der hübsche Kranz, Grita?«
»Für mich selbst. Morgen ist Sonntag, da muß etwas Grünes in der Kammer über meinem Bett hängen, wenn ich aufwache.«
»Die Blumen sind nichts wert – komm in mein Gärtchen, da findest du schöne Astern die Menge.«
»Ein andermal, Ansas, wenn du's erlaubst; der Kranz ist schon fertig, wie du siehst. Liebst du die Blumen auch?«
»Die Blumen und die grünen Bäume, man kann nicht genug davon neben seinem Hause haben.«
»Das gefällt mir«, warf sie leicht hin; »es gibt auch so viele schöne Lieder auf die Blumen und auf die grünen Bäume.« Damit fing sie wieder zu singen an, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern. Den Kranz setzte sie auf den Kopf und machte nun mit dem Oberkörper allerhand Biegungen und Schwenkungen nach dem Takt des Liedes. Dann ging dasselbe plötzlich in eine Tanzmelodie über, die einem herumziehenden Leierkasten abgelauscht sein mochte. Sie drehte sich mehrmals trällernd um sich selbst, entfernte sich so mehr und mehr von Ansas, der das ihm bekannte Stück mitzupfeifen anfing, und verschwand hinter den Hopfenstangen an der Stallecke.
Am nächsten Morgen machte Wanags sich zum Kirchgang fertig, wartete aber ruhig in seiner Haustür, bis die Nachbarn vorüberkamen. Es war sonst gar nicht seine Gewohnheit, sich ihnen anzuschließen, sondern er ging am liebsten allein, und sie nahmen's für Vornehmtuerei. Freilich hatte er diesmal auch nur Grita in Gedanken, der er einen Blumenstrauß aus seinem Garten reichen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht geprahlt habe. Es war ihm recht lieb, sie ihrem Großvater voraus aus dem Nachbarhause treten und ohne Begleitung über die Dorfstraße gehen zu sehen; so konnte er hoffen, mit ihr eine Strecke allein zu bleiben. Weshalb ihn diese Aussicht froh stimmte, hätte er sich selbst nicht zu sagen gewußt, nur daß sie ihm heute in ihrem Sonntagsstaat mit dem schwarzsamtnen Mieder, den weiten auf den Achseln und am Handgelenk gestickten Ärmeln und dem im Winde flatternden Kopftuch noch schmucker erschien, als gestern, wurde ihm bewußt. Sie trug in der einen Hand das Gesangbuch und in der andern ihre Strümpfe und Schuhe, ging hastig vorüber und schien erst auf ihn zu merken, als er ihr nachrief.
Den Blumenstrauß nahm sie freundlich, wennschon ohne besonderen Dank an und schob ihn zwischen die Haken des Mieders. Dann sprachen sie über gleichgültige Dinge, aber der Weg bis zum Marktflecken verkürzte sich ihnen dadurch doch aufs angenehmste. Hinter dem Pfarrhause standen ganze Scharen von Landfrauen und Mädchen, damit beschäftigt, ihre Toilette zu vervollständigen. Hier verließ Grita ihren Begleiter, um ebenfalls Strümpfe und Schuhe anzuziehen. Er ging voran in die Kirche, ohne im Krug anzusprechen, trat in einen der großen Stände neben dem Altargang, zog vorsorglich sein weißes Beinkleid bis über die Knie auf, um es sauber zu erhalten, und verrichtete kniend sein Gebet.
Auf dem Rückwege traf er wieder mit Grita zusammen, ganz zufällig natürlich. Er bat sie, ihn in den Krug zu begleiten, aber sie lehnte es lachend ab. »Was sollen die Leute denken?« sagte sie. »Was sie wollen«, meinte er, aber sie ging vorbei, und er blieb nun an ihrer Seite.
Abends spazierten die jungen Mädchen Arm in Arm unten am Fluß auf und ab und sangen ihre Lieder. Es fanden sich auch junge Burschen ein, die mit ihnen Scherz trieben, und andere lehnten sich über das Geländer der Brücke, schauten hinab und neckten sie. Für Ansas Wanags schickte es sich nicht, darunter zu sein, aber er suchte doch heimlich eine Stelle am hohen Ufer aus, wo das Gebüsch ein Versteck bot, und beobachtete Grita von dort. Er hatte schon nur noch Gedanken für sie, und es kam ihm ganz in Vergessenheit, daß der reiche Wirt Krupat eine Erbtochter habe, um die er eigentlich schon gefreit hatte.
