Ringfahndung (eBook)
224 Seiten
Piper Verlag
9783492987325 (ISBN)
Alexander Rieckhoff, geboren 1969 und aufgewachsen in Villingen, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Konstanz und Rom und ist zurzeit als Fernsehredakteur beim ZDF in Mainz beschäftigt. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Mainz. Gemeinsam mit Stefan Ummenhofer hat er mehrere erfolgreiche Schwarzwald-Krimis geschrieben.
2. TRIMM DICH
Als Hubertus Hummel am nächsten Morgen erwachte, hatte er einen schweren Kopf. Darin mischten sich die Gedanken an das obskure Hotelprojekt mit den Erinnerungen an die sympathische Carolin.
Er hatte noch etwa eine Stunde nett mit ihr über Gott und die Welt geplaudert, ehe sie gemeinsam ein bisschen aufgeräumt und die Glut des Lagerfeuers gelöscht hatten.
Dann war Carolin davongefahren.
Endlich mal eine wirklich nette Kollegin, dachte er sich. Sie hatte tatsächlich den Eindruck gemacht, als würde sie gerne Mutter werden. Tja, aber das ging nun mal nicht ohne brauchbaren Mann. Denn wenn er das richtig verstanden hatte, war Carolin Single.
Er nahm sich vor, sie mal seinem Freund Klaus vorzustellen. Sicher war es für eine Frau von Ende dreißig nicht leicht, einen Partner zu finden, der es ehrlich meinte und dabei noch etwas im Kopf hatte. Umgekehrt galt das ganz genauso – Klaus zum Beispiel darbte schon eine ganze Weile vor sich hin. Sein Gerede, dass er gar keine Frau brauche, war nicht ernst zu nehmen, denn damit versuchte er sich nur selbst zu trösten.
Ein Blick aus dem Fenster versicherte Hubertus Hummel, dass es ein sonniger Tag werden würde. Die Wiese schien über Nacht noch grüner geworden zu sein, die Vögel zwitscherten, und aus dem Wald ertönte ein friedliches Rauschen. Hubertus schwor sich erneut, das Häuschen nicht diesem Investor in die Hände fallen zu lassen.
Zum Glück war er selbst derzeit von Beziehungsproblemen verschont. Besonders innig war seine Ehe in den vergangenen Monaten allerdings nicht gewesen. Elke und er hatten kaum gemeinsame Interessen oder Freunde.
Man lebte ganz gut nebeneinanderher, und vielleicht war das auch gar nicht so schlecht, dachte Hummel. Ihm war es eigentlich ganz recht, denn er konnte gut darauf verzichten, von esoterischem Wirrwarr und fernöstlichen Heils- oder gar Fastenmethoden verschlungen zu werden.
Abgesehen davon wäre ich im Ernstfall besser vermittelbar als Klaus, dachte Hubertus mit der ihm eigenen Selbstüberschätzung. Auch körperlich war er doch noch ganz gut in Schuss.
Hummel blickte an sich hinunter, doch den Blick auf die Boxershorts verstellte ein haariger Bauch, dessen Wölbung ihm bei allem Hang zum Selbstbetrug doch etwas größer geworden zu sein schien.
Ich muss wieder etwas in Form kommen, dachte er und erinnerte sich an sein Versprechen vom gestrigen Abend. Der Unterricht begann für ihn heute erst gegen halb elf. Ein Blick auf seine Armbanduhr: zwanzig nach sieben.
Die frische Luft hier draußen würde ihn noch zu einem passionierten Frühaufsteher machen. Einem Trimm-dich-Pfad-Besuch stand wirklich nichts im Wege. Höchstens er sich selbst.
Hummel beschloss, vorher noch ein wenig in den Hinterlassenschaften seines Onkels auf dem Dachboden herumzustöbern. Das hatte er neulich schon gemacht und war dabei auf einige sehr interessante Dinge gestoßen: zum Beispiel auf ein altes Medaillon aus der Kaiser-Wilhelm-Zeit oder ein vergilbtes Foto seines Onkels mit einer jungen Frau, die nicht Hubertus’ Tante sein konnte.
