Ein Schuss kommt selten allein
Nova MD (Verlag)
978-3-96698-381-5 (ISBN)
- Titel erscheint in neuer Auflage
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AJ steckt voller Ideen. Deshalb arbeitet sie meist an mehreren Projekten und Büchern gleichzeitig. Unter einem weiteren Pseudonym verfasst sie Fantasy-Romane, doch sie wollte unbedingt auch für die LGBTQ+-Gemeinde schreiben. Glücklicherweise war ihre Lektorin sofort damit einverstanden. In ihrer Freizeit verschlingt AJ Bücher, isst viel zu viel Schokolade und verreist gern. Ihre erste größere Reise führte sie nach Japan, und das hat ihr so gut gefallen, dass sie sich fest vorgenommen hat, so bald wie möglich noch viel mehr von der Welt zu sehen. Bis dahin recherchiert sie weiterhin via Google Earth und schreibt über die Welten in ihrem Kopf.
Leseprobe aus "Ein Schuss kommt selten allein" von AJ Sherwood Kapitel 1 Durch den halb durchlässigen Spiegel, der mich vom Verhörraum trennte, starrte ich die sehr, sehr schuldige Frau an, die Detective Borrowman gegenübersaß. Er hatte mir den Rücken zugewandt, konnte mich aber über einen unsichtbaren Knopf im Ohr hören. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass es für ihn am einfachsten und schmerzlosesten war, mit mir zu kommunizieren, wenn wir ein Walkie-Talkie mit offenem Sendekanal benutzten. Es lehnte am Spiegel, und die Sprechtaste war festgeklebt, sodass ich ständig auf Sendung war. Solange ich das Gerät nicht anfasste, würde es überleben. Seit drei Jahren spielte ich nun schon Lügendetektor für die Polizei. Weil ich während der Vernehmung Hinweise darauf geben konnte, welche Fragen die Ermittler stellen oder in welche Richtung sie weiter nachbohren sollten, zogen sie mich der Maschine vor. Das bloße Ja/Nein-Schema der technischen Geräte brachte die Ermittler oft nicht weiter. Borrowman war einer meiner Lieblingsbeamten, ein guter Polizist und ein richtig netter Kerl. Außerdem hatte er Geduld mit mir und meinen Besonderheiten. Und davon hatte ich so einige. Man musste dazusagen, dass ich sie mir nicht ausgesucht hatte. »So, Mrs Turnbull, lassen Sie mich noch einmal wiederholen. Ich möchte sichergehen, dass ich alles richtig notiert habe.« Demonstrativ las Borrowman aus seinen Notizen vor: »Sie hatten keine Ahnung, dass Ihr Mann ein Verhältnis hatte.« »Richtig«, antwortete sie, die Lippen so fest zusammengepresst, dass sie fast nicht mehr zu sehen waren – und das trotz des großzügig aufgetragenen knallroten Lippenstifts. »Lüge«, informierte ich Borrowman. »Sie wusste Bescheid.« Borrowman, der es gewohnt war, meine Stimme im Ohr zu haben, zuckte nicht mal mit der Wimper. »George Turnbull hat zehntausend Dollar für Hotelzimmer, Blumen, Wochenendreisen und ein paar sehr schöne brillantenbesetzte Manschettenknöpfe ausgegeben, alles für Ihren Nachbarn, und Sie haben nichts geahnt? Noch nicht mal einen Verdacht gehabt?« »Nein. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Mann einen anderen Mann gevögelt hat«, zischte sie. Die zarten Fingerknöchel ihrer verkrampften Hände schimmerten weiß. Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die Frau mitleidig. Sie hatte sehr wohl gewusst, was los war. Sie hatte es gewusst, und in ihr brannten Hass, Abscheu und das Gefühl, verraten worden zu sein. Die energetischen Meridiane, die sich in ihrem Körper zusammengeballt hatten, leuchteten wie Neon-Schriftzeichen – für andere Menschen unsichtbar, aber für mich wie ein offenes Buch. Nur Menschen mit übersinnlichen Kräften waren in der Lage, sie zu erkennen, auch wenn eine Begabung wie meine ziemlich selten war. Mir war jedenfalls noch nie jemand mit