Wenn zwei einander gut sind, bleibt's nicht lange unbemerkt; gewöhnlich wissen die Leute es früher als die Beteiligten selbst. So war denn auch bald Gerede über Ansas und Grita, die einen meinten, das Paar passe gut zusammen, und die andern, es sei für beide eine schlechte Partie, da sie nicht bemittelt genug seien, um von Geld und Gut absehen zu können. Die Urte Karalene fand es gar nicht nach ihrem Geschmack, eine Frau ins Haus zu bekommen, die nicht mit vollen Händen einbrachte. Seit dem letzten Streit holte sie täglich ihren Bedarf an Wasser aus dem Brunnen Petricks und hatte dabei öfters Gelegenheit, mit Grita zusammenzutreffen, die sich allemal gern in ein Gespräch einließ. Dabei war sie immer die Zärtlichkeit selbst und zerfloß in Tränen, wenn sie ihre Leidensgeschichte erzählte. Wer sie hörte, mußte glauben, daß sie die friedfertigste Person von der Welt sei und kein Wasser trüben könne. Natürlich erschien um so schwärzer ihr Widersacher Ansas Wanags, und je aufmerksamer Grita zuhörte, um so eifriger wurde sie in ihren Anklagen. »O mein Kindchen, mein süßes Engelchen«, beschwor sie das Mädchen dann gewöhnlich am Schluß, »hüte dich vor dem! Der ist ein schrecklicher Mensch, mit dem niemand leben kann und der gar kein Gewissen kennt – ein Teufel, wie nur einer auf der Erde herumgeht, um die Frommen zu versuchen. Mich hat er arm und elend gemacht, und am liebsten wär's ihm, wenn ich verhungern möchte. Nicht einmal einen Trunk Wasser gönnt er mir, und ich muß betteln gehen um die liebe Gottesgabe. Um jedes Körnchen Getreide und um jeden Faden Flachs muß ich erst prozessieren, und wenn er mich anredet, so ist's mit Schimpfworten und Drohungen. Wehe der, die einmal seine Frau wird! Er schlägt sie gewiß schon am Tage nach der Hochzeit, und wo sie bei dem Hungerleider etwas zu essen findet, mag sie auch zusehen. Hüte dich vor dem, mein Engelchen; es nimmt gewiß einmal mit ihm ein schlechtes Ende, wenn an Gottes Gerechtigkeit zu glauben ist.« – Grita hörte geduldig zu, aber sie war weit entfernt, ihr aufs Wort zu trauen. Sah sie das alte Weib doch oft genug abends spät betrunken über die Landstraße taumeln und hatte sie Ansas doch selbst einmal sagen hören, daß die Karalene sein Unglück sei. Er war immer so freundlich und gut zu ihr, ob er schon ihre Armut kannte, und seine Wirtschaft konnte ja noch ganz stattlich werden, wenn er erst die Altenteile los wäre. »Es ist ihm ja gar nicht ernst damit«, sagte sie laut, aber im Herzen sprach's anders.
Ansas hatte Anfechtungen anderer Art zu bestehen. Krupat war nicht ohne Bedenken auf den Handel wegen seiner Tochter eingegangen; nun das Abkommen einmal fest war, hörte er ungern von der neuen Liebschaft reden. Er gehörte zu der Sekte der »Frommen« und war sogar selbst einer von deren Aposteln, reiste in der Gegend umher und hielt Betstunden in den Bauernstuben ab. So fehlte es ihm nicht an einem großen Anhang, der seine Freundschaften und Feindschaften teilte, und Wanags konnte sich bald überzeugen, daß man ihm geflissentlich aus dem Wege ging und es selbst vermied, in der Kirche neben ihm Platz zu nehmen. Er kannte recht gut den Grund dieser Zurückhaltung, und zum Überfluß sprach sein Vater, der im Krug Ärgernis hatte, ihn auch ausdrücklich aus; aber das befestigte seine stille Neigung nur noch mehr. Es verging nun kein Abend, an dem er nicht um das Petricksche Gehöft herumstreifte und auf Grita lauerte, wenn sie die Kuh von der Uferweide abholte oder Wasser aus dem Brunnen schöpfte. Konnte er nur ein Wörtchen mit ihr wechseln, so war er schon froh. Eines Tages, als er auf sein Feld ging, kam ihm Herr Geelhaar entgegengeritten und sprach ihn an. »Wird's bald Hochzeit geben?« fragte er. »Weshalb meinst du?« wich der Litauer aus. – »Nun, es ist so die Rede davon«, antwortete der Gutsherr, »und man hat doch auch Augen.« –»Ich habe ja noch von niemandem ein Hochzeitsgeschenk...
| Erscheint lt. Verlag | 6.7.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | Prague |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
| Literatur ► Historische Romane | |
| Schlagworte | 19. Jahrhundert • bedeutender Schriftsteller • Bismarck • Charles Dickens • Erzählungen • Friedrich der Große • Heimatverbundenheit • Heinrich Hansjakob • Hermann Sudermann • Jeremias Gotthel • Küstenlandschaften • literarische Deutschlands • Ludwig Ganghofer • Ludwig Thoma • Ostpreußen • Paul Heyse • Regionale Folklore • romantischer Schreibstil • Theodor Fontane • Tiefgründige Charaktere |
| ISBN-10 | 80-7583-896-3 / 8075838963 |
| ISBN-13 | 978-80-7583-896-4 / 9788075838964 |
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