Vielleicht die erste große Liebe? Der Onkel war als Handlungsreisender vier Jahre in den USA gewesen, hatte zumindest zeitweise Villingen hinter sich gelassen und einiges erlebt. Dennoch war er zeitlebens überzeugter Schwarzwälder gewesen.
Hubertus nahm sich einige Schatullen mit alten Briefen vor. Da er jedoch feststellen musste, dass diese durchweg in Sütterlin geschrieben waren, erschien ihm die Lektüre um diese Uhrzeit doch zu mühsam.
Er griff zur nächsten Kiste. Darin lagen ein paar alte Schmuckstücke sowie ein schöner, filigran gearbeiteter Siegelring mit Adlermotiv und den Buchstaben ASN. Die Jahre schienen dem guten Stück nur wenig angehabt zu haben.
Hubertus war kein passionierter Ringträger, aber dieses Stück gefiel ihm. Er zog es über seinen Ringfinger. Mit etwas Mühe passte es.
Was hatte es mit dem Adler auf sich? Stand er für die Stadt Villingen? Oder war er gar ein unbekanntes Familienwappen? Und was bedeuteten die eingravierten Buchstaben? Es kam Hubertus vor, als hätte er einen ähnlichen Ring in letzter Zeit schon mal irgendwo gesehen, aber er konnte sich nicht erinnern, wo.
Ein paarmal drehte er seine Hand hin und her. Er fand, dass ihm der Ring sehr gut stand, ja, geradezu etwas Aristokratisches verkörperte, und beschloss, ihn zunächst anzulassen. Sicher wäre Onkel Willibald damit einverstanden gewesen – zumal er keine eigenen Kinder hatte, denen er dieses Schmuckstück hätte vermachen können. Sein Erbe hatte er auf die Anverwandten verteilt.
Nach einer Katzenwäsche machte sich Hubertus langsam daran, sein sportliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er würde beim Laufen die Gedanken schweifen lassen, anschließend nach Hause fahren, duschen und dann pünktlich, fit und blendend aussehend in der Schule eintreffen.
Zuvor inspizierte er noch sein Grundstück. Dabei traf er am Gartentor erst den alten Gerber, der ein paar hundert Meter weiter wohnte, und dann Wolfgang Fleig, der gerade einen Morgenspaziergang mit seinem Hund machte.
»Alle Achtung, Hubertus. Wie ich sehe, zieht es dich tatsächlich zum Laufen. Jetzt gleich?«
»Ein Hummel steht immer zu seinem Wort. Auch wenn er es im Alkoholnebel gegeben hat«, meinte Hubertus zwinkernd. »Ich muss aber erst noch ein bisschen aufräumen. Willst du mir nicht helfen?«, fragte Hummel und grinste dabei.
»Der Hund muss wirklich ganz dringend«, wiegelte Fleig ab. »Und mit meiner kaputten Hand … Frag mich demnächst noch mal.«
In der Küche stapelten sich noch Schüsseln und Teller. Hubertus beschloss, sich nach dem Frühsport darum zu kümmern, und hoffte insgeheim, dass vielleicht Elke in der Zwischenzeit auftauchen und sich des Abwaschs annehmen würde.
Trotz seiner sportlichen Ambitionen fuhr Hummel mit dem Auto zum Trimm-dich-Pfad. Sonst wäre es zeitlich nicht zu schaffen gewesen, redete er sich ein, obgleich er wusste, dass er die Wahrheit damit etwas beugte.
Nicht einmal fünf Minuten brauchte er mit seinem Astra Caravan bis zum Parkplatz. Während der Fahrt fiel ihm allerdings auf, dass sein Restalkohol wahrscheinlich für einen neuerlichen Führerscheinentzug reichen würde – erst vor wenigen Wochen hatte er die Fahrerlaubnis wiederbekommen.
Außerdem machte der Wagen seltsame Geräusche.
Hubertus fiel wieder der Marder ein. Vor Kurzem hatte sich ein solches Vieh an den Kabeln seines Opels gütlich getan. Und bekanntlich kamen diese Tiere immer wieder …
Ob das allerdings das Poltern erklärte?