Fähigkeiten wie meinen begegnet. Es hatte Jahre gedauert, bis ich mir selbst beigebracht hatte, die Farben, Linien und Lichtblitze, die ich in anderen Menschen sah, zu deuten. Und obwohl meine Gabe nützlich war, fühlte ich mich von all diesem Wissen oft genug überwältigt. Bei Mrs Turnbull nahm ich hauptsächlich Wut und Schmerz wahr. Die Linie an ihrem Herz-Chakra flammte rot vor Zorn, tief und fast schwarz deutete sie gleichzeitig auf tödlichen Hass hin. In diesem Fall war das recht passend, denn um ihren Solarplexus herum bemerkte ich Flecken von dem übelkeiterregenden Grauweiß, das gleichbedeutend mit Mord war. Kein Zweifel: Sie hatte ihren Mann umgebracht. Leider würde meine Aussage allein nicht ausreichen, um sie hinter Gitter zu bringen. Gutachten von Kriminalmedien – so die offizielle Bezeichnung für Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die in der Verbrechensaufklärung tätig waren – konnten zwar vor Gericht verwendet werden, vorausgesetzt, das Medium besaß die entsprechende Zulassung. Ihre Aussage musste aber durch weitere Beweismittel gestützt werden. Darum ging es gerade in diesem Verhör. Borrowman lehnte sich zurück und trommelte mit den Fingern ein schnelles Dreierstakkato auf die Tischplatte. Das war unser vereinbartes Signal dafür, dass er einen Hinweis von mir brauchte, um fortzufahren. Ich beugte mich näher zu dem Walkie-Talkie. »Sie ist sehr homophob und fühlt sich überhaupt nicht schuldig wegen des Mordes. Deuten Sie an, dass Sie Verständnis für ihren Abscheu wegen der Affäre haben.« »Mrs Turnbull, ich kann Ihre Situation wirklich gut nachvollziehen. Es war bestimmt schwer, erkennen zu müssen, dass Ihr Mann eine Affäre hatte, das hört ja niemand gerne. Aber dass es sich um einen Mann handelt? Sie müssen ja völlig entsetzt gewesen sein, als Sie erfahren haben, dass Ihr Mann schwul war.« Borrowman klang absolut aufrichtig, und ich zollte ihm im Stillen Beifall für seine überzeugende schauspielerische Leistung. Ich wusste genau, dass er kein Problem mit anderen sexuellen Orientierungen hatte. Borrowman selbst war zwar ganz und gar hetero, aber als ich ihm eröffnet hatte, dass ich schwul war, hatte er noch nicht mal gezuckt. Es war einer der vielen Gründe dafür, dass ich ihn so mochte. Mrs Turnbull blickte auf, und ein Ausdruck von Schmerz huschte über ihr Gesicht, in das sich weitere Falten gruben. Sie war, wenn man Frauen bevorzugte, sicher nicht unattraktiv, Ende vierzig und für ihr Alter gut aussehend, wenn sie nicht gerade einen Gesichtsausdruck hatte wie Cruella De Vil. Vielleicht waren es auch die schwarzen Haare und die blasse Haut, die mich an eine Hexe erinnerten. »Ja. Ja, ›entsetzt‹ ist genau das richtige Wort. Fünfzehn Jahre lang waren wir verheiratet, und im Großen und Ganzen auch glücklich. Und dann fängt er auf einmal an … Wie sollte ich so etwas meiner Familie beibringen? Den Leuten in meiner Kirchengemeinde? Wir sind gute, moralische Menschen, und er war …« Sie brach ab und starrte in ihrem selbstgerechten Zorn finster vor sich hin. »Komisch«, überlegte ich laut, »einen Mord zu begehen ist anscheinend moralisch weniger verwerflich, als schwul zu sein.« Borrowman hätte bestimmt amüsiert geschnaubt, wenn er gekonnt hätte. Sein Humor war genauso schwarz wie meiner. »Verstehe. Natürlich hat Sie das aufgebracht. Also haben Sie seine Kreditkarte zerschnitten. War das das Erste, was Sie taten, als Sie ihn zur Rede gestellt haben?« »Allerdings«, zischte sie. Es hörte sich an wie ein Teekessel kurz vor dem Kochen. »Ich habe meine Handarbeitsschere genommen und sie direkt vor seiner Nase mittendurch geschnitten. Und dann habe ich ihm gesagt, dass ich weiß, was er getan hat.