DER TOD IM THEATER (eBook)
CLXIII Seiten
BookRix (Verlag)
9783748735427 (ISBN)
Siebtes Kapitel
Ich habe zwar viele Fehler, aber zumindest auch eine gute Eigenschaft: ich bin immer pünktlich.
Eher komme ich zu früh.
Als ich auf die Uhr sah, merkte ich, dass ich wie immer zu früh aus dem Hause gegangen war.
Und die Untergrundbahn raste! Ich würde bereits um sieben Uhr im Cristal sein!
Nicht daran zu denken. Ich beschloss, an der Börse auszusteigen und den Rest des Weges zu Fuß zu gehen.
Ein Spaziergang von höchstens zwanzig Minuten...
Gute Idee...
Wen treffe ich an der Rue Montmartre? Den braven Papa Bourgade, Chorleiter im Châtelet...
Wir hatten uns seit dem tragischen Geschehen bei der Hauptprobe nicht mehr gesehen.
Er sah verdammt bedrückt aus, der gute Mann...
Ich erzählte ihm, dass ich zur Operette Tropische Blumen in der Gaîté unterwegs war.
»Tatsächlich?«, murmelte er, »ich auch.«
»Berufliches Interesse?«, erkundigte ich mich angelegentlich.
»Vielleicht«, war die lakonische Antwort.
Wir liefen fünf Minuten nebeneinander her, ohne den Mund aufzutun, dann entschloss er sich, mir eine große Neuigkeit mitzuteilen.
»Bariton Jo«, sagte er plötzlich in sehr ernstem Ton. »Wenn ich dir etwas anvertraue, versprichst du S mir hoch und heilig, es für dich zu behalten?«
»Lieber Kollege«, erwiderte ich, »wie du weißt, bin ich verschwiegen wie ein Grab. In unserem schäbigen Beruf hätte ich die besten Freunde zu Mördern machen können, wenn ich den einen erzählt hätte, was die anderen von ihnen sagen, und umgekehrt. Ich habe immer alles mit angehört und das Maul gehalten. Genügt dir das als Referenz? Übrigens, wenn du kein Vertrauen zu mir hast, dann sei still, ich frage nicht.« Das genügte, um ihn auspacken zu lassen.
»Seit dem Tode des Manola herrscht im Châtelet ein wildes Durcheinander. Man hatte wohl Ersatz durch einen kleinen Tenor dritten Ranges vorgesehen: Lucien Berinas... kennst du den Nachwuchssänger, der seine Sache macht, aber keinen Namen hat?
Gut genug für zwei, drei ausverkaufte Vorstellungen, wenn der Regisseur vor den Vorhang tritt:
Meine Damen und Herren, unser großer Star Camille Manola, durch plötzliche Heiserkeit verhindert, wird heute Abend die Rolle des Marineoffiziers Jean Loyal nicht spielen können. Sein Kollege Lucien Berinas springt für ihn ein.
Wie du weißt, kommt es ja selten vor, dass jemand seine Karte zurückgibt, nachdem zahllose Spießer kilometerweit daherkommen, um die Vorstellung zu sehen.