Als er schwungvoll auf den Parkplatz am Trimm-dich-Pfad einbog, rumpelte es noch mehr.
Hubertus blickte nach hinten und erinnerte sich, dass er unter einer Decke Spielsachen für Maximilian verstaut hatte. Ein Mobile, eine Blechgießkanne, die etwa so groß wie der Enkel war, ein ähnlich riesiges, aufziehbares Auto und andere Dinge, die ihn am Vorabend hätten bei Laune halten sollen.
Nachdem Hubertus geparkt hatte, warf er einen weiteren Blick nach hinten und schauderte: Unter der Decke bewegte sich etwas!
Der Bruchteil einer Sekunde genügte ihm, um zu begreifen, dass es nicht das aufziehbare Auto sein konnte.
Denn seit wann stöhnte ein Spielzeugauto?
Mit ungeahnter Geschwindigkeit sprang Hubertus schreiend aus dem Wagen und umrundete ihn. Unter der Decke stöhnte es noch immer. Zehn Sekunden und einen beherzten Griff zur Kofferraumklappe später wusste Hubertus: Es war definitiv nicht das Auto.
Es war der Kollege Brugger!
»Morgen«, stöhnte der und blinzelte ins frühe Sonnenlicht.
Die Augen waren noch immer glasig.
»Hast du sie noch alle?«, fragte Hubertus entgeistert.
»Gute Frage«, antwortete der Kollege, gähnte und versuchte offenbar nachzudenken. Er kratzte sich am unrasierten Kinn. »Das Letzte, was ich noch weiß, ist, dass ich über meine Leichtathletikzeit geredet habe.«
»Elf Komma vier Sekunden auf hundert Meter«, bestätigte Hummel und ärgerte sich, dass er sich das wider Willen hatte merken können. Mit was für einem Mist er Speicherkapazität in seinem Gehirn verschleuderte …
»Elf Komma vier«, wiederholte Brugger strahlend, sah sich um und dachte weiter nach. »Irgendwann bin ich gegangen und hab mich ins Gebüsch verdrückt, weil mir etwas übel war. Und dann habe ich gedacht: Ich muss mich kurz setzen.«
»Und weiter?«, fragte Hummel beunruhigt, während er die Decke sorgfältig nach eventuellen Spuren untersuchte.
Gottlob, es waren keine zu sehen.
»Direkt daneben stand dein Auto. Und der Kofferraumdeckel war nicht abgeschlossen. Da habe ich mich wohl reingelegt und bin eingeschlafen.«
Na, prima. Hubertus Hummel atmete durch und half Brugger auszusteigen.
»Noch was, wo sind die Spielsachen für Maximilian?«
»Ehrlich gesagt weiß ich das nicht mehr so genau, aber da lag mir so unbequemer Krempel im Weg. Ich fürchte, den habe ich ins Gebüsch geschmissen.«
»Waaas?«, rief Hummel und wollte zu einer geharnischten Schimpfkanonade ansetzen.
Doch Brugger unterbrach ihn. »Wie spät ist es denn? Verdammt, ich habe heute in der dritten Stunde die 7a. Oje, was für ein Absturz. Das passiert mir nie mehr.«
Hummel sah auf die Uhr. »Du hast noch genau vierzig Minuten«, sagte er dann.
Brugger erschrak und machte Anstalten, wieder ins Auto zu steigen – diesmal allerdings auf der Beifahrerseite.
»Wer elf Komma vier Sekunden auf hundert Meter läuft, schafft das zu Fuß eh besser«, sagte...
| Erscheint lt. Verlag | 6.7.2020 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Hubertus-Hummel-Reihe |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Bruderschaft • Buch • Bücher • Germanswald • Heimatkrimi • Hubertus Hummel • Humor • humorvoller Krimi • Journalismus • Klaus Riesle • Krimi Reihe • lustig • Regionalkrimi • Schwarzwald • Schwenningen • Totentracht • Tradition • Villingen |
| ISBN-13 | 9783492987325 / 9783492987325 |
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