« »Wirklich? Offen gestanden hätte ich wahrscheinlich das Gleiche gemacht. Wissen Sie zufällig noch, wo die Schere geblieben ist? Bei den Beweisstücken habe ich sie, glaube ich, nicht gesehen.« Einen Augenblick wirkte sie verunsichert, schaute zur Seite, und zum ersten Mal schien sich ihr Überlebensinstinkt zu melden. Die Frage war ihr unangenehm. »N… nein, das weiß ich nicht mehr. Ich war so außer mir, dass ich gar nicht klar denken konnte.« »Gelogen. Sie weiß ganz genau, wo die Schere ist«, korrigierte ich sofort. Jetzt wurde ich hellhörig, denn gerade kamen wir ein Stück weiter. Die Autopsie hatte ergeben, dass es sich bei dieser Schere mit neunzigprozentiger Sicherheit um die Mordwaffe handelte. Sie war nur bislang nicht auffindbar. »Ja, das ist natürlich verständlich«, sagte Borrowman beruhigend. »Und dann? Sie haben wahrscheinlich nicht nur die Kreditkarte zerschnitten, oder? Also, wenn meine Frau wütend auf mich ist, bekomme ich jedenfalls ganz schön etwas zu hören. Sie hatten doch sicher so einiges auf dem Herzen.« Mit neuem Schwung schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, als ihr Zorn bei der Erinnerung wieder aufflammte. »Oh ja. Ich habe ihm gesagt, dass er dafür in die Hölle kommt. Dass er auf der Stelle mit seiner Perversion Schluss machen muss. Er hat allen Ernstes versucht, sich zu entschuldigen. Können Sie sich das vorstellen? Entschuldigen – als ob das etwas ändern würde. Und dann hatte er auch noch die Stirn, mich um die Scheidung zu bitten. Seinen Ruf hatte er schon ruiniert, mich hatte er in Verruf gebracht, und dann dachte er, dass eine Scheidung irgendwie alles besser machen würde? Er hätte mein Leben vollkommen zerstört, und alles nur, weil er scharf auf den Nachbarn war.« Aha, eine von denen, die glaubten, dass eine Scheidung schlimmer war als eine Affäre. Mir persönlich leuchtete diese Einstellung überhaupt nicht ein, aber ich wusste auch aus erster Hand, wie viel Schaden eine schlechte Ehe anrichten konnte. Scheidung war eindeutig das kleinere Übel. Und natürlich war alles besser als Mord. »Hat Ihr Mann wirklich gesagt, dass er sich scheiden lassen wollte, um mit David Hardy zusammen sein zu können?«, fragte Borrowman, immer noch in leisem, beruhigendem Ton. »Er hat gesagt, David macht ihn glücklich«, sagte sie verächtlich. »Ich habe meinen Ohren kaum getraut. Auf einmal klang es so, als sei ich das Problem, obwohl ich überhaupt nichts falsch gemacht hatte!« »Ist Ihnen da die Hand ausgerutscht?« »Ich habe ihn geohrfeigt, ja«, gab sie gespielt zerknirscht zu. Ich konnte deutlich sehen, dass sie Genugtuung dabei empfunden hatte, ihm Schmerzen zuzufügen. »Er hat versucht, meine Hand festzuhalten, hat mich angebrüllt, ich weiß schon gar nicht mehr, was er geschrien hat, und ich musste alle Kraft aufwenden, um mich loszureißen. Ich wollte nicht, dass er mich anfasst. Es fühlte sich so schmutzig an, dass er mich mit denselben Händen angrapschte, mit denen er … auch ihn berührt hatte. Das konnte ich nicht ertragen.« »So wäre es sicher jeder Frau in Ihrer Lage gegangen. Bestimmt fühlten Sie sich bedroht. Ihr Mann war schließlich viel größer und stärker als Sie. Als er Sie so festgehalten hat, sind Sie vermutlich in Panik geraten. Sie wollten sich losreißen. Aber das konnten Sie ja aus eigener Kraft gar nicht.« »Nein«, gab sie zu, immer noch in der Erinnerung gefangen, dann erzählte sie automatisch die Geschichte weiter. »Aber ich hatte ja noch die Schere in der Hand, und …« Plötzlich wurde ihr klar, was sie gerade gesagt hatte, und sie verstummte. »Und dann?