Aber die Heiserkeitsmasche wird ihnen höchstens ein- oder zweimal abgenommen. Im Übrigen hat der kleine Berinas eine viel angenehmere Stimme, als
Manola... das ist wenigstens meine Ansicht... ganz besonders in den Zwischentönen... aber da siehst du’s wieder, er hat sich noch keinen Namen gemacht. Er brauchte eine längere Rundfunkserie, einige gute Schallplatten... irgendeinen Schlager, der hinhaut. Oder - auch das wäre eine Lösung: einen Skandal, der ihn ins Scheinwerferlicht rückt - das alles, nur um dir zu zeigen, dass es nicht dieses Double sein wird, dem man die Rolle des Manola überträgt. Keine Rede, die Direktion liegt auf der Lauer... Dauernde Konferenzen zwischen dem Verwalter, dem Generalsekretär und dem Intendanten. Nach den neuesten Nachrichten - und das ist der Punkt, bei dem ich um deine Verschwiegenheit bitte - haben sie einen teuflischen Plan gefasst. Sie haben ihr Auge auf Rudolph Francis geworfen, der seit acht Monaten in der Gaîlte Lyrique volle Häuser hat. Leider aber läuft sein Vertrag noch fünf bis sechs Monate... und nun wollen sie ihm die Konventionalstrafe zahlen: eine Million fünfhunderttausend Francs und ihm die Rolle bei einer Gage von achtzigtausend Francs pro Abend anbieten... Bei seinem Manager wurde schon vorgefühlt... Das alles unter größter Geheimhaltung. Ich habe es nur dadurch erfahren, dass ich mich während der Besprechung rein zufällig im Verwaltungszimmer befand. Es gelang mir gerade noch, das Weite zu suchen, ehe sie mich entdeckten. Das ist auch der Grund, warum ich heute Abend einen kleinen Bummel in die Gaîté machen will. Vielleicht sehe ich ein bekanntes Gesicht, das die Verhandlungen einleiten soll.«
Dann fuhr er fort, als spräche er zu sich selbst: »Es muss dringend eine Lösung gefunden werden. Die Schließung des Theaters ist eine schlechte Sache. Vom Standpunkt des Personals und der Künstler, der Komparsen und Chorsänger ist das unerträglich. Drei Monate Proben umsonst. Die Techniker haben nächtelang Kulissen geschoben, Beleuchtungseffekte geregelt, bei Kostümen letzte Hand angelegt, die Chorsänger wurden auf Zack gebracht, ganz zu schweigen vom Ballett, das tagelang schwitzen musste... Die Spannung ist auf dem Siedepunkt angelangt. Nun tritt die Bühnengenossenschaft auf den Plan. Die Direktion wird sicher berappen müssen - halbe Gage mindestens... Nun brauchen sie einen neuen Star, der innerhalb von vierzehn Tagen die Rolle lernt, um die Situation zu retten!«
Ohne mit der Wimper zu zucken, hörte ich mir das alles an.
Ich war mir über die Lage völlig im Klaren... den Rummel kenne ich doch...
Bourgade hatte eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen. Er war schwer am Überlegen, der Bursche hatte es eilig, eine gute Lösung zu finden...
Denn auch er brauchte Arbeit. Armer Teufel... Als Chorleiter, was verdient man da schon? Fünfzigtausend im Monat - allerhöchstem. Zu seiner Zeit war er auch Künstler gewesen.. ebenfalls Tenor, aber damals kannte man noch keinen Rundfunk - oder nur wenig... es war schwer, sich einen Namen zu machen. Anstatt sein ganzes Leben in die Luft zu hängen, gab er’s auf und, da es ihm auf den Leib geschrieben war und er eine gründliche musikalische Ausbildung genossen hatte, legte er sich als Chorleiter fest. Ein Weiser, der Papa Bourgade!...
Nach kurzem Schweigen nahm ich den Faden dieser Sache auf.
»Ich kann dich gut verstehen, mein Alter, verlass dich auf meine Verschwiegenheit... ich wünsche euch, dass es mit dem Plane deiner Direktion klappen möge. Es gibt auch so genügend arbeitslose Theaterleute. Je eher ihr wieder anfangen könnt, umso besser.«
Damit waren wir an der Ecke Sebasto angelangt.
Ich steuerte auf die Terrasse des Cristal zu...
Es war noch niemand da. Die Uhr zeigte sieben Uhr fünfundzwanzig.
»Ich spendiere einen Aperitif«, sagte Bourgade.
Es war unmöglich, nein zu sagen.
Wir setzten uns an einen leeren Tisch am Bürgersteig.
Kaum hatten wir Platz genommen, da erschienen Lambert und Chadal und setzten sich an den Nebentisch.