« Borrowman machte eine ermutigende Geste. »Sprechen Sie weiter, Mrs Turnbull.« »Nein.« Sie sah sich um, und plötzlich war ihr wieder bewusst, wo sie sich befand. Schließlich saß sie aus gutem Grund in einem Verhörraum. »Ich möchte einen Anwalt.« »Natürlich, Sie können gerne einen anrufen. Aber brauchen Sie den wirklich? Können Sie mir nicht einfach sagen, was dann passiert ist?« »Ich möchte einen Anwalt«, beharrte sie. Jetzt war sie verängstigt. »Ich … ich habe meinen Mann nicht umgebracht, und ich verlange einen Rechtsanwalt.« Verdammt. Es war immer ärgerlich, wenn Verdächtige so schnell nach Rechtsbeistand riefen. Das zog unweigerlich bergeweise Papierkram nach sich, und dann konnte es Monate dauern, bis wir die Beweise fanden, die wir brauchten, um ihr den Mord nachzuweisen. Die Vorstellung, diese Frau bis dahin auf Kaution freizulassen, gefiel mir ganz und gar nicht. Einer Eingebung folgend bat ich Borrowman: »Fragen Sie, ob sie die Schere vergraben hat.« »Gut, Mrs Turnbull. Ich gehe Ihnen gleich ein Telefon holen, dann können Sie einen Rechtsanwalt anrufen, in Ordnung? Nur noch eine schnelle Frage: Kann es vielleicht sein, dass Sie die Schere vergraben haben?« Ihr bereits blasser Teint wurde aschfahl. »Nein.« »Bingo!«, rief ich, auf den Zehenspitzen wippend. »So war’s!« »Im Garten?«, hakte Borrowman nach. »Ich sagte doch, ich hab sie nicht vergraben!« Ich grinste sie durch den Spiegel an. »Genau dort liegt sie.« »Vielen Dank, Mrs Turnbull. Ich gehe dann mal das Telefon holen.« Damit stand er auf und verließ den Befragungsraum, um auf meine Seite des Verhörspiegels zu wechseln. Vorsichtig zog ich mich an die Wand zurück. Beim letzten Mal hatte ich versehentlich die elektronische Schließanlage berührt – und was dann passiert war, wollte ich ungern noch mal erleben. Die Haustechniker waren nicht begeistert von mir gewesen. Borrowman lächelte mich durch den Türspalt an. »Es geht immer so viel schneller, wenn Sie beim Verhör mit dabei sind.« »Na ja. Ich bin eben mein Geld wert.« Achselzuckend erwiderte ich das Lächeln. »Diese Frau hinter Schloss und Riegel zu bringen, wäre mir eine Freude. Ein echtes Prachtexemplar.« »Das sag ich Ihnen. Ich denke mal, das war’s für mich. Wenn der Rechtsanwalt erst mal hier ist, darf ich heute sowieso nicht mehr mit ihr sprechen. Fahren Sie ruhig wieder ins Büro. Ich melde mich, wenn ich Sie wieder brauche.« Es konnte Stunden, Tage oder sogar Wochen dauern, bis Borrowman an dem Fall weiterarbeiten konnte, also stimmte ich zu. »Geht klar.« »Aufpassen«, sagte er warnend und stieß die Tür weiter auf. »Ich halte die Tür, dann können Sie an mir vorbei.« Das war keine übertriebene Vorsicht. Irgendetwas im Zusammenhang mit meinen Fähigkeiten als Medium brachte es leider mit sich, dass elektronische Geräte in meiner Anwesenheit verrücktspielten. Wenn ich sie anfasste, ruinierte ich sie komplett. Wenn ich mich dauerhaft im gleichen Raum aufhielt, geschah irgendwann das Gleiche. Für mich war es gelinde gesagt eine ziemliche Herausforderung, in der modernen Welt zwischen den ganzen elektronischen und mobilen Geräten zurechtzukommen. Ich schob mich also an ihm vorbei, so gut es ging, ohne den Türrahmen zu berühren, und atmete auf, als ich im Flur stand. Gleichzeitig setzte ich meine mittelgraue Sonnenbrille auf. Die hellere benutzte ich, wenn ich jemanden lesen wollte. Mit der dunkleren Brille schirmte ich mich von der Aura größerer Menschenmengen ab. »Bane.« Borrowman hielt inne und musterte mich besorgt. »Hören Sie, ich weiß, dass schon viele Sie darauf angesprochen haben, und ich will Ihnen auch überhaupt nicht zu nahe treten. Aber Sie brauchen wirklich langsam einen Anker.« Ich seufzte und sah beiseite. Das wusste ich selbst. Sobald man als Medium ein bestimmtes Level erreicht hatte, war es unerlässlich, einen Anker zu haben. Bei mir war es sogar dringender als bei manch anderem. Aber eben weil ich so hilfsbedürftig war, so viel Zeit und Aufmerksamkeit brauchte, würde es für meinen Anker kein besonderes Vergnügen werden. Früher oder später würde jeder Mensch, der eine Verbindung mit mir einging, durchdrehen. Mit mir würde es nur ein Heiliger aushalten. »Ach, Borrowman …«, fing ich müde an, und dann wusste ich nicht weiter. »Es ist ja nicht nur so, dass Ihre Abschirmung völlig unzureichend ist«, bemerkte er ernst. »Ich meine, Sie setzen sich dafür Sonnenbrillen auf, das kann’s ja wohl nicht sein. Oder dass Sie alles Elektronische zugrunde richten. Sie haben nun mal einen gefährlichen Beruf, und wenn Sie wirklich auf jemanden konzentriert sind, nehmen Sie gar nicht mehr wahr, was um Sie herum vorgeht. Ich möchte einfach nicht, dass Sie noch mal angeschossen werden.« »Es wurde auf mich geschossen«, betonte ich, wie ich es immer tat, wenn jemand darauf zu sprechen kam. Borrowman winkte ab. »Haarspalterei. Sie wissen doch ganz genau, was ich meine. Dieses Einsamer-Wolf-Dasein ist einfach nicht gut für Sie, Jon.« Dieser Mann war mein Freund, also nahm ich es ihm nicht übel, dass er das Gleiche sagte wie das, was alle mir nahestehenden Menschen mir schon seit Jahren predigten. »Hören Sie, mir ist das alles sehr bewusst. Aber versetzen Sie sich doch mal in meine Lage. Ich müsste jemanden finden, der eine Engelsgeduld aufbringt, der es okay findet, dass ich schwul bin, der bereit wäre, zu jeder Tages- und Nachtzeit alles stehen und liegen zu lassen, wenn er gebraucht wird, und der außerdem einen militärischen Hintergrund hat oder ausgebildeter Bodyguard ist. Und das ist die Mindestanforderung. Bisschen viel verlangt, oder? Als ich das letzte Mal gefragt habe, war Captain America gerade nicht abkömmlich.« Kurzfristig abgelenkt, legte Borrowman den Kopf schief. »Das wäre also Ihr Typ? Ein Muskelpaket?« Ich schnippte mit den Fingern. »Nicht abschweifen. Dieses Thema haben wir doch schon hundert Mal durchgekaut, und Sie wissen ganz genau, was ich meine. Ich kann mir buchstäblich keinen Menschen vorstellen, der als mein Anker nicht schon nach einer Woche schreiend davonlaufen würde. Für mich wird es einfach immer ein Luftschloss bleiben, einen Anker zu haben, okay?« Entnervt gab er zur Antwort: »Und trotzdem wäre es denkbar, dass es so jemanden gibt.« »Na, den müssen Sie mir erst mal zeigen.«
Leseprobe aus "Ein Schuss kommt selten allein" von AJ Sherwood Kapitel 1Durch den halb durchlässigen Spiegel, der mich vom Verhörraum trennte, starrte ich die sehr, sehr schuldige Frau an, die Detective Borrowman gegenübersaß. Er hatte mir den Rücken zugewandt, konnte mich aber über einen unsichtbaren Knopf im Ohr hören. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass es für ihn am einfachsten und schmerzlosesten war, mit mir zu kommunizieren, wenn wir ein Walkie-Talkie mit offenem Sendekanal benutzten. Es lehnte am Spiegel, und die Sprechtaste war festgeklebt, sodass ich ständig auf Sendung war. Solange ich das Gerät nicht anfasste, würde es überleben.Seit drei Jahren spielte ich nun schon Lügendetektor für die Polizei. Weil ich während der Vernehmung Hinweise darauf geben konnte, welche Fragen die Ermittler stellen oder in welche Richtung sie weiter nachbohren sollten, zogen sie mich der Maschine vor. Das bloße Ja/Nein-Schema der technischen Geräte brachte die Ermittler oft nicht weiter. Borrowman war einer meiner Lieblingsbeamten, ein guter Polizist und ein richtig netter Kerl. Außerdem hatte er Geduld mit mir und meinen Besonderheiten.Und davon hatte ich so einige.Man musste dazusagen, dass ich sie mir nicht ausgesucht hatte.»So, Mrs Turnbull, lassen Sie mich noch einmal wiederholen. Ich möchte sichergehen, dass ich alles richtig notiert habe.« Demonstrativ las Borrowman aus seinen Notizen vor: »Sie hatten keine Ahnung, dass Ihr Mann ein Verhältnis hatte.«»Richtig«, antwortete sie, die Lippen so fest zusammengepresst, dass sie fast nicht mehr zu sehen waren - und das trotz des großzügig aufgetragenen knallroten Lippenstifts.»Lüge«, informierte ich Borrowman. »Sie wusste Bescheid.«Borrowman, der es gewohnt war, meine Stimme im Ohr zu haben, zuckte nicht mal mit der Wimper. »George Turnbull hat zehntausend Dollar für Hotelzimmer, Blumen, Wochenendreisen und ein paar sehr schöne brillantenbesetzte Manschettenknöpfe ausgegeben, alles für Ihren Nachbarn, und Sie haben nichts geahnt? Noch nicht mal einen Verdacht gehabt?«»Nein. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Mann einen anderen Mann gevögelt hat«, zischte sie. Die zarten Fingerknöchel ihrer verkrampften Hände schimmerten weiß.Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die Frau mitleidig. Sie hatte sehr wohl gewusst, was los war. Sie hatte es gewusst, und in ihr brannten Hass, Abscheu und das Gefühl, verraten worden zu sein. Die energetischen Meridiane, die sich in ihrem Körper zusammengeballt hatten, leuchteten wie Neon-Schriftzeichen - für andere Menschen unsichtbar, aber für mich wie ein offenes Buch. Nur Menschen mit übersinnlichen Kräften waren in der Lage, sie zu erkennen, auch wenn eine Begabung wie meine ziemlich selten war. Mir war jedenfalls noch nie jemand mit Fähigkeiten wie meinen begegnet. Es hatte Jahre gedauert, bis ich mir selbst beigebracht hatte, die Farben, Linien und Lichtblitze, die ich in anderen Menschen sah, zu deuten. Und obwohl meine Gabe nützlich war, fühlte ich mich von all diesem Wissen oft genug überwältigt.Bei Mrs Turnbull nahm ich hauptsächlich Wut und Schmerz wahr. Die Linie an ihrem Herz-Chakra flammte rot vor Zorn, tief und fast schwarz deutete sie gleichzeitig auf tödlichen Hass hin. In diesem Fall war das recht passend, denn um ihren Solarplexus herum bemerkte ich Flecken von dem übelkeiterregenden Grauweiß, das gleichbedeutend mit Mord war. Kein Zweifel: Sie hatte ihren Mann umgebracht.Leider würde meine Aussage allein nicht ausreichen, um sie hinter Gitter zu bringen. Gutachten von Kriminalmedien - so die offizielle Bezeichnung für Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die in der Verbrechensaufklärung tätig waren - konnten zwar vor Gericht verwendet werden, vorausgesetzt, das Medium besaß die entsprechende Zulassung. Ihre Aussage musste aber durch weitere Beweismittel gestützt werden. Darum ging es gerade in diesem Verhör.Borrowman lehnte sich zurück und trommel
| Erscheinungsdatum | 10.06.2020 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jons übernatürliche Fälle ; 1 |
| Übersetzer | Johanna Hofer von Lobenstein |
| Verlagsort | Deutschland |
| Sprache | deutsch |
| Maße | 120 x 190 mm |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Bisexuell • Detektiv • gay fiction • gay romance • Gay Urban Fantasy • Hellseher • Krimi • LGBT • Liebesroman für Schwule • Love is love • MM Roman • Nashville • Romantische Literatur für Homosexuelle |
| ISBN-10 | 3-96698-381-8 / 3966983818 |
| ISBN-13 | 978-3-96698-381-5 / 9783966983815 |
| Zustand | Neuware |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
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