Anscheinend hatten sich mich von der Anlage aus erspäht.
Bourgade sah sie mit abwesendem Blick an... aber es war eine gewollte Pose, die er annahm.
Nach einigen Minuten, als man uns bedient hatte und die beiden anderen so taten, als würden sie sich nicht um uns kümmern, stieß er mich mit dem Ellenbogen an.
Ich drehte mich um, langsam, als sei nichts geschehen und warf ihm einen fragenden Blick zu.
Er zeigte mit dem Daumen nach Lambert und Chadal und flüsterte: »Die beiden Inspektoren, die mit der Untersuchung beauftragt sind.«
Er kannte sie also. Hatte sie gesehen. Kein Wunder, dachte ich. Die müssen am Tatort alle leitenden Leute vernommen haben.
Ich tat, als käme ich gerade aus der Provinz.
»Ach!«, meinte ich höchst überrascht.
Unsere Vertrautheit konnte er nicht ahnen.
Dann fügte er - immer noch im Flüsterton - hinzu: »Was, zum Teufel, haben die hier zu suchen?«
Das allerdings... das hätte ich auch gerne gewusst. Die beiden anderen taten noch immer, als ob sie mich nicht kennen würden. Ich hielt mich an die Weisung und wartete, bis sie mich ansprechen würden. Wenn ich den Bourgade nur fünf Minuten loswerden könnte!
Schon standen einige Theaterbesucher Schlange vor dem Portal.
Meistens Frauen. Immer die gleichen. Die gleichen, die für den schönen Manola geschwärmt hatten.
Ein Polizist hatte seinen Dienst aufgenommen und ließ keinen Wagen vor dem Theater parken.
Außerdem schien er einen Platz vor der Anlage für irgendeine offizielle Persönlichkeit zu reservieren, denn er verjagte erbarmungslos alle Autofahrer, die dort halten wollten.
»Dieser Platz wird für den Wagen von Francis reserviert«, vertraute mir Bourgade an. »Ein Teil seiner Publicity. Er fährt am Haupteingang vor, statt am Künstlereingang. Er hat einen ganz großen Chrysler mit Schiebedach. Mandelgrün. Ganz langsam rückt er an, du wirst es sehen. Er rangiert noch langsamer. Die Frauen bitten um Autogramme, ehe sie hineingehen... Macht sich gut. Eine nach der anderen, wie die Schafe. Jede will ein Autogramm von Rudolph Francis...«
Verbittert zuckte er die Achseln.
»Verrückte Bande... Sind das Zeiten!«
Was mich anlangt, so wusste ich noch immer nicht, was ich hier zu suchen gehabt hätte.
Der Gedanke kam mir, auf die Toilette zu gehen in der Hoffnung, dass einer meiner beiden Bullen nachkommen und mich freigeben würde.
Aber ich hatte Glück.
Es war Bourgade, der sich erhob:
»Entschuldige mich... ich muss mal...«
Kaum war er in der Bar verschwunden, da sagte Lambert: »Er hat uns erkannt, hat aber nichts zu bedeuten. Wir erklären dir das später. Hier lies mal!«
Darauf reichte er mir einen Wisch.
Mit der Maschine geschrieben. Ich las:
Meine Herren, wenn sie die ganze Wahrheit über den Mord an dem Sänger Manola wissen wollen, kommen Sie heute Abend zur Vorstellung...
| Erscheint lt. Verlag | 9.4.2020 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Apex-Verlag • Bohème • Detektiv • Detektive • Drama • eBook • E-Book • Frankreich • Geheimnis • geheimnisvoll • Krimi • Mord • Morde • Neuausgabe 2020 • neuerscheinung 2020 • Oper • Paris • Roman • Romane • Spannung • Suspense • Theater • Thriller • Unterhaltung • Verbrechen |
| ISBN-13 | 9783748735427 / 9783748735